Ein Interview über Maschinen, Tiere, Penetration und Queerness

Chris Imler & Jens Friebe in “Die Killerwespen von Berlin”

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Jens Friebe und Chris Imler Köln, September 2018, Photo: Felix Scharlau


Stimmen machen Musiker_innen, Texte erschaffen Songs und Sprachen definieren Zielgruppen. So trivial wie prägend. Chris Imler (Driver & Driver, Oum Shatt) und Jens Friebe sind sich und den gleichgeschalteten und doch so individuellen 4-Jahre-Rhythmen zwischen ihren Platten treu geblieben. Aus „Nervös“ sind im Falle von Imler „Maschinen und Tiere“ geworden, aus „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“ bei Friebe ein energisches „Fuck Penetration“, erscheinen werden beide Alben im Abstand weniger Wochen in diesem Herbst auf Staatsakt, der letzten Bastion des organisierten deutschen Popwiderstands.

Es gibt viel zu verhandeln und so haben sich Christina Mohr und Thomas Venker mit Chris Imler und Jens Friebe im Prater Biergarten zu Berlin getroffen. Es wespelte sehr, soviel Spoiler darf sein.

Aufblende: Die aggressiven Wespen des Prater Biergartens kreisen über dem Diskursgeschehen. Ihre Neugierde dient jedoch weniger Musik und Texten und den darin versteckten Aufforderungen zur Revolution, ihnen steht es banal nach Fressen und Bier. Schlingensief, der Prenzlauer Berg habe ihn selig, würde sich die Locken raufen.

Thomas: Jens, Chris, warum macht ihr was ihr macht?
Chris: Aus Not. (muss lachen) und weil man irgendwann feststellt, dass man etwas kann das andere nicht können. Altbewährtes Auswahlkriterium bei der Berufswahl. Das klingt vielleicht langweilig, und ist es auch.
Jens: Ich möchte die Leute erfreuen!

Thomas: Und jetzt ehrlich? Die Leute verstören? 
Chris: Nun, man durchläuft ja verschiedene Phasen. Als Jugendlicher will man sich abgrenzen: Erwachsene verstören und auf Distanz halten. Später ist man selbst erwachsen und verstört. Natürlich geht’s auch um’s Wichtigmachen und Gefallen. Ach ja, und es geht immer auch um Sex. Allerdings spielte Sex bei mir erstmal überhaupt keine Rolle, es ging rein um Altersabsicherung.

Thomas & Christina: Das hört man ja eher selten in Bezug aufs Musikmachen!
Chris: Ihr wolltet doch keine simplen Antworten.
Jens: Es klingt so schlagermäßig wenn man sagt, dass man den Leuten eine Freude machen will – und in dieser Seichtigkeit stimmt das natürlich auch nicht. Ein gewisses Maß an Verstörung gehört für mich zu guter Kunst schon dazu, da hast du recht. Nur ist Verstörung für mich nicht das Endziel, sondern ein Mittel, das Erleben zu vertiefen und einen zu bereichern und dann letztlich doch so was wie glücklich zu machen.
In Chris’ Presseinfo hab ich Dean Blunt erwähnt, er ist für mich ein Beispiel von jemandem, der es schafft auf glücklich machende Art zu verstören. Und wenn das jemand schafft, ist das schon ein Grund dafür, so was auch selbst zu wollen. Wenn man merkt, dass die eigene Musik das auch mit manchen Leuten so macht, ist das schon sehr befriedigend.
Chris: Und man macht es natürlich auch einfach aus Lust Neues auszuprobieren. Ich halte während des Produktionphase mein neuestes Stück meist für das Allergeilste, bis ich daraus wieder auftauche und der Relativierungsprozess – Wein wieder zu Wasser – einsetzt.
Jens: Man ist natürlich, wenn man lange Zeit an einem Stück arbeitet, nicht permanent begeistert. Zwischendurch denkt man vielleicht, dass es doch totaler Scheiß ist und langweilig. Aber wenn man nicht irgendwann im Laufe des Prozesses denkt: das ist wirklich großartig, dann stimmt irgendwas nicht. Das ist sozusagen die Messlatte.

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Jens Friebe und Chris Imler Köln, September 2018, Photo: Felix Scharlau

Christina: Vergleicht ihr eure Musik denn mit der anderen Musiker_innen?
Chris: Die eigene Musik steht natürlich immer im Bezug zu schon existierender Musik, trotzdem möchte man natürlich einzigartig sein. Wenn dann jemand kommt und sagt, „das erinnert mich an…“ muss man wieder Antidepressiva nehmen.
Jens: Meistens muss man sich in diesen Sachen auf sein eigenes Urteil verlassen, aber manchmal, besonders wenn man etwas herumexperimentiert, muss man auch mal anderen vertrauen. „Herr der Ringe“ vom neuen Album zum Beispiel hatte ich zuerst als Gedicht auf Facebook gepostet und wollte es gar nicht vertonen, aber es haben einige gefragt und dann habe ich es einfach mal so Spoken-Word-mäßig aufgenommen. Ich fand es wahnsinnig seltsam, meine Stimme in diesem Vortragston zu hören, fast unangenehm, ich konnte das selbst nicht beurteilen und musste es Personen meines Vertrauens vorspielen. Es wurde sehr gelacht, vor allem über Chris‘ arabesken Gesangspart, und alle meinten, es muss drauf. Das habe ich dann mal geglaubt.
Chris: Ich wusste überhaupt nicht, worauf ich mich da einlasse! Ein absolutes Blind Date mit „Herr der Ringe“ – ahrg, jetzt hat sie mich gestochen!

(Eine Wespe hat Chris in die Hand gestochen. Wespenfreundin Christina Mohr möchte es zunächst nicht wahr haben, muss sich aber den Fakten beugen. Chris holt zu diesem Zeitpunkt bereits Eiswürfel.)

Thomas: ich höre auf euer beider Platten Percussions raus, wie ich sie so bei euch noch nicht vernommen habe. Hat das etwas mit Midori Takata und anderen zuletzt populär gewordenen Komponist_innen zu tun, deren Umgang damit intellektuell-strenger ist als zumeist?
Chris: Wir sind beide stringenter, minimaler als früher. Also Konzentration auf das Nötige. Wir haben Effekte weggelassen, die zuviel Platz brauchten um für klarere Sounds Raum zu haben .
Jens: Bei meiner neuen Platte haben wir uns was das Schlagzeug angeht, eher an Soulbands orientiert – ein Song wie „Herr der Ringe“ war ja eher ein Experiment, bei dem mir klar war, dass ich, wenn ich diesen gesprochenen Text verwende, einen freakigeres Background brauche. Aber insgesamt war die Idee, einen soulartigeren Sound zu haben, mit einer höheren Bassdrum…

Christina: Ich musste bei dem Titelsong total an Fun Boy Three denken!
Jens: Ziemlich nahe dran! Wir haben als Grundlage einen Beat von den Specials genommen, von „I Can’t Stand It“. Man hört es aber nur noch extrem subtil.
Chris (zu Christina): Du bist ja völlig überbildet.

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Chris Imler und Maurice Summen (Photo: Thomas Venker)

Christina: Ha! Ha!

Thomas: Chris, bei dir höre ich einen eher anachronistischen Schlagzeugsound raus, der mehr an Atatak-Produktionen der frühen 80er-Jahre denken lässt als an contemporary Dubstep-Platten.
Chris: Sich mit alten Sounds zu beschäftigen ist nicht neu. Ich denke es gibt gerade wieder ein wachsendes Interesse an No Wave und No No Wave und so weiter.
Jens: Maurice Summen (Betreiber des Staatsakt Labels) meinte auch, dass man bei einigen Sachen von Chris 70er-Sounds raushören kann, Brian Eno zum Beispiel..

Thomas: Ich beziehe mich, wenn ich auf Atatak verweise, mehr auf die aufgeregten Sachen, diesen hyperlebendigen Sound.
Chris: Durch akustische Drums und Woodblocks, die ich der Elektronik hinzufüge entsteht automatisch ein direkterer Sound und außerdem sind Trommeln immer Aufforderung zum Tanz. Ambient ist dadurch natürlich schon mal ausgeschlossen. Wenn du mich beleidigen willst, musst du nur sagen, dass ich Retromusik mache!

Thomas: Nee, nee, nee! Das war gar nicht beleidigend gemeint. Zumal es gerade doch um einen Song von Jens geht. Bei dir meinte ich das eher in Bezug auf die sehr aufgeräumten, klar dastehenden Sounds.
Chris: Ich versuche immer Räume, die gerade frei werden zu nutzen und nicht auf der selben Wiese wie alle zu grasen. Der Chorus Effekt zum Beispiel wurde bis zum Erbrechen eingesetzt und war deshalb über Jahre quasi auf der schwarzen Liste, aber durch jahrzentelange Nichtverwendung klingt er jetzt unverschämt unverbraucht. Bei dem aktuellen Album wollte ich ursprünglich fast alles mit Autotune machen, der Effekt steht den Stücken aber nur bedingt und war mir dann doch zu süßlich… Da war sie wieder, meine alte Popangst. Jens war ganz traurig, dass ich deshalb ein bestimmtes Stück nicht weitergeführt habe, das wir gemeinsam getextet hatten.
Jens: Du sagtest, du hättest „es nicht mehr gefunden.“ (Gelächter)
Chris: Ich war letztens auf einem Festival in Liège, da verwendete ein Duo aus Abidjan auf sämtlichen Stücken Autotune. Ist dann halt wie ein eigenes Instrument, schon sehr cool, aber auch ein krasser Signature Sound.
Jens: Es ist schon ein geiler Effekt, der aber eben auch etwas Anonymisierendes hat, Entpersönlichendes.
Chris: Er steht auch für was! Er verstärkt gewissermaßen die charakteristische nordafrikanische Art zu Singen. Das Springen von einer Tonhöhe auf die andere. (singt vor)

Thomas: Wieso sprechen wir denn über Autotune? Das ist doch gar nicht so sehr das Thema bei euren Platten. Im Gegenteil. Jens, bei deinem Album finde ich deinen neuen Umgang mit verschiedenartigen Stimmen spannend, du probierst plötzlich different tongues aus.
Jens: Ja, passend zu den verschiedenen Textweisen, Persönlichkeiten – und eben mit vielen Gastsänger_innen, Background_sängerinnen, die die Stimme mehr orchestral verwenden.

Thomas: Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Jens: Das kann ich nicht als Gesamtkonzept sagen – nur Stück für Stück: Die Songs mit den Gastsängern haben sich so ergeben. Den Text von „Es leben die Drogen“ hat mir Linus Volkmann sozusagen angeschleppt, ich sollte es eigentlich nur für seine Band Bum Khun Cha Youth vertonen, habe aber dann auch noch bisschen was am Text gemacht. „Tränen eines Hundes“ war für ein Theaterstück von der Gruppe meiner ehemaligen Freundin BigNOTWENDIGKEIT – und ich fand es logisch, dass die Darstellerin aus dem Stück es auch auf der Platte singt.
Der Grund, warum es soviele Backgroundsängerinnen gibt ist auch, dass ich eine etwas geselligere Stimmung haben wollte (anders als bei „Nackte Angst…“ / Anm. CM), partymäßig, uplifting. Da passten die verschiedenen Stimmen natürlich sehr gut. Und auch der Versuch, mit möglichst einfachen Mitteln und wenigen Instrumenten eine gewisse Poppigkeit herzustellen, zum Beispiel bei „Only because you’re jealous doesn’t mean you’re in love“: Das funktioniert nur mit Schlagzeug, Klavier und den Chören. Man hat oft das Problem, dass man irgendwie Streicher haben will, aber irgendwie auch nicht. Chöre sind da oft eine gute Lösung.

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Jens Friebe (Photo: Thomas Venker)

Thomas: Aber es ist schon eine Trennungsplatte, oder? Happiness durch Trennung!
Jens: Eine flockige Gute-Laune-Platte kann ich gar nicht machen, das ist nicht mein Naturell.Aber auch die verzweifelten Lieder haben etwas weniger Einsames, mehr so eine galahafte Melancholie, etwas Festliches.

Christina: Ich finde die Grundstimmung schon viel heller als auf „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“…
Wie symbiotisch seid ihr beide? Immerhin erscheinen die neuen Alben wie schon 2014 quasi synchron.
Jens: Das ist wieder ein blöder Zufall!
Chris: Wir haben schon versucht, die Platten mit ein bisschen Abstand fertig zu kriegen, aber es ist uns nicht gelungen. Alles zufällig sehr eng beieinander.
Jens: Aber zum Symbiotischen: Wir arbeiten schon jeder beim anderen ziemlich viel mit. Ich zwinge Chris kurz vor Torschluss zum Texten. Und ich zwinge ihn dazu, die Hälfte seiner Sounds rauszuschmeißen. Chris hat in einem Lied gerne Ideen für drei Lieder, die sich dann auch teils im Weg stehen. Und ich bringe ihn dann dazu, drei draus zu machen. Chris hat bei mir eine ähnliche Rolle beim Songwriting. Ich neige dazu, immer zu schnell Akkorde zu wechseln und so klassisch beziehungsweise volksliedhaft abzuschließen. Chris sagt dann meistens: bleib doch einfach länger auf dem Akkord!
Chris: Wir bringen uns beide gegenseitig dazu, weniger zu machen auf die ein oder andere Art
Jens: Außerdem ist Chris‘ Schlagzeugspiel natürlich extrem stilprägend bei mir. Ich sag ihm ja nicht: mach das und das… das ist ja sein eigener extrem kreativer Beitrag.

Thomas: Am Anfang des Albums von Chris höre ich ein starkes Selbstbewusstsein aus den Texten heraus, gegen Ende bröckelt dieses dann. Erleben wir eine Schwächung des Protagonisten mit?
Chris: Ich wäre gerne optimistisch, stark und zufrieden, aber ich bin schwach. Ich weiß natürlich, dass Coolsein anders geht.

Thomas: Ist es Zufall, dass ihr beide nun vermehrt englische Texte habt?
Chris: Ich wollte ursprünglich eigentlich viel mehr auf englisch machen und einen englischen Song hab ich auch noch eigenhändig rausgeschmissen. Da ich zumeist ja im Ausland spiele, bin ich nicht ganz glücklich darüber.

Christina. Wie kommt es denn eigentlich, dass du so oft in Italien und Frankreich spielst ?
Chris: Ich denke weil ich schon lange dabei bin und viel mit Leuten Musik gemacht habe die elektronische Musik produzieren, wie beispielsweise Patric Catani, mein Partner bei Driver & Driver. Da kommt man automatisch in ganz andere Kreise. Elektronische Musik ist ja im Allgemeinen internationaler. Ich vermute fast, dass dies den umgekehrten Effekt, nämlich geringere Beachtung im eigenen Land, nach sich zieht.
Jens: Vielleicht bräuchtest du für Deutschland eine andere Identität – als Nichtdeutscher.

Thomas: Aber ist es denn so schlimm, in Deutschland nicht so viel zu spielen?
Chris: Wenn man wenig in Deutschland spielt, kommt man auch seltener in der hiesigen Presse vor, man möchte sich dennoch auch im eigenen Land verstanden und gewertschätzt wissen. Ich denke die Möglichkeit, meine Texte zu verstehen ist eigentlich ein Zugewinn.

Christina: Bei den Festivals in Italien und Frankreich fällt ja gerade in kleineren Städten, auf, dass sie viel gemischter sind: Pop, Disco, Blues….
Jens: Ich habe das Gefühl, in Italien sind alle Festivals so wie hier die Fusion.
Chris: Auch die Strukturen sind bei weitem nicht so durchoptimiert wie bei uns. Die Vorläufe sind weniger lang und trotzdem ist die Bezahlung meist besser. Die Veranstalter sind mutiger und lassen sich nicht so leicht von Klickraten oder Bling-Bling-Webseiten beeindrucken, wenn ihnen etwas gefällt. Die bündeln einfach Musik, die zueinander passt und freuen sich über die Synergie die daraus entsteht.
Jens: Beim Booking in Deutschland hat man ja mittlerweile monströse Vorläufe. Ich hab im Juni meinen Booker angerufen, dass eine neue Platte ansteht und Staatsakt meinte, dass eine Tour im November gut passen würde. Der Booker meinte, „November kannst du vergessen, damit fang ich nächste Woche an, es wird langsam knapp für Januar.“ Er erzählte, dass er zwei Touren die schon fertig gebucht waren, absagen musste, weil die Platten nicht rechtzeitig fertig wurden.

Thomas: Facebook ist ja ein guter Indikator. Da werden für Indiekonzerte mit potentiell 80 Besucher_innen die Events ein halbes Jahr im Voraus angelegt, früher ging man um 21 Uhr einfach hin. So funktioniert doch das Committment für diese Art von Shows nicht.
Jens: Bei einem Act wie mir, der schon fünf Platten gemacht hat, kann man das ja vielleicht noch machen, aber bei Newcomerbands ist das doch verheerend. Die Booker sollen eine Tour buchen, ohne dass sie was schicken können – wie soll man denn was buchen ohne die Musik gehört zu haben?

Thomas: Jens, nochmals kurz zu den englischen Texten zurück, wir sprachen bis dato ja nur über die von Chris. Wie fühlte sich dieses Aufbrechen des bisher dominanten Deutsch denn an? Textest du anders? Und welche Rollen spielen denn befreundete Künstler_innen wie Chris und Ja, Panik dabei?
Jens: Es gab bestimmte Überlegungen, die dann aber ganz wenig zum Tragen kamen:
Α) wollte ich mit der Stimme etwas mehr experimentieren, jemand wie Scott Walker zum Beispiel singt ja viel mehr mit Luft und Hohlraum. Aber wenn man das auf Deutsch macht, klingt es wie Manfred Krug. Letztendlich habe ich aber auf Englisch dann doch ähnlich gesungen wie auf Deutsch;
B) dachte ich, ich könnte dann die Texte auch mal ein bisschen egaler sein lassen und den Popsong in den Vordergrund rücken – auch das ist nicht passiert. Ich texte auch auf Englisch mit sehr prägnanten Hooks.

Thomas: Wär ja auch verwunderlich, wenn Friebe-Texte auf englisch plötzlich hang loose wären.
Jens: „Worthless“ war das erste, was ich auf Englisch geschrieben habe. Die Refrainidee dazu entstand aber auf Deutsch: „Wenn Geld Angst hat wird es ein Haus“ – aber auf Deutsch war es ein bisschen zu eckig, also habe ich es auf Englisch probiert, was besser ging. Ab da war es dann eine Option, der Bann war gebrochen. Was sich da ändert: es wird ein bisschen simpler, da man nicht den gesamten Wortschatz zur Verfügung hat. Aber das fühlte sich für mich als ganz schöne Einschränkung an, weil man mehr zuspitzen muss, von wegen: „Ich bin jetzt zu faul, um das nachzuschlagen, mein Englisch muss jetzt reichen.“

Thomas: Dein Stil ist prägnant erkenntlich.
Jens: Bestimmte Sachen sind auf Englisch dankbarer. Du wirst schneller lautmalerisch. Bei „Fuck Penetration“, beim Mittelteil, wo es schon noch ein bisschen am Inhalt ist, sich aber verselbständigt: „It is not that I don´t want you close, I want to kiss the rose that grows…“ Das rollt so, dass man aufhört auf den Sinn zu hören. Das kriegt man auf Deutsch nicht so leicht hin.

Thomas: Deine Stimme erklingt auf dem neuen Album ja viel variabler als bislang. Du machst viel mehr unterschiedliche Sachen. Die Platte hat ja zwei Songstränge, die abgehangeneren, die Pianosongs und die anderen. Da hat eine gewisse Verschiebung in deinem Werk stattgefunden.
Jens: Das kann man von Außen wohl besser beurteilen. Der Ansatz bei der Produktion war, eine Einheitlichkeit zu schaffen, einen Faden zu finden. Aber wenn ich es höre, dann kommt es mir schon auch zweigeteilt vor.

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Chris Imler und Jens Friebe in der Stadt in der die Straßen Namen tragen (Photo: Felix Scharlau)

Thomas: Stichwort Einflüsse für die englischen Stücke: T-Rex, Beatles…
Jens: … Die Beatles sind so tief verankert, die nehme ich nicht mehr bewusst als Einfluss war. Generell hatte ich öfters, als die Songs bereits da waren, eine Vision von einem 70ies-Sound. Bei „Fuck Penetration“ mehr als es dann am Ende geworden ist, da sollte die Gitarre zunächst so Sparks-mäßig klingen. Ich habe während der Aufnahmen viel mehr Soul gehört als sonst in meinem  Leben – trotzdem klingt es bei mir dann eher nach Beatles als nach Soul. Man kann unendlich viel Input reingeben und es kommt trotzdem wenig davon im Output an, aber ein bisschen macht es halt. Man ist viel träger in der Produktion als im Hörgeschmack. Andere bauen das bewusster nach, kopieren es. Ich habe schon eine viel konservativere Vorstellung von inspirierten Songwriting, das was mir einfällt ist das, womit ich arbeiten muss. Und nicht: ich schau mir an, wie die das machen und baue das nach – wobei ich das auch legitim finde.

Thomas: Ich fühlte es eher in der Stimmung der Stücke, in ihrer tieferen Textur, und jetzt gar nicht so sehr als konkretes Zitat. Chris, bei dir sind der zweite Strang die instrumentalen Stücke, die sich selbst in die normalen, also in die Stücke mit Texten noch reindrücken in dem Sinne, dass der Eindruck entsteht, dies seien eigentlich Instrumentalstücke gewesen, bei denen sich der Text draufgesetzt hat.
Chris: Das hört man gerne. Sie haben sich halt sozusagen nicht gewehrt. Alle Stücke – die instrumentalen als auch die anderen – habe ich ursprünglich als Tracks angelegt. Das ist eigentlich immer so bei mir. Da ich aber auch den klassischen Song liebe, erlaube ich mir oftmals nur durch den Gesang definiert, einen Refrain hinzuzufügen. Die Stücke könnten auch ohne akustisches Schlagzeug und Gesang funktionieren, aber warum sollten sie.
So tief wollte ich euch eigentlich gar nicht in meine Produktionabläufe blicken lassen!

Christina: Jens, lass uns noch kurz über „Call Me Queer“ sprechen.
Chris: Fußt auf „Du bist nicht queer, nur weil du Biertitten hast“ von…
Jens: … nein, ich hatte das Lied tatsächlich bevor ich das von Pisse gehört habe. Ich muss zugeben, es ist dasselbe nur in Geiler – von ihnen. Aber ich habe es trotzdem gemacht. Es geht ja nicht gegen den Begriff queer, sondern selbstkritisch darum, dass man sich anmaßt sich als queer zu bezeichnen obwohl man in seiner Lebensrealität ein stinknormales Ding macht. Aber: „Ich schlag keine Frauen, also bin ich queer.“ Nein, das ist ein bisschen zu einfach.

Christina: Ich hab schwule Freunde!
Jens: Genau, ich hab nichts gegen Schwule, schlage keine Frauen und trage auch mal einen Armreif, das muss reichen… Da nimmt man sich schon etwas, was sich andere mit mehr Schmerz und Schwierigkeiten erarbeitet haben.

Thomas: Und dass der Song klanglich so überdreht ist, stand das zur Disposition?
Jens: Klar, der ist so ein bisschen kabarettistisch. Das passt für mich zu dem Ansatz des Lieds, das ja kurz ist, mehr so ein hingeschmissenes Statement. Selbst im Vortrag ist es ja ein bisschen queer, um dem Missverständnis vorzubeugen. Ich bin schon noch dabei, wenn’s darum geht, alternative Versionen der Männlichkeit zu entwerfen. Vielleicht muss man sich nicht gleich queer dafür auf die Fahne heften.

Thomas: Um zum Anfang unseres Gesprächs zurück zu kommen: was ist das für ein Gefühl, das einen spüren lässt, dass es jetzt wieder los geht. Ihr hättet ja beide noch ein oder zwei Jahre ohne Platte leben können, aber irgendwas scheint dann doch gedrängt zu haben.
Chris: ich brauche immer Deadlines, weil ich kein eigenes Zeit-Ordnungssystem besitze, erbitte ich es mir von Außen. Da man nicht jahrelang das selbe Set spielen sollte, ist jedes anstehende Konzert ein guter Anlass ein neues Stück anzufangen. Es wird dann zwar nicht fertig, aber es gibt schon einmal eine Skizze. Irgendwann hat man dann soviel zusammen, dass sich ein neues Album zu machen, schon fast aufdrängt.
Jens: Vielleicht ist vier Jahre – unsere Alben davor kamen ja auch parallel nach vier Jahren Pause – für Leute die nicht so Songs schreiben wie andere Brezeln backen, sondern die auch mal rumhängen und nur dann was machen, wenn ihnen was einfällt, sich auch nicht wiederholen wollen, vielleicht ist das er Abstand,  in dem es dann fertig wird. Es ist auch der Moment, wo man denkt: „Wenn ich jetzt noch weiter warte, dann bin ich wirklich weg.“
Chris: „Ich darf jetzt erstmal keine neuen Songs schreiben“, das ist mein Gefühl nach der Albumfertigstellung. Anhalten, freuen, Anstrengung so weit es geht, meiden.

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Jens Friebe und Chris Imler (Photo: Felix Scharlau)

Thomas: Es gibt ja aber auch ein hochsensibles Thema. Nicht wenige Künstler_innen wurden durch das zu hohe Tempo gebrochen. Und aus der Fanperspektive: man will sich ja auch wieder freuen können.
Chris: Meist hebt sich durch mehr Zeit das Niveau.
Jens: Die machen schon mindestens soviele gehaltvolle Stücke wie man selbst, aber eben auch mehr andere. Es ändert vor allem die Art, wie man sie rezipiert. Man hat dann das Gefühl eines ongoing Radioprogramms, wo man immer mal wieder reinhört, und dann ist auch was dabei. Aber als Fan verliert man so den Anspruch, dass man alles hören will.
Chris: Die Schlagzahl hat definitiv bei allen Leuten in allen Bereichen zugenommen. Aus Angst und um nicht in Vergessenheit zu geraten. Die Qualität leidet natürlich darunter. Die Leute haben Schiss überholt zu werden, desshalb erlauben sie es sich nicht anzuhalten und den eigenen Standort zu überprüfen.

Thomas: Was ist denn mit den neuen Freiheiten, von denen man immer so viel hört: das Album ist passé, Songs sind die neue Wahrnehmungseinheit?
Chris: Das ist für reine Elektroniker leichter zu machen, die sind zumeist technisch gut ausgestattet und können quasi autonom alles zuhause produzieren. Sobald aber Gesang dazukommt, wird es teuer, dann wird ein Studio gebraucht, bei Schlagzeugaufnahmen sowieso.
Jens: Im Singer-Songwriter-Popsongformat ist es noch nicht so einfach. Irgendwie ist zwar die CD als Gegenstand, den die Leute kaufen, weg, aber als Etappenpunkt für die Berichterstattung ist sie noch wichtig. Ich produziere ja nicht zuhause, sondern im Studio, weil es mir nicht liegt und weil ich auch keinen Bock habe, wenn ich schon alles selbst gemacht habe – Texte, Melodien –, dass noch mal was von Außen kommt.
Chris: Sicherlich man könnte über neue Vermarktungsstrategien nachdenken.
Aber das Label hätte mit Sicherheit was dagegen, wenn man jeden Monat mit einer neuen Single ankäme.
Jens: War das nicht das, was Maurice dir vorgeschlagen hat?
Chris: Es gab da mal eine Singlebox-Idee, die wurde aber verworfen. Warum dann nicht gleich auf Kassette, da gibt es wenigstens eine coole Szene für.
Jens: Es gibt eine Kassettenszene?
Chris: Oh ja, und gar nicht so eine kleine.
Jens: Auch wenn die Leute ein Album vielleicht nicht mehr am Stück hören, so mag ich doch die Idee des durchgehenden Formats, wie man ein Buch liest oder einen Film schaut.
Chris: Es ist eine Übergangszeit. Ich finde es noch immer schick, eine Platte zu haben, ich mag die Größe.

Thomas: Inweiweit lasst ihr euch den von digitalen Realitäten leiten. Geht ihr rein und schaut bei zum Beispiel Spotify, welche Songs wie oft gehört werden. Es gäbe ja die Möglichkeit eine Datenbank mit Nutzungsverhalten zu scannen.
Chris: Ich schau da so gut wie nie rein, oder nur um mich runterzubringen, wenn es mir zu gut geht.
Jens: Ich mach das nicht. Irgendwann meinte Maurice (Summen, von Staatsakt) aber mal zu mir: „Lustig, ‘Plot driven porn’ ist mehr geklickt als dein Gesamtwerk.“ Ich setze meine Hoffnungen nun auf „Fuck Penetration“.
Chris: Dean Blunt hat einen seiner Songs auf Youtube „50 Cent“ betitelt. Funktioniert perfekt als Clickbait. Einfach ein Stück „Verschollene Beatles Aufnahmen“ nennen.
Jens: Muss auf Englisch sein.

friebe_imler_06Christina: Wir haben genug. Jens liest schon seine Handynachrichten.

Chris Imler – Maschinen und Tiere (Staatsakt, Oktober 2018)
Jens Friebe – Fuck Penetration (Staatsakt, November 2018)

 

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