Interview – Andreas Dorau

Andreas Dorau – der protestantische Hanseat des Pop

Andreas Dorau (Photo: Thomas Venker)

Andreas Dorau wird 60! Kurz nachdem er in der Musikzeitschrift Sounds eine Platte der Schlümpfe rezenziert hatte, landete er 1981/82 mit „Fred Vom Jupiter“ einen der ersten Hits der NDW, den der Meister selber allerdings nicht schätzt (als Performer spielt er auf dem Song absurderweise auch keine große Rolle).
Seine zweite LP „Die Doraus Und Die Marinas Geben Offenherzige Fragen Auf Brennende Fragen“ mag er ebenso wenig, obwohl Rio Reiser 1983 auf die Frage, welche deutschsprachige Platte ihm gerade gefalle, eben dieses Album nannte, und der Mann hat(te) nicht nur in dieser Hinsicht recht.

Die Jahre und die NDW vergingen, und Andreas Dorau machte weiter damit, Platten zu veröffentlichen. Anlässlich des brillanten “Demokratie”-Albums sagte er in SPEX 09/88 zu Andreas Banaski: „Ich bring einfach gerne eine Schallplatte raus. Ob das verkauft oder nicht.“ Tatsächlich fiel im Zuge des Plattenveröffentlichens 1997 mit „Girls In Love“ noch mal ein richtiger Hit an. Aber auch abseits schnöder Verkaufszahlen sind Doraus Platten gespickt mit tollen Songs, die sich an der Schnittstelle zwischen Abseitigkeit und Eingängigkeit bewegen. Das Stück „Ossi Mit Schwan“ sorgte 2020 für einen Boulevardjournalismus-kompatiblen Skandal. Und warum „Flaschenpfand“ nicht in der Sesamstraße gecovert wurde wie weiland „Yellow Submarine“ und „Octopus‘s Garden“, bleibt bislang ein ungelöstes Rätsel.


All dies wird im folgenden Interview nicht thematisiert, deshalb steht es hier. Die Beatles werden im folgenden Interview schon thematisiert – neben Banjos, Sammelleidenschaft und der Frage, warum man wegen einer Buchveröffentlichung eher in eine Mainstreamsendung eingeladen wird als wegen einer Schallplatte. Wobei letzteres nicht mehr hundertprozentig stimmt, seit Andreas Dorau aus Anlass von „Im Gebüsch“ im Frühstücksfernsehen zu Gast war. Nun aber O-Ton ab:

„Im Gebüsch“, das neue Album, ist wieder sehr elektronisch ausgefallen. Du scheint den grundlegenden Sound deiner Alben immer zu variieren. Liegt die Ausrichtung der jeweiligen Platte daran, was dir aktuell gefällt oder mit welchen Leuten du zusammen arbeitest?

Andreas Dorau: Es liegt daran, mit welchen Leuten ich in der Zeit der Produktion zu tun hatte. Ich war ja mit Christoph Dallach anlässlich der Promotion seines Krautrockbuchs „Future Sounds“ auf Lesereise. Dabei kam es auch immer wieder zu Begegnungen mit Menschen, die eng mit dieser Szene assoziiert sind. Auf diese Weise bin ich wahrscheinlich dazu animiert worden, musikalisch wieder elektronischer zu werden. Das Problem mit elektronischer Musik ist dabei immer, dass alle Leute glauben, sie dingfest machen zu können. Bestimmte Klänge meint man sofort einem bestimmten Jahrzehnt zuweisen zu können. Ohne ein Konzeptalbum über die Geschichte der elektronischen Musik machen zu wollen, war es doch meine Idee, ein historisch möglichst breites Spektrum der Elektronik abzubilden, also von Dreamhouse bis 70er und 80er Elektronik.

Interessant. Ich habe dich immer eher als Pop-Künstler eingeschätzt – du bist ja bekannt dafür, dass du Refrains schätzt. Dein letztes Album „Das Wesentliche“ steht etwa ganz im Zeichen des Refrains. Aber dein musikalischer Horizont ist doch breiter gefächert als man gemeinhin denkt, scheint mir.

Genau, eigentlich ist mein Musikgeschmack ziemlich konträr. Ich mag experimentelle Musik und ich mag die poppigste Form von Popmusik, also nicht geschmackvoll angedeutete Popmusik, sondern Popmusik, die wirklich auf die Zwölf haut. Zwischen diesen beiden sehr konträren Polen bewege ich mich.

Mit wem hast du bei dieser Platte konkret zusammen gearbeitet?

Konkret habe ich mit Zwanie Jonson gearbeitet. Außerdem gab es drei Gäste aus Berlin – Güner Künier, die auf einem Stück singt. Brezel Göring hat auch auf einem Stück gesungen und JJ Weihl, die Sängerin von Fenster war ebenso an einem Stück beteiligt. Unhappy Birthday aus Hamburg haben mich außerdem bei drei Stücken begleitet.


Auf „Mondchateau“ von Unhappy Birthday bist du ja auch schon als Gast in Erscheinung getreten. Ich wollte vor etwa zwei Jahren zu einem Konzert von Unhappy Birthday gehen, das dann ausgefallen ist, vermutlich wegen mangelnder Ticketverkäufe.

Was ich so mitbekomme bei Bands dieser Größenordnung ist wirklich schlimm – was die zu leiden haben. Das tut mir wirklich leid. Das Interesse an neuer Musik in unserer Blase ist leider sehr gering, das stimmt.

Da kannst du von Glück reden, dass du vor längerer Zeit angefangen hast.

Das ist wirklich Glück, dass ich zu einer Zeit angefangen habe, als das Interesse an Musik generell noch sehr groß war.

Es gibt ja auf „Im Gebüsch“ sowohl Stücke, die textlich eher reduziert sind als auch solche, in denen schon eine Geschichte erzählt wird.

Also ich finde ja, dass dieses Album nicht so refrainlastig ist, wenn du darauf hinauswillst. Wahrscheinlich habe ich mich auf der letzten LP in der Hinsicht ziemlich ausgetobt. Natürlich gibt es Refrains, aber sie stehen nicht so im Vordergrund. Was ich mag, sind Stücke, die Gesang haben, aber nicht „songig“ sind. In bezug auf die angesprochene Verschiedenheit der Ansätze gefällt es mir, wenn Platten nicht monothematisch sind. Dieses Album betrachte ich als Stückesammlung ohne Oberthema. Mein Vorhaben war eher zu gucken, wie man musikalisch facettenreich arbeiten kann und wie man daran anknüpfend mit dem Thema „Text“ umgeht.

Ich habe zur Vorbereitung auf das Interview gestern einige Sendungen angehört, in denen du zu Gast warst. In DIFFUS nennst du das Weiße Album der Beatles als gelungenes Beispiel eines heterogenen Albums.

Das Weiße Album ist für mich immer noch das perfekte Doppelalbum der Musikgeschichte. Das Spektrum reicht vom experimentellen „Revolution 9“ bis zum bescheuerten „Ob-La-Di, Ob-La-Da“, diesen Spagat muss man erstmal hinkriegen. Auch textlich ist das Album interessant. Da gibt es ganz banale Geschichten, aber auch politische Lieder.

Sollte „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ nicht eigentlich eine Rocksteady-Referenz sein, die nicht so recht geklappt hat?

Sollte es sein, und Paul McCartney hat den Text gestohlen. Die Beatles sind regelmäßig in ein Lokal gegangen, in dem ein kreolischer Kellner arbeitete, der die Gäste immer mit „Ob-La-Di, Ob-La-Da, life goes on“ begrüßt hat. Nachdem der Kellner das Stück der Beatles gehört hatte, hat er sich bei Paul McCartney gemeldet, der ihn aber mit Hilfe seiner Anwaltsarmada mit einer läppischen Summe abgespeist hat.

Das war ja nicht so nett, er hätte sich auch damals schon mehr leisten können.

Also mit Paul möchte ich echt keine Geschäfte machen! Was man den Beatles zu Gute halten muss, und da ist John wahrscheinlich in erster Linie zu danken: „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ ist nie als Single erschienen, obwohl es im Grunde danach schreit. John wollte „Revolution 9“ als Single, haha!

Wie stehst du eigentlich zum Sammeln von Dingen? In dem neuen Stück „Was Nimmst Du Mit?“ geht es ja schon um Hausrat. Ich vermute mal, du bist kein großer Sammler, oder?

Überhaupt nicht. Ich habe auch über die Jahre meine Plattensammlung verkauft, und ich vermisse sie gar nicht. Ich interessiere mich natürlich für Musik und seltsame Dinge, von daher ergibt es sich, dass viele meiner Freunde Sammler sind, und ich unterhalte mich mit ihnen auch gern darüber, aber ich habe festgestellt, dass ich es nicht brauche. Ich kann mir Sachen gut merken, und wenn ich etwas vorspielen möchte, finde ich es auch irgendwie. Dafür ist ja das Netz inzwischen gut aufgestellt.

Ich wünschte, ich könnte mich davon freimachen. Es wäre extrem platzsparend.

Das war bei mir gar nicht mal der Grund, ich habe meine Plattensammlung eher aus finanziellen Gründen verkauft. Um noch auf das von dir erwähnte „Was nimmst Du Mit“ einzugehen: Das ist ein Thema, das mich schon seit Jahren beschäftigt. Ich weiß bis heute nicht, was ich retten würde aus der Wohnung, wenn es mal brennt. Ich finde, die Frage, was man in einer solchen Situation mitnimmt, sehr faszinierend.

Hamster Rudi und das signierte Foto von Loki Schmidt, wie es im Lied heißt. Das ist wirklich sehr schön.

Dankeschön!

Andreas Dorau (Photo: Thomas Venker)

Dass du Sachen nicht besitzen musst, deutete sich ja schon in dem Stück „Hühnerposten“ (von dem Album „Aus Der Bibliothèque“) an, in dem es um die Leihbücherei geht. Also leihen statt besitzen.

Das Schöne an Leihbüchereien ist für mich, dass man sich an Sachen herantraut, weil man von der Kaufentscheidung entbunden ist. Man nimmt dann auch Bücher mit und gibt ihnen eine Chance, bei denen man sich nicht sicher ist. Wenn ich in Urlaub fahre, leihe ich mir in der Regel sechs Bücher aus, die interessant erscheinen. Nach drei Seiten weiß ich, ob ich weiterlesen will. Bei Nichtgefallen habe dann ja noch genügend Bücher zum Ausweichen.

Auf dem Album „Aus der Bibliothèque“ befindet sich auch der Song „Tannenduft“, in dem es um Fritz Honka geht. Glaubst du, dass Heinz Strunk sich von dem Stück zu seinem Roman „Der Goldene Handschuh“ inspirieren ließ?

Ich wusste nur, dass das Heinz-Strunk-Buch in der Mache ist. Den Text hatte ich schon lange davor angefangen. Das Honka-Thema hat mich schon lange beschäftigt, vor allem hat mich der Aspekt des Geruchs fasziniert – wie schlimm dieser Gestank von den Leichen gewesen sein muss, den er mit Hunderten von Duftbäumen zu übertünchen versucht hat. In dem Bewusstsein, dass Heinz Strunk gerade an dem Buch zum Thema Honka arbeitet, war mir klar, dass ich in die Hufe kommen muss, wenn ich vor ihm fertig sein will. Was mir ja gelungen ist.

Ich finde das Bibliothèque-Album ohnehin in der Hinsicht herausstechend, dass es zur Gänze mit der Liga der gewöhnlichen Gentlemen eingespielt wurde, oder?

Meine Begegnung mit Tapete fand ja aus dem Grund statt, dass Gunther Buskies (Labelchef von Tapete) den Ata-Tak-Katalog übernommen hatte. Anlässlich meines fünfzigsten Geburtstags – jetzt schlagen wir aber wirklich die Brücke! – wollte er eine Best-Of und eine Raritätensammlung herausbringen. Als ich für die Raritätenplatte mein Archiv durchsah, fand ich drei Stücke, in denen die Gitarre dominierte – normalerweise versuche ich ja, Gitarren zu umgehen. Aber diese Stücke mochte ich. Weil ich an meinem fünfzigsten nicht nur eine Rückschau herausbringen wollte, kam mir die Idee, gleich ein neues Album aufzunehmen – zumal mir die Liga mit ihrem Sound wie der perfekte Klangkörper erschien.

Nun ist das betreffende Album nur ansatzweise ein Gitarren-Album, würde ich sagen. Es kommt ja auch viel Banjo vor. Das erinnert ein bisschen an die Beach Boys, die ja eine Zeitlang viel mit Banjo gearbeitet haben.

Ja, Gunther hat sich netterweise ein sechssaitiges Banjo gekauft. In den späten 60ern wurde allgemein viel mit Banjo gearbeitet. Man wollte von der Beat-Musik weg und hat sich musikalisch komplexeren Formen und ungewöhnlicheren Instrumenten zugewandt. Interessanterweise – fällt mir gerade ein – gibt es bei den Beatles kein Stück mit Banjo! Obwohl sie auch immer nach neuen Klängen suchten. Für sie war in der Beziehung das Mellotron entscheidender.

Ob das daran liegt, dass die Beatles sich nicht so sehr an der amerikanischen Folklore orientieren wollten?

Haben sie ja auch, sie waren Folkies – Riesen-Bob-Dylan-Fans.

Ja, aber vielleicht haben sie sich nicht soweit zurück getraut wie die Beach Boys?

Okay. Natürlich ist das Banjo sehr in der amerikanischen Kultur verwurzelt, aber das hatte mich auch gereizt daran. Wiederum von den Beach Boys inspiriert ist ja die Band High Llamas, und die haben Banjo immer ganz toll eingesetzt. Da kann man gut hören, dass sich das Banjo einsetzen lässt, ohne dass es folkig oder nach Country klingt. Es geht darum, ein Instrument in einen anderen Kontext zu stellen.

Du warst anlässlich des zweiten Teils deiner Biografie – „Die Frau mit dem Arm“ – bei Talk mit Thees auf SWR3 zu Gast. Meinst du, dass du auch anlässlich der Veröffentlichung einer Platte in dieses Mainstream-Format eingeladen worden wärest?

Wahrscheinlich nicht. Der gesellschaftliche Stellenwert von Musik ist eben zurückgegangen, obwohl sie natürlich weiterhin gehört wird. Ich bedaure diese Entwicklung dabei nicht. Man muss bedenken, dass vor den 50er Jahren Musik jahrhundelang da war und ein normales Dasein fristete. Es gab früher höfische, kirchliche und Gaukler-Musik. Das waren die drei Genres. Erst in den 50ern wurde Musik größer und größer, bis die Blase irgendwann geplatzt ist. Und Bücher haben ihren gesellschaftlichen Stellenwert einfach behalten.

Ah, interessant, wie du die Rezeptionsgeschichte von Musik aufarbeitest.

Ich finde alle Leute, die jammern, entsetzlich. Es war wirklich abzusehen, dass nach den 90ern ein Abschwung erfolgen würde, schon in den 80ern erschien mir Musik künstlich hochgepäppelt. Musik hatte in den 70ern als Ersatzreligion ausgedient, und dann starb das Tier irgendwann. Dass wir jetzt wieder beim Normalzustand angekommen sind, in dem Musik eben nur Musik ist, finde ich vollkommen okay.

Das passt zu einem Stück auf der neuen Platte mit dem Titel „Das Ist Nur Musik“. Die Herabsetzung von Musik, die da angelegt ist, ist also für dich dadurch bedingt, dass sie gesamtgesellschaftlich ins Hintertreffen geraten ist?

Texte entstehen bei mir meistens aus ein bis zwei Sätzen, die ich notiert habe. Diese Sätze werden dann irgendwann komplettiert. Ich arbeite so, dass Texte meistens Collagen darstellen, nicht so wie bei Carsten (Friedrichs), der immer schon den ganzen Text fertig hat. Bei dem angesprochenen Stück war es so, dass ich mich über tote Musikpersonen geärgert habe (und die müssen nicht 27 sein), die gottgleich behandelt werden.

Du singst auf „Im Gebüsch“ in „Rainy Days In Moscow“ zum ersten Mal auf Englisch, und der Winter ist auch englisch („Mein Englischer Winter“) – wie kommt es eigentlich dazu?

Ich wollte auf keinen Fall nur ein englisches Stück auf der Platte haben. Beide Stücke sind eher zufällig und zu später Stunde im Studio entstanden. Bei „Mein Englischer Winter“ spielte mir Zwanie (Jonson) ein Playback vor, zu dem ich etwas singen sollte. Ich dachte, ich sollte ihm eine Gesangsmelodie anbieten, quasi als Blindtext habe ich dann englisch gesungen. Dann gefiel mir das aber, und ich habe den Text übersetzt. Bei dem Wort „Winter“ fand ich die englische Aussprache besser, deshalb heißt der Song jetzt „Mein Englischer Winter“. Bei „Rainy Days In Moscow“ habe ich den Text improvisiert und mir dabei einen schwulen Freund von mir vorgestellt, der gern in Parks cruisen geht – dabei habe ich mich gefragt, wie es für ihn sein müsste vor dem Hintergrund dieser schrecklich homophoben Stimmung in Moskau im Park zu cruisen.

Was wirklich auffällt ist, dass sich deine Stimme im Laufe der Jahre kaum verändert hat. Machst du was dafür?

Tatsächlich ist meine Stimme sogar höher geworden. Es könnte damit zu tun haben, dass ich eher selten live auftrete. Durch Live-Auftritte verändert sich eine Stimme, und bevor die meisten Musiker und Musikerinnen eine Platte aufnehmen haben sie schon etwa zwei Jahre Konzerterfahrung hinter sich. Als ich meine erste Platte gemacht habe, hatte ich noch kein einziges Konzert gespielt. Daher war meine Stimme komplett jungfräulich!

Deine Stimme ist also das Konstante – im neuen Stück „Die Konstante“ wird das, was sich nicht verändert, eher negativ konnotiert, wenn ich es richtig verstehe.

Ich mochte das Wort „Konstante“ sehr. Diese phonetische Ähnlichkeit zu Constanze, die dafür sorgt, dass die Konstante wie eine weibliche Person klingt. Vielleicht ist dieser Text noch ein Überbleibsel von der Refrain-Platte – insofern als ich die Deutungshoheit zu entscheiden, was die Konstante ist, den Hörern und Hörerinnen überlasse. Mir gefällt, dass ich eigentlich nichts in dem Text aussage.
Dass Texte sehr offensiv deutbar gehalten sind, scheint ohnehin ein Motiv bei dir zu sein. Für „Situationen“ etwa gilt das auch, finde ich.
Einer meiner Beweggründe, das Refrain-Album zu machen war, dass man durch den Refrain einen ganzen Song ersetzen kann. Meistens entsprechen die Strophen nur Fallbeispielen. Und Fallbeispiele kann man locker weglassen. Es ist viel schöner, die Songsituation lediglich zu skizzieren.



Du machst ja dezidiert keine Liebeslieder. Wobei etwa „Girls In Love“ oder „Im September“ ja durchaus so verstanden werden können. Wenn auch unter dem Vorzeichen unglücklicher Liebe.

Ja, ich erzähle manchmal Geschichten, bei denen es um Liebe geht, das stimmt, allerdings eher nicht in der ersten Person.

Aber kann es sein, dass du alles meidest, was im Verdacht stehen könnte, irgendwie deep zu sein?

Zweiteilige Antwort: Siebzig Prozent aller Stücke auf der Welt sind Liebeslieder, und denen gibt es weder sprachlich noch thematisch irgendetwas Neues hinzuzufügen. Für die hundertste Wiederholung braucht man mich nicht. Zum zweiten war mein Zugang zur Musik der Tonträger mit Stücken drauf. Die Stücke brauchen einen Text, aber darin geht es nicht um mich. Es geht um Themen, die mich interessieren, aber meine Texte sind kein Tagebuch.

Weil du das zu intim findest?

Wahrscheinlich. Da kommt der Hanseat in mir durch.

Würdest du dich als sehr hamburgisch oder norddeutsch definieren?

Dass ich ein protestantischer Hanseat bin und mein Vater Preuße war, merkt man schon.

Wenn man sich deine Platten anhört, fällt für mich ein Stück besonders auf, und zwar „Straße der Träume“ von 2004 – ein grandios krautiges Chanson unter Sample-Bedingungen, bei dem du selbst gar nicht als Sänger in Erscheinung trittst.

Das war noch in der Phase, wo ich gesampelt habe. Da kommen wir wieder zum Text-Thema: Was mir am meisten gefiel, war, irgendwelche Wortfetzen aus Samples zu benutzen. Diese Phase ist aber jetzt auserzählt. Bei den Platten, die ich für Motor gemacht habe, habe ich oft mit Text-Samples aus anderen Stücken gearbeitet, bei „Girls In Love“ ja auch. Meine Aufgabe als Sänger besteht dann darin zu entscheiden, wie ich mich dazu verhalte.

Ist bei „Straße der Träume“ auch Justus Köhncke beteiligt?

Ja, da habe ich mit Justus zusammen gearbeitet, das stimmt.

Ist diese Zusammenarbeit ein bisschen eingeschlafen?

Ein bisschen vielleicht, aber wir telefonieren schon noch hin und wieder.

Und du hast vorletztes Jahr die Laudatio auf Whirlpool gehalten, als ihnen der Holger-Czukay-Preis verliehen wurde. Ich kam leider zu spät und habe deine Rede verpasst, aber meine Freundin sagt, sie sei sehr lustig gewesen.

Und da habe ich mir prompt Corona eingefangen. Ich wusste auf der Bahnfahrt schon, dass die Rheinländer die ersten sein würden, die alles zu locker sehen. Keine Maske, keine Tests – mir war klar, da komme ich nicht gesund raus! Übrigens habe ich mir kurz vor der Laudatio noch fast in die Hose gemacht, weil Hans Nieswandt so lustig die Geschichte von „From: Disco To: Disco“ erzählt hat, dass ich dachte, danach könnte ich nur abstinken, aber ich habe es wohl trotzdem halbwegs hingekriegt.

„Im Gebüsch“ kommt zu deinem Geburtstag raus, schenkst du sie dir also selber?

Auf keinen Fall. Ich wusste ja, dass an meinem Geburtstag irgendwer auf blöde Ideen kommen würde. Da dachte ich: Ich komme den Leuten einfach zuvor. Die Erfahrung an meinem fünfzigsten Geburtstag war die, dass man trübe Gedanken und Grübeln übers Altern am besten dadurch vermeidet, dass man die ganze Zeit beschäftigt damit ist, eine Platte zu promoten und Konzerte vorzubereiten und sich um Gäste zu kümmern.

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