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TRAVELLING KAPUT II – durch die Häuserblöcke von Reykjavík

Wie schaffe ich es bis nach Washington, um Otoboke Beaver live zu sehen? Diese Frage stellte sich unser Autor Marc Wilde Anfang des Jahres und erkundigte sich bei der Redaktion nach dem passenden Dienstreiseformular.  Da ist er bei uns an der richtigen Adresse: Tausende Kilometer für das Konzert einer japanischen Undergroundband auf sich nehmen? Das klingt nach Oldschool Musikjournalismus und ist verrückt genug für eine Story im Kaput-Mag. Und so statteten wir den reiselustigen Reporter kurzerhand mit einem Flugticket aus. Einzige Bedingung: Stopover in Island und eine Reportage in drei Teilen abliefern.

Im ersten Teil seines Berichts taucht Marc in die Grassroot-Musikszene Reykjavíks ein, macht Bekanntschaft mit einem Lava speienden Vulkan und schickt uns lustige Buchstaben, die wir auf unserer Tastatur noch nie gesehen haben. Seine erste Nacht im Sechserzimmer des KEX, Hostel und Konzertlocation in einem, ist ein fieser Cliffhanger. Hier in Teil 2 lest ihr, was dann geschah.

 

Am nächsten Morgen klingelt mein Telefon, es ist Bjarni. Er fragt mich, ob ich nicht Lust hätte, nachher als Gast in seine Radioshow zu kommen, zum Rollentausch: Diesmal würde er mich befragen. Ich zögere – mein Aufenthalt ist kurz, viele Eindrücke über Reykjavík und die isländische Musikszene konnte ich bisher nicht sammeln, und außerdem habe ich am Nachmittag selbst noch ein Interview zu führen. Noch halb in geistiger Umnachtung sage ich ab. Doch nur kurze Zeit später bereue ich es: Wann im Leben erhält man bitte die Gelegenheit, im isländischen Radio aufzutreten? Ich bin hin- und hergerissen und schaue auf dem Stadtplan nach, wo die Radiostation gelegen ist – nur zehn Minuten Fußweg von dem Ort entfernt, wo ich meine nächste Interviewpartnerin treffen soll. Ich rufe zurück: „Okay, ich mach’s.“

Ich fahre mit dem Bus zum Sender RÚV, der mehrere Radio- und Fernsehkanäle unterhält. In einem kleinen Studio wird mein Gespräch für die Kultursendung „Lestin“ aufgezeichnet. Noch am selben Tag wird gesendet. Viel Zeit hat Bjarni also nicht, um meine kruden Gedankensplitter im Schneideraum zu ordnen. Als ich mir nach meiner Rückkehr in Deutschland Teile der Aufzeichnung anhöre, wird deutlich: Am besten sind die Passagen, in denen Bjarni meine Antworten für die Hörer*innen auf Isländisch zusammenfasst. Das klingt gut. Genauso wie die Songs, die ich mir aussuchen konnte und die unserem Radiotalk einen klanglichen Rahmen geben: „Fokking lagið“ (dtsch. „Verdammtes Lied“) von Spacestation, deren Gitarrenmelodien Erinnerungen an Rolling Blackout C.F. wachrufen und die anscheinend vieles „Fokking“ finden. Trailer Todd mit „Skjálfhent“, ein akustisches Stück, das sich auch gut auf einem Album von Black Country, New Road machen würde. Sowie das überbordende „Úthverfi“ (dtsch. „Vorstadt“) von Kvikindi, eine kürzlich erschienene Single mit Hitpotential, die ich mir als isländischen Beitrag für den Eurovision Song Contest gewünscht hätte.


Nach dem unverhofften Abstecher in den Rundfunk auf zur nächsten Station meiner Reise: das Interview mit Brynhildur „Brylla“ Karlsdóttir, der Sängerin von Kvikindi. Ursprünglich hätte ich mich mit Friðrik, dem Songschreiber und zweiten Mitglied des isländischen Dancepunk-Duos, treffen sollen. Zum Zeitpunkt als die Interviewanfrage rausging, war die Sängerin hochschwanger, und Friðrik ist bisher mein einziger Kontakt zur Band. Am Tag vor meiner Abreise schreibt er mir, dass Brylla nun doch übernehmen würde, er müsse kurzfristig verreisen. Außerdem teilt er mir mit, dass das Interview nicht wie geplant in einem Café in der Innenstadt, sondern nur bei seiner Bandpartnerin zuhause stattfinden könnte. Noch ohne Gefühl für die Stadt, fällt es mir schwer die Distanzen richtig einzuschätzen; Google-Maps nach zu urteilen, sieht mir das aber schwer nach „Úthverfi“ aus.

Von der Radiostation aus navigiere ich mit dem Handy durch die Häuserblöcke einer unscheinbaren Vorstadtgegend. Nur noch wenige Minuten, dann sollte ich mein Ziel erreicht haben. „Just go down the steps in front of the house”, hatte Friðrik mir noch mit auf den Weg gegeben. Keine Ahnung, woher jetzt plötzlich die Wahnvorstellungen kommen, in wenigen Augenblicken von einer dubiosen Künstlersekte in einem abgelegenen Keller Reykjavíks überwältigt zu werden. Bildsequenzen aus einem Kvikindi-Video schießen mir durch den Kopf. Werde ich gleich auf einen unfreiwilligen Roadtrip durch einsame Lavafelder mitgenommen und zur Besänftigung des Vulkans den Flammen geopfert? Vermutlich habe ich wirklich zu wenig Schlaf abbekommen…

Ich recke meine Arme gen Himmel und versuche mich mit gezielten Atemübungen in den Bauch zu beruhigen. Dann klopfe ich an die Tür. Ein freundlicher Typ auf Socken öffnet – Bryllas Mann. Im Wohnzimmer spielt ein kleines Kind. Sie selbst sitzt im Morgenmantel am Küchentisch und bietet mir erst einen Kaffee, dann ein Glas Wasser an – beide Male lehne ich freundlich ab. Auch vermeide ich, ihr zu lange in die Augen zu sehen; Brylla ist diplomierte Hypnotiseurin. So ganz bin ich von meinem Trip wohl noch nicht runter… Unser Gespräch nimmt dann aber einen angenehmen Verlauf: Ich erfahre, dass Kvikindis Debut „Ungfrú Ísland“ 2023 als Album des Jahres bei den Icelandic Music Awards ausgezeichnet wurde und dass bald in kurzer Abfolge drei EPs erscheinen werden, die den nächsten Longplayer ergeben sollen. Wir sprechen über das durchgedrehte Video zu dem Song „Sigra heiminn“, in dem die beiden mit einem roten Jeep durch eine schwarzsandige Wüstenlandschaft brettern – ein musikalischer Roadtrip mit offenkundiger Referenz an den Filmklassiker „Wild-At-Heart“ von David Lynch.

Brylla erzählt mir, dass sie zunächst in der Punkband Hórmónar gesungen und den Studiengang Theater und Performancekunst absolviert hat. An der Kunsthochschule sei sie dann mit Friðrik in Kontakt gekommen, der dort Komposition studierte und eine klassische Musikausbildung mitbringt. Die Idee von Kvikindi, sei es gewesen, diese ungleichen Einflüsse im Rahmen der Popmusik zusammenzuführen, sagt sie. Zwischendurch stillt Brylla ihr gerade zwei Wochen altes Baby. Alles in allem eine lockere Atmosphäre und kein Grund zur Beunruhigung. Bevor ich gehe, erhalte ich noch weitere Songs, um meine Island-Playlist abzurunden.

Wieder im Freien fahre ich zurück in die Stadt und überlege, was ich mit der restlichen Zeit anstelle. Am Abend findet im 12 Tónar ein Konzert statt, aber dafür bin ich zu kaputt. Zumindest ohne ein Mindestmaß an Sightseeing sollte ich der isländischen Hauptstadt aber nicht den Rücken kehren. So schlendere ich zunächst über die Regenbogenstraße (Skólavörðustígur) zur Hallgrimskirche, die mit ihren beidseitig abfallenden Betonpfeilern das Erscheinungsbild einer Orgel abgibt. Ein architektonisches Highlight ist auch die am alten Hafen gelegene Harpa Concert Hall. Die futuristische Konzerthalle ist nicht nur Heimstätte des isländischen Symphonieorchesters, hier finden auch Festivalkonzerte und glanzvolle Veranstaltungen wie die Icelandic Music Awards oder der Nachwuchswettbewerb Músíktilraunir statt, den ich leider knapp verpasse.

Nicht entgehen lasse ich mir den Besuch eines öffentlichen Schwimmbads, die letzte Station während meines zweitägigen Stopovers in der isländischen Hauptstadt. Zu ihren Bädern – insgesamt 170 gibt es davon im Land – pflegen die Inselbewohner ein besonderes Verhältnis. Sie sind nicht nur Stätten des Sports, sondern auch beliebter Ort der Kommunikation und Teil der kulturellen Identität. So ist auch der Aufenthalt mit vielen Regeln behaftet: Schuhe gehören vor dem Betreten der Umkleiden ausgezogen, geduscht wird gänzlich nackt, und bevor es nach dem Baden wieder zurück in die Umkleiden geht, hat man sich ordentlich abzutrocknen. Eigentlich einleuchtend. Besonders beeindruckend sind die im Duschbereich angebrachten Miniaturschleudern, mit denen sich die nasse Badekleidung in Windeseile trocknen lässt. Mein geheimer Wunsch, eines meiner Interviews in einem isländischen „Hot Pot“ (heitir pottar) zu führen, lässt sich leider nicht verwirklichen. Auch komme ich dort nicht mit dem isländischen Staatsoberhaupt oder Björk ins Gespräch, was laut Reiseführer dem einen oder anderen Touristen passiert sein soll. Heitir pottar ist dennoch ein angenehmer Kraftort zum Relaxen – vor allem wenn es bald darauf zurück zum Flughafen für die Weiterreise nach Washington geht.

 

ENDE TEIL 2 – Fortsetzung folgt ….

 

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