Ein Interview mit Blonde Redhead in Köln, das als Traum in Blau endete.

Blonde Redhead: So ganz anders, irgendwie.

Kazu Makino, Blonde Redhead, at Gebäude 9, Köln


Ein alter Freund hat mir mal erzählt, dass R.E.M.-Sänger Michael Stipe gar nicht immer so melancholisch sei wie seine Songs, sondern eigentlich ein Spaßvogel und Alleinunterhalter. Bei Kazu Makino, die wir zum Interview treffen sollten, passt ihr Auftreten allerdings ziemlich gut zur Musik. Kazu ist Sängerin, Keyboarderin und Bassistin von Blonde Redhead, die seit Jahresende 2023 ihr neues Album „Sit down for dinner“ (section1/PIAS) weltweit mit Konzerten promoten. Eines von dreien in Deutschland fand im Gebäude 9 in Köln statt.

Als wir den im Innenhof geparkten Nightliner betreten, hören wir schon das typische, aufgeregte Gebell eines kleinen Hundes. Hinten angekommen, sehen wir ihn dann – auf dem Schoß unserer Interviewpartnerin. Sie mag uns nicht (also die Hündin). Wir erfahren, dass sie mit 19 Jahren unglaublich alt ist. Ehrlich gesagt habe ich noch nie von einem so alten Hund gehört. Er ist laut Aussage seiner Besitzerin ein wenig kaputt von der Tour. Die Besitzerin selbst wirkt allerdings auch nicht gerade wie das blühende Leben. Gedanken über die großen Anstrengungen von Touren gehen mir durch den Kopf. Die Klimaanlage heizt erbarmungslos auf Hochtouren, so dass sich auch unter uns Neuankömmlingen sofort neblige Schlaftrunkenheit breitmacht. Die Unterhaltung kommt etwas schwer in Schwung. Das hatten wir eigentlich nicht anders erwartet, da die Band jetzt nicht gerade als PR-Monster gilt. Zu ruhig und schüchtern geht es da zu – eigentlich sehr schön in diesen hektischen Zeiten, ihr wisst schon. Die japanischen Umgangsformen (Kazu kam in den 1990ern von Kyoto nach New York) bringen gleich zu Anfang einen schönen Moment hervor: Als ich nämlich sage, dass ich großer Fan der Band sei, kommt ein aufrichtig gerührtes „Oh, thank you very much …“. Au Mann, ich wünschte all diese blöden Rocktypen wären so höflich.

Was dann kommt, ist die langsame Entfaltung einer ungewöhnlichen Frau, die Teil einer ungewöhnlichen Band ist. Man merkt – neben der Erkenntnis, dass es sich hier offensichtlich nicht um eine Plaudertasche – schnell, dass man hier mit üblichen Kategorien nur schwer weiterkommt. Unser Einstieg mit der – zugegebenermaßen – nicht so originellen Feststellung, dass die neue Platte die entspannteste Platte im Kanon von Blonde Redhead sei, findet folgerichtig erstmal nicht so richtig Anschluss: Sie habe Blonde Redhead „ … nie als unentspannt gesehen“. Sie sei höchstens persönlich „entspannter geworden, was Musik machen generell betrifft“.

 

Wenn ich mir Mühe gebe, dann interpretiere ich das, was sie anschließend sagt derart, dass es normalerweise ein Kraftakt sei, die Songs, die im Zuge eines bestimmten Albums aufs Tablett kommen, einem kompletten Stresstest zu unterziehen. Da wird gehobelt und gefeilt und beschnitten und ausgedehnt, was das Zeug hält. Die Songs werden umfassend auf Herz und Nieren überprüft, quasi als Beweis für ihr Lebensfähigkeit. Und dieses Treten gegen die Songs scheint bei „Sit down for dinner“ einfach ein wenig milder ausgefallen zu sein. Man muss dazu sagen, dass in dieser Band alle Ideen einbringen beziehungsweise ganze Songs schreiben (auch Drummer Simone Pace) und sowohl Kazu als auch Gitarrist Amedeo Pace (Zwillingsbruder von Simone) ihre Songs singen. Das hört sich erst einmal nach basisdemokratischem Kreativ-Hub an, ist aber im Alltag des Album-Produzierens – hält man sich die speziellen Persönlichkeiten der Bandmitglieder jeweils vor Augen – sicher nicht ganz so einfach wie es in der Theorie klingt. Das kritische Kolleg:innen-Ich scheint wichtig und wird wohl auch gepflegt: „Ganz selten kommt es vor, dass ich zum Beispiel zu Amedeo sage: Hey, das hört sich irgendwie an wie Band XY, das ist nicht authentisch genug. Und Authentizität ist aus meiner Sicht extrem wichtig heutzutage.“ Eine Praxis, die zu fruchten scheint, hören sich Blonde Redhead doch wirklich an wie keine zweite Band auf diesem Planeten. Vielleicht auch, weil die letzten neun Jahre kein Label Druck machte oder sich überhaupt für die Band interessierte: „Wir konnten einfach unser Ding machen“.

Simone Pace & Amedeo Pace

Der hohe Grad des Involviertseins in Themen wie Produktion und Sound wird deutlich, als wir das Thema Hebra Kadry anschneiden – eine bekannte Brooklyner Mastering-Expertin ägyptischen Ursprungs. Sie arbeitete unter anderen für Musiker:innen wie Björk, Slowdive, Ryūichi Sakamoto oder Mars Volta. Begeistert erzählt Kazu von den Vorzügen hervorragenden Masterings und warum das so wichtig ist: „Da geht es darum, dass sich dein Song, wenn er im Radio zum Beispiel nach Interpol gespielt wird, lauter und besser anhört“ (wir alle grinsen und sind der Meinung , dass das schon irgendwie wichtig wäre …).
Der Austausch mit Anderen über Musik ist so wichtig, dass Kazu nach kurzem Überlegen feststellt: „Wenn ich genau überlege, habe ich eigentlich keine Freunde, die nicht selbst Musiker sind.“ Darunter sind und waren auch prominente Zeitgenossen, wie der 2023 verstorbene Ryūichi Sakamoto. Im Moment, als sie dies erzählt, entsteht eine kurze andächtige Stille, in der sie schwer schlucken muss.

Wie meistens war jeder der drei auch beim letzten Album für seine eigenen Songs verantwortlich. Kazu startet laut eigener Aussage immer mit vagen Ideen, gespielt auf ihrem „ … albernen, kleinen Keyboard“. Daraus wird dann eine grobe Demo-Version. Meistens kommt dann erst der Text: „Wenn die Musik da ist, dann steckt da schon jede Menge drin. Dann weckt sie eine bestimmte Art von Gefühl in mir. Dieses Gefühl versuche ich dann, in Texte umzusetzen. Manchmal hört sich die Musik an wie eine Unterhaltung, die zwei Menschen führen. Dann versuche ich, mir diese Unterhaltung vorzustellen und sie aufzuschreiben. Oder ich stelle mir einen Brief vor, den ich an jemanden richte. Für mich trägt Musik immer schon eine Geschichte in sich. Ich muss nicht lange darüber nachdenken, wovon das Stück handeln sollte.“

Darüber hinaus entstehen automatische, nicht geplante Interaktionen zwischen vorhandener Musik und Inhalten, mit denen sich Kazu Makino gerade beschäftigt – wie zum Beispiel jüngst die Literatur von Joan Didion: „Ich denke aber nie darüber nach, dass ich das jetzt so oder so einfließen lassen sollte, ich mache es einfach.“ Das scheint plausibel, wenn man sich die poetischen, aber doch vagen und eher atmosphärischen Texte anhört. Man kann sich irgendwie nicht vorstellen, dass man es hier mit einem programmatischen Ansatz zu tun haben könnte, nach dem Motto: Hey, Free your mind and you ass will follow – geiler Satz, oder? Lass mal Mucke dazu schreiben! Wobei – Sit down for dinner – was ich meinen Töchtern auch immer sage – ist ja auch fast schon Slogan-mäßig. Ok, einigen wir uns so: Bei Blonde Redhead kommt alles aus der Musik heraus, es geht zunächst um das Gefühl für die Stimmung. Alles ist möglicherweise weniger konzeptionell, als es wirkt. Das führt zu der seltsamen Unaufdringlichkeit, die diese Musik besitzt. Sie sagt nie: Hey, hör’ ma – geil, oder? Sie lebt immer für sich selbst, mit dem Mythos, dass sie aus freien Stücken entdeckt werden will; dass sie sich niemals aufdrängen wollen würde.

Es war wohl so, dass es bei „Sit down for dinner“ etwas einfacher war, sich darüber zu verständigen, wie viel an Zutaten von diesem oder jenem der eigene Song wohl braucht: „Ich hatte im Vorfeld das gute Gefühl, dass wir dieses Mal nicht so viel kämpfen werden. Normalerweise tun wir das ziemlich viel.“ Generell hat man das Gefühl, dass die drei durchaus feste Bande untereinander haben, die im Alltag aber selten verhandelt werden: „Wir machen privat wenig miteinander. Jeder hat unterschiedliche Lebensentwürfe. Simone hat Kinder und lebt auf dem Land, Amedeo lebt in einer Beziehung in New York.“ Das Gefühl kommt auf, dass die Band und ihre Songs der Kanal ist, über den über Entfernungen hinweg trotzdem Intimität entsteht. Man spürt, dass die eine oder andere Botschaft auch an ein Bandmitglied gerichtet sein könnte – oder eine in Poesie gekleidete Selbstanalyse.

 

Ist die Band geneinsam unterwegs, übernimmt die Musik. Dann werden die drei zu einer gemeinsamen Vision ihrer selbst zusammengeschweißt: „Wir sind dann wie eine Maschine – und an jedem Tag, an dem du nicht spielt, fühlst du dich desorientiert.“ Von dieser Maschine werden wir dann anschließend Zeugen. Wie drei Motoren treiben die eleganten, weiß gekleideten Menschen diese außergewöhnlich musikalische und tighte Formation voran. Kazu erscheint wie ausgewechselt auf der Bühne. Im silbernen Kleid, blau angestrahlt, auf den Bass einhämmernd, scheint die Energie zurück zu sein – vergessen ist die müde Frau, die vorhin nur noch durch die Hektik ihres Schoßhündchens wach gehalten worden schien. Und das hat meinem Gefühl nach nichts mit dem Showbiz-Klischee der kleinen Wachmacher zu tun, die man sich vor dem Auftritt halt routinemäßig reinzieht. Das hat eher etwas mit Konzentration zu tun, mit einer sehr professionellen Art, die Dinge anzugehen.

Die Songs sind komplex, sehr gut durchdacht und durchstrukturiert. Beim Live-Spielen erfordert das von allen Dreien absolute Präsenz. Die Musik wirkt ja oft verträumt und eskapistisch – seit „23“ erhielt sie ja auch das Label „Dreampop“ – meinem Eindruck nach ist diese Atmosphäre eine Folge harter fokussierter Arbeit. Die Dichte, der Wall-of-Sound resultiert aus jeder enge Overdubs, die beherrscht werden müssen. Drummer Simone Pace triggert Sequenzer, sein Bruder Amedeo flitzt routiniert über das reich bestückte Pedalboard. Seine Gitarre ist nur selten noch als solche wahrnehmbar – im Sinne von einzelnen Saiten, die man schwingen hört. Seine Töne stehen und hallen so lange nach, bis ein neuer Part im Song einen Wechsel nötig macht. Die Musik wirkt nicht, als wäre sie nur von drei Leuten gemacht – und das ist der Grund, warum sie harte Arbeit sein muss. Trotzdem groovt alles, trotz der immensen Soundfülle setzt sich als Fundament immer ein schöner Basslauf durch – sei es von Bass oder Gitarre oder vom Sequenzer. Improvisation findet durchaus statt, nicht alles hört sich an wie auf Platte, aber eben immer im Rahmen dessen, wohin die Technik bereit ist, mitzugehen.

Wir tauchen ein in einen langen Traum aus Blau (Licht), Silber (Deko) und Weiß (Klamotten), aus dem wir für eineinhalb Stunden nicht mehr aufwachen wollen. Das Publikum wirkt angenehm – erstaunlich viele junge Frauen (Affinität für Dreampop?), die weißen alten Männer sind natürlich alle sehr kultivierte und nette weiße alte Männer – so wie wir :-). Jaja, mich ziehen Crowds manchmal wirklich runter, ich geb’s zu. Aber so viel schau ich gar nicht nach dem Publikum, ich bin fasziniert von Amedeo Paces Soundlandschaften, von seiner Virtuosität, die ganz anders ist als die des üblichen virtuosen Gitarristen. Fasziniert vom vertrackten Spiel eines echten Meisters am Schlagzeug (die Jungs haben das wohl studiert …) – und natürlich von einer Frontfrau, die kurz zuvor noch gar nicht wie eine Frontfrau wirkte. Ihre elfenhafte Stimme, die alles zusammenhält – so lange bis sie Zeichen gibt, dass nichts mehr geht und die Stimmbänder Pause brauchen.

Am Ende gehen wir glücklich nach Hause, und auch wenn es im Interview nicht immer gesprudelt hat, denke ich mir: Genau so muss jemand sein, der so schöne Musik macht. Irgendwie wär’s komisch, wenn die Personen dahinter nicht auch ganz anders wären. Kazu hatte uns noch nach dem Interview aufgefordert, doch einfach später Backstage zu kommen, um dann weiter zu quatschen. Haben wir dann tatsächlich nicht gemacht, weil es so einfach perfekt war. Und weil wir ehrlich gesagt das Gefühl hatten: Nach DER Show hast du echt Ruhe verdient.

Text: Markus Koch
Interview: Markus Koch / Thomas Venker
Photo: Thomas Venker

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