Christian Morgenstern

“Der Zauber seiner Melancholie.”

 

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Christian Morgenstern & Maral Salmassi, Paris.

Ich weiß noch sehr genau, wie schwer es mir 2003 gefallen ist, den Nachruf auf Christian Morgenstern für Intro zu verfassen. Wir waren doch eben noch zusammen Kaffee trinken gewesen, hatten uns gerade erst verabschiedet – und plötzlich sollte er nicht mehr da sein? Da war erst Ungläubigkeit, dann Sprachlosigkeit und schließlich ein sehr lange nicht verebbendes Gefühl der Machtlosigkeit.
Christian war ein begnadeter Produzent. Mit seinen Produktionen auf Kurbel, Kanzleramt, Konsequent und seinem eigenen Label Forte arbeitete er sich einerseits an seinen Einflüssen aus Chicago und Detroit ab, fügte diesen aber schon früh seine eigene Note hinzu. Techno im Verständnis von Christian war kein normiertes Terrain, sondern ein offenes Spielfeld, auf dem man nichts zu verlieren hatte. Und so produzierte er voller Sturm und Drang, aber auch mit Raffinesse und Humor, wie man nicht zuletzt an den Stücktiteln erahnen kann: „Night of the Living Dead“,„Death before Disko“ oder auch „Hawaii Blue“.

 

Maral, was brachte dich dazu, zwölf Jahre nach Christian Morgensterns Tod seinen Backkatalog neu gemastert wieder aufzulegen?
Erst nach dieser langen Zeit konnte ich mir seine Musik wieder anhören und war seelisch in der Verfassung, mich der Sache anzunehmen.

War von Anfang an klar, dass du hierzu euer gemeinsame Labels Konsequent reanimierst? Das Projekt hätte sich doch sicherlich auch bei einem anderen Label positionieren lassen, oder?
Wir haben unsere Labels zwar gemeinsam geführt, aber Konsequent war immer mein Baby, so wie Forte Christians war. Ich habe Christian 1997 kennengelernt, als er mir von einem Freund als ein vielversprechender Techno Artist für Konsequent vorgestellt und empfohlen wurde. Damals hatte ich gerade das Label gestartet. Kurz darauf veröffentlichte ich seine erste Konsequent als Katalognummer zwei. So haben wir uns tatsächlich kennen und lieben gelernt, und daher denke ich, dass Konsequent für dieses Projekt das einzig richtige Label ist.

Die Auswahl vereint Tracks, die ursprünglich auf Konsequent, Forte und Kanzleramt  erschienen sind. Ließ sich das alles rechtlich leicht umsetzen?
Forte war nie ein Problem, da die Rechte bei uns liegen. Kanzleramt hingegen schon. Ich fragte Heiko Laux, ob ich eine Auswahl von Christians Kanzleramt-Tracks für das Projekt lizenzieren könnte. Nachdem er sich aus mir vollkommen unverständlichen Gründen querstellte, habe ich mir die alten Verträge angeschaut und herausgefunden, dass sie seit Jahren abgelaufen waren. Danach war es kein Problem mehr, da die Rechte nun wieder bei uns lagen.

Ich habe mich sehr über die Nachricht der Wiederveröffentlichungen gefreut, da Christian ja von Ende der 90er bis zu seinem überraschenden Tod ein sehr einflussreicher Produzent war, dessen Wegfall eine merkliche Leerstelle im Techno-Genre hinterlassen hat. Es ist kaum vermeidbar, dass man sich beim Wiederanhören nun die Frage stellt, was da noch alles hätte kommen können. Wenn man diesen spekulativen Nonsense mal zulassen will: was denkst du denn, wohin sich Christians Produktionen entwickelt hätten?
Das letzte Album „Carolea“, woran er bis zu seinem Tod gearbeitet hatte, war ja ein deutlicher Schritt in Richtung Pop. Er hatte sich sogar in wenigen Monaten selbst Gitarre spielen beigebracht. Das war unglaublich. Allerdings glaube ich, dass er heute keinen Pop produzieren würde. Es war ein Experiment in einer sehr schwierigen Phase seiner Laufbahn. 2003 war das Jahr des großen Vertriebssterbens. Die Techno-Musik steckte fest und verfing sich immer mehr in der Minimal- oder Schranz-Falle und gleichzeitig überspülte die Electrotrash-Welle den Markt.
Christian war gelangweilt und wollte sich weder an die gegebenen Trends orientieren noch sich wiederholen. Dabei hatte er mit massiven Depression zu kämpfen, was schlussendlich dazu führte, dass er sich im Juni 2003 das Leben nahm. Ich glaube, wenn er diese Phase überstanden hätte, würde er heute recht vertrackte futuristische Avantgarde-Electronica und Techno produzieren. Allein wenn ich mir die heutigen Plug Ins und Möglichkeiten anschaue, wünschte ich, wir könnten heute gemeinsam im Studio sitzen!

Wie empfindest du denn die Stücke von der heutigen Perspektive her? Siehst du Anknüpfungspunkte an aktuelle Produktionen – und wenn ja, wo?
Seine Stücke sind verdammt zeitlos. Nachdem wir sein Back-Katalog remastern lassen haben, fand ich, dass das Meiste recht aktuell klingt. Ganz besonders die Forte-Veröffentlichungen. Das liegt aus meiner Sicht auch an seiner Arbeitsweise mit Samples.

Ein gutes Stichwort: lass uns über seine Produktionen sprechen. In wie weit sind diese denn von dem Status Quo der damaligen Technik geprägt?
Schon sehr. Ein Großteil der Tracks sind ja zum Beispiel mit einem Emu E 64 Sampler und Analoge Synths wie Prophet 10, MS 20 oder Jupiter 8 produziert. Dazu hat er oft auch eine 808 oder 606 benutzt. Ich glaube, heute würde Christian es sich etwas einfacher machen.

Lass uns kurz über Christians Livesets sprechen. Wie würdest du diese jemandem beschreiben, der nie das Glück hatte, einem beizuwohnen?
Zwei Worte: Wahrhaftig live! Er benutzte zum Beispiel eine MPC 2000, verschiedene Moogerfooger, zwei Korg Electribes, eine Roland SH-101 und ein kleines Modular Rack.

Ein Blick ins Netz liefert bereits jetzt, also bevor empirische Fakten zu den Wiederveröffentlichungen vorliegen, dass eine große Nachfrage seitens nachwachsender TechnohörerInnen nach seinen alten Platten besteht. Wie erklärst du dir das? Geht es dabei primär um die Aneignung von Geschichte?
Ich denke, es liegt auch daran, dass ein Großteil seiner Tracks immer noch spielbar ist. Auch der Zauber seiner Melancholie, die nie kitschig wirkte, spielt dabei eine Rolle. Er hatte großes Talent für solche Melodien und war/ist in der Lage, unpathetisch aber emotional zu berühren.

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Photo: Richard Bade

Wenn wir schon bei der Historisierung von Techno sind. Christian prägte das Genre ja in einer Phase zwischen den großen Hypes. Techno war in jenen Tagen wieder mehr in der Nische und somit in den Kellerclubs angekommen: Nebel, Strobo und Industrie-Areale prägten die Partys zwischen Mitte der 90er und der ersten Nullerjahre – erst nach seinem Tod führte die Minimal-Madness plötzlich für eine Verchicisierung. Ist diese Verortung für dich in seiner Musik auch hörbar?
Ja! Das ist allerdings eher in den Produktionen, die zwischen 1997-2000 entstanden sind, hörbar. „Malaria EP“ oder „Hawaii Blue“, die später entstanden sind deuteten eher eine Entwicklung in Richtung Pop an.

Gibt es eine besondere musikalische Anekdote, die du mit Christian verbindest? Eine besondere Nacht, eine besondere Studiosession?
Es gibt so viele Erinnerungen. Private würde ich sagen: unser spontaner Rom Trip. Wir sind nach einem Streit aus eine impulsiven Laune heraus zum Flughafen gefahren, haben einfach den nächstmöglichen Flug genommen und landeten für zehn Tage in Rom.
Von der musikalischen Perspektive aus würde ich sagen: unser Auftritt beim XXL Ostermarsch in 2001. Er hat ein legendäres Live Set gespielt und gegen Schluss das Publikum für eine Ewigkeit mit Noise gequält. Haha – das werde ich nie vergessen.

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Maral Salmassi, feeling the Underground Resistance (Photo: Beda Paiche Mulzer)

Maral, nun veröffentlichst du nicht nur die Musik von Christian wieder, sondern hast auch viele Remixe und Bearbeitungen für die Maxis in Auftrag gegeben. Wie bist du an die Auswahl der ProduzentInnen herangegangen?
Nachdem ich für zehn Jahre aus dem Techno-Spiel raus war, musste ich mich erst einmal vorsichtig wieder herantasten. Alexander Kowalski, Lorenz von Dystopian und Don Williams haben mich bei der Auswahl der Artists sehr unterstützt. Kompakt hat mir mit unglaubliche Großzügigkeit bei der Umsetzung geholfen.

Zum Abschluss die Frage nach deinem persönlichen Lieblingsstück von Christian?
Mein Lieblingsstück ist Miscellaneous Part 1. Es ist einer der ersten Tracks, die er produziert hat und stammt aus dem Jahre 1997.

 

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2002 / 2003

 

In meam commemorationem,
Christian Morgenstern

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Seine Musik berührt mich zutieftst. Seine Stücke sind aufgrund ihrer Ehrlichkeit, Kompromisslosigkeit und psychologischen Tiefe in diesem Genre einzigartig. So etwas kenne ich sonst nur aus anderen Bereichen. Ich stelle mir oft vor, zu was er noch fähig gewesen wäre, hätte er mehr Zeit gehabt. Viele Produktionen klingen schroff und auch auf eine Weise gehetzt. Es ist offensichtlich viel in seinem Kopf vorgegangen, und seine Stücke sind so vielfältig und stilistisch so weitgefächert, dass es oft schwer fällt, sie zu einem Oeuvre zusammenzufassen. Ich wünschte mir, ich hätte die Chance gehabt, Christian Morgenstern einmal zu treffen und mit ihm zu sprechen. Das war nicht mehr möglich, und so spricht nur seine Musik zu uns – in ihrer Zeitlosigkeit sicher noch für viele Jahre.

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Das Großartige an Christians Produktionen ist ihre Vielseitigkeit und die Tatsache, dass sie die Zeit überlebt haben. Man hört seine Musik in 2016, und sie klingt weder dated noch angestaubt. Das Ausloten von Grenzen und eine facettenreiche Kunst verbinde ich stark mit Christian Morgenstern. Sein Ansatz, soweit ich diesen beurteilen kann, wirkt auf mich inspirierend und erinnert mich daran, sich nicht zu sehr auf einen Sound zu beschränken. “Death Before Disko” ist für mich – aus Sicht eines Techno-DJs und -Produzenten – ein größtes Werk .

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Ich fühle mich sehr geehrt, für dieses Projekt von Maral angefragt worden zu sein. Schon in den 90ern war ich ein Fan von Christian Morgensterns Musik. Es fühlte sich für mich so an, als ob wir eine ähnliche Herangehensweise an das Musikmachen hätten – und noch heute prägt meine Produktionen ein gewisser Morgenstern-Touch.

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Der Sound von Christian Morgenstern ist absolut zeitlos. Beeindruckend ist vor allem sein intelligentes Beat Programming. Oft verschwimmen bei seinen Tunes die Grenzen zwischen House und Techno, diese Vielfältigkeit mag ich sehr.

CM_Kowalski-by-MorganistikAlexander Kowalski
Als ich Christian Morgenstern zum ersten Mal traf, dachte ich mir nur: „Was für ein Wirrkopf“ – und genau das fand ich so sympathisch. Er lebte in seiner eigenen Welt und ihm war egal, was andere von ihm dachten oder was für Erwartungshaltungen sie an ihn hatten. Er machte sein eigenes Ding und war immer für eine Überraschung gut. Dadurch waren auch seine Produktionen ziemlich einzigartig und hatten ein sehr breites Spektrum. Christians Musik ist ein Stück deutscher Techno-Geschichte, und ich freue mich sehr, dass sie jetzt noch mal neu interpretiert wird. Ich vermisse ihn und seine Musik sehr.

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Würde Christian noch leben, so wäre sein Sound heute noch raffinierter. Sein Talent lag darin, immer wieder Unvorhersehbares aus den Stücken herauszuholen.

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Christians Musik hat über die Jahre nichts von ihrer Brillanz verloren. Seine musikalische Sensibilität, seine Ideen waren nie dem Zeitgeist unterworfen. Er war es, der meine Musik als Erster auserwählt hat, ihm habe ich meine musikalische Karriere zu verdanken. Diese Ehre, die mir zuteil geworden ist, erfüllt mich bis heute mit Stolz. In diesem Sinne bitte ich alle, sich Christians Musik zu öffnen.

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Für mich lässt ihre Vielseitigkeit, die Musik von Christian so markant herausstehen. Er war seiner Zeit voraus. Mit seiner Musik hat er viele Leute beeinflusst – und tut dies noch heute.

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Die Magie von Techno liegt für mich in Produktionen, die eine eigene Soundpalette zu definieren vermögen. Es geht um musikalisches Gefühl und verspielte Ideen. Christian Morgenstern besaß all diese Eigenschaften. Viele seiner Produktionen klingen bis heute so frisch, dass man sich nach mehr Produzenten von seinem Kaliber sehnt. Die Detailbesessenheit, mit der er heranging, ist mit dem heutigen Stand der Technik viel deutlicher erkennbar – dies lässt seine Musik aktuell so relevant erscheinen.

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Christian ist eine Art Legende, da er als Techno-Produzent in die Zukunft zu sehen vermochte. Ich schätze seine Tracks sehr und fühle mich geehrt, Teil dieses Projekts zu sein, das einen großen Künstler in Erinnerung zu rufen gedenkt.

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Christian Morgenstern hat mit seinen Releases immer wieder neue Facetten gezeigt. Mal mit schnurgeradem Techno, mal mit fragilen, nachdenklichen Stücken, mal mit abwegigen Rhythmus-Strukturen. Vergleicht man seine Veröffentlichungen auf Forte Records mit denen auf Konsequent oder Kanzleramt – da liegen teilweise Welten dazwischen. Und obwohl die einzelnen Tracks in ihrer Stilistik sehr unterschiedlich sein können, ist doch immer der selbe Künstler dahinter zu erkennen. Einer, dem Genregrenzen nicht ganz so wichtig sind und der die technoide Finsternis auch gerne mal aufbricht. Viele seiner Stücke haben immer noch eine absolut zeitgemäße Ästhetik, und man hört auch heute immer wieder neue Sachen, die sich darauf beziehen.

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Christians Musik war im besten Sinne unberechenbar. Jeder einzelne Track, den er produziert hat, prägt etwas ganz Eigenes. Das kann ein ungewöhnlicher Sound sein, ein das Stück speisendes Gefühl, der Rhythmus oder ein kleines Detail. Aufgrund der Unberechenbarkeit seines Outputs fällt es mir schwer zu erahnen, zu was er noch in der Lage gewesen wäre, insofern: Lasst uns die Zeitlosigkeit seines Katalogs gemeinsam genießen.

 

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