Gewalt

“Ich kann die Erde schneller drehen” Ein Chat mit der Band GEWALT

Verknappung bis aufs Äußerste. Unverfälschte, intensiveste Direktheit. Kontrollverlust. Die Band GEWALT aus Berlin plant nicht voraus. Sie pfeift auf Veröffentlichungsstrategien, auf Major Lables sowieso. Nein, GEWALT nähert sich der harten, kalten Realität der menschlichen Existenz fernab des Scheins der Wohlfühlgesellschaft mit ihren inhärenten Attributen: Mechanisch reduziert hämmern Noise-Rock-Riffs die verknappten Zeilen in jede Zelle. Ungeschönt. Stampfend. Immer knapp vor dem Zerreißen. Michael Morgenbesser hat sich für kaput dem Phänomen angenommen.

Die unter dem seelenlosen Zepter einer simplen Drum Machine App krachenden Therapie-Sitzungen folgen einzig dem Instinkt. Songs werden geschrieben, sobald sie sich selbst schreiben. Sind sie fertig, werden sie aufgenommen – mit wechselnden Mitstreitern. Veröffentlicht werden sie ausschließlich als Singles bei unabhängigen Labelbetreibern. Unlängst wurde die Single „Limiter / Verheimlichung“ bei Sounds of Subterrania angekündigt. Patrick Wagner, erst mit seiner Ex-Band Surrogat großdeutscher Importeur des Noise-Rock und dann gescheiterter Labelbesitzer, hat zusammen mit Helen Henfling und der Impulsivität von Gewalt nach fünf Jahren Pause zurück zur Gitarre gefunden. Nicht leicht, ihre unkontrollierbare Direktheit auf ein „Gespräch“ zu übersetzen…

PATRICK WAGNER: Hast du uns schon live gesehen?

Natürlich.

PATRICK WAGNER Gut. Sonst hätten wir sofort abgebrochen.

Womit wir mit dem Thema “Scheitern” direkt deckungsgleich mit GEWALT wären, richtig?

PATRICK WAGNER Scheitern ist uns wichtig. Vor allem den Raum haben zu dürfen, um zu versagen.

HELEN HENFLING Also ich bin da nicht so. Ich habe keine Lust zu scheitern. Abgesehen von der Schule damals vielleicht.

PATRICK WAGNER Wir wollen nichts kontrollieren oder mit unserer Kunst einen Effekt erzielen. Manchmal, in Momenten innerer Unsicherheit, ertappe ich mich, wie ich mir wünsche, dass das, was wir tun, relevant ist. Doch kann ich die Zeichen sehr gut lesen, dass es nie der Fall ist. Diese Erwartungslosigkeit ist der Raum. Den gibt es oder nicht.

HELEN HENFLING Ja, die Erwartungslosigkeit ist gut. Die kann ich allen anderen Bands nur empfehlen.

PATRICK WAGNER Ich kann doch nicht von jemandem, der Kettcar oder Beatsteaks hört, erwarten, dass er GEWALT mag. Ich kann eigentlich von keinem erwarten, dass er GEWALT mag. Doch an uns selbst gibt es schon eine Erwartung: Es muss uns mitnehmen und uns etwas bedeuten, wenn wir es schreiben und spielen.

HELEN HENFLING Der strenge Patrick. Ich kann mir ja schon vorstellen, dass es Leute gibt, die Beatsteaks, Kettcar UND GEWALT mögen…. Es gibt immer irre Sachen. Es ist ja so: So lange wir Lust haben, Musik zu machen und uns diese etwas bedeutet – so lange wird es GEWALT geben. In erster Linie geht es um uns. Es ist natürlich super, wenn es auch Leute gibt, die das auch noch mögen. Mittlerweile sind es mehr als wir je erwartet haben.

Patrick_Wagner_Live_Kaput

Foto: Isabel Thalhäuser

Dennoch oder genau deswegen sprechen viele, die euch live gesehen haben, von intensiven Erfahrungen. Ich habe immer das Gefühl, dass ihr, sobald ihr auf der Bühne steht, einen direkten Kanal zu eurem Inneren herstellt und dieses dann auf das Publikum wirkt.

PATRICK WAGNER Der Sound, die Wucht, die findet man ja auch und auch stärker in anderen Genres, bei anderen Bands. Mein – ich umschreibe ihn einmal mit “der Schrei” – hat nur seine Berechtigung, wenn er mit innerer Wucht gefüllt ist. In guten Momenten hört bei einem Gewaltkonzert der Einzelne seinen eigenen Schrei. Aber das kann man natürlich am wenigsten kontrollieren. Und: Wer mag das schon wirklich?

HELEN HENFLING Ich denke, dass der monotone Sound der Maschine und das Blaulicht (ebenso monoton) einen in eine Art Trance versetzen kann. Dann die Texte – das bringt einen sicherlich in eine andere Ebene. Mich persönlich meistens auch.

Geht man von Publikumsreaktionen nach euren Konzerten aus, berührt das einige. Aber klar: Ihr seid ja gewissermaßen “verletzend” – denn ihr verletzt ja den Wohlfühl-Schein, in dem wir uns befinden.

PATRICK WAGNER In erster Linie verletzen wir unseren eigenen Schein. GEWALT ist ein moderner Offenbarungseid. Das scheint an der Zeit zu liegen. Daran, wie weit wir – die Gesellschaft – sich limitiert hat. Wir trauen uns kaum noch nein zu sagen, wir trauen uns kaum noch über den Weg und unter die Augen. (Das klingt wie ein neuer Text!) Und ja, es werden immer mehr Menschen, die uns finden und darin etwas sehen.

HELEN HENFLING Da ist ein wichtiger Ansatz. Das Problem mit dem „Nein“. Ich habe das Gefühl, dass Menschen einem lieber aus dem Weg gehen, als ein einfaches „Nein“ zu sagen. Da ist zumindest meine Beobachtung. Da steckt große Angst in unserer Gesellschaft. Aber ist Angst denn etwas schlimmes? Ich denke, es wäre gesund, zu wissen, dass Angst zwar unangenehm, aber ein ganz normales Gefühl ist. Und ein halbwegs gesunder Mensch kann ein „Nein“ wirklich gut verkraften. Und ich kann mir vorstellen, dass einige Texte dem Publikum Angst macht. Das ist bei mir zumindest so. Aber da unsere Konzerte sehr dunkel sind, sieht es ja niemand.

Damit macht ihr euch ja auch selbst verletzlich.

HELEN HENFLING Oh Gott, ja!

PATRICK WAGNER Helen muss bei “So geht die Geschichte” beispielsweise immer weghören. Sie erträgt das Elend und die Angst davor nicht. Es ist ja ein Unterschied, “Testament der Aaaangst” zu singen, als “Entschuldigen Sie die Störung, hat der ein oder andere einen Groschen oder etwas zu essen für mich?” Bei “Wir sind sicher” flennen wir alle regelmäßig rum auf der Bühne. Wenn ich die Aufnahme davon höre, kann ich mir nicht im Entferntesten vorstellen, dass wir das gemacht haben sollen.

HELEN HENFLING Naja, es kommt darauf an, wie es sich auf der Bühne anfühlt. Manchmal ist es bei „Wir sind Sicher“ so eine große Wucht, da bekommt man schon ein …ich würde sagen befreiendes Gefühl, das einen wohlig kitzelt. Ich bin da nicht traurig. Also kein trauriges „flennen“. Eher ein befreiendes, wuchtiges „flennen“. Falls …

Habt ihr das Stück so roh und direkt wie bisher aufgenommen? Oder habt ihr im Prozess etwas verändert?

PATRICK WAGNER Genau wie bisher. Aber es klingt gigantisch.

HELEN HENFLING Es hat sich schon etwas verändert. Aber wir nehmen immer unterschiedlich auf. Wenn wir von den ersten zwei Songs ausgehen – „Pandora“ und „Szene einer Ehe“ – die wurden im Proberaum mit einem 4-Spur Kassettenrekorder aufgenommen und bei „Wir sind sicher“ waren wir in einem richtigen, fetten Studio. Aber wir nehmen grundsätzlich immer live auf. Sonst ist die Energie weg.

Habt ihr dafür auch schon einen Labelpartner? Vor Kurzem habt ihr ja die Single „Limiter / Verheimlichung“ bei Sounds of Subterrania angekündigt.

PATRICK WAGNER Mit Kurt [Trozas, Inhaber von Sounds of Subterrania] ist es unglaublich toll. Inspirierend trägt er unseren Funken weiter. Leute sagen, er sei verrückt. Ich glaube, alle anderen sind verrückt. Wir wollten bei ihm sein, denn er bringt Human Abfall heraus. Also habe ich ihn telepathisch manipuliert, damit er GEWALT machen will.

Ein Glück, dass Du übermenschliche Fähigkeiten hast.

PATRICK WAGNER Oh ja. Ich kann die Erde schneller drehen.

Könnt ihr bereits verraten, wovon der Song „Verheimlichung“ handelt?

PATRICK WAGNER Wenn man zusammen ist, verlernt man sich. Alle Unmöglichkeiten, Wünsche, Fähigkeiten werden jeweils versteckt, gehen verschütt, sterben.

HELEN HENFLING Ich interpretiere es nicht immer auf der partnerschaftlichen Beziehungsebene. Eher im Bezug auf alle Art von Beziehungen.

Ihr verweigert euch ja den üblichen Veröffentlichungsstrategien. Ist das aus eurer Bandgeschichte gewachsen oder war es von vornherein geplant, auf Alben zu verzichten und immer dann einen Song zu veröffentlichen, sobald er fertig ist?

PATRICK WAGNER Sonst wäre es Arbeit (… Krankheit, Tod.) Ich empfinde es aber auch als zeitgemäß. Wir haben wirklich nichts geplant. Jeder, der eine GEWALT Single rausbringen will, kann das tun. Ich habe lange gebraucht zu verstehen, dass Kontrolle nicht möglich ist und der Wunsch danach zu nichts anderem führt, als kontrolliert zu werden.

HELEN HENFLING Das war meine „Bedingung“. Ich finde das sonst so krampfig. Somit bleiben wir frisch in unserem Tun. Wenn ein Song fertig ist, nehmen wir ihn auf, wenn wir Lust und Zeit haben. Bis jetzt hatten wir Glück, dass es Menschen gab, die diese auch veröffentlichen wollten. Nichts zu müssen ist wirklich unfassbar angenehm. Und warum auch?

Ist dieser Kontrollverlust auch etwas, das live für euch stattfindet?

PATRICK WAGNER JA! aber natürlich nur unter dem strengen Grollen von DM1 [die eingesetzte Drum Machine].

HELEN HENFLING Ja, der DM1 ist ein wirklicher Kontrollfreak. Gut, dass man ihm den Saft abdrehen kann – wenn man wollte.

Wie entsteht denn dieser Kontrollverlust? Aus dem Kontext? Sobald Du in den Anzug steigst, Patrick?

PATRICK WAGNER Sagen wir es so: Die Dunkelheit und der Lärm bieten Schutz für den Eid. Es hat etwas von Method Acting. Das hatte ich lustigerweise auch bei den Sleaford Mods beobachtet.

HELEN HENFLING Wow, ich bemerke gerade, … ehrlich gesagt bin ich wie der DM1 auch ziemlich kontolliert auf der Bühne. Oder ich bin einfach nur konzentriert. Aber ich drifte auch gerne weg. Das muss ich nochmal genauer beobachten.

Helen_Henfling_Live_Kaput

Foto: Isabel Thalhäuser

Das heißt, ihr müsst erst die Rolle spielen und werdet dann zu der Rolle?

PATRICK WAGNER Ja. Aber manchmal klappt es nicht. Am Wochenende in Kaltern konnte ich „Wir sind sicher“ nicht spielen. Mir ist kein einziges Wort eingefallen. Wir sind dann einfach von der Bühne gegangen.

HELEN HENFLING Das war sehr seltsam. Aber ehrlich. Das fand ich gut.

Womit wir wieder beim Scheitern vom Anfang wären. Danke vielmals für das Gespräch!

 

Gewalt kaput in Konzert:

02.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Berlin
03.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Rostock
04.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Hamburg
05.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Düsseldorf
06.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Stuttgart
07.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, Nürnberg
08.02.18 Gewalt in Wien // Arena
10.02.18 Friends Of Gas + Gewalt, München

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