Univ-Prof. Diedrich Diederichsen „Stoppt das Wissenschaftszeitgesetz (oder wie das heißt)!“
Mit ihrer im Herbst 2020 initiierten Aktion #95vsWissZeitVG (95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz) haben Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon auf Twitter auf die Argumentationslinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) reagiert. Das Bundesministerium spricht dabei von einer drohenden “Gefahr der Systemverstopfung“, sollte man Wissenschaftler:innen Normalarbeitsverhältnisse anbieten.
Die Reaktionen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs (aber auch darüberhinaus) waren vehement und führten zum Hashtag #IchbinHanna – „benannt nach der fiktiven Figur, anhand derer die vermeintlichen Vorteile des WissZeitVG im Video veranschaulicht werden“ (zitiert nach https://ichbinhanna.wordpress.com) –, unter dem sehr viele Wissenschaftler:innen von persönlichen Frusterlebnissen berichteten und Einblicke in ihre (oft) prekären Lebensumstände gaben.
Am 27. März 2022 erschien im Berliner Suhrkamp Verlag das Buch „#IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland“.
Nicht vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz betroffen – und dennoch ähnlichen Frust- und Prekariatsverhältnissen ausgesetzt – sind die Freien Dozent:innen an Deutschen Universitäten und Hochschulen. Anders als ihre festangestellten Kolleg:innen dürfen sie zwar im Prinzip lebenslang weiter unterrichten, so denn sie es sich leisten können angesichts eher mäßiger Stundensätze, (oft) fehlender Anreisekostenübernahme und (zumeist) nicht bezahlter Vor- und Nachbereitungszeit.
Ich selbst kenne den Wissenschaftsbetrieb durch viele Lehraufträge in den vergangenen zwanzig Jahren gut – was letztlich (jenseits der genannten Publikation) über meine Gespräche mit Kolleg:innen zur Idee zu dieser Interview-Reihe führte, deren Intention es ist, den Diskurs über diese suboptimalen Arbeitsbedingungen der einen erheblichen Teil der Universitäts- und Hochschullehre ausmachenden Freien Lehrkräfte ausgesetzt sind, anzuregen, und, naiv gesprochen, damit vielleicht Impulse zu Veränderungen zu setzen.
Ich freue mich sehr, dass Univ-Prof. Diedrich Diederichsen sich die Zeit für den Fragebogen genommen hat.
Obwohl persönlich per Du mit ihm habe ich mich dazu entschieden für den „Abdruck auf kaput“ beim Sie zu bleiben.
Univ-Prof. Diedrich Diederichsen hält an der Akademie der bildenden Künste in Wien eine Professur am Institut für Kunst und Kulturwissenschaften. Er gilt als der wichtigste deutschsprachige Poptheoretiker.
Können Sie bitte in aller Kürze und Prägnanz ihre Hochschule/Universität, das Institut/Fach und konkret das Studienangebot/den Studiengang beschreiben.
Kunstakademie, mit den Studienrichtungen Bildende Kunst, Architektur, Künstlerisches Lehramt, Restauration, Kunst und Naturwissenschaft, überwiegend BA/MA, Kunst mit Diplom, außerdem Master Critical Studies, Ph.D. in Practice und normale geisteswissenschaftliche Doktoratsstudien. Unser Institut liefert Theorie, Kunst- und Kulturwissenschaft für alle Studien und hat einen eigenen Studiengang (Master Critical Studies).
Wie lange sind Sie an Ihrer jetzigen Hochschule/Universität bereits tätig und in welcher Position?
Professor seit 2006, halbe Stelle bis 2007, volle Stelle befristet bis 2013, seitdem entfristet.
Würden Sie sagen, dass die aktuellen Angebotsverhältnisse an Ihrem Institut/in ihren Studiengängen von Ihnen mitgeprägt wurden und ihren Wünschen entsprechen?
Die Angebotsverhältnisse sind von den Curricula der Studienrichtungen, denen wir zuarbeiten bestimmt – und von der Auslegung dieser Vorgaben durch Lehrende. Beides hat sich in den letzten 15 Jahren oft verändert. Auf unseren eigenen Studiengang hatte ich einigen Einfluss.
Wie haben Sie an der Hochschule/Universität die Pandemie bis dato erfahren?
Kurz vor der Pandemie ist die Hochschule wegen Sanierung in ein anderes, ziemlich ungeeignetes Gebäude vorübergehend umgezogen, das die Kommunikationsverhältnisse unter der Pandemie schon vorweggenommen hat. Die eigentliche Pandemie war dann nochmal eine Steigerung davon. Zoom-Vorlesungen habe ich, wie die meisten, nehme ich an, gehasst.
Was denken Sie, wie die Studierenden und Kolleg:innen die Pandemie erfahren haben? Gibt es bei Ihnen viele, die das Studium aufgegeben haben? Oder die auch durch die Pandemie in Ihrem Studiumsverhalten massiv (aufgrund von Ängsten, Depressionen etc) eingeschränkt sind? Gibt es dazu Hilfsangebote bzw. einen Austausch?
Wahrscheinlich wie alle anderen, als Irrealisierung, Isolierung etc. Da ich nur sehr wenige Studierende direkt betreue, kann ich zu Ängsten etc, nicht viel sagen, aber die Generation/Kohorte, die das Studium unter der Pandemie aufgenommen hat, ist eindeutig benachteiligt.
Wie zufrieden / unzufrieden sind Sie mit dem aktuellen Zustand (Angebot und Umsetzung) des Lehrbetriebs an Deutschen Universitäten im Allgemein?
Keine Ahnung, schon lange keine deutsche Universität mehr von innen gesehen.
Wie zufrieden / unzufrieden sind Sie mit dem Status Quo des Lehrbetriebs an ihrer Hochschule / Universität?
Das würde sehr ins Detail gehen und hat mit Pop nicht viel zu tun (und auch nichts mit dem „Status Quo“, sondern eher mit der Struktur mitteleuropäischer Kunstakademien und ihrer Fixierung auf charismatische Lehrende).
Ich selbst bin Freier Dozent an drei Universitäten in NRW (an der Folkwang Universität der Künste in Bochum/Essen, an der Universität Paderborn und an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf). Wenn man Anfragen zu Lehraufträgen bekommt, schmeichelt es einem zu Beginn, recht schnell bemerkt man aber, dass ein Großteil des Betriebs Deutscher Hochschulen und Universitäten auf solchen mäßig bezahlten Lehraufträgen aufbaut (oftmals sind zudem nicht mal Anfahrtskosten und Unterkunftskosten bei mehrtägigen Seminaren abgedeckt). Und so fragt man sich schnell, warum werden in Deutschland eigentlich Lehrer:innen an Schulen gut bezahlt, an den Hochschulen und Universitäten aber hat sich ein Honorierungsmodell etabliert, das ich zynisch gerne als „Hartz 4-Lehre“ bezeichne. Auf welchen institutionellen Diskursen beruht so ein Modell? Wer hat sich das ausgedacht und die Rahmenbedingungen definiert?
Das beruht nicht auf institutionellen Diskursen, sondern auf einerseits der übertriebenen Hierarchisierung und andererseits der durch Drittmittelkultur schleichenden Privatisierung von Hochschulen. Die Versuche, diskursive Überbauten darauf zu errichten, sind eigentlich schon lange aufgegeben worden. Warum auch? Läuft ja auch so.
Das Honorar für die Seminare beinhaltet in der Regel auch Vor- und Nachbereitung – und an den meisten Hochschulen / Universitäten auch Prüfungen. Das wirkt sich natürlich langfristig auf die Qualität der Lehre aus, da viele Lehrenden immer wieder die gleichen Seminare abhalten, da ihnen schlichtweg die Zeit für eine stete Neudefinition der Lehrinhalte fehlt. Kennen Sie diese Problemstellung aus Ihrem Alltag? Und wie positionieren Sie sich hierzu?
Das Problem mit den gleichen Seminaren hat ja nicht nur mit der Vor- und Nachbereitung und prekärer Bezahlung direkt zu tun, das haben auch Leute, die fürstlich honoriert werden – einfach weil das Curriculum so eng ist und bestimmte Disziplinen, denen ich zuarbeite, so ihre Vorstellungen davon haben, was ihre Studierenden lernen müssen („Die wissen ja gar nicht mehr, wer Picasso ist.“). Ich habe aber noch nie dasselbe Seminar zweimal gehalten.
Was auch fehlt, ist die Möglichkeit, als Freier Lehrender die Hochschulen/Universitäten und die Möglichkeiten, die diese den Studierenden bieten, so zu verstehen, als dass man seine Lehrinhalte mit anderen Angeboten vernetzt denken und den Studierenden Verknüpfungshorizonte aufzeigen könnte. Ist das eine Beobachtung, die Ihnen auch schon gekommen ist? Werden solche ich nenne es mal Blinde Flecken des Universitätsbetriebs intern diskutiert? Oder teilen Sie die Beobachtung nicht?
Nicht wirklich: es gibt zahlreiche Initiativen intern und extern (zum Beispiel für queere/dekoloniale Lehre), die für eine solche Vernetzung sorgen in Wien und an unserer Hochschule. Davon abgesehen, weiß ich nicht, was einen daran hindert – frei oder fest angestellt – seinen Studierenden zu sagen, welche anderen Angebote es in der Stadt gibt.
Die Konstruktion des Hochschul- /Universität Lehrbetriebs über wenig festangestellte Professor:innen, Lehrende und Institutsmitarbeiter:innen sowie eine Vielzahl freier Dozent:innen mit in der Regel nur 2, 3 oder 4 Semesterwochenstunden reduziert natürlich auch das Wissenschaftliche Forschungspotential. Die enge Taktung der Lehraufträge ermöglicht es schlichtweg nicht, dass Freie Dozent:innen potentielle Forschungsideen einbringen und nachgehen können. Zumindest empfinde ich diese Situation von Außen so. Wie schätzen sie diesen Sachverhalt ein? Und wie wirkt sich das konkret in Ihrem Bereich aus?
Wir haben einen sehr hohen Anteil entfristeter Festangestellter, darüber hinaus diverse angeschlossene Personen, die wegen eines Forschungsvorhaben unserem Institut zugeordnet sind (und außerdem lehren), darüber hinaus lehrende Doktorand_innen. Es gibt nur wenige ganz externe Lehrende
Bemerken Sie an ihrer Universität, dass die geschilderten Zustände dazu führen, dass die Fluktuation unter den Freien Dozent:innen hoch ist?
Ja, vermutlich
Das waren nun viele Kritikpunkte von mir in Fragen eingebracht.
Wenn Sie drei Wünsche für den Hochschul-/Universitätsbetrieb in Deutschland hätten, welche wären dies?
Keine Ahnung, ich kenne Deutschland nur sehr flüchtig. Stoppt das Wissenschaftszeitgesetz (oder wie das heißt)!
Gibt es eine Hochschule / Universität (in Deutschland – aber auch gerne im Ausland), die sie als positives Beispiel hervorheben wollen, da dort Definition der Studienfächer und Lehrinhalte, die Organisation des Lehrbetriebs und Kommunikation mit und Arbeitsbedingungen für die Freuen Dozent:innen gut (oder gar ideal) aufgestellt sind?
Nein, da fällt mir nichts ein, ich kenne nur Beispiele, wo relativ viele Leute bessere Verträge haben und nicht ganz frei sind. Inhaltlich gibt es eine gute Kunst-bezogene Lehre an vielen Stellen in den USA, aber dafür andere Nachteile.
Vielen Dank für Ihre Zeit