Ton Trümmer Scherben. Und Kintsugi.
Die Indie-Rock-Band Trümmer meldet sich nach fünf Jahren Pause mit neuen Songs zurück. Wieso hat das nur so lange gedauert? Ihr drittes Studioalbum „Früher war gestern“ gibt sich melancholisch, aber auch kämpferisch. Es geht um Demagogen, Nostalgie und japanische Reparaturmethoden für Keramik.
Fangen wir einfach mit dem ersten Song an, denn da geht es ja auch um das Thema Anfang. Paul Pötsch singt in „Wann wenn nicht“ über eine Welt, in der die Fakten auf dem Tisch liegen und es trotzdem nicht vorangeht. Aber das lyrische Ich resigniert nicht, denn wenig später heißt es: „Die alte Welt ist abgebrannt, die neue liegt in unserer Hand. Nichts muss so bleiben, wie es ist“. Hier kann man viel Solidarität mit und Sympathie für Fridays For Future rauslesen. The kids are alright!
Es folgt „Aus Prinzip gegen das Prinzip“. Ein mitreißender Song, der eher melancholisch beginnt, dann aber betont: „Es wird nichts geschehen, wenn wir nicht aufstehen“. Ein Satz, der auch an eine frühe Songzeile der Ton Steine Scherben denken lässt: „Alles verändert sich, wenn Du Dich veränderst“. Klar, das ist verkürzt und nicht kompliziert, aber eine griffige Erinnerung daran, dass der Lauf der Dinge eben auch an uns selbst liegt. Und wenn man will, kann man „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ auch als Absage an Pseudowissenschaften wie Astrologie begreifen, nach denen das menschliche Schicksal nur von irgendwelchen Sternen abhängt.
Casper zitierte die Band schon einmal, die wiederum zitiert jetzt DAF. Trümmer verneigen sich vor deren hedonistischer Hymne „Verschwende Deine Jugend“ und leiten daraus die Zauberformel „Verwende Deine Jugend“ ab. Die findet man im Refrain von „Aus Prinzip gegen das Prinzip“.
Schon vor eineinhalb Jahren hat das Quartett begonnen, wieder neue Musik zu schreiben. Paul Pötsch spielte zuvor mit Lea Connert und Erobique alte DDR-Songs neu ein, die im Mauerstaat gerade so der Zensur entgingen. Außerdem spielt er Gitarre in der Band von der Musikerin Ilgen-Nur, deren Texte ein wichtiger Input für Pötsch wurden. Auch die anderen Bandmitglieder waren und sind gut beschäftigt, Gitarrist Helge Hasselberg zum Beispiel als Teil der Band Heartbeast. Außerdem produzierte er zwei Alben der Leoniden. Dann kümmerte er sich um die Aufnahmen von „Früher war gestern“.
Vielleicht sind deshalb viele Songs feinfühliger und noch melodischer geworden als die des Vorgängers „Interzone“ (2016), der die Vernunft der Unvernunft suchte. Die Gitarren in „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ erinnern an die Harmonien aus „Impossible“, dem Hit der schwedischen Band Shout Out Louds. Und dann werden Trümmer wieder rougher, Sonic Youth lassen kurz grüßen. Trümmer klingen mitunter nach amerikanisch geprägter Rockmusik, zollen aber auch Bands wie Fontaines D.C. Respekt. Unter anderem im rumpelnden Protestsong „Draußen vor der Tür“: Das ist ein eher puristisches Gitarrenstück, in dem Pötsch entschieden gegen Hetzer auf den Marktplätzen ansingt, die von Grenzen und Vaterland träumen und Lügen verkaufen wollen. Der Bezug zur Gegenwart ist eindeutig.
„Draußen vor der Tür“ ist aber gleichzeitig auch eine gelungene Hommage an das gleichnamige Drama des früh verstorbenen Dichters Wolfgang Borchert, der von den Nazis erst in ein Militärgefängnis gesteckt und anschließend zur Ostfront geschickt wurde. Borchert kehrte in die „Trümmer Hamburgs zurück“ (alter Rowohlt-Klappentext), 1947 starb er. Dieses Jahr wäre der Autor 100 Jahre alt geworden. Sein einziges Drama setzte ein Zeichen gegen Krieg und prangerte die Verdrängung der Nazizeit an.
Auch wenn einen nun nicht jeder der elf Songs umhaut, legen Trümmer nun ihr bis dato reifstes Album vor. Während manche Liedzeilen des Vorgängers fast schon ein bisschen albern wirkten, entwickelt Pötsch auf „Früher war gestern“ eine poetische und sensible Sprache weiter. Und wenn sich Melancholie und Sehnsucht breitmachen, dann in besonnener Form. Auch das ist einer der Verdienste dieser Platte. Schwer zu glauben, dass ihm der nostalgische Text zur aktuellen Single „Weißt du noch?“ einfach so zugeflogen sein soll.
Ein weiteres Highlight: Das musikalisch ambitionierte Finale „Wie spazieren geht“. Da wird man das Gefühl nicht los, dass Pötsch für manche Passagen von Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“ inspiriert sein könnte. Und dann scheinen ja sogar die Titel miteinander zu kommunizieren: Während „Scherben“ von bösen Erinnerungen und drohendem Nihilismus berichtet, fügen Trümmer die Scherben im punkig angehauchten „Kintsugi“ wieder zusammen. Pötsch verrät uns hier ein Geheimnis. Das ist entertaining wie Bernd Begemann live, der Sound so wunderbar roh wie die Gitarren der Libertines. Dabei ist Kintsugi eine traditionelle, japanische Reparaturmethode für Keramik und Porzellan. Zerbrochene Tassen oder Teller kriegt man so etwa wieder ganz. Ton Trümmer Scherben. Und jetzt Kintsugi. Wie schön, dass nun auch Trümmer wieder vereint sind.