Das ist das Dienstleistungsselbstverständnis der Deutschen Bahn?
Herzlich willkommen im Reisewahnsinn 2022.
Ich weiß, jammern über die Zustände bei Bahn- und Flugzeugbetrieb sind strictly first class problems, – dann aber doch nicht, denn zumindest das, was die Deutsche Bahn jeden Tag Millionen Pendler:innen in Deutschland zumutet, betrifft uns alle.
Und trotzdem habe ich einen Text über die katastrophalen Zustände immer wieder verschoben, doch die vorgestrige Demütigung war einfach zu viel. Dass von zehn Zügen, die ich im vergangenen Semester nach Bochum zum Unterrichten nehmen musste kein einziger pünktlich war, geschenkt; dass ich diverse Male gar auf halber Strecke zwischen Köln und meinem Zielort aussteigen musste, da am Zug was nicht mehr funktionierte, geschenkt; dass x Mal die Toiletten kaputt waren und das Bistro schon geschlossen, geschenkt; auch dass neuerdings zu den diversen App-Ausreden, warum die Züge verspätet kommen oder ausfallen die originelle Begründung hinzu gekommen ist, „man müsse auf das Personal warten, da es in einem anderen, natürlich verspäteten Zug anreise“, ebenfalls geschenkt; – aber vorgestern wurden wir nach einer wunderschönen Hochzeit und in bester Stimmung mal eben kriminalisiert, was eine ganz neue Definition des Verhältnisses zwischen Dienstleistungsanbieter und Kund:in ist, eines, wo man schon mehr als nur zarte Tendenzen zu S&M-Praktiken in sich tragen muss, um noch damit klar zu kommen.
In kürze die Fakten: Weder in der App noch am Fahrkarten Automaten in Bingen am Rhein ließ sich ein ICE Ticket lösen für die Fahrt zum Hauptbahnhof Köln. In der Hektik nimmt man dann halt, was man bekommt , ein mit 16,65€ gar nicht mal so günstiges Ticket (zumal beide Reisende in Besitz einer Bahncard 50 sind), oder anders formuliert: wir dachten tatsächlich naiv, das wäre dann das richtige Ticket. Der zuständige Schaffer sah das (formal wohl richtig) als eine falsche Wahrnehmung der Tatsachen. Allerdings ohne uns dabei a) anzusehen, b) richtig mit uns zu kommunizieren und die Sachverhalte zu erläutern, stattdessen kriminalisierte er uns (wir hätten ja nach ihm Suchen können, aber nein wir hätten uns ja versteckt – ein schöner Euphemismus in einem Zug, der so überfüllt war, dass selbst im Bistro, wo wir genau vor dem Essensausgabeschalter „uns versteckt hatten“) kein Tisch frei war, sondern man an die Fensterscheiben gedrückt stand) und stellte ein als „Fahrpreisnacherhebung“ tituliertes aber defacto als Schwarzfahrerabwicklung-gehandhabtes (zumindest fühlt es sich so an, wenn man seinen Ausweis abgeben muss und als Produkt Kategorie „ohne Fk für Fahrgast“ eingegeben wird) aus. Dass wir beide Tickets für 16,65€ vorweisen konnte, interessierte ihn nicht. Früher konnte man in der Bahn im Fall eines solchen Fahrkartenlösmisverständnisses noch die Differenz einfach nachzahlen, warum das abgeschafft wurde, weiß wohl nur der Bahn-Vorstand (ich vermute mal es hat mit Rendite zu tun, denn an diesem Tag allein hat der Schaffner dem Unternehmen so sehr viel Gewinn erwirtschaftet).
Die 9€-Ticket-Reisenden, die er sich nach uns vornahm (wir durften noch einiger seiner Strafbehandlungen mit ansehen und -hören), schaute er nicht nur ebenfalls nicht an und klärte auch sie nicht ordentlich auf, welche Strafbehandlung er nun vorhabe, sondern kassierte 60€ von ihnen und warf sie on top noch an der nächsten Haltestelle raus – da müssen wir wohl schon froh sein, dass wir aufgrund von Bahncard 50 und Erscheinungsbild als so solvent angesehen wurden und für jeweils 89,55 auch die Weiterfahrt bis an den Zielort für zusätzliche 29,55€ gebucht bekamen.
Nun will ich gar nicht in Abrede stellen, dass wir rein formal im Unrecht und der Unternehmensvertreter im Recht war, aber man darf sich schon wundern, was mit der in anderen Ländern noch gehandhabten Tradition von „der Kunde ist König“ passiert ist (fahren Sie mal mit Japan Rail, da werden von den Reisenden noch Glückshormone ausgeschüttet) – stattdessen fühlt man sich wie in einem Lager unter Kommando, das Recht auf eine angemessene Behandlung als gute/r Kund:in (immerhin seit Gedenken mit Bahncard 50 und bestimmt mit 30+ Reisen im Jahre mit der Bahn – Tendenzprognose: fallend) und eine angemessene Kommunikation als Mensch existiert nicht mehr. Das was wir (und die diversen anderen, die der Schaffner so behandelte) aber erfuhren, war schlichtweg Menschenverachtend: Imperative, Amtssprache und Negation, dass die Person vor einem auch überhaupt als Dialogpartner:in wahrgenommen wird.
Das ist das Dienstleistungsselbstverständnis der Deutschen Bahn?
Wirklich?
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und der Deutschen Bahn Kaput Consulting ans Herz legen, wir kommunizieren ihnen freundlich aber bestimmt alle Missstände in Ihrem Unternehmen, zeigen Ihnen Optionen der Besserung und Übernehmen auch gerne die Schulung Ihres Personals – inklusive des „Prüfers“ (eine schöne Berufsbezeichnung für die Person, die abseits der Ticketprüfung ja auch als Ansprechpartner:in für die Reisenden in allen Fragen zuständig ist, um ihnen die Reise so angenehm wie möglich zu machen – und natürlich die diversen Verspätungs-Updates durchzugeben, am Ende am gestrigen Sonntag auch wieder mehr als 40 Minuten; auf einer Strecke von anderthalb Stunden fast schon pünktlich angesichts sonstiger Erfahrungswerte) mit der Nummer 25122 / 132 /25624525 – er wird danach wohl weniger Boni für seine Fahrpreisnacherhebungen bekommen, da wir ihm Worte wie Kulanz und Habiten wie im-Zweifel-der-Umstände-für-die/den-Kund:in beibringen werden, dafür aber lernt er auch wie man seinen Namen ordentlich nennt, und wie man ein Gespräch von Mensch zu Mensch führt und eben nicht von Nummer zu „Straffälligen“.
Letztlich lassen einen Erfahrungen wie die unsrige vorgestern deprimiert und ratlos zurück, wie konnte es soweit kommen, dass ein Unternehmen sich so entfremdet von seinen Kund:innen?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen, liebe Vertreter:innen der Deutschen Bahn, und genau genommen erwarte ich eine solche sogar, als Kunde, der jedes Jahr viel Geld bei Ihnen für mangelhafte Dienstleistungen bezahlt, aber auch als der Mensch hinter meinem Geld, der noch immer naiv denkt, dass nicht jeder Kaufvorgang nur ein ökonomischer Akt ist, sondern eben auch Teil einer sich stetig fortschreibenden sozialen Interaktion.
Und sehr gerne nehmen wir auch eine Gutschrift des „Strafbetrags“ an.
In diesem Sinne und in der Hoffnung auf wieder bessere Zeiten für und mit der Deutschen Bahn,
Thomas Venker