David Berman 4.01.1967 – 7.08.2019

Zum Tod von David Berman – Sprache als Mittel, um die Welt in den Griff zu bekommen

Instagram-Post von Drag City zum Tod von David Berman

David Berman ist am 7.8.2019 mit nur 52 Jahren gestorben. Er war die Eminenz hinter den Silver Jews, einer Band, die zwischen 1994 und 2008 sechs Alben auf dem renommierten Chicagoer Indie-Label Drag City veröffentlicht hat. Aber das ist blöde Statistik. David Berman gilt in erster Linie als Dichter, seine Fähigkeiten, mit Sprache/Wörtern umzugehen übertrifft sein musikalisches Können um ein Vielfaches. Aber ich möchte hier nicht despektierlich sein, das ist völlig unangebracht. Es soll lediglich herausgestellt werden, dass Silver Jews eine Band waren, bei der den Wörtern eine wesentliche Bedeutung zukam. Die Musik hat dabei die ebenso wichtige Funktion erfüllt, die Wörter zu transportieren, und zwar so, dass sie nahezu perfekt klangen.

Was David Bermans Texte auf den ersten vier Silver-Jews-Alben auszeichnet, ist die Fähigkeit, mittels Sprache eine eigene Welt zu schaffen. Die Texte sind an keiner Stelle selbstmitleidige Singer-Songwriter-Konfektion von der Stange – vielmehr nehmen sie eine hinter der scheinbaren Wirklichkeit situierte Welt in den Blick, die im Grunde erst dadurch zu existieren anfängt, dass sie versprachlicht wird. Bermans faszinierend performativ-generativer Ansatz lässt die Vermutung, Sprache habe eine rein abbildende Funktion weit hinter sich. Ich empfand das immer als über die Maßen befreiend und erinnere mich an krisenhafte Zeiten, in denen das Hören von Silver-Jews-Platten (und die Lektüre von Ingeborg Bachmann) eine nahezu therapeutische Wirkung entfalteten. Something special, perhaps.

Ich habe David Berman zwei mal zum Interview getroffen. Das erste Mal im Frühherbst 2005, noch für die alte, Kölner Spex. Der Künstler erschien zum Interview mit einer fünf Zentimeter dicken Kladde, die Notizen zu enthalten schien. Mein erster Gedanke war damals: „Mein Gott, er ist besser für das Interview vorbereitet als ich!“
Im Verlauf des Gesprächs wurde schnell klar, dass ich möglicherweise nicht ganz falsch lag. Berman redete viel über sein Unbehagen, beklatscht zu werden, weshalb er bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nie getourt war. Neben der Thematisierung einer langjährigen Drogenkarriere, die in meiner Erinnerung einer Art Beichte gleichkam, war ein weiterer Aspekt, der das Gespräch bestimmte: Bermans ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Fiktionalisierung. Ich war sehr beeindruckt vom Interview und ließ mir in der Folge den ersten Vollbart wachsen.

Dennoch habe ich über Bermans Haltung zur Fiktion in den letzten Jahren immer wieder nachgedacht, weil dieser Modus gerade für Literaturwissenschaftler eine der grundlegenden Errungenschaften der Künste darstellt. An der Uni lernt man, dass fiktionales Schreiben (= jedes Schreiben) die Idee, etwas sei objektiv gegeben, in Frage stellen kann. Meine Vermutung ist, dass Berman wegwollte von den wortspielverliebten Texten der ersten vier Silver-Jews-Alben.

In meinem zweiten Interview, das ich 2008 mit ihm unmittelbar vor dem Silver-Jews-Konzert in Frankfurt führte, gab er zu bekennen, das Gefühl zu haben, sich zu oft hinter den Worten versteckt zu haben.

Es mag etwas abgedroschen klingen zu behaupten, dass David Berman mit dem im Juli erschienen Album seiner neuen Band Purple Mountains dem Abschied vom Versteckspiel ein Stückchen näher gekommen ist. Nicht bestreiten lässt sich allerdings, dass sich die Songs tendenziell im Duktus biografischen Schreibens präsentieren, was vor allem in „I Loved Being My Mother’s Son“ und der Verarbeitung seiner Scheidung von Cassie Berman (in „All My Happiness Is Gone“ und „Darkness & Cold“ etwa) zum Tragen kommt. Dazu passt, dass Berman in seinen letzten Interviews ausführlich über das gestörte Verhältnis zu seinem Vater sprach, auf dessen Tätigkeit als Lobbyist er mit unverhohlenem Hass reagierte. Der graduelle Abbau von Verklausulierung, der sich in dieser Hinwendung zu biografischen Details offenbart, sollte allerdings nicht zu der Annahme verleiten, David Berman habe jedweder poetischen Doppelbödigkeit abgeschworen. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt exemplarisch die Zeile „The light of my life is going out tonight without a flicker of regret” (aus “Darkness & Cold”), die einen sofort für den Song einnimmt.

David Bermans Art zu texten, demonstriert auf die schönste Weise, dass es niemals nur eine mögliche Perspektive auf das gibt, was wirklich zu sein scheint. Ich fand immer, dass es ihm wie kaum jemandem gelungen ist, Sprache als Mittel zu nutzen, die Welt in den Griff zu bekommen, und, in Zeiten höchster Not, sogar zu bezwingen. Geholfen hat ihm (und uns) dabei, dass er seine Worte nicht nur schreiben, sondern auch singen konnte, mit dieser Stimme voller Gebrochenheit, Spott, Anteilnahme und Zweifel.

Danke.

Mario Lasar

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