Jede Woche ein Rant. Heute… Germanistikstudierende
Wer in Bezug auf Internet-Humor nicht aufpasst, bleibt irgendwann vielleicht doch bei Willy Nachdenklich, oder Tattoofrei oder – WLAN, bewahre – bei dem moralischen Postkarten-Opa Barbara hängen. Um möglichst vielen dieses Schicksal zu ersparen, haben wir bei kaput keine Mühen gescheut und das Autorinnen-Kollektiv des geilsten Facebook-Portal überzeugt, uns regelmäßig Content zu überweisen. Konkret dreht es sich hierbei um Feelgood-Hass unter dem Banner “Jeden Tag ein Rant”. Bei uns läuft die Nummer allerdings nur einmal die Woche, für mehr sind wir zu alt. Heutiges Thema – straight out of Pin-Up-Studiengang Geisteswissenschaften. Hallo Germanistikstudierende!
Ich bin mir bewusst, dass ich mit diesem Rant wahrscheinlich Teile unserer süßen Fans fronte, aber auch 2/3 der jt1r-redaktion haben noch ein bisschen Germanisten-Wackness in sich, von dem wir uns lieber gestern als heute verabschieden möchten.
Germanistik, eine bürgerliche Wissenschaft im 19. Jahrhundert geschaffen, damit man als Deutsche*r ruhig mal wieder ein bisschen stolz sein und seine Suprematie gegenüber anderen (europäischen) Kulturen demonstrieren konnte, die sich recht easy von den Nationalsozialisten einnehmen ließ und sich nur recht widerwillig wieder von ihnen löste, ist an sich ja schon rantbar. Germanistikstudierende (in durchschnittlichen deutschen Städten) stellen aber ein extra Rant-Topic dar.
Meinen Bachelor habe ich in einer mittelgroßen Stadt in Mitteldeutschland gemacht, in der auch alles andere genau das ist: ziemlich medium. Es ist keine Stadt, in die man als Studentin irgendwie extra zieht, weil sie so ein tolles Studentenleben bietet oder ein Nachtleben oder irgendwas anderes, das die Kompositumskonstituente (GeRmAnIsTiK diggah!) „-leben“ verdient hätte. Man studiert dort, weil man aus dem Umland kommt und dann nach der Vorlesung direkt super zu seiner Reitbeteiligung (für alle Urbanisten: das ist ein geteiltes Pferd) fahren kann und am Wochenende zum Dorfheidefest wo ordentlich *gebechert* wird und man kennt sich hier schon aus, eh praktisch, was will man da woanders hin. Mia san mia nur in Mitteldeutschland halt, mia san medium.
Wenn man dort Germanistik studiert dann also meistes nicht, weil die Lehre so umwerfend oder die Mitstudierenden so inspirierend sind. Zu 80% ist man eh angehende Lehrerin und hatte halt Deutsch und Englisch LK (like me lol) oder Deutsch/Päda oder Deutsch/Geschichte (name a more iconic duo) und lesen tut man ja ganz gerne, zumindest früher, zumindest manchmal. Irgendwas muss man ja studieren und das Interpretieren in der Schule hat immer so Spaß gemacht (vgl. hier Susan Sontag: ‚Against Interpretation‘) und Lehrer ist doch ein ganz safer Beruf, geil.
Die germanistischen Seminardiskussionen laufen dann häufig so ab: Jeder sagt, wie er sich mit dem Text gefühlt hat und nennt dazu ein rhetorisches Mittel seiner Wahl, z.B.: „Es kam mir vor, als litte der Protagonist sehr unter seiner Mutter, die Enjambements verdeutlichen nach Freud die Verschiebung, durch die der Konflikt sich dann in seinem Sexualleben manifestiert. Ich fand es sehr beklemmend.“ Und das war noch eine der klügeren Wortmeldungen.
Hier noch ein paar andere Erkennungsmerkmale für Germanistik(lehramts)studierende, falls ihr euch nicht sicher seid:
1. Germanistikstudierende korrigieren dich wenn du statt DES Genitivs dem Dativ benutzt.
2. Sie finden Goethe richtig geil. Sowieso immer Goethe überall, manchmal auch Schiller, aber meistens Wolfgang, UNSER Wolfgang.
3. Sie gehen hin und wieder zu Poetry Slams (ja immer noch)
4. Bei guter deutscher Gegenwartsliteratur denken sie an Ronja von Rönne.
5. Germanistikstudierende kennen viele Adjektive und benutzen sie zu häufig.
6. Sie schreiben (schlechte) Gedichte über ihr Seelenheil und sind Mitglied bei den Jusos.
7. Ihre „Liebe zur Literatur“ hat mit Harry Potter angefangen und manchmal gehen sie zu Kostümfesten oder veranstalten ein „Harryween“ oder lesen zumindest alle Bände nochmal in einer Kuscheldecke vor dem Kamin durch.
8. Mit Kritischer Theorie können sie nicht so viel anfangen, Theorie allgemein eher schlecht, ah doch, Foucault geht immer (nichts gegen Foucault though, aber ihn als einzige Theoriestütze zu benutzen und nicht kritisch zu hinterfragen ist wack)
9. Für sie ist Literatur = deutsche Literatur und Kultur = deutsche Kultur. Congrats, J.G. Fichte und E.M. Arndt clap your hands!
Falls euch das alles nicht ausreicht, um gegen Germanistik und Germanist*innen zu agitieren, ein Argument habe ich noch: Thomas Gottschalk hat es auch studiert.
Deshalb und eh: Gegen Nationalphilologien! Gegen Nationen sowieso! Gegen Lehramt! Gegen Schule auch! Und fick die Uni!
Tschüssi.
P.S. Ein paar Props dann doch noch an Germanistik-Begründer Karl Lachmann, der das Normalmittelhochdeutsch erfunden hat, ganz normaler move.