Linus Volkmann

Warum Punk untergehen muss – Diesmal: Das große Fanzine-Spezial

An dieser Stelle hier werden regelmäßig Verantwortliche vorgestellt, die Punk zu dem untoten Zombie gemacht haben, der er heute ist. Aus technischen Gründen kann dabei auf niemand Rücksicht genommen werden. Die Redaktion bittet dies zu entschuldigen. Diesmal in der Plastic-Bomb-Kolumne von Linus Volkmann: “Das große Fanzine-Spezial”.

ZAP
Die Älteren (60 aufwärts) werden sich noch erinnern: Das ZAP aus Homburg/Saar um die mythische Sagengestalt Moses. Das war zu seiner Zeit so big, dass eine zweiwöchentliche Erscheinungsweise (bei einem Fanzine!) umgesetzt werden konnte. JAOK, war dann allerdings ein totaler Flop und der Anfang vom Ende. Trotzdem: Vorsicht, wenn ihr auf einem Konzert von Peter and the Test Tube Babies älteren Herren beim Pogo die Hüfte brecht – vielleicht handelte es sich um einen Veteranen jener geschichtsträchtigen Fanzinekultur. Wobei der herausragende Autor, Martin Büsser, leider bereits verstorben ist.
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Plot
Von der christlichen Kirche spaltete sich der Protestantismus ab, mit weniger Myrrhe, Marienbildchen und Schnörkel. Dafür brachte er mehr SPD-mäßigen Spirit und Transparenz ein. Ähnlich verhielt es sich mit dem Plot, das seine Thesen gegen den Katholizismus des ZAPs an die WG-Küchen nagelte. Bist Du ZAP oder Plot? Für diese Frage wurden einst Kriege geführt! Mittlerweile ist Moses Tätowierer (und/oder Arzt) und Armin Hofmann vom Plot betreibt das stabile DIY-Label X-Mist. So sehen Sieger aus!
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Trust
ich weiß nicht, wem es auch so geht, aber wenn ich auch nur an das Trust denke, habe ich sofort ein Gefühl an den Fingern, wie sich diese aufgeraute Oberfläche des Papiers anfasst. Als Keimphobiker habe ich so stets beim Trust das Gefühl, es sammeln sich dort die meisten Viren und Bakterien dran.

Out Of Step
Anarchisches Punk-Fanzine aus den Neunzigern, einer der Hauptakteure ist jetzt der Manager von Kettcar. Was will einem das denn sagen?
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Maximum Rocknroll
Der Primus aus den USA. Kennt man einzig aus den ehrfurchtsvollen (lies: servilen) Reviews in anderen Magazinen. Plus: Bei dem Wort Rocknroll allein schon muss ich kotzen.

Ox
Meine erste Lebensäußerung innerhalb der überregionalen Punkszene verdanke ich dem Ox. In einer sehr frühen Ausgabe findet sich ein Leserbrief von mir. In der heutigen Zeit mag sowas marginal und lahm erscheinen – das war es allerdings auch bereits damals. Was mich aber nicht davon abhielt, begeistert in meinem Studentenwohnheim auf und ab zu toben. Ich war endlich wer! Und zwar jemand, der namentlich im Ox auftauchte, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, aber es war da! Jemand hatte sich sogar die Mühe gemacht, meinen Brief abzuschreiben. Ende der 90er kosteten eMails nämlich noch sehr viel Geld. 30 Mark, oder so. Was in meinem der Punkwelt überlieferten Schreiben drin stand, weiß ich heute leider nicht mehr, aber es wird schon eine schöne Scheiße gewesen sein. Egal. Denn diese Begebenheit beschreibt im Positiven wie Negativen die Attraktion, die vom Ox bis heute ausgeht: Hier kann man stattfinden mit seinem Kram! Die Katalog-Anmutung der gesammelten Interviews und vor allem auch diese Rezensionsflut fallen sofort auf. Man denkt bei der Lektüre unweigerlich: „Das ist doch zu viel“, „Mittelmäßige Platten sind Dreck, warnt endlich davor, als sie hundertfach uninspiriert durchzuwinken“ oder auch bloß: „Haltet endlich euer Maul!“ Doch diesen Umstand der niedrigen Schwelle zu kritisieren, macht keinen Sinn. Bei den Gelben Seiten denkt man auch nicht, da stehen jetzt aber zu viele Telefonnummern und Adressen drinnen. Nein, man nickt es respektvoll ab – und übergibt das Branchenbuch dann dem Feuer.


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Zu meiner Zeit in der Redaktion jenes Magazins habe ich immer wieder versucht, Punkinhalte ins Heft zu bringen. Den Gipfel dieses Sellouts markiert sicherlich die sogenannte „Punk-Ausgabe“ vom Mai 2013. Turbostaat wurden in angemessene Montur gepackt, Dosenbier besorgt und einer aus der Band trank aus dem Urinal. Als wenn das nicht schon schlimm genug gewesen wäre (Keime!), konnte ich nicht verhindern, dass auch meine Endgegner von Marathonmann mit in die Ausgabe mussten. Nach der Veröffentlichung des Hefts wurde ich von Punker-Hunden und ihren Besitzern durch die Fußgängerzone gejagt. Völlig zu Recht.

Mind The Gap
Wollte man Fanzines das Wertkonservative vorwerfen, es würde schon daran scheitern, dass niemand so viele Kugeln in seiner Trommel hätte, wie nötig wären. So sei auch nur am Rande darauf hingewiesen, dass das Mind The Gap aus Hamburg wirkt, als wären noch die 80er oder irgendein sonstiges, überschätztes, prä-digitales Deppen-Jahrzehnt. Am Ende muss man ohnehin fürchten, dass man Punk-Fanzines so gern liest, weil sie genau diese abgehängt geschmäcklerische Rückwärtsgewandtheit verkörpern – wie man selbst.
Im Mind The Gap dreht sich viel um England- und Hamburg-Punk. Autor Jan Apel schrieb dennoch in der letzten Ausgabe von einer wahnsinnigen Nacht auf einer Dark-Wave-SM-Fetisch-Veranstaltung. Sich an fremde Orte begeben, Sachen abseits der ewigen Selbstversicherung erleben, ohne Arroganz oder stumpfen Voyeurismus drüber schreiben – so sollte das Fanzine-Game immer funktionieren. Tut es aber nicht.

Renfield
Ein DinA5-Heftchen aus Berlin. Der Betreiber trägt auf seinem Facebook-Foto allerdings einen Hut. Ich meine, was soll man denn noch alles tolerieren?

Hullaballoo
Wer auch schon immer sehr viel Text hatte, ist Tom Tonk aus Duisburg. Mittlerweile bekannter unter seinem Punkernamen Siggi Katlewski bei Eisenpimmel. Hoffentlich wird er nicht schon wieder wütend über dieses Outing. Batman versucht seine Doppelidentität weniger zu verteidigen als dieser honorierte Deutschrock-Punk. Hullaballoo, sein Fanzine, galt und gilt dabei bis heute als das lustigste überhaupt. Ungefähr die ganzen Neunziger war ich neidisch auf Tom Tonk. Mittlerweile geht es aber – was leider eine Lüge ist!

Plastic Bomb
War früher in mitunter greller Optik noch als Magazin erkennbar – während sich heute eher der Trend zu entsättigten Farben und einer Melange aus 100 Tönen Grau durchgesetzt hat. Dazu diese atomdünne Haptik, die dagegen Bibelpapier erscheinen lässt wie Karton. In der Vergangenheit hielten mich persönlich am Plastic Bomb zwei Figuren: Einmal Swen Bock, weil der immer mal wieder schrieb, dass er speedabhängig und Vegetarier sei (Identifikationsgrad!) und zum anderen Atakeks, wenn er in rastlosen Texten selbst den integersten Figuren der Szene noch irgendwelche Verfehlungen, Kommerz oder Verrat vorwarf. Heute sind beide nur noch gespenstische Schatten im Hintergrund des Plastic Bombs – und Bock isst sogar mittlerweile wieder Fleisch. Danke für Nichts! Dennoch: In der Jetztzeit wirkt das Plastic Bomb auf mich weniger männerlastig und bisschen queerer als der ganze penishafte Rest. Kleine Relaunch-Idee am Rande: Alle Inhalte und Rubriken streichen bis auf „… wenn das der Führer wüsste“. Dann wäre es das perfekte Fanzine.

Dieser Text erscheint in abgewandelter Version auch in der Printausgabe des Plastic Bomb #98

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