The Wirtschafts-wunder „Salmobray” / „Preziosen & Profanes (Singles & Raritäten 1980-1981)” (Tapete/Bureau B/Indigo)
The Wirtschaftswunder
„Salmobray” / „Preziosen & Profanes (Singles & Raritäten 1980-1981)”
(Tapete/Bureau B/Indigo)
Wenn von der ‘guten Seite’ der Neuen deutschen Welle (in dieser Schreibung) gesprochen wird, sind zumeist eher dadaistische, postpunkige und mitunter in kunsthochschulischen Kontexten begründete Bands gemeint. Und nicht die durchaus noch viel erfolgreicheren und populären Megaseller. Unpopulär-populär und doch keinesfalls erfolglos waren eben auch Acts wie die Fehlfarben, Der Plan, Hans-A-Plast, Palais Schaumburg, Der Moderne Man, Mythen in Tüten, Malaria!, Östro 430 und – bis vor kurzem nicht ausgegraben und damals aufgehalten – The Wirtschaftswunder.
The Wirtschaftswunder waren nur kurz so richtig gegenwärtig, haben gleichwohl mit Attitüde, Mode, Style, Witz und Anderssein einige unvergessliche Anti-Hymnen zum Analphabetismusjubel, Speiseeiswunsch oder blockflötenunterstützen Tanzaufforderungen („Tanz mit mir“) produziert und können in der Regel direkt zwischen „Grünes Winkelkanu“ von Palais Schaumburg, „Kalte Sterne“ der Einstürzenden Neubauten und „Ich und die Wirklichkeit“ von D.A.F. aufgelegt werden. Nicht so vertrackt wie erstere, nicht so industriell-gruftig wie zweitere und eben auch nicht so straight-schwul wie letztere. Es gibt bei The Wirtschaftswunder TV-Krimi-Verweise („Kommissar“) ebenso wie nur scheinbar dämliche Wortspiele („Schein“), die dann, nicht nur wegen spooky Synthesizer und wild gewordener Schreibmaschine, ins Tiefenphilosophische kippen: „Heutzutag‘ ist alles nur Schein, am Liebsten wär‘ ich scheintot“, „Schein, Schein“…
41 (!) Jahre nach der Erstveröffentlichung ihres wohl besten Albums „Salmobray“ wird dieses endlich re-released. Dazu gibt es dann gleich ein zweites ‚Album‘ mit weiteren neun Stücken, eine Zusammenstellung voller früher, an grandios absurder Originalität kaum zu überbietender Singles, Compilation-Beiträge und Raritäten aus 1980/1981.
The Wirtschaftswunder haben mich wieder gepackt, komplett, es geht nicht mit nur einem Bisschen, sie bleiben total und anders, vollkommen unvollkommen. Diese seltsame Limburger Band war Avantgarde ohne das mit auszustellen jenseits der üblichen Verdächtigen mit einfachsten Mitteln und dreifachen Böden inklusive, höre „Anruf Schallplattenfirma“. Pogo zu „Eis“ ist kein Problem (gewesen).
Tom Dokupil (Bruder des hier auch involvierten tschechischen ‚Neuen Wilden‘ Malers Jiri Georg Dokoupil), Mark Pfurtscheller und Jürgen Beuth (auch bei Die Radierer) kramen alle möglichen Geräte und Effekte heraus, die aber nie überblasen, sondern stets eher spielerisch klingen. Hier wurde zudem unter anderen auf „Träum was schönes“ und dem „Kommissar“ gesampelt, bevor das als Konzept so richtig etabliert wurde. Angelo Galizia mit seiner „Verwirrte Gastarbeiter-Aura“ (Jürgen Teipel im Info zum Albumrelease) singt-kreischt-quasselt sich dazu durch alle möglichen Sprachen, Slogans und Alltagsbeobachtungen: „Sommer-ist-er-wieder-vorbei.“
Ich habe lange überlegt, aber mir fällt einfach kein Vergleich zu dieser mega-glokalisierten Band ein, und das ist wohl das größte Lob: „Stop Talking“. Bitte „Völlegefühl“, „Television“ oder „Allein“ anhören und verstehen, warum diese tolle Band niemals im Tennis-Heim auf der Party zwischen Nena, Hubert Kah und Peter Schilling gespielt wurde, dafür viel zu viel grinsend und leichtfüßig-tänzelnd nervte und genau deswegen losgelöst und topaktuell bleibt.