Tobias Thomas über FU24BA7L – Festival für Fußballkultur

Tobias Thomas »Mir steht schon der Sinn nach Revolution«

Tobias Thomas (Photo: Alexander Basile/We Own You)

Tobias Thomas ist eine Kölner Pop-Institution auf zwei Beinen. Und mit denen tritt der ehemalige Total Confusion-Host, weltbekannte DJ, Ex-Spex-Redakteur, Kompakt-Act, langjährige c/o-Pop-Kurator und Fädenzieher hinter vielen weiteren Kulissen auch leidenschaftlich gegen den Ball. Seit geraumer Zeit ist er Geschäftsführer der Fußballabteilung des ESV Olympia Köln. Ganz nebenbei ist er Kölner Spielleiter von FU24BA7L (sprich: Fußball Vierundzwanzig Sieben) – Festival für Fußballkultur, das im Vorfeld der Männer-EM die gelebte Diversität des Sports und seine alternativen Aspekte ins Rampenlicht stellt.

Wolfgang Frömberg hat mit ihm über die Art von Fußball gesprochen, die das Leben rund macht.

 

Tobias, man kennt dich als Partyveranstalter, Autor, DJ, Musiker, Fußballfan und Fußballer – und neuerdings auch als Fußballfunktionär und Schiedsrichter. Geht es dir beim Festival FU24BA7L um eine Verbindung von Fußball und Popkultur, die du selbst personifizierst?

Tobias Thomas: Mich interessiert vor allem der Fußball als Kultur. Man spricht gerne von Spielkultur, aber für mich fängt die Kultur da an, wo das Spiel aufhört. Also da, wo etwas nicht mehr nur Sport ist, sondern um den Sport herum Identitäten, Kleidungsstile, Farben, Wordings, Geschichten, Anhängerschaft entstehen. Dann geht aus dem Spiel eine Kultur hervor. Es gibt wenige Spiele, die so eine Kultur entwickelt haben wie der Fußball. Ich finde die Schnittstelle zur klassischen Popkultur wichtig, auch weil ich FU24BA7L im Auftrag der c/o pop realisiere und selbst aus der Popkultur komme. Hier schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Fußball und Kultur. Gleichzeitig versuche ich, den Beweis anzutreten, dass die Fußballkultur emanzipatorische Angebote macht, die die Popkultur mittlerweile so ein bisschen links liegen lässt, oder die vielleicht im Moment im Sport besser aufgehoben sind und in diesem Zusammenhang mehr Energie entfalten können. Das erlebe ich zumindest in meinem Alltag als Sportfunktionär. Es gibt gerade sehr viele interessante Menschen, Initiativen und Projekte im Sport, von denen ich denke: Wo ist das Äquivalent in der Popkultur?

Natürlich gibt es auch diese Parallele, dass beide Bereiche eine sehr unangenehme Warenförmigkeit haben an ihrer professionellen Spitze, aber da drunter sehr viel Interessantes passiert, was darauf wartet, sichtbar zu werden oder sichtbar gemacht zu werden. Während das völlig aus dem Ruder gelaufene kommerzielle Produkt Profifußball kaum interessante Geschichten erzählt, hat sich darunter eine Art Fußball-Subkultur gebildet. Lauter Menschen, zum Beispiel aus dem sozialen oder dem klassisch kulturellen Bereich, die den Sport und in dem Fall auch den Fußball entdeckt haben, um in die Gesellschaft hineinzuwirken. Das ist mein Thema.

Werden diese »Fußball-Subkultur« und das kommerzielle Produkt Fußball mit seinen verkrusteten Institutionen je zusammenwachsen?

Ich fände es sehr traurig, wenn es dabeibliebe, dass es im Fußball so viele Bemühungen gibt um Nachhaltigkeit im weitesten Sinne, um Gleichberechtigung im weitesten Sinne, um all diese Dinge, die man versucht, auch in der Gesellschaft zu verändern, und wenn all das weiterhin nur als »Impuls« aufgenommen würde vom kapitalistischen System Fußball und dort dann verpufft. Mir steht schon der Sinn nach Revolution – und Reformation. Es hat sich einiges getan: Es gibt heute eine weibliche und queere Fußball- und Fankultur, gerade der Frauenfußball hat sich sehr entwickelt. Es gibt in Deutschland eine spannende migrantische Fußballgeschichte. Aber es gibt noch so viele wichtige Fragen: Wie inklusiv ist das Stadion als Ort – und der Fußball überhaupt? Wer darf rein, wer darf mitmachen, wer darf sich da wie wohlfühlen? Ist es damit getan, wenn mir männliche Fußballfans sagen, dies und das gehöre nun mal zum Fußball, und man müsse nicht weiter darüber diskutieren?

Sprechen wir von den Dingen, die sich positiv entwickelt haben. Würdest du sagen, das Festival nutzt die Gelegenheit, um sie im Vorfeld der Männer-EM 2024 besser sichtbar zu machen?

Mir ist es wichtig, nicht zu behaupten, wir hätten mit dem Projekt FU24BA7L Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität im Fußball gerade neu entdeckt und machen jetzt mal eben was Tolles dazu. Viele der Partner*innen, mit denen ich zusammenarbeite, die machen das schon ewig. Die Rheinflanke gibt es seit etwa 15 Jahren. Die Bunte Liga ist älter als 30 Jahre, der Come-Together-Cup feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Dessen Gründer Andreas Stiene hat den CTC erfunden, da existierte das Wort Diversität noch überhaupt nicht in unserer Sprachkultur. Er hat als schwuler Fußballspieler damals die Idee gehabt, den Fußball zu nutzen, um gesellschaftliche Vielfalt auf den Platz zu bringen und zu zeigen, dass wir alle gut miteinander zurechtkommen, wenn wir miteinander spielen und nicht gegeneinander. Eine schöne Idee, die ohne den Fußball aber wiederum nicht denkbar wäre. Der Fußball steht im Mittelpunkt und ist das Feuer, an dem sich alle erwärmen, die mitmachen und Spaß haben. Andersheit wird plötzlich als etwas Positives wahrgenommen in dem Moment, wo man so ein Fußballturnier veranstaltet mit Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, mit Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Trans*personen. Da wird die Vielfalt wie in so einem großen Reallabor als etwas tatsächlich Existierendes gezeigt, nicht als etwas, was herbeigeredet werden muss oder was Teil von irgendeiner angeblich »woken Idee« ist. Die Vielfalt wird gelebt und damit wird gesagt: »Schau, das ist die Gesellschaft, die ist schon so!«

Was ist das Schönste, das du für dich neu entdeckt hast in dem ganzen Prozess des Projekts FU24BA7L?

Ich habe tatsächlich sehr, sehr viele neue und interessante Menschen kennengelernt, was ich persönlich liebe, weil ich gerne im sozialen Raum agiere. Im Fußball finde ich eine Kultur, eine Community, ein Netzwerk von Menschen, deren Begegnung mich glücklich macht und mich inspiriert. Die klassische Kultur hält sich ja gerne für was Besseres. Da pflegt man diesen Blick auf Fußball als etwas eher Proletarisches, einfach Gestricktes, Stumpfes. Ich habe es mein Leben lang so erlebt, dass man mitleidig getätschelt wird, wenn man sagt, man spiele auch Fußball – mit einem gewissen Standesdünkel. Obwohl es immer schon auch feuilletonistische Ansätze gab, den Fußball zu betrachten und längst bekannt ist, dass Philosophen und Künstler wie Pier Paolo Pasolini oder Albert Camus große Fußballfans waren. Trotzdem haftet dem Sport und diesem Zirkus etwas an, worauf herabgeschaut wird – teilweise leider auch zu Recht. Für mich war Fußball aber schon immer eine mit interessanten und positiven Dingen aufgeladene Kultur und Teil meines Lebens. Ich habe lange damit gerungen, das nach außen zu tragen, noch mehr zu leben, ähnlich wie meine Sexualität. Jetzt spiele ich eben nicht auch noch nebenbei Fußball, der Fußball steht für mich nun beruflich im Vordergrund, und es fiel mir nicht schwer, eine kuratorische Vielfalt im Programm von FU24BA7L darzustellen, weil es so viele interessante, unterschiedliche Menschen in diesem Bereich gibt. Es ging ein bisschen wie von Zauberhand. Was da entsteht, bringt auch über das Spiel hinaus Menschen zusammen, die sich vorher noch nicht kannten. Das macht mich glücklich.

Früher hast du als DJ Menschen zusammengebracht und du wurdest vom Publikum bewundert. Jetzt bringst du die Zuschauer*innen eines Fußballspiels als Schiedsrichter eher mal gegen dich auf. Warum bist du neben all deinen anderen Tätigkeiten ausgerechnet noch Schiedsrichter geworden?

Wenn ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss: Ich habe mir damit eine neue Bühne geschaffen. Diese Bühne ist der Fußballplatz, die ich aber nicht mehr als aktiver Fußballer betrete. Aus verschiedenen Gründen, aber vor allem möchte ich mich selbst nicht mehr als Fußballspieler im Wettbewerb mit anderen erleben. Es ist eine Art Rollentausch, ähnlich wie ich in der Musikbranche vom DJ in die Managertätigkeit und in die Gestaltung hinter den Kulissen gewechselt bin, als ich gemerkt habe, dass es gewisse Transformationsprozesse braucht, um nicht in einer Rolle hängen zu bleiben, wenn man damit nicht mehr glücklich ist.

Was ist das für ein Gefühl, eine gelbe Karte zu zeigen? Das kann geil sein, darf nicht persönlich sein, oder?

Ich habe gerade in einem Diversitätsseminar an der Kölner Sporthochschule das ganze Projekt FU24BA7L vorgestellt und mit den Student*innen auch über meinen persönlichen Werdegang gesprochen. Ich habe sie gefragt: »Was glaubt ihr ist die wichtigste Eigenschaft eines Schiedsrichters?« Eine Studierende hat es dann treffend gesagt: »Unvoreingenommenheit.« Darauf wollte ich hinaus. Als Schiedsrichter muss ich auf dem Platz alle gleichbehandeln und wertschätzen, abseits von Stereotypen und Vorurteilen. Mein Vater war schon Schiedsrichter, allerdings im Volleyball. Zuhause hatten wir ein Tischchen im Flur, wo das Telefon draufstand, mit einer Schublade, wo eine Trillerpfeife und eine selbstgebastelte rote und gelbe Karte drin waren. Die durfte jeder mal benutzen, wenn wir zusammen gekickt haben. Mein Vater war außerdem Spielleiter am Theater, und im Fußball wird der Schiedsrichter auch als Spielleiter bezeichnet. Diese begriffliche Doppeldeutigkeit empfinde ich als sehr schön.

Das Größte für mich als Schiedsrichter ist es heute, wenn man mir sagt, ich habe das Spiel gut geleitet, auch wenn der eine oder andere Spieler mit einzelnen meiner Entscheidungen hadert. Da schließt sich für mich der Kreis, denn auch als DJ ist man eine Art Spielleiter mittels Autorität, Kompetenz und Auswahl. DJ-Sein heißt schließlich, ständig Entscheidungen zu treffen, was die nächste Platte und das nächste Stück angeht, was das Rein- und Rausdrehen der Bässe oder das Timing für den perfekten Übergang angeht. Ich verstehe das als Frage-Antwort-Spiel. Die Frage geht ans Publikum. Das Publikum sagt »Ja«, sagt »Nein« oder »Ich weiß nicht«. Da ist eine Stimmung im Raum und darauf reagiere ich als DJ. Genauso so interagiere ich mit den Spielern auf dem Platz. Viele kleine Details gestalten das Spiel für alle, und es ist wohl die Rolle des Spielleiters, die mir dabei am besten gefällt.

 

Die kommenden FU24BA7L Veranstaltungen.

 

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