Bonzaii – Die Ruhe vor dem ‘cosmic horror’
Es ist kalt und dunkel, und das obwohl gestern Frühlingsanfang war. Unter mir höre ich die S-Bahn auf den Schienen quietschen. Dann fährt sie auf eine Stahlbrücke und aus dem Quietschen wird ein arhythmisches Poltern, ein Dröhnen und die Klänge vermischen sich mit der Musik von Bonzaii, dem Drone-Ambient-Künstler, den ich gleich treffen werde. Nach der Bahn fahre ich in einem Bus, der mir nicht nur für Corona-Zeiten zu voll vorkommt. Im Track, der jetzt läuft, höre ich ein repetitives Sirren, etwas höher als in den anderen Tracks, aber eigentlich ganz cool. Als ich nachschauen will, wie der Track heißt sehe ich, dass ich gar keine Musik mehr läuft, das Sirren gehörte zum Bus.
Bonzaii heißt mit bürgerlichem Namen Benito und ist Schlagzeuger bei Der Ringer. Außerdem drummt er in der Band von Ilgen-Nur; für das Frühjahr 2020 stand die ersten USA-Shows mit ihr an, die jedoch Corona zum Opfer fiel, genauso wie der Festivalsommer. Statt hinter einem Drumset beim SXSW-Festival in Austin, Texas, saß Benito so zu Hause und kramte die Demos raus, die er zwei Jahre zuvor, während einer Nachtbusfahrt nach Paris, gebastelt hatte. Er fängt an, weiter daran zu arbeiten, hört sich durch alte Samples und Field-Recordings und schichtet sie zu den Tracks, die nun unter dem Titel „Death in the Cities“ beim britischen Decaying Spheres Label erschienen sind.
Benito, woher nimmst du dein Klangmaterial?
Die Sounds basieren auf Field Recordings und aus Session-Material, das ich mit Bands aufgenommen habe. Ich habe mir Vocals und anderes Zeug runtergezogen und damit dann im Sampler von Ableton solange rumgespielt, bis ich einen guten Klang hatte. Einige Sachen hab ich auch von ISOLATE/CREATE. Da haben Bands wie Chelsea Wolfe und Deafheaven im ersten Lockdown Sessions von sich hochgeladen. Die Foundation sind aber Vocal Samples, selbst die Bässe sind meistens Vocal Samples.”
Warum arbeitest du mit Samples ?
Samples sind für mich der schnellste Weg, einen persönlichen Sound zu erschaffen. Was ich unterwegs aufgenommen habe, gehört nur mir. Wie ein Tagebuch. Den Sound hat also in der Form niemand anders. Da geht es auch um Originalität. Ich muss mir jedenfalls keine Sorgen machen, das falsche Preset zu verwenden oder eins, das kurz darauf jeder benutzt.
Aber was ist genau daran schnell? Die Suche nach dem richtigen Sample kann ja auch dauern.
Ich bin kein Equipment-Nerd, ich will nicht stundenlang an irgendwelchen Knöpfen von Synthie-Plugins drehen, bis ich den perfekten LFO (Low Frequency Oscillator) gefunden habe. Ich will auch nicht wissen müssen, welches Plugin und welches Preset gerade der Hot Shit sind. Es ist der schnellere Weg zu einem eigenen Klang – falls es sowas gibt. The Field hat mal erzählt, dass bei seinem ersten Album ein Track total verzerrt beim Rendern rauskam. Aber ihm gefiel der Klang. Er arbeitet gern schnell und mag eine gewisse Punk-Attitüde. Das wollte ich auch. Ich werde keinen supergeilen HiFi-Sound hinkriegen, aber das für mich mit dem Projekt auch nicht das Ziel. Ich wollte einen Sound haben, der mich genug inspiriert hat an dem Projekt dranzubleiben.
Was bringt dir die Schnelligkeit? Es ist ja nicht so, dass du letztes Jahr keine Zeit gehabt hättest.
Ich wollte das Denken ausschalten und mich in einen anderen Modus begeben. Deshalb sind da auch keine Drums. So musste ich als Drummer nicht über den Beat nachdenken, sondern konnte mehr aus der Emotion heraus basteln. Der ganze Sound ist auch irgendwie shoegazy, was ja von der Herangehensweise eigentlich punkig und laut ist, nur eben mit ganz viel Reverb.
Die Schnelligkeit als direkteren Weg zur Emotion. Die Fortsetzung des Punks mit anderen Mitteln. Als ästhetisches Programm klingt diese Herangehensweise fast altmodisch. Ohne den Punk Aspekt zu überinterpretieren, kann man ihn doch in der Geradlinigkeit der Tracks finden. Sie sind lang, ohne zu viele verschiedene Parts. Ist ein guter Sound einmal gefunden, zieht er sich durch einen Track. Wie die Melodie in “Liturgy“, dem zweiten Track der EP. Sie schwebt dahin, schön und beruhigend. Erst nach gut zwei Minuten bemerkt das Ohr den tiefen Drone, der sich langsam nach vorne schiebt und die Melodie in einem minutenlangen Überholmanöver in der Hintergrund drängt. Die unheilvolle Tiefe frisst sich anschließend in die mittleren und hohen Frequenzen und entlässt den Hörer aus “Liturgy” mit einem düsteren Gefühl.
Woher kommt die Grundstimmung deiner Musik?
Ich hab letztens ein sehr schönes Feedback auf Bandcamp bekommen von einer Hörerin, die sagte, es sei ‘music for the end times’. Das gefiel mir so gut, dass ich es direkt in meine Bio übernommen habe. Es gibt einen Begriff von ‘cosmic horror’, mit dem etwa der Planet in Solaris beschrieben wurde. Oder die letzte halbe Stunde vom Film „Annihilation“. Es beschreibt das Gefühl, wenn du in den Sternenhimmel schaust und merkst, dass du sehr klein bist. Wenn du dich damit beschäftigst und da wirklich reingehst, hat das was gruseliges.
Wie spiegelt sich das in den Songs wieder?
„‘Yellow Church“ ist der mind palace, wenn du Nachts nicht einschlafen kannst. „Liturgy“ ist auch eher ein friedlicher Song. „Eyes in the Water“ und „Death in the Cities“ sind dagegen richtig düster. Unter „Eyes in the Water“ könnte auch ein Blast Beat passen, dann wäre es irgendwie Black Metal. Und „Pillow Vortex“ ist dann wieder friedlich. Mir ist es wichtig, dass das düstere Gefühl nicht das letzte Wort hat. Das soll zwar vorkommen, aber eingerahmt werden von etwas beruhigendem. Ich würde sagen, dass die Musik etwas therapeutisches hat. Gleichzeitig auch was depressiv-melancholisches, aber das Gefühl will ich eher bearbeiten und verwandeln. Da öffnet sich ein sakraler Raum, im spirituellen Sinne – nicht im religiösen.
Der cosmic horror und der Drone, sie passen gut zusammen. Der Autor Harry Sword beschreibt in seinem kürzlich erschienen Buch „Monolithic Undertow“ die Simulationen von Professor John Cramer, der die Überbleibsel des Urknalls, also die Kosmische Hintergrundstrahlung, die gut 300.000 Jahre nach dem Urknall entstand, hörbar machen wollte. Cramer vergleicht den Sound mit einem Düsenjet, der Nachts über dein Haus fliegt. Ein weiteres Beispiel, das Sword in „Monolithic Undertow“ nennt, ist der Dark Ambient Künstler William Basinski. Für sein Album „On Time out of Time“ verwendete er die Aufzeichnungen von Gravitationswellen als Klangbasis. Gravitationswellen entstehen etwa, wenn zwei Schwarze Löcher auf ihren Umlaufbahnen ineinander stürzen. Basinski sagte: “This is what it sounds like, when two Black Holes fuck.” Auch wenn die Klangwelt von Bonzaii diesen Beschreibungen durchaus gleicht, ist die Richtung doch eine andere. Er bringt nicht den Kosmos selbst zum Klingen, sondern den Menschen der diesem Kosmos gegenübersteht, ihn nicht versteht, aber sich nach ihm ausstreckt.
Was möchtest du mit der Musik transportieren?
Das soll der Raum sein, der einen mit diesem Gefühl auffängt. In erster Linie natürlich mich. Aber wenn andere diese Emotion spüren oder davon auch aufgefangen werden, ist ja das einzige, auf das man hoffen kann, wenn man Musik veröffentlicht.
Wie viele Leute hören sich deine Musik denn an?
Kürzlich hat jemand meine Songs “Tempus Fugit” und “Death in the Cities” mit dem Hashtag #AtmosphericBlackMetal bei vk hochgeladen, das ist ein russisches Äquivalent zu Facebook. Die haben da beide deutlich mehr Plays als auf meiner Bandcamp-Seite. Das hat mich erstens voll gefreut und zweitens gezeigt, wie quatschig diese Genrebezeichnungen sind. Was aber vor allem krass ist, wie gut das mit Bandcamp funktioniert. Ich hab mit dem Projekt nicht viel verdient, aber manche Bands, die Touren und Alben aufnehmen, verdienen oft noch weniger. Also sie nehmen mehr ein, aber haben auch viel höhere Kosten. Auf Bandcamp zahlen die Leute wirklich für Musik, die sie hören und das Geld geht nicht an die Top 10 Artists, die bei Spotify überproportional viel Geld kassieren.
Die EP „Death in the Cities“ ist seit 02. April über Decaying Spheres erhältlich.