Talking Musikjournalismus: Felix Klopotek

Felix Klopotek “Guter Musikjournalismus ist vielgestaltig, offen und spielerisch”

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?

Felix Klopotek: Nein. Ich weiß nur, dass ich ab Herbst 1991 systematischer anfing, Musiktexte zu lesen. Schon zuvor hatte ich über unsere Stadtbibliothek Musikliteratur ausgeliehen, die Rock-Session-Bände zum Beispiel. Oder das Rock-Lexikon von Tibor Kneif, das war sogar noch früher. 1990 las ich eine Biographie über Velvet Underground, die war, obwohl sie wahrscheinlich keinen literarischen Wert hat, sehr wichtig. Auch die Kolumnen von Diedrich Diederichsen in KONKRET. Bei den Musiktexten ging es mir immer um die jeweiligen Musiker:innen, nie um ihre (sprachliche/ journalistische) Qualität, wobei die Kolumnen von Diederichsen die Ausnahme bildeten – die hatten sprachlich einen rasanten, überdrehten, (paradoxerweise) dennoch coolen bis unterkühlten Sound. SPEX las ich ab Ende 1992, zuvor ZAP und da fast ausschließlich die Texte von Martin Büsser.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Letztendlich die SPEX-Lektüre ab Ende ‘92, weil die mir vor Augen führte, dass man sowohl analytisch als auch politisch über Musik schreiben kann, ohne – so schien es mir – dass man dafür eine Vorbildung, gar Ausbildung mitbringen müsste. SPEX schien mir im besten Sinne spontan und ungezwungen, dabei politisch verbindlich. Um Szenen ging es mir gar nicht, ich wollte nie Teil einer „SPEX-Blase“ werden.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Man hat sehr viel Spielraum, sich der Sache anzunähern. Musikjournalismus schien mir immer und scheint mir noch vielgestaltiger, offener, spielerischer als das Schreiben über Bücher, Filme oder Theaterstücke, es gibt weniger Regeln, zumindest habe ich keine kennengelernt. Damit ist indirekt die zweite Frage beantwortet: Guter Musikjournalismus ist vielgestaltig, offen und spielerisch. Er verzichtet auf jeden Jargon, jede Anbiederung, jeden Szenesprech. Man schreibt einfach auf, was einem zur Musik einfällt. Was braucht man? Nicht viel. Man muss eine These haben, überlegt sich einen guten Einstieg, Namedropping ist okay. Das ist schon alles.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

Viel gelesen, alles vergessen – sagt man doch. Musikjournalismus existiert für mich nicht unabhängig von der Musik, es ist eine dienende, begleitende Tätigkeit. Man kann ein ungelenker, grober Autor sein, aber wenn man über eine Musikerin, die mich interessiert, ein paar Sachen weiß, die sonst keiner (einzuordnen) weiß, und sie aufschreibt, bin ich fasziniert. Wenn ich nun einen Lieblingsbeitrag nennen soll, dann den Corona-Text von Bastian Tebarth über den Virus in der Musik der letzten siebzig Jahre.

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkkatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?

Keinen. Ich bin glücklich, dass ich die Gelegenheit hatte (2011), Pierre Boulez zu interviewen, in seinem Studio in Paris, vielmehr: seinem Institut unter dem Centre Pompidou. Und ich war enttäuscht, als ich mitbekam, dass das großartige Interview, das ich mit Ian Svenonius führte (2005), einfach das Zeug ist, das er damals jedem – ziemlich unabhängig von den jeweiligen Fragen – erzählte.

Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat?

Ja, Linernotes für eine Veröffentlichung („Zone 2“, 2007) der Band Steamboat Switzerland. Das ist eine großartige Band, und sie haben den Text zurecht abgelehnt. Weil er um eine fixe Idee kreiste, die ich von ihrer Musik hatte, die aber mit dem Selbstverständnis der Band, ihrer Haltung und Arbeitsweise, wohl zu wenig zu tun hatte. Trotzdem gefällt mir der Text. Er enthält keinen Gedanken, der nicht auf die Musik von Steamboat Switzerland bezogen wäre, keine allgemeine Aussage, keine Spekulation über irgendwas Gesellschaftliches oder Kulturelles. Trotzdem war der Text offensichtlich verfehlt, ein interessanter Missgriff.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Oh no! Ich hatte nie Vorbilder, und alle Versuche, mir welche aufzubauen (zum Beispiel Richard Meltzer), langweilten mich schnell. Viele tolle Kolleginnen und Kollegen, na klar. Zwei davon haben mir Schreiben beigebracht. Ihre Namen kennt aber keiner, und ich habe auch keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Wilhelm E. Liefland (1938-1980), der Jazzkritiker der FRANKFURTER RUNDSCHAU, der war schon gut, poetisch und links ohne Kitsch.
Helmut Salzinger (1935-1993) mit „Rock Power. Oder wie musikalisch ist die Revolution?“ (1972) – das muss man gelesen haben, Salzinger ist unser Walter Benjamin.

Du bist selbst seit den 90er Jahren als Autor aktiv. Was sind die einschneidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Es gibt keine Gatekeeper mehr. Ein Segen. Es gibt mehr Autorinnen. Auch ein Segen.

Und über den eigenen Horizont hinaus: Wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Ich weiß es nicht. Gibt es überhaupt noch Musikjournalisten? Man ist doch sehr mit seinem Überleben beschäftigt und schaut, dass man noch andere Standbeine hat. Man müsste doch eher allgemein über Kulturjournalismus reden. Ach so, ja, es gibt viele Musikformate auf ARTE. Taugen die was?

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Kann man bestimmt, ich mach’s nicht. Ich bin auf keiner Plattform, in keinem „sozialen Medium“ aktiv. Fürs Musikhören geht doch viel Zeit drauf. Und dann noch schreiben. Wie kann man im Anschluss irgendwas für TikTok oder Instagram machen? Das sind doch, so hört man, fulltime jobs.

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Ab 1997. Nicht mal zwei Jahre nachdem ich meinen ersten Text veröffentlicht hatte. Ich hatte Glück, die Zeiten waren damals nicht sehr dynamisch. Ich kassierte Absage um Absage um Absage … Deshalb bin ich zum Beispiel kein SPEX-Autor, obwohl dort meine ersten Texte erschienen. Die meisten wurden abgelehnt, der Rest, der zur Veröffentlichung gelangte, waren Gnadenbrösel. Irgendwann hatte ich zwei stabile Kontakte, die mir eine Perspektive boten.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Nein.

Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat.

Kann ich nicht sagen, und zwar aus dem einfachen und naheliegenden, bereits genannten Grund: Mich reizt (oder reizt nicht) die Musik, das Schreiben ist immer sekundär. Als Redakteur arbeite ich mit recht vielen Autorinnen und Autoren zusammen, die mir alle ans Herz gewachsen sind und die ich für ihre Treue, Zuverlässigkeit und vor allem die anhaltende Begeisterung für die Musik, über die sie schreiben, sehr schätze. Das ist doch ein viel wichtigerer Punkt, als der „letzte musikjournalistische Beitrag, der mir so richtig gut gefallen hat“: Kontinuität.

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