Interview mit Anne Otto von 
Von Luft

Anne Otto: “Mich beschäftigt, wie unterschiedlich die Wirklichkeiten sind, in denen man lebt und sich bewegt”

Von Luft

Von Luft, die Hamburger Band um Anne Otto und Jochen Schmadtke, hat vor gut anderthalb Jahren ihr rundherum herrliches Debütlbum „Wo die Flamingos stehen“ veröffentlicht: Mit leichter Hand, luftig sozusagen, verbinden Von Luft Americana, Folk und Indiepop mit deutschen Texten. Das klingt irgendwie vertraut und doch ohne direkte Vorbilder, die man sonst fast automatisch runterrattert. Allerdings sind Anne Otto und Jochen Schmadtke keine Neulinge im Pop: Als Helikon veröffentlichten sie zwischen 2001 und 2014 mehrere Alben, unter anderem bei Traumton.

Für Von Luft holten sie Schlagzeuger Christian Hake (Kettcar), Bassist Simon Fröhlich und Gitarrist Marcus Schneider (Kid Kopphausen, Gloria) dazu – die Fünferbesetzung tut den Songs gut, ohne sie zu überladen, denn die Lyrics sind mindestens genauso wichtig wie die Musik: Von lakonischen Alltagsbeobachtungen bis zu romantischen Roadtrip-Phantasien passt so einiges in die Songs, die niemals in gefühligen Deutsch-Grusel-Pop abdriften. Der sensible Umgang mit Sprache gehört für Anne Otto sozusagen zum Geschäft: Seit vielen Jahren schreibt die Diplom-Psychologin für unter anderen den Spiegel und Psychologie Heute, kürzlich erschien ihr wichtiges Buch „Woher kommt der Hass?“.

Christina Mohr sprach für kaput mit Anne Otto über das Musikmachen als Paar und vieles andere mehr:

VON LUFT (Photo: Alex Kiausch)

Wie kommt euer Name zustande? Was ist “von Luft”?
Wir wollten einen Namen, der fragmentarisch ist und den man eigentlich wie den Teil eines Satzes lesen kann. „Von Luft“ könnte man als einen Teil der Phrase „Von Luft und Liebe“ sehen, wobei auch die ist offen und hat Fragezeichen mit drin: Kann und will man von Luft und Liebe leben? Was soll so eine Romantisierung?
Andererseits deutet „Von Luft“ für uns aber auch auf etwas hin, das uns umgibt und prägt, aber nicht sichtbar ist, so nach der Art – guck da hin, wo die Luft ist, guck da hin, wo du es nicht siehst, es dich aber einhült. Von Talking Heads gibt es ein Stück, in dem es heißt „Some people never had experience with air“, das mögen wir auch beide.

Von Luft ist eine fünfköpfige Band – aber mit dir und deinem Mann im Zentrum. Wie ist es, als Paar auch kreativ zusammen zu arbeiten?
Mal so, mal so. Schön ist es , sich zu Hause im Küchentisch über Ideen auszutauschen oder sich was vorzuspielen. Es ist oft so, einer schreibt einen Song in seinem Zimmer, stellt ihn vor, der andere kritisiert das oder, was auch vorkommt, ist begeistert. Dann spielen wir die Sachen zusammen ein, entwickeln das weiter, machen Demos. Es ist Zeitvertreib, Dialog, Anspruch, Weiterentwicklung, Gefühl. Andererseits gibt es aber auch typische Zankpunkte, richtig albernes Zeug, das wir nur beim Musikmachen haben – zum Beispiel welches Tempo ein Song braucht. Ich sag oft schneller, Jochen will eher, dass sich das entwickelt und man ein Tempo findet.
Als Paar Songs, die man entwickelt hat, vorzustellen und zu veröffentlichen, finde ich manchmal schwer. Also die meisten Songs auf „Wo die Flamingos stehen“ handeln nicht von uns, sondern von Schwierigkeiten mit anderen Leuten, von ausgedachten Episoden, von privaten Erfahrungen von jedem von uns. Aber es gibt Passagen zum Beispiel wie man sich auf einer Party fühlt, wo einer richtig in seinem Element ist, und der andere sich wahnsinnig unwohl fühlt, wie in dem Song „Kein besserer Ort“, das sind eben doch Dinge, die wir so auch erleben. Will man, dass andere das von einem wissen? Nicht zwingend.

Ihr habt einen Sohn – wie findet er die musikalischen Aktivitäten seiner Eltern? Gibt es Cringe-Momente für ihn, oder findet er alles cool?
Er ist vierzehn, findet uns abgrundtief peinlich, ist Fan von Deutsch-Rap und AC/DC und sagt mir immer mal, „Mama, du musst übers Ghetto singen nicht über Delfine, die ins Meer tauchen. Das wäre interessanter. Und dann rollt auch der Rubel.“ Also, ein begeisterter Fan von uns ist er nicht.

Wie bist du zur Musik gekommen? Was war vor Von Luft?
Ich mache schon immer Musik und da ich aus Hagen komme, wo in den Achtziger Jahren jeder Musik gemacht hat, NDW irgendwie groß gewesen ist, war es auch nicht ungewöhnlich, irgendwann von Klassik und Orchester auf Bands und Bass und selbst singen zu wechseln. Alle haben in Bands gespielt. Alle kannten sich aus mit Popmusik, Glam, Punkrock, Grunge, Rock. Ich habe dann ja Psychologie studiert, in meiner Studienzeit immer ein oder zwei Bandprojekte gehabt. Als ich nach Hamburg kam, kamen da eine Band, die Puls hieß, sie war Hamburger Schule artig, später hatten Jochen und ich zusammen, sehr lange, die Band Helikon, die Alben bei XXS-Records und bei Traumton, einem Jazzlabel in Berlin, gemacht hat. Der Schwenk auf deutsche Texte war sehr wichtig. Mit etwas anderem würde ich mich heute nicht mehr wohl fühlen.

Wie habt ihr als Band zusammen gefunden?
Die drei Leute, mit denen wir Musik machen, sind Freunde, man kann schon sagen, wir haben uns in Bars, beim Feiern, in früheren Musikprojekten kennengelernt und finden seit Jahren immer wieder zusammen und machen ein paar Wochen oder auch nur Tage zusammen Musik. Wir alle kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Christian Hake, der bei uns Schlagzeug spielt, ist bei Kettcar, Marcus Schneider ist Gitarrist und Multiinstrumentalist, spielt mit Gisbert oder Jochen Distelmeyer, hat seine eigene Band „Null Millimeter“, Simon, der Bassist, schreibt irre viele Songs, eher auf englisch und produziert sie. Wir alle lieben Songs, wohl alle haben einen Faible für Beatles und Kinks, Sixties Sounds, West Coast, Americana – und für deutsche Texte. In diesem Interesse finden wir zusammen. Bis jetzt. Aber es ist ein Prozess, es gibt keine Garantien. Neue Songs spielen Jochen und ich den anderen vor, die das dann gut finden oder manchmal auch nicht. Die Songs, die alle gute finden, werden gemacht. Zwei Songs von Simon sind auf dem aktuellen Album, „Mein Sekretär“ und „Du und ich“. Ich denke, dass eine Band, die aus einem Paar besteht, auch eher enge und familiäre Verbindungen unter den Musikern entstehen lässt.

Euer Album “Wo die Flamingos stehen” ist seit anderthalb Jahren draußen – fühlt ihr euch von der Corona-Zeit “betrogen”? (um Auftrittsmöglichkeiten, etc.pp) – oder schaut ihr optimistisch nach vorn?
Betrogen von Corona? Nein. Das wird bald Geschichte sein. Betrogen fühle ich mich – ich springe jetzt gerade auf das Wort an – von Diensten wie Spotify: Musik als Playlist, als Träger seichter Emotionen, Alben werden auseinander gerissen, die Beliebtheit und Klickzahlen gruppieren die Songs neu, das finde ich lahm und betrügerisch. Für diese Strukturen aufmerksam zu bleiben, ist mir wichtiger, auch als Autorin und Journalistin, als mich jetzt über eine Pandemie zu beklagen, die ich versuche, als eine Naturkatastrophe zu sehen.

Wer sind deine/eure musikalische Vorbilder? Das Albumcover von “Flamingos” weckt Americana-Assoziationen – habt ihr ein Faible dafür?
Ja. Americana. West Coast. Folk. Ich liebe aber auch NDW und alles, was man mal Hamburger Schule nannte. Und die Idee von Punk, dass man einfach alles machen kann, was man will, ist mir auch wichtig – auch wenn die Musik, die rauskommt, immer folkig klingt. Für mich selbst sind natürlich auch weibliche Acts wichtig: Blondie, Joni Mitchell, Joan as Policewoman, St. Etienne. Ansonsten würde ich immer sagen, ich nehme mir nicht Künstler, sondern Songs zum Vorbild. Ein perfekter Song ist für mich zum Beispiel „Alameda“ von Elliott Smith, oder „I need a little time“ von Courtney Barnett. Ich höre Songs, die mich packen, manchmal 20-Mal hintereinander, bis ich sie verstanden für mich habe, sehr zum Leidwesen unserer Nachbarn.

“Unten am Fluss” kann man als Hommage an Hamburg verstehen – welche Rolle spielen die Stadt und die dortige Musikszene für euch? Seid ihr mit anderen Bands und Künstler:innen vernetzt?
Ich habe heute das Stück “Los Angeles” der Band „Haim“ gehört, soweit ich es verstanden habe, ist es auch eine Hommage an ihre Stadt, sie spielt zwar mit dem Gedanken, woanders hinzugehen, aber LA war gut zu ihr, ist zu Hause. Für mich ist Hamburg auch so eine Stadt, die immer gut zu mir war und jetzt zu Hause ist. Es ist gerade richtig groß, wenn auch etwas verkrustet, man lebt im Schatten musikalisch glanzvollerer Zeit und einer immensen Gentrifizierung.
Zu dem Song „Unten am Fluss“ – ich glaube, dass Jochen, der diesen Song geschrieben hat, es einfach liebt, an Flüssen zu sitzen, auch am Rhein, wo er als Jugendlicher seine Vormittage verbrachte, statt in der Schule. Es geht hier nicht nur um die Elbe, es geht um verschiedene Flüsse, die dann zusammenmontiert wurden. Von Jochen soll ich aussrichten: Ihm geht es ganz klassisch um den Fluss als Sehnsuchtsort.

Du bist ja auch Journalistin, Buchautorin, Psychologin und Mutter – gibt es für dich eine Trennung zwischen “normalem Leben” und Pop? Ist es manchmal schwierig zu erklären, was du “sonst” so machst?
Wie Dich vielleicht auch Christina, beschäftigt mich das immer wieder sehr, wie unterschiedlich die Wirklichkeiten sind, in denen man lebt und sich bewegt. Für mich gehört das alles zusammen, mir ist mein Schreiben und meine Arbeit Psychologin und Journalistin wichtig, aber die Musik eben genauso. Aber gerade, weil ich auch in Kontexten arbeite oder auch auf Spielplätzen oder auf Schulfesten unterwegs war, wo vielen Menschen Pop und Popmusik ganz und gar unwichtig sind, spüre ich doch auch manchmal, wie abgetrennt die Welten voneinander sind. Arbeitskolleginnen, Auftraggeberinnen, Psychologen, Väter und Mütter aus dem Umfeld finden meist erst mal pauschal toll, dass man Musik macht, es hat einen ganz hohen Stellenwert, aber es gibt keinerlei Referenzsystem, um sich drüber zu unterhalten. Man kennt nicht dieselben Künstler, geht nicht in die gleichen Bars oder auf Konzerte etc. Ich hab allerdings bei meiner Arbeit als Journalistin und auf einem Elternabend auch einige Leute kennengelernt, die so voll Pop sind, die so exzessiv auf Konzerte gieren, die Nerds sind, sich hundertmal besser auskennen als ich. Man erkennt dann: ja wir haben uns was zu sagen. Da gibt es schöne Momente.

Wie ist das „Flamingo“-Video entstanden?
Der Macher des Videos, Johannes Matern, ist ein Künstler/Filmemacher und liebt es, mit einfachen Mitteln Musikvideos für Freunde zu machen. Er betreibt z.B. zusammen mit unserem Bassisten, Simon Fröhlich, das Projekt „BroncoSingers“, Jedes Jahr zu Weihnachten machen Johannes, Simon und Johannes Sohn Bronco zusammen einen Weihnachtssong und ein Video. Ich liebe diese sehr persönlichen und doch auch musikalischen Kurzfilme. Das Flamingo-Video wurde auf einem Parkplatz in Altona in einer Stunde gedreht, im Juni, als mal kein Lockdown war. Die Ape ist daran natürlich die Hauptidee. Ansonsten sitzt Simon neben mir und Jochen auf der Ladefläche. Schön war, dass alle möglichen Leute, die in einem Wohnprojekt gegenüber wohnen, rauskamen und wir mit denen noch auf Abstand ein Schwätzchen gehalten haben… Sie waren alle froh, dass „irgendwas passiert“. Die„Flamingo-Lofts“, das Gebäude, das man am Ende des Videos sieht, sind reiner Zufall. (Das ist glaube ich ein ziemlich scheußliches, gentrifiziertes Bauprojekt.)

Wie sehen eure Pläne aus – Corona hin oder her?
Wir haben Lieder für eine EP geschrieben, die wir bald veröffentlichen werden, wahrscheinlich wieder bei Kerstin und Sandra Grether von Bohemian Strawberry, die mit ihrer unermüdlichen Begeisterung für alles, was mit Pop zu tun hat, für unsere Arbeit wichtig sind. Die neuen Songs handeln nicht von Corona oder vom Lockdown. Aber die Stimmung, und sicherlich auch unser Alter, haben dazu beigetragen, dass es oft um Unsicherheit und Verluste geht, um Typen, die einen in Beziehungen übersehen und um einen Moment, wo man im Museum seht und einfach so Weinen muss. Im Grunde das Gegenteil von „Flamingos“. Da freue ich mich drauf.

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