Record of the Week

Der Ringer „Glücklich“

Cover_RingerDer Ringer
„Glücklich“
(Grüne Wasser Weblog Records / Euphorie)
Fünf Jungs steigen aus dem Bandbus aus. Sie sehen extrem gut aus. Wie gecastet wirken die Mitglieder von Der Ringer auf mich. Ja, man könnte nun kritisieren, dass ich hiermit Männer auf ihr Äußeres reduziere. Dem ist ja auch so, und ich empfinde dies als positiv. Zumindest mit einem Augenzwinkern.

Dieser erste Moment, den Der Ringer und ich teilten, liegt nun genau zwei Jahre zurück. Auch 2016 noch sehen sie ausgezeichnet aus. Verändert, ja weiterentwickelt hat sich hingegen der Sound der Band: was einst nach sehr guter Indieband klang, ist nun in einer kruderen Ecke zu verorten. Die Band selbst nennt es „Soft Punk“, was man wohl getrost als Witz verstehen darf.

Auf der neuen Veröffentlichung „Glücklich“ wird getextet, wie man es auf deutsch aktuell nicht kennt: Der totale Unauthentizismus, genial dilletantisch, als hätte es einen deutschen No-Wave gegeben. Musikalisch orientiert sich Der Ringer ganz deutlich an internationalen Produktionen. Das, was dabei herauskommt, vereint leicht nostalgisch den vielzitierten Sound der 80er Jahre (von den New Romantics bis hin zu poppigeren Wave-Entwürfen) mit dem Short-Term-Futurismus von 2020, wie er von contemporary Pop-Avantgardisten wie Oneohtrix Point Never und Arca definiert wird. Wenn man ähnliches auf dem deutschen Markt suchen würde, bliebe man, wenn überhaupt, bei The Notwist hängen.

„Glücklich“ mutet wie eine Vorlesung mit dem Titel „Leben in der digitalen Welt – Vereinbarkeit von Biologismen und Künstlichkeit“ an und lässt an den Film „Her“ von Spike Jonze denken. Beide eint das Interesse am Wechselspiel zwischen den realen Handlungsmöglichkeiten des Alltags mit dem künstlich gedichteten und verdichteten Raum. Im Fall von Der Ringer wird dieses Spiel mit dem Song „Apparat“ auf die Spitze getrieben. Eine Schmachtballade getextet aus der Sicht einer 3D-Animationsfigur, wahrscheinlich aus dem Nach-Nachfolger von Second Life oder einer ähnlichen Avatar-basierten Plattform.

„Du siehst mich auf deinem Screen /
Ziehst ganz wild an mir herum /
Für dich bin ich nicht real /
Ein Gesicht im Datenstrom.“

Über die gefühlt 30 Jahre alt klingenden Gitarrenriffs und Synthflächen legt sich im Refrain ein Nebel aus wonky Streichern, der als sinnstiftender Bruch auf die Veröffentlichungen der letzten Jahre in Genres wie Future-Hop- oder Vaporwave verweisen. Das dazugehörige Video besteht aus Sims-gleichen Sequenzen, unterbrochen durch ein per Motion-/ bzw. Performance-Capturing-Verfahren animiertes Kopfmodell das weder biologisch richtig noch künstlich überzeichnet daherkommt.

Nicht alle Songs auf der Ep machen vom Sujet her so große Sprünge. Das Titelstück „Glücklich“ zum Beispiel führt seinen Protagonisten bewusst ohne Tiefenschärfe ein:

„Ich bin glücklich deinetwegen /
Ich bin glücklich euretwegen /
Ich bin glücklich meinetwegen.“

Ein gewiefter Trick, große Gefühle mit einer quasi Nullinformation zu koppeln, zumal sie untermalt wird von einem an „Smells like Teen Spirit“ erinnernden backing-riff, als der Hochpotenz von Tristesse.

Der deutsche Indiepop, wenn man das aktuelle Bandmilieu mal zusammenfassend so nennen mag, ist seit Jahren im Auftrieb. Diese Dichte an hochklassigen Bands gab es das letzte Mal vor 20 Jahren zur Blütezeit der Hamburger Musikszene um Labels wie L´age d´or und What´s so funny about. Ähnlich wie damals gelingt es dem Berliner Label Staatsakt und dem Hamburger Label Euphorie nicht nur sehr erfolgreiche Bands wie Isolation Berlin und Trümmer zu setzen, sondern eben auch den Nährboden für kleine Projekte anzulegen.

Der Ringer ist mit all der Zeit und dem notwendigen Raum, den ein solches Klima mit sich bringt, in den letzten Jahren im Euphorie-Umfeld erwachsen, und nur so konnten sie aus klassischen Indiepop ihren ambitionierten Ansatz formen. Es ist aber nicht nur Staatsakt und Euphorie als jüngeren Labels zu verdanken, dass sich aktuell eine spannende „Keine Bewegung“ formiert, um auf die gemeinsamen Compilation der beiden Labels zu verweisen, die ebenfalls auf dem Sampler präsenten und 2015 enorm erfolgreichen Die Nerven und Schnipo Schranke veröffentlichen auf dem mit Grunge- und Noisehistorie ausgezeichneten Glitterhouse Records beziehungsweise beim Polit-Anarcho-Camp Buback.
Anyway, was ich sagen wollte: schön, dass es all das gibt – da kann man den Bands auch verzeihen, dass sie einfach verboten gut aussehen.
Lars Fleischmann

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