FEMALE GAZE I – Erna Ómarsdóttir & Sofia Jernberg
Nach dem erfolgreichen Start im Sommer 2022 wird die Reihe „Choreographing Politics“ unter der künstlerischen Leitung von Carolin Brandl, am kommenden Samstag und Sonntag unter dem neuen Titel „Female Gaze“ fortgesetzt.
Die Choreografin Erna Ómarsdóttir hat eigens dafür eine neue Arbeit für das Bode-Museum entwickelt; gemeinsam mit der schwedischen Komponistin und Vokalkünstlerin Sofia Jernberg wird sie eine „theatrical journey into the void of female experience” unternehmen, “to question and attack the museum space“.
Thomas Venker hat sich im Vorfeld mit Carolin Brandl ausgetauscht.
Carolin, natürlich muss ich als erstes nach dem speziellen Wording zu deiner Veranstaltungsreihe Choreographing Politics fragen. Die nächsten zwei Editionen heißen Female Gaze.
Zunächst: Was verbindest du mit „Female Gaze“? Steht die Einordnung für dich in direktem Bezug zu „Male Gaze“ oder davon losgelöst?
Female gaze ist eigentlich ein Begriff, der unter anderem auch in der feministischen Filmtheorie verwendet wird. Da Frauen im Film oft, der männlichen Perspektive entsprechend, in stereotypischen Rollen, nicht aber als komplexe Charaktere gezeigt werden. Das habe ich auf das Museum übertragen. Im Bode-Museum begegnen uns gerade in der Skulpturensammlung viele weltberühmte Meisterwerke, die Frauen darstellen. In wiederkehrenden klassischen Motiven: die Frau als Mutter, Heilige, Madonna – oder als Prostituierte. Dabei findet sich bei den Exponaten kein einziges von einer Frau geschaffenes Kunstwerk, was vielen nicht bewusst ist.
Bei FEMALE GAZE werden Choreografinnen eingeladen, exklusive Arbeiten zu entwickeln und ihre individuellen, widerständigen Positionen und Sichtweisen der Skulpturen- und Kunstgeschichte und dem sogenannten “male gaze“ entgegenzusetzen.
Wir schaffen ungewohnte Frauenbilder mit den Mitteln der Choreografie. Das Format ist aber nicht didaktisch intendiert. Es steht im Dialog mit der hauseigenen Ausstellung „Der zweite Blick – Frauen“. Wir fügen mit FEMALE GAZE aber eine neue Ebene hinzu, indem wir die Auseinandersetzung in die Jetzt-Zeit bringen.
Der Untertitel der Arbeit “Notes And Steps From The Underworld“ von Erna Omargottir und Sofia Jernberg – a borderline musical event“ verweist einerseits auf die Unterwelt, andererseits auf eine Persönlichkeitsstörung, bei der Instabilität und Überempfindlichkeit die eigene Selbstwahrnehmung massiv beeinflussen. Wie habe ich mir diese beiden Kontexte in Bezug auf die Veranstaltung vorzustellen?
Der Titel wurde von der Choreografin Erna Ómarsdóttir gewählt, da steckt Augenzwinkern dahinter. Sie will mit ironischer Distanz ein neues eigenes Genre anbieten. Ernas Arbeiten sind oft eine ziemlich eigenwillige Mischung aus Absurdität, Storytelling, sogar manchmal Horror, schon auch mal mit Kunstblut, mit Pop-Elementen und musikalischen Fragmenten. Man muss auch Erna Ómarsdóttir auf jeden Fall tanzen sehen, ihre Bewegungssprache ist unverwechselbar. Bei FEMALE GAZE will sie, nach eigener Aussage, den männlich konnotierten Museumsraum attackieren, und das zusammen mit der Soundkünstlerin Sofia Jernberg. Die beiden gehen bis an die Grenzen stimmlichen, motorischen und musikalischen Ausdrucks. Es ist zudem ein Spiel mit dem Publikum, ein Spiel mit Eigen- und Fremdwahrnehmung, Stimmungen – daher eben der Begriff “borderline“. Es geht ja auch darum, welche Assoziationen der Begriff in uns auslöst… Die Performance wird schon etwas unberechenbar werden. Und so soll es bei FEMALE GAZE auch sein. Es ist ein experimentelles Format mit der größtmöglichen Freiheit für die Künstler*innen. Mich interessieren generell Choreograf*innen, die Grenzgänger sind und sich klaren Einordnungen von Tanz entziehen. Es wird auf jeden Fall bei dieser Edition etwas wilder und lauter werden…Und auch das ist ja auch gewollt. Obwohl ich weiß, was Erna und Sofia vorhaben, sehe ich die Arbeit auch erst am Samstag. Wir haben die Sängerin von Schweden kurzerhand nach Island geschickt zum Proben, weil wir fanden, dass das Sinn mehr macht wegen Ernas Verwurzelung dort. Die beiden sind jetzt gerade in Berlin angekommen.
Die Reihe “CHOREOGRAPHING POLITICS“ wird jetzt mit zwei Editionen von Female Gaze fortgesetzt, kannst du die kuratorische Verknüpfung kurz darlegen?
Ja, bei der Eröffnung zu CHOREOGRAPHING POLITICS gab es eine neue Arbeit von Jérôme Bel, er gilt als einer der wichtigen konzeptuellen Choreografen. Er hat beispielsweise eine Verbindung von Tanz- und Kunstgeschichte her- und „ausgestellt“ und hat dann auch mit den Besuchern den Museumsraum verlassen. Mit “The FARNEAR“ präsentierte Kat Válastur bereits eine Arbeit mit feministischer Perspektive und der Verbindung zu Sound: Eine Gruppe von Tänzerinnen inszenierte mit am Körper befestigten kleinen Tonobjekten ein Ritual, das Klang erzeugte. Bei der Reihe geht es insgesamt darum, den Museumsraum zu verändern, aber auch produktionelle Strukturen, letztendlich vor allem neue künstlerische Positionen zu schaffen, die ohne den Kontext vielleicht nicht entstanden wären. Das Bode-Museum ist ein ikonisches Gebäude, das fast alle Berliner von außen kennen, aber viele sich nicht trauen, es zu betreten. Ein Museum an sich ist als öffentlicher Raum auch ein politischer Raum; der für alle da sein sollte, so wollte es Bode auch. Wir versuchen, die konzeptuelle Trennung der Museumsinsel vom urbanen Raum aufzulösen. In der Reihe werden unterschiedliche Aspekte in Bezug auf den Museumsraum untersucht und wir weisen gleichzeitig kritisch auf verborgene Ebenen und Narrationen des Museums hin. Ich gebe, wie erwähnt, eine Rahmung und Fragestellung vor, zu der dann die Künstler*innen die Arbeiten produzieren, mit ihrer eigenen Handschrift. Und aktuell geht es gerade um die Sichtbarmachung der männlichen Dominanz in Kunst- und Skulpturengeschichte, aber auch um den Blick nach vorne!
Lass uns zu den auftretenenden Künstler:innen kommen. Zum einen hast du die isländische Choreografin Erna Ómarsdóttir eingeladen, die man durch ihre Zusammenarbeit mit Björk kennen kann, sie wird gemeinsam mit der schwedischen Komponistin und Vokalkünstlerin Sofia Jernberg auftreten. Was reizt dich an den beiden als singuläre Positionen aber gerade auch im Zusammenspiel?
Mich interessiert Ernas Ansatz, zwischen den Genres zu wechseln. Sie bewegt sich recht schwebend zwischen Hoch- und Subkultur und spielt mit Zitaten. Ihre Arbeiten sind fast cineastisch in ihren Bildwelten, deswegen wundert es mich nicht, dass Regisseure und Künstler wie Matthew Barney oder Terrence Malick mit ihr arbeiten wollten und wollen. Sie hat dazu ein ganz spezielles Verhältnis zu Sound und Musik, das sieht man an den vielen Kooperationen, wie die, die sie gerade mit Björk abgeschlossen hat. Es war für mich von Anfang an klar, dass ich sie für das Projekt gewinnen möchte. Zum einen, weil sie sich auch schon mit feministischen Sujets beschäftigt hat in ihren Arbeiten, aber eben auf ihre Art, sehr fein und mit Humor, nicht plakativ. Erna ist ja im Übrigen die Leiterin der Iceland Dance Company, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet- normalerweise inszeniert sie und es tanzen ihre Tänzer*innen. Bei uns tanzt und performt sie selbst! Das ist natürlich sensationell und wir haben uns sehr gefreut, dass sie sich so für FEMALE GAZE begeistert hat, dass sie sich dazu entschieden hat. Wir fühlen uns entsprechend geehrt.
Da Erna auch sehr oft ihre Stimme benutzt, ist diese Zusammenarbeit mit derSängerin besonders interessant, mit Sofia Jernberg aus Schweden, die ursprünglich aus Äthiopien stammt. Aber Sofia ist nicht einfach nur Sängerin und Komponistin, sie ist eine Stimmkünstlerin und stellt Soundwelten und Klänge her, die man so wirklich noch nicht gehört hat… Die beiden gehen in ihrer Arbeit eine Art Symbiose ein. Es ist eine gegenseitige Durchdringung von Sound und Choreografie, man kann es überhaupt nicht mehr trennen.
Besonders an den Veranstaltungsreihen im Bode-Museum ist, dass die von dir eingeladenen Künstlerinnen in Konstellation mit zeitgenössischen Positionen der Skulpturen- und Kunstgeschichte aus dem Haus in Interaktion treten. Wie hat man sich hier den Auswahlprozess vorzustellen?
Es ist manchmal ein langer Prozess. Mit allen Künstlerinnen stehe ich immer in längerem Dialog. Für den Auswahlprozess ist zum einen entscheidend, dass die Künstler*innen sich mit ähnlichen Kernfragen, die für das jeweilige Format relevant sind, in ihren Arbeiten bereits beschäftigt haben und sich für das Format nicht verbiegen müssen. Zum anderen interessieren mich konzeptuelle Choreograf*innen, die ihre Ideen und Statements zum Thema zeigen. Die Arbeiten sind in dem Sinne eben keine „Theaterstücke“, sondern mehrfach lesbar. Die konkrete Planung ist auch nicht ganz einfach. Bei Erna haben wir sehr lange gewartet, bis wir es geschafft haben, in ihrem absolut engen Zeitplan die Möglichkeit einer Neuproduktion zu sehen. Sich auf diesen Prozess einzulassen, eine neue Arbeit zu konzipieren, das ist ein hoher Anspruch und wir laden Choreograf*innen ein, die genau diesen Prozess gehen wollen.
Andererseits würde ich nicht sagen, dass der Neuentwurf einer Choreografie die absolute Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist, aber bislang war es so.
Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Formate ist die improvisierende Arbeitsweise. Das Ganze ist eben nicht durchgetaktet wie im Theater. Daher kommt auch nur eine gewisse Auswahl in Frage, es müssen Künstler*innen sein mit eigener Handschrift, wie oben erwähnt. Das Format ermöglicht es, unterschiedlichste Arbeiten zu einem Thema Choreograph*innen gegenüberzustellen, das ist auch das Spannende.
Der Abend findet in der Basilica des Bode-Museums statt, einem der eindringlichsten Gebäude in Berlin. Inwieweit wirkt sich so ein markanter Ort auf deine kuratorische Arbeit aus? Könnte die Veranstaltung in dieser Zusammenstellung auch – mal als extremen Gegenpol – in einem selbstverwaltetetn Kulturraum mit entsprechenden anderen zeitgenössischen Positionen als Dialogsubjekte stattfinden?
Die Basilika FEMALE GAZE ist das architektonische Kernstück des Museums, im Stil der italienischen Renaissance. Die Akustik dort ist ähnlich wie in einer Kirche und ein bsiscshen auch die Stimmung. Wir nutzen die besondere Akustik gezielt, diesmal auch mit einem speziellen Soundsystem. Auch hier sind natürlich alle Kunstwerke in diesem Raum sind von Männern geschaffen. Es ist gerade dieser Raum, der in besonderer Weise aufgeladen ist, den wir quasi sprengen. Deine Frage nach der Ortsabhängigkeit ist tatsächlich zentral für die Ausrichtung und Definition der choreografischen Serie. Für die aktuellen Formate ist der Museumsraum als Ort Voraussetzung. Er verfügt über diese historischen Aufladungen und Konnotationen, auch mit dem Hintergrund der Skulpturengeschichte, die unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet wird. Da gibt es gemeinsame Knotenpunkte in Kunst- und Tanzgeschichte. Das heißt, das Format ist “site- responsive“, die Arbeiten sind direkt auf den Ort sowohl in architektonischer als auch inhaltlicher Hinsicht bezogen, aber eben subtil. Trotzdem sind ortsbezogenen Arbeiten eigenständige Werke. Und klar, würde ich auch ein Projekt in einem selbstverwalteten Kulturraum machen, dann wäre es aber eine andere konzeptuelle Fragestellung und Kuration. Bei anderen Projekten sind andere Räume absolut interessant. Aber in meiner Auseinandersetzung momentan geht es um Museen, gerade darum, Museen zu öffnen, gerade da sie ja eigentlich auf Archivierung und Sammlung von materiellen Kunstwerken ausgerichtet sind.
Der Titel “FEMALE GAZE I“ deutet es an, es sollen weitere neue Positionen von Choreografinnen folgen. Was kannst du über die anstehenden weiteren Veranstaltungen bereits sagen?
Nachdem wir mit Erna Ómarsdóttir eine der international renommiertesten Choreografinnen ins Bode-Museum bringen können, werden im Herbst, bei der zweiten Edition, besonders auch sehr junge Positionen zu sehen sein.
Was gibt es sonst noch zu sagen? Was steht als nächstes an?
Es gibt gerade viele Entwicklungsstufen und Prozesse, die parallel laufen. Als nächstes Projekt steht (Re)Frame im Albertinum in Dresden an. Das Museum hat mit Hilke Wagner eine tolle junge Direktorin. Ähnlich wie das Bode-Museum beherbergt das Albertinum eine der wichtigsten Sammlungen in Europa – von den Schlüsselwerken der Romantik bis hin zu Gerhard Richter. (Re)Frame stellt moderne und zeitgenössische Positionen historischen Kunstwerken gegenüber zu bestimmten Fragestellungen, die ich auf die Choreografie übertrage. Bei (Re)Frame wird u.a. Bewegungssprache dekonstruiert. Emanzipatorische Prozesse werden hier eine Rolle spielen. Dies ist auch eine Thematik der aktuellen Ausstellung im Albertinum. Das besondere Highlight für alle, die es nicht von Berlin nach Dresden schaffen: Wir drehen diesmal auch Filme, als eigenständige Arbeiten.
Im Herbst geht es dann weiter mit FEMALE GAZE im Bode-Museum.
Aber jetzt kommt ja erst mal der Sommer! Und (Re)Frame startet im Juni, am 24. und 25. Da werden wir auch mit den Besuchern später ins Freie gehen, zu einem netten Get-together, einer kleinen After-Party….
Es lohnt sich also, nach Dresden zu kommen und mit uns gemeinsam das Sommer-Wochenende zu verbringen!