Talking Musikjournalismus: Albert Koch

Albert Koch “der Wunsch, keine der üblichen Provinzberufskarrieren einzuschlagen (Gymnasium > Abitur > Bankenlehre)

Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?

Albert Koch: An den ersten musikjournalistischen Text, den ich gelesen habe, erinnere ich mich nicht. Ich erinnere mich an die ersten Texte. Das waren mehrteilige Serien über die Geschichte der Beatles. Sie sind ungefähr zur selben Zeit in „Musikexpress“ und „Pop“ erschienen, das dürfte so circa 1976/77 gewesen sein, als die Beatles durch die Live-Alben aus dem Hollywood Bowl und dem Star Club wieder zum Thema wurden. Die Beatles waren in den 70ern, die erste „richtige“ Band, mit der ich mich beschäftigt habe, wie viele andere aus meiner Generation. Diese Texte waren keine Werkanalysen, sie haben einfach die Geschichte der Band nacherzählt, und ich war begierig darauf, „alles“ über sie zu erfahren. Heute finde ich es bemerkenswert, dass es im Musikjournalismus der 70er-Jahre bereits diese starken retromanischen Tendenzen gegeben hat.

Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?

Es war kein Schlüsselerlebnis, es war eher die Summe der Erlebnisse, die in mir den Wunsch geweckt haben, Musikjournalist zu werden. Je mehr Musikzeitschriften ich gelesen habe, je informierter ich mich gefühlt habe, desto mehr hat sich der Berufswunsch materialisiert und der Gedanke, mein Wissen weiterzugeben. Dahinter stand auch der Wunsch, keine der üblichen Provinzberufskarrieren einzuschlagen (Gymnasium > Abitur > Bankenlehre). Ich wollte mich beruflich mit etwas beschäftigen, das mich wirklich interessiert.

Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?

Guter Musikjournalismus ist der, der mich neue Musik und Musik:erinnen entdecken lässt (das kann auch alte Musik sein, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung von niemandem beachtet wurde). Guter Musikjournalismus ordnet Musik/Musiker:in in einen sozio-kulturellen Kontext ein, geht also weit über das Urteil „dieses Album rockt“, wie das früher im Mainstream-Musikjournalismus üblich war, hinaus. Ich halte die Einordnung des Werks einer Musik:erin in den zeitlichen Kontext für unabdingbar. Ich weiß, dass das von vielen Kolleg:innen anders gesehen wird („es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte“ etc.) Die Antwort auf die Frage „Wieso macht diese Musiker:in genau diese Art von Musik zu genau dieser Zeit?“ halte ich in jeder Art von musikjournalistischem Beitrag für essenziell.

Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?

U2 – The Josuha Tree, Besprechung von Diedrich Diederichsen in SPEX. Ich finde den Text mittlerweile sprachlich überhaupt nicht mehr gut, aber ich mag es, wie Diederichsen Bonos Weltbild zerlegt, ohne auch nur eine Silbe über die Musik von U2 zu verlieren.

Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?

Üblicherweise lautet die Antwort auf diese Frage: Das kann ich unmöglich beantworten, ich liebe alle meine Kinder gleich sehr. Mir ist aber sofort mein Interview mit Actress aus dem Jahr 2018 für den „Musikexpress“ eingefallen, das ich vor seinem Auftritt im Funkhaus Berlin mit ihm geführt habe. Ich glaube, dass mir mit diesem Interview das, was ich zwei Fragen vorher formuliert habe, gelungen ist. Wer das Interview liest, weiß hinterher mehr über Actress, weiß warum er genau diese Musik zu genau dieser Zeit macht.

Gibt es einen unveröffentlichten Beitrag von dir, den du schon immer gerne mal publizieren wolltest, es sich aber nicht ergeben hat? Kaput biete sich im Rahmen der Serie gerne dafür an. 😊

Ich habe für eine große Geschichte über Groupies im „Musikexpress“, die dann in Vergessenheit geraten und nicht erschienen ist, ein Interview mit Pamela Des Barres geführt. Gerne würde ich es Kaput zur Verfügung stellen 😊.  Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich es überhaupt transkribiert habe und ob die MiniDisc, auf der ich das Gespräch aufgenommen habe, überhaupt noch existiert.

Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?

Diedrich Diederichsen (als er noch Musikjournalist war). Er ist der Erfinder des modernen Musikjournalismus. Ich war zwar nicht immer mit seinen Urteilen einverstanden, aber mich haben fast immer seine Urteilsbegründungen begeistert.

Harald InHülsen leider schon verstorben, er hat im Gegensatz zu Diederichsen viel Emotion in seine Texte gesteckt, seine Empfehlungen konnte man ungehört kaufen.

Amanda Petrusich Ich mag die Unaufgeregtheit in ihren Texten sehr, die vor allem die Arbeiten englischer und amerikanischer Journalist:innen auszeichnet. Bei manchen deutschen Journalist:innen habe ich das Gefühl, sie wollen mit ihren Texten auf-Teufel-komm-raus Literatur schaffen, wobei dann häufig das Ego der Autor:innen das Sujet der Texte überstrahlt.

Du bist selbst seit den 90er Jahren als Autor aktiv. Was sind die einschneidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?

Die wohl einschneidendste Veränderung für mich persönlich war, dass ich Anfang 2021 nach 26 Jahren meine Festanstellung beim „Musikexpress“ aufgegeben und mich selbstständig gemacht habe und nun mit Widrigkeiten zu kämpfen habe, auf die ich bei der nächsten Frage näher eingehen werde.
Es gibt im Grunde zwei Möglichkeiten für Musikjournalist:innen: selbstausbeuterisch für schlechte Honorare für Musikmagazine schreiben, oder affirmativ für größere Medien für gute Honorare.

Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?

Mit einer Zeitverzögerung von ein paar Jahren hat die Krise der Musikindustrie in den 10er-Jahren den Musikjournalismus erreicht. Während sich die Industrie durch das Streaming „gerettet“ hat, hat der Musikjournalismus in Magazinen immer mehr an Bedeutung verloren. Wichtige Musikzeitschriften wie „SPEX“ und „Intro“ haben ihr Erscheinen eingestellt. Musikjournalismus findet in den wenigen verbliebenen Musikzeitschriften on- und offline und in den Feuilletons der Tageszeitungen statt, vor allem aber fragmentiert in Blogs, Podcasts, Ein-Mann/Frau-Webzines, vereinzelt in Radio und TV.
In den Musikzeitschriften und Feuilletons sehe ich heute fast nur noch das, was ich „affirmativen Eventjournalismus“ nenne. Es scheint kein Platz mehr da zu sein für die Entdeckung neuer Künstler:innen und für einen kritischen Diskurs. Es geht in der Berichterstattung nicht mehr um das Werk, sondern nur noch um die Künstler:in, die möglichst bekannt sein muss. In den vergangenen Jahren wurden neue Alben von „großen Namen“ wie Miley Cyrus, Abba, Taylor Swift, Metallica, Rolling Stones oder auch „der neue Beatles-Song“ quer durch alle Medien übelst abgefeiert, ohne den Hauch eines kritischen Einwands.
Da ich ein anderes Verständnis von Musikjournalismus habe, ist es für mich entsprechend schwer, Texte über eher unbekannte Künstler:innen bei Mainstream- Medien unterzubringen.

(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?

Ich stelle mir manchmal die Frage, ob Musikjournalismus überhaupt noch zeitgemäß ist. Ich glaube nicht, dass TikTok (das ich bewusst ignoriere) oder Instagram (womit ich mich sehr beschäftige) die geeigneten Medien für den „alten“ Musikjournalismus sind. Instagram aber ist für mich mittlerweile das wichtigste Medium für Informationen über Musik geworden. Es ist eine Art große Trailer-Sammlung, auf der mich die „Trailer“ von Musiker:innen, Labels und Musikmagazinen zum Hauptfilm führen.

Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?

Ich war bereits bei der kleinen Tageszeitung, bei der ich volontiert habe, nebenbei für die Musikseite zuständig. Als ich 1994 den Tipp bekommen habe, dass der „Musikexpress“ einen Redakteur sucht, habe ich mich beworben und wurde genommen.

Bereust du die Berufswahl manchmal?

Ja. Es heißt ja immer, wer sein Hobby zum Beruf macht, muss keinen Tag mehr arbeiten. Die Realität, vor allem in den vergangenen zehn Jahren, sieht so aus, dass durch sinkende Auflagen der Druck in den Redaktionen immer größer wird, Druck von Vorgesetzten, die ihrerseits Druck vom Verlag bekommen. Was sich wiederum auf die Themenauswahl auswirkt, die populistischer wird, was wiederum mir keinen Spaß mehr macht.

Letzter musikjournalistischer Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat. 

Iannis Xenakis und die Gesetze des Zufalls“ von Kristoffer Cornils auf HHV Mag.
Der Text ist zwar schon älter, ich habe ihn aber neulich erst gelesen, weil ich gerade wieder in einer Xenakis-Hörphase stecke.

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