Talkshow

„Okay, dann lösche ich das alles!“ Die Hamburger Schule Files … mit Durstewitz, Begemann und Rellöm

30. Juni 2025,

In den Neunziger Jahren begeisterte und inspirierte die Hamburger Schule die hiesige Popszene, in den neuen Zwanziger Jahren nun scheint die smarte Musikrichtung vor allem eines zu tun: Empören! Kaput-Reporter Marc Wilde hat drei sehr unterschiedliche Protagonist:innen des Genres an einen Tisch gebracht. Weiß der Teufel, wie ihm das gelungen ist. Hier der ultimative Roundtable zur Hamburger Schule mit Ebba Durstewitz (JaKönigJa), Knarf Rellöm und Bernd Begemann.

In der Bar Mutter: Von links nach rechts – Marc Wilde, Bernd Begemann, Knarf Rellöm, Ebba Durstewitz

Den Weg zur Mutter bahne ich mir durch kleinere Gruppen von Demonstrant:innen im Schanzenviertel. Es ist der 8. März – Internationaler Frauentag. Dass mein Interview mit Bernd Begemann, Knarf Rellöm und Ebba Durstewitz auf dieses Datum fällt, ist eine glückliche Fügung. In der hitzig geführten Debatte um die Hamburger-Schule-Doku war die Frage nach der männlichen Dominanz der damaligen Szene ein zentraler Streitpunkt. Auch diesbezüglich war die kritische Stimme von Bernd Begemann eine der lautesten. Neben seiner Empörung darüber, dass er selbst in dem zweiteiligen TV-Beitrag nicht vorkam, hielt er der Regisseurin ebenfalls vor, die Hamburger Schule als „reine Männerrunde“ dargestellt zu haben.

Wer – wie ich – die über Monate anhaltende Diskussion auf Facebook mit einer Mischung aus Interesse, Voyeurismus und gelegentlicher Fremdscham verfolgt hat, mag vielleicht auch den Wunsch verspürt haben, die sich gegenseitig beharkenden Musikerkolleg:innen würden sich lieber mal am Tresen eines örtlichen Szenelokals zusammensetzen und die Angelegenheit im persönlichen Gespräch klären. Wie schön wäre es, ihnen ein paar Drinks zu spendieren und dabei zuzusehen, wie scheinbar unversöhnlich gegenüberstehende Positionen sich allmählich in rauchgeschwängerter Luft auflösen.

Auf dem Weg zur Mutter, einer dieser sagenumwobenen Plätze des Hamburger Nachlebens, kehrt dieses Bild zurück in meinen Kopf. Es müssen sich ja nicht gleich alle in den Armen liegen – dafür scheinen die Gräben zu tief. Die Inszenierung eines Streitgesprächs aber liegt mir fern. Vielmehr wünsche ich mir, dass in der Begegnung ein Raum entsteht, in dem Verständnis für andere Sichtweisen möglich wird – in dem nicht nur das Trennende, sondern auch das Gemeinsame zum Vorschein kommt. Mit wachsender Nervosität und Sorge, ob das bei drei so unterschiedlichen Charakteren und in Anbetracht der offen zutage liegenden Differenzen überhaupt gelingen kann, betrete ich die Bar.

Mit der Großherzigkeit einer Mutter werden wir noch vor der offiziellen Öffnungszeit empfangen. Das Interview dürfen wir im geschützten Raum des so genannten Kaminzimmers führen – „verrucht, verraucht, geliebt und besungen“, wie es auf dem Instagram-Kanal der Bar heißt. Während ich auf meine Gesprächspartner warte, komme ich mit Matze, einem der beiden Betreiber, ins Gespräch Auch er ist Musiker und spielt bei dem inklusiven Bandprojekt Station 17 Bass. Wenige Minuten nach der verabredeten Zeit betritt Ebba Durstewitz als Erste den Raum. Sie würde ja hoffen, sagt sie eingangs, für das vor geraumer Zeit gegen ihren Mann ausgesprochene Hausverbot nicht in Sippenhaft genommen zu werden. Ob das jetzt auch noch für sie gelten würde? Das wäre inzwischen verjährt, meint Matze, und gibt eine Story zum Besten, die fast zwanzig Jahre zurückliegt, aber lange Zeit Talk of the Town gewesen ist.

Matze stand an dem besagten Abend selbst hinter der Theke als Tino Hanekamp und Jakobus Durstewitz nach einem Konzert der Buzzcocks in der Mutter aufkreuzten. Im nicht mehr allzu nüchternen Zustand fingen die beiden irgendwann an, die Gäste ungefragt durchzunummerieren, mit dem Eddding. Kurze Zeit später fegten sie Flaschen und Gläser von den Tischen. Was sich dann im Laufe weiterer Stunden zugetragen hat – von wiederholten Rauswürfen bis hin zum Einsatz von Pfefferspray, Exkrementen und Plastikhandschuhen – davon sind unterschiedliche Versionen im Umlauf. Soviel ist klar: Bis in der Mutter ein Hausverbot verhängt wird, muss einiges passiert sein – vor allem, wenn es, wie in diesem Fall, auf unbestimmte Zeit gilt.

Inzwischen hat sich auch Knarf Rellöm zu uns gesellt – er weiß etwas über einen der Geldscheine zu berichten, die Tino und Jakobus an jenem Abend mit gönnerhafter Geste hinter den Tresen geworfen haben sollen. Auch das kam beim Thekenpersonal nicht sonderlich gut an, berichtet Matze. Beim Klabautermann, wo bin ich hier reingeraten? Ist dies das Seemannsgarn, das für leichtgläubige Musikjournalisten auf Besuch in der Hansestadt gesponnen wird? – frage ich mich. Und wann kommt eigentlich Bernd Begemann? Der setzt bestimmt noch einen drauf. Ich schaue auf mein Handy: „Verlaufen in der Natur! Komme ca. 15 Minuten zu spät. Entschuldigung!“ Gerade hat Knarf zum gestrigen Abend in der Mutter angesetzt, als auch Bernd – sichtlich erfrischt vom Waldbaden – auftaucht. Okay, kann losgehen; wir sind vollzählig. Auf meiner Hand steht „Foto“. Ach ja, richtig: Das sollte ich besser gleich jetzt erledigen, bevor ich es nach dem Interview wieder vergesse. Das schummrig-rote Separée hatte mich schon beim ersten Betreten der Bar angelacht. Ein guter Ort fürs Foto. Matze übernimmt souverän die Regie und platziert uns drei Herren auf der Bank. Ebba lugt lieber etwas versteckt vom Seitenrand aus ins Bild. Vielleicht ein subtiler Hinweis zum heutigen Datum? Es ist Internationaler Frauentag.

Der Nukleus der Hamburger Schule lag in Bad Salzuflen. Foto: Johannes Meyer

Lasst uns über die Hamburger Schule reden. Letztes Jahr erschien die Dokumentation im NDR von Natascha Geier, das Buch von Jonas Engelmann („Der Text ist meine Party“) und zum großen Erstaunen vieler entzündete sich in den Sozialen Medien über Monate hinweg eine kontroverse Debatte. Gestritten wurde vor allem darüber, wer dazugehörte und wer – freiwillig oder unfreiwillig – am Rand des Geschehens stand. Bernd, deine Kritik war besonders scharf – und in einem Interview mit dem Rolling Stone hast du noch einmal nachgelegt. Was dich, Knarf, schließlich dazu veranlasst hat, mit einem „Faktencheck“ zu reagieren. Und wieder waren die Kommentarspalten voll …

Knarf: … der Diskurs geht weiter.

Ebba: Und was mache ich hier – bin ich die Quotenfrau? Von der ganzen Diskussion habe ich nämlich wenig mitbekommen. Ich habe zwar einen Facebook-Account, der liegt aber seit vielen Jahren brach, weil mir das zu toxisch ist.

In der Debatte ging es ja unter anderem auch darum, welche Rolle Frauen in der Hamburger Schule gespielt haben – ob sie gleichberechtigter Teil der Szene waren. Diese Frage wollte ich in jedem Fall nicht unter zwei Männern diskutieren lassen. Abgesehen davon ist deine Perspektive als Musikerin und unmittelbar beteiligte Akteurin so oder so eine Bereicherung.

Ebba: Wenn das in der Form ausgeweitet wird, finde ich das gut. Denn es wäre sicherlich kontraproduktiv, eine Frau mit am Tisch sitzen zu haben, die aber dann schweigen muss, weil sie nichts weiter beizutragen hat.

Jedenfalls freue ich mich, dass wir den Diskurs zur Hamburger Schule heute ein Stück weit aus der Anonymität der Sozialen Medien herausholen und zurück in die Kneipe bringen können. Wir befinden uns hier in der Mutter, einer dieser berüchtigten Orte Hamburgs, wo sich bis heute Musiker*innen begegnen.

Bernd: Ich glaube, der Laden hat vom Boom der Hamburger Schule profitiert. Nachdem das Karmers dichtgemacht hat, brauchte man wieder eine Art Hauptquartier.

Knarf: Gestern Abend habe ich hier übrigens eine junge Frau kennengelernt und wir haben zusammen gesungen: „Leben in der Bar, schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Verliebt bin ich sowieso.“ Sie hat selbst eine Band, Die Feigen Flittchen, und die singen die Lassie Singers nach. Also, ihr seht: Es geht weiter.

Bernd: Die Lassie Singers haben einfach die singbarsten Lieder überhaupt geschrieben. Ich habe die damals so was von propagiert und, glaube ich, besser behandelt als jede andere Band. Nur um mir jetzt von der misanthropischen Frau Rösinger sowas Undankbares anhören zu müssen. Unfassbar! Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Darauf würde ich gerne später zurückkommen. Ich weiß, es wird schwierig werden, euch hier im Zaum zu halten, aber ich würde mich gerne an meinen Fahrplan halten.

Ebba: In your face! Ich hätte gerne noch ein Mineralwasser.

In den Neunzigern, sagt man, habe der Austausch vor allem am Tresen stattgefunden. In welchen Kneipen konnte man euch früher am ehesten antreffen?

Ebba: Bei mir fing das mit dem Caspers Ballroom an. Das lag auch mit daran, dass es da so eine niedersächsische Fraktion gab – ich komme ja aus Nordhorn.

Bernd: Caspers war doch Metal, oder?

Ebba: Nein.

Knarf: Im Caspers waren vor allem Ostzonenuppenwürfel- und Fidel Bastro-Leute.

Bernd: Deshalb war ich dort oft nicht. Dieser ganze Rock …

Marc: Was war denn dein Laden, Bernd?

Bernd: Es war immer was. Ich war viel im Pudel, auch schon im alten Pudel, im Heinz Karmers und im Sorgenbrecher. Was für ein Laboratorium! Wichtig waren dabei auch die Mixed-Tapes: Eben hörtest du noch ballernden Rock-Funk, Sly and the Family Stone, und dann kam Manfred Krug mit „Wenn ich dich seh‘ (singt und schnippt mit den Fingern). Das gehörte alles zusammen, das war kein Widerspruch.

Ebba: Ja, um es mit der Band Mutter zu sagen: Hauptsache Musik! All das haben wir aufgesogen und in uns einsickern lassen. Wobei ich dann in der Rezeption von JaKönigJa feststellen musste, dass die Schotten trotzdem total dicht waren. Da gingen immer sofort die Schubladen auf: Glockenspiel = Sesamstraße, Banjo = Countrymusik, Cello = Kammerpop. Wie ich das gehasst habe!

Bernd: Ich war so glücklich, als ich euch zum ersten Mal gehört habe.

Ebba: Wir haben ja anfangs im Pudel gespielt und dann kam irgendwann das erste Album raus. Es gab Leute, die waren regelrecht schockiert, dass wir das nicht ironisch meinen. Ich kann mich auch tatsächlich an eine Situation erinnern, wo ich dachte, Roberto Ohrt haut mir gleich eine rein. Der hat unsere Musik gehasst wie die Pest und meinte nur: „Ihr ekelt mich an! Das ist das Schlimmste überhaupt.

Bernd: Ernsthaft? Die blöden Wichser! Männer machen Rock – das war die Devise. Ihr wart das Gegenteil. Ihr wart leicht, ihr wart surreal und verträumt. So habe ich das empfunden. Und ihr habt eine andere Dimension aufgemacht. Indie-Rock stand für pickelige Jungs, die Regeln machen.

JaKönigJa / 1995 im Golden Pudel Club

Aber ihr seid doch mit JaKönigJa im Pudel – einer der wichtigsten Szenetreffpunkte der Stadt – regelmäßig aufgetreten und wart dort so etwas wie die Hausband, nicht?

Ebba: Ja, aber das ging nur über zweieinhalb Monate so. Trotzdem wurde das immer besonders herausgestellt. Und irgendwann tauchte der Begriff „Hamburger Schule“ auf, der in meiner Wahrnehmung jedoch von außen kam.

Es war definitiv ein journalistischer Begriff, wobei bis heute unklar ist, wer ihn eingeführt hat.

Knarf: Ja, kein Musiker hat das gesagt. Wir dachten auch, dass ein solches Etikett nur für ein Teil der Bands gut sein würde. Weil die Leute vielleicht denken, eine Platte von Blumfeld und eine von Tocotronic zu besitzen, das reicht. Schubladen sind eh immer zu eng.

Bernd: Ich habe „Hamburger Schule“ nie als Schublade verstanden. Bands, für die man keinen Begriff hat, haben es auch auf lange Sicht schwerer, denke ich. Jetzt musste ich aber lernen, dass der Begriff doch eine Schublade ist. Ich habe so viele Sachen im Schatten dieser Doku gelernt und mich auch zum ersten Mal methodisch mit dieser Epoche auseinandergesetzt. Nun komme ich zu dem Ergebnis, dass man zwischen der damaligen Szene in Hamburg und dem Begriff „Hamburger Schule“ unterscheiden muss.

Vatikan (1980) – die erste Band von Bernd Begemann (links). Foto: Martin Stammeier

Was war für euch das verbindende Element dieser Szene, an der ihr selbst beteiligt wart?

Knarf: Für mich war der Austausch zentral. Dazu fällt mir eine Anekdote ein: Ich ging damals in den Plattenladen von Michael Ruff, der auch Sänger bei der Band Geisterfahrer war. Das war die Generation vor uns. Jedenfalls meinte er eines Tages zu mir: „Du bist doch auch einer von denen, Tocotronic und so – ihr mögt euch alle, ne? Ich so: „Ja …“

Bernd: … bis jetzt noch!

Knarf: Und er weiter: „Ihr seid komisch, wir haben uns früher gehasst.“

Bernd: Wir haben uns alle geliebt. Und dann kam Roberto Ohrt und die Politisierung.

Knarf: Aha, jetzt kommt die Bernd Begemann-Theorie, der ich schwer widerspreche.

Bernd: Was du nicht kannst, denn du hast mir Beweisstück A geliefert. Und zwar das Zusammenziehen von Jochen Distelmeyer und Ted Gaier. Das war der Augenblick, ab dem wir aufhörten, neugierig zu sein.

Knarf: Ach, Quatsch!

Bernd: Du vielleicht nicht mit deinen Freunden, aber danach hörte es mit der Neugier auf.

Marc: Entschuldigt, aber können wir bitte erst noch einmal auf den Begriff „Hamburger Schule“ und das Gemeinsame daran zurückkommen? Konkrete Frage: Wenn ihr den Auftrag erhalten würdet, für ein Musiklexikon eine Definition zu liefern – sagen wir für ein Honorar von 1.000 Euro – wie sähe die aus?

Ebba: Ich würde das ablehnen.

Knarf: Ich will erst das Geld haben.

Bernd: Ich habe so viele Definitionen gratis gemacht …

Knarf: Also der Punkt ist doch: Bernd und ich widersprechen uns an der Stelle, dass Bernd sagt, als die Goldenen Zitronen ins Spiel kamen, war die Hamburger Schule vorbei. Und ich sage: Gerade da wurde es interessant.

Bernd: Für dich vielleicht, weil du Teil von einer großen Sache warst. Aber du übersiehst all die Leute, die ausgeschlossen worden sind, wie zum Beispiel JaKönigJa und ich. Und noch eine Menge anderer.

Knarf: Ja, aber sowas kommt vor.

Bernd: Na, pass auf, und höre dir erst einmal diese erhellende Anekdote an, die Rocko Schamoni mir berichtet hat: Er steht vor dem Pudel Club, einem Club, den er selbst mitgegründet hat. Und irgendwo da draußen steht der Bus vom Wohlfahrtsausschuss. Rocko geht davon aus, dass er da mitfährt, weil er irgendwie immer mit dabei ist. Aber Ted Gaier und Roberto Ohrt bauen sich vor ihm auf und sagen ihm, dass er kein Recht habe mitzufahren. Weil er überhaupt keine Ahnung hätte, worum es wirklich ginge. Und eine Menge anderer beschimpfen ihn unflätig. Solche Sachen sind dauernd passiert. Und das reißt auch nicht ab.

Knarf: Aber das nennt man Diskurs, daraus entsteht doch was.

Bernd: Nein, das nennt man brutale Ausgrenzung.

Ebba: Ich finde ich auch nicht, dass das Diskurs ist.

Knarf Rellöm. Foto: Peter Kunz

Diese unterschiedlichen Sichtweisen irritieren mich tatsächlich. Es wird auf der einen Seite viel über Ausgrenzung berichtet, und dass andere runtergemacht worden sind. Und dann wird wieder das Soziale, die Kollegialität und die besondere Art des Austauschs betont. Das, was von Bernd gerade mit dem Wohlfahrtsauschuss beschrieben worden ist, hat jedenfalls mit Offenheit für andere Sichtweisen wenig zu tun. Aber vielleicht ist das auch ein neuer Moment gewesen, zu einem Zeitpunkt, als die Goldenen Zitronen den Fun-Punk hinter sich gelassen und im Lichte der Ereignisse von Mölln und Rostock-Lichtenhagen eine andere Haltung angenommen haben.

Knarf: Ja, genau.

Ebba, wie würdest du den Begriff „Hamburger Schule“ definieren?

Ebba: Das Ding ist ja: Diese Einordnung passiert im Nachhinein. Also es hat eine Historisierung stattgefunden bzw. sie findet gerade statt. Und erst jetzt mache ich mir überhaupt Gedanken über diesen Begriff, den ich früher immer abgelehnt habe. Eben weil auch nie klar gewesen ist, was damit gemeint war. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, die Hamburger Schule war in allererster Linie ein soziales Gefüge – tatsächlich mit Betonung auf „sozial“. Denn ich kann mich, trotz aller Verletzungen, genauso daran erinnern, wie wir uns gegenseitig geholfen haben. Ich erinnere mich an die Zeiten, als wir in der Schützenstraße den Sampler „Camp Imperial“ aufgenommen haben. Wir konnten – das fällt mir jetzt erst ein – auch den Proberaum der Goldenen Zitronen nutzen, als wir mit Ja KönigJa für eine Tour üben mussten. Und es gab ein gemeinsames Wertesystem: Wir waren uns zumindest einig, wie wir nicht leben wollten.

Knarf: Den Camp Imperial-Sampler fand ich auch sau-wichtig, obwohl der in der Spex leider total verrissen worden ist. Ich erinnere ich noch: Das Studio war unten im Keller in der Schützenstraße – da ist jetzt ein Gemüseladen drin – und Mense und Jimi haben aufgenommen. Wir haben da echt alle sehr gut harmoniert, trotz der stilistischen Unterschiede.

Wahrscheinlich können wir festhalten, dass die Diversität der Bands, die der Hamburger Schule zugerechnet werden, so groß ist, dass das Musikalische in jedem Fall nicht der gemeinsame Nenner gewesen ist.

Bernd: Für mich bestand der gemeinsame Nenner in der Zuwendung Richtung Umgebung, nicht Richtung Genre. Es ging nicht darum, eine ordentliche Heavy Metal-Platte abzuliefern. Die Frage war, was uns umgibt. Wir haben einen radikal genre-shiftenden Gegenwartspop entworfen.

Ist das dann nicht auch Reflexion über einen Zustand, also Diskurs, und somit eine Haltungsfrage?

Bernd: Ja, aber ich beziehe mich mehr auf eine ästhetische als auf eine politische Haltung. Über das Verhältnis von Musik und Politik müsste man sich länger unterhalten. Aber okay, ich oute mich: Musik ist für mich dann am besten, wenn sie Politik transzendiert. Ich bin der Ansicht, dass Musik weit über Politik steht und dass die beste Politik der Musik dient. Es gibt Leute, die würden mich dafür schlachten, aber das empfinde ich wirklich so. Das war immer meine Klammer. Was ich aber bis heute nicht verstanden habe, ist, dass mir auf einmal Leute vorgeworfen haben, ich sei „bürgerlich“.

Knarf: Aber damit muss man sich doch auseinandersetzen. Das ist doch das Geile!

Bernd: Ja, das habe ich getan. Aber „bürgerlich“ ist das lächerlichste Schimpfwort überhaupt. Wir sind alle Bürger und zahlen alle Steuern. Wir sind alle Nutznießer dieses „Schweinesystems“. Wieso musste ich mir nur diesen Blödsinn anhören?

Ebba: Bernd, beruhig dich!

Bernd: Das ist doch Scheiße. Das war ein Löwenzahn im Rasen meines Lebens.

Knarf: Ja, aber dann muss man weitermachen. Daraus entsteht doch Kunst.

Bernd: Habe ich vielleicht nicht weitergemacht? Alter, ich habe 450 Lieder veröffentlicht. Ich war einsam, und zwar völlig sinnloserweise. Ich wohne in der Stadt seit 1982 und habe immer versucht, eine Szene um mich zu scharen. Ich wollte Teil von Bohemia sein. Ich war so lange allein, und als dann endlich alle eintrudelten, war ich echt sehr glücklich. In dieser Schicksalsgemeinschaft von abenteuerlustigen, jungen Musikant*innen bin ich aufgeblüht. Und dann wurden auf einmal Leute ausgegrenzt.

Knarf: Als ich ankam, das war zwei Jahre später, da dachte ich erst: Scheiße, diese ganzen Bands, die sind jetzt alle gerade weg. F.S.K. waren die ganze Zeit in Hamburg und plötzlich waren sie nicht mehr da. Die Zimmermänner haben nur noch zu Weihnachten im Café Schöne Aussichten gespielt. Und dann fingen die Bands an, Englisch zu singen.

Bernd: Blöder Schwachsinn. Das ist auch eine Sache, die ich gefordert habe: Ihr wollt eure Nachbarn verängstigen? Dann müsst ihr sie in ihrer eigenen Sprache ansprechen, wenn ihr das Entsetzen in ihren Gesichtern sehen wollt.

Knarf: Ja, aber ich sage auch: Vielsprachigkeit. Es geht nicht nur um Deutsch.

Aber ist das nicht auch eine gemeinsame Basis der Hamburger Schule gewesen: sich in der deutschen Sprache ausdrücken zu wollen?

Knarf: (haut auf den Tisch und lacht) Es gab keine Gemeinsamkeit!

Allgemeines Gelächter

Okay, neuer Anlauf: Für Euch beide, Frank und Bernd, hat Punkmusik anfangs eine zentrale Rolle gespielt. Wie war das bei Dir, Ebba – war Punk für deine musikalische Sozialisation auch eine wichtige Erfahrung?

Ebba: Ja, total. Ich habe bloß nie in einer Punkband gespielt. JaKönigJa war tatsächlich meine erste Band, davor gab es nur ein paar gescheiterte Versuche. Ich habe auch nie daran gedacht, etwas solo zu machen. Das habe ich mich offenbar nicht getraut. Aber mit ein Grund nach Hamburg zu gehen, war auch, dass ich die Stadt immer mit Musik verbunden habe – vermutlich wegen der Beatles. Und dann war da noch Myriam Brüger, die ein Jahr vor mir nach Hamburg gegangen ist. Wir kommen ja beide aus Nordhorn.

Knarf: Myriam war ein absoluter Türöffner, eine sehr wichtige Frau.

Ebba: Ja, total. Mit ihrer vermittelnden Art konnte sie sehr einnehmend sein.

Bernd: Sie hat in einer Wohnung mit Maria Storz gewohnt, meiner Exfreundin. Und für mich war Maria super wichtig, weil sie meine Weltsicht erweitert hat – durch ihre Mixtapes. „Nein, du darfst nicht ‚Lust for Life‘ von Iggy Pop hören. Du musst dieses obskure Album hören, wo er so rumschreit“ …

Ebba: Aber ich war noch nicht fertig. Genau, also …

Bernd: Warst du auf Myriams und Marias WG Partys?

Ebba: Nein, ich war meines Wissens nie bei Maria.

Bernd: Aber die hatten ja zusammen eine Wohnung.

Ebba: Myriam? Nein, Myriam und ich hatten zusammen eine Wohnung. Wir haben immer zusammengewohnt, solange Myriam in Hamburg war. Da musst du irgendetwas durcheinanderbringen – False Memory Syndrome.

Bernd: Du sagst, Maria und Myriam haben nie zusammengewohnt? Okay, dann lösche ich das alles.

Ebba: Definitiv nicht. Aber zurück zu Punk: Das gehörte mit zu einer Weltsicht, nach der ich immer gesucht habe. Und gleichzeitig hatte ich Cellounterricht. Das passte für einige nicht zusammen. Cello das war Konservatorium, höhere Tochter …

Bernd: … die blöden Fucker!

Ebba: Und auch da spielt wieder dieser Begriff rein: „bürgerlich“ – das war irgendwie nicht gut.

Ebba Durstewitz (Foto: Alexander Kasbohm)

Aber kann man nicht auch genau das als Punk begreifen: dass du mit deinem „gutbürgerlichen“ Instrument in die Szene reingegangen bist?

Ebba: Ja, das habe ich gedacht, als ich im Pudel saß und dann die Punks reinkamen. Erst hatten wir Sorgen, gleich eine aufs Maul zu bekommen. Und plötzlich setzen die sich hin, und einer fängt zu weinen an. Also das waren schon so Momente, wo ich dachte: Okay, das hier ist doch irgendwie auch Punk.

Bernd: Ich denke oft an euch und höre eure Musik immer wieder. Und ich frage mich auch, wie ihr euch gefühlt haben müsst? Ihr bringt diese sonnige, traumhafte, verzaubernde Musik, diesen Sonnenschein in die Welt, und die Welt sagt: Wir wollen hier keinen Sonnenschein. Das ist so traurig!

Knarf: Aber so was passiert Künstlern, dass sie abgelehnt werden. Das passiert.

Bernd: Lass mich doch mal kurz schwelgen in diesem wundervollen Bild.

Ebba: Na ja, aber bei Jakobus war ….

Knarf: Damit muss man leben, dass man nicht verstanden wird.

Ebba: Aber das war … (verschafft sich Gehör) Hallo?!

Knarf: Ich kann davon auch Geschichten erzählen.

Jungs!!

Ebba: Also für Jakobus war das sicherlich auch so eine zweischneidige Sache, weil er als Typ eigentlich total anerkannt war. Jakobus war immer der witzige Typ, alle haben ihn geliebt. Immer. Von seinem Rausschmiss in der Mutter einmal abgesehen …

Knarf: … aber so was Legendäres gehört auch dazu.

Ebba: Ja, im Pudel konnte er die Stühle, das Mobiliar zerlegen. Und sie haben ihn trotzdem geliebt. So entstanden auch unsere Kontakte, die wir in die verschiedenen Richtungen hatten – über alle Genres und Grenzen und politischen Sichtweisen hinweg. Jakobus war der, der bei Ted Gaier hinter der Wand gewohnt hat.

Bernd: Wie Harry Potter.

Ebba: Ja, als er nach Hamburg kam, da hat er wirklich in einem Loch in der Wand gewohnt.

Knarf: Ich wohnte da vorher …

Ebba: … ach, du warst auch in dem Loch?

Knarf: Nein, ich habe im Zimmer vorne gewohnt. Aber wir sind eines Tages um das Haus rumgegangen und haben uns dann gefragt: Wozu ist denn hier eine Mauer? Da muss es doch noch einen Raum geben. Und dann haben wir angefangen, das aufzumachen. Deswegen konnte man dann durch ein Loch in den Raum gehen.

Bernd Begemann. Foto: Jan Northoff

Wir haben vorhin schon über Akzeptanz bzw. Ablehnung gesprochen. Wie wichtig war für euch die Frage des Erfolgs? Von der Wahl des Labels hing ja einiges ab. Ohne Marketing und Vertrieb mit entsprechender Reichweite keine großen Plattenverkäufe. Gleichzeitig steht im Indie-Bereich schnell der Vorwurf des Ausverkaufs im Raum. Bestes Beispiel: Die Sterne, die keine Scheu hatten, mit einem Major zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil: Mit ihrem Video „Was hat dich bloß so ruiniert“ haben sie diesen Schritt noch ironisch kommentiert. Um deinen Punkt von eben aufzugreifen, Knarf, könnte man sagen: Sie haben daraus Kunst gemacht.

Knarf: Ja, und zwar mit einem Bandmitglied der Goldenen Zitronen: Ted Gaier hat bei dem Video die Regie geführt, zusammen mit seiner Frau.

Bernd, Du bist mit Die Antwort direkt bei einem Major untergekommen, bei RCA Records, und warst dann später bei der WEA, einer Tochtergesellschaft von Warner Music.

Bernd: Ja, ich habe drei Industrie-Platten gemacht, mit verschiedenen Bands – aber das waren alles Flops. Dann dachte ich mir: Ein Mastertape ins Presswerk bringen und 100 Exemplare irgendwohin verschicken, das kann jeder Idiot. Mein erstes Soloalbum habe ich daher allein rausgebracht. Bands hatte ich zu dem Zeitpunkt auch echt satt; da ist immer einer dabei, der nervt, einer, der Stunk macht oder der ein super funktionierendes Lied auf einmal in einem Reggae-Rhythmus spielen will. Auf gar keinen Fall wieder!

Knarf: „Rezession, Baby!“ hast du selber rausgebracht?

Bernd: Ja, komplett. Unter dem Namen Rothenburgsort Records. Fuck, ich war mehr Indie als ihr alle zusammen! Ich habe selbst geschrieben, selbst produziert und hatte mein eigenes Label. Ich habe selbst promoted und meine eigenen Konzerte gebucht. Will ich dafür eine Medaille? Irgendwie ja. Aber jetzt habe ich halt keine.

Knarf: Jetzt hör mal auf zu heulen. Das ist ja schrecklich.

Bernd: Das war doch lustig gemeint.

Ebba: (in lobendem Ton) Bernd, das hast du ganz toll gemacht!

Bernd: Oder? Das hättest du aber auch mal eher sagen können.

Knarf: „Rezession, Baby!“ finde ich jedenfalls echt super.

Bernd: Ja, da passte alles zusammen. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Platte komplementär zu dem war, was es sonst gab. Die anderen Bands haben alle gerockt. Ich dagegen hatte ein urbanes Folk-Album gemacht, mit leichten Elektronikelementen. Und dann war da dieser wundervolle Augenblick, als ich zusammen mit Jochen Distelmeyer, Frank Spilker und anderen in einer Linie die Reeperbahn entlang geschritten bin – wie die Cowboys in The Wild Bunch – kurz vor dem Showdown. Gerade denke ich noch: Jetzt sind wir alle Freunde, wie schön! Und dann ging es bergab. Ich hätte mich nicht so heimelig fühlen dürfen.

Ebba: Ja, das ist immer gefährlich. Man darf sich nie sicher fühlen.

Ausgrenzung konnte anscheinend schnell passieren. Tilman Rossmy hat mir erzählt, dass es schon ausgereicht habe, die falsche Jacke zu tragen. Und wer politisch nicht die richtige Gesinnung gezeigt habe, sei komplett gedisst worden. Wie habt ihr die Politisierung der Szene erlebt?

Knarf: Ich fand die Politisierung klasse. Aber ich gebe Bernd in der Beziehung recht, dass Musik Politik transzendieren sollte. Trotzdem kann aus Konflikten etwas Besonderes entstehen. Und das ist passiert mit dem Zusammentreffen von Blumfeld, Die Sterne und den Goldenen Zitronen. Und ja: auch mit Bernd Begemann und all den Konflikten, die es gegeben hat. Das war für mich alles total aufregend. Und ich widerspreche Bernd an dem Punkt, dass dann Schluss war. Für mich fing die Party da erst richtig an.

Bernd: Mit dem Kommunalen war Schluss und die Phase der Außenwirkung begann. Ich akzeptiere, dass dieses radikale politische Element für viele unabdingbar mit ihrem künstlerischen Schaffen verbunden war. Aber wenn die Leute in ihren Erinnerungen schwelgen, wenn sie ihre wilde Revoluzzer-Zeit heraufbeschwören und den einen Moment, als sie auf der Barrikade standen, dann romantisieren sie – wie die Alt-68er – die Vergangenheit.

Knarf: Damit banalisiert du das.

Bernd: Zu Recht! Die Politisierung bestand größtenteils aus dem Aufwärmen von Agitprop-Parolen, die zu der Zeit längst überholt waren.

Knarf: Vollkommener Widerspruch: Agitprop war super!

Aber ist das nicht legitim, wenn es da unterschiedliche ästhetische Zugänge gibt?

Ebba: Das möchte ich auch meinen. Für all diese Dinge sollte Platz sein. Aber diesen Raum hat es einfach nicht gegeben, auch in Bezug auf meine eigene Band nicht. Bei denen, die nicht explizit politische Texte geschrieben haben, ging man sofort davon aus, dass sie generell keine politischen Menschen waren. Bei mir persönlich kommt noch die Frauenperspektive hinzu. Ich hatte oft das Gefühl, als Person und als weiblicher Teil meiner Band nicht ernstgenommen zu werden. Das hat mich total beschäftigt. Gerade auch, weil ich zu der Zeit durchaus politisch war. Marxismus und politische Theorie hatte ich ziemlich gut drauf. Aber das hat in den Gesprächen damals niemanden interessiert.

Bernd: Du hättest dich damit mehr aufspielen müssen.

Ebba: Ja, aber das konnte ich nicht. Und das ist auch, was ich im Nachhinein bedauere: dass ich so ängstlich gewesen bin. Ich wünschte, ich hätte mehr rumgeschrien und meine Meinung gesagt. Einige Musikerkollegen haben mich einfach mit dem Arsch nicht angeguckt. Ich kann mich auch noch sehr gut an eine Situation erinnern, wo ich mich wirklich einmischen und mitreden wollte. Aber die Jungs redeten weiter und ….

Knarf: … drehten dir den Rücken zu.

Ebba: Ja.

Daran würde ich gerne anknüpfen: Über die Rolle von Frauen in der damaligen Szene wurde zuletzt viel diskutiert. Bernd, du hast an der Doku von Natascha Geier kritisiert, dass prägende weibliche Protagonistinnen ausgeblendet worden seien.

Bernd: Ja, das fand ich absolut unverschämt. Und dann wurde gesagt, die Hamburger Schule war ein Wurstfest. Das ist so geschichtsfälschend, dass ich Blut spucke.

Knarf: Dem möchte ich schwer widersprechen.

Bernd: Du hast aber doch gar keinen Grund, mir zu widersprechen. Die Regisseurin fragt nur ihre Freundin und Personen, die ihren Hauptwohnsitz in Berlin hatten. Personen, die diese Szene nur peripher mitbekommen haben. Sie lässt Ebba aus, sie lässt Elena Lange aus, Julia Lübke und noch eine Menge anderer Frauen, deren Musik ich gehört habe, auf deren Konzerten ich gewesen bin und mit denen ich gesprochen habe. Das lässt sie alles unter den Tisch fallen. Und dann sagt sie, es gab keine Frauen in der Szene? Das ist sexistisches Ausradieren.

Knarf: Aber Bernadette La Hengst und Christine Rösinger …

Bernd: … hatten ihren Hauptwohnsitz in fucking Berlin. Hör mir doch auf! Die haben eine interessante Perspektive, aber es sind echt keine scheiß Expertinnen …

Knarf: Wie, warte mal kurz, Hauptwohnsitz Berlin – was soll das denn jetzt?

Bernd: Sie haben nicht in der Stadt gewohnt.

Knarf: Bernadette war zu dem Zeitpunkt doch in Hamburg. Daran wirst du dich ja wohl noch erinnern können. Das gibt’s doch gar nicht!

Ebba: False Memory Syndrome.

Knarf: Sie hat mit Huah! zusammengespielt, sie war bei den Mobylettes, sie hatte Die Braut Haut ins Auge. Das waren alles Hamburger Bands. Bernadette war die ganze Zeit hier. Und was ist das für ein Quatsch: Man kann über die Hamburger Schule nicht mitreden, wenn man in Berlin wohnt?

Bernd: Doch, das kann man. Ich habe gesagt: „sie haben eine Perspektive“.

Entscheidend wäre für mich die Perspektive der Frau, die hier mit am Tisch sitzt: Ebba, wie hast du das persönlich erlebt?

Ebba: Wie man vielleicht schon gemerkt hat – als in allen Bereichen ausgrenzend. Innerhalb unseres Bekanntenkreises in Hamburg allerdings nicht so sehr wie auf Tour: Wenn ich in den Club reinkam und nicht ich werde nach der Mikrofonierung des Cellos gefragt, sondern Jakobus. Oder in Gesprächen mit Musikjournalisten, da fand ich es besonders extrem. Selbst bei einer Platte, die „Ebba“ heißt und bei der jeder nachlesen kann, wer die Texte geschrieben hat, wird Jakobus befragt, nicht ich. Das habe ich natürlich gehasst. Aber das vorrangige Gefühl war Enttäuschung, eine riesige, sehr tiefe Enttäuschung darüber, dass Diskriminierung gerade in diesem Umfeld stattfindet. In einem Umfeld, von dem ich dachte, wir hätten mehr gemeinsam, als uns trennen würde.

Wenn wir jetzt nicht miteinander reden, wenn wir jetzt nicht auf Augenhöhe, unabhängig von Geschlecht und Alter und musikalischer Ausrichtung agieren, wo sonst sollte das denn stattfinden? Wieso erlebe ich das in dieser Szene? Wieso erlebe ich das mit diesen Indie-Club-Veranstaltern? Wieso erlebe ich das mit Journalisten, die für die Spex schreiben? Die Enttäuschung hat mich über viele Jahre begleitet und eine Zeit lang auch so etwas wie Bitterkeit verursacht. Aber davon ist nichts mehr übrig.

Bernd: Ja, aber es ist immer schwer zu sagen, was davon allgemein als sozial üblich gilt, und was spezifisch für eine bestimmte Szene ist.

Den ganz entscheidenden Satz in dem Zusammenhang hat für mich Rebecca „Nixe“ Walsh ausgesprochen, die in der Doku berichtet, dass sie zwar selbst keine Ausgrenzung erlebt habe, es aber gleichzeitig den Frauen nicht absprechen möchte, die etwas anderes erlebt haben. Das gehört halt alles mit zur Wahrheit dazu.

Ebba: Ja, aber es ist dann auch ebenso wahr, was Bernd empfindet – das gilt dann genauso.

Bernd: Ich war aber nicht der Einzige, der das so empfunden hat. Das war nicht alles nur individuell und es ist nicht so, dass man sich das im Nachhinein zurechtbiegen würde. Es sind tatsächlich Sachen passiert. Und deshalb wünschet ich mir, es gäbe jemanden, der das akribisch nachzeichnen und historisch einordnen würde. Jemanden, der die Belege überprüft und die Quittungen vergleicht.

Ich fürchte, dass es diesen objektiven Blick in die Vergangenheit, eine Sicht, die ohne Interpretation und Bewertung auskommt, nicht geben kann. Lasst uns stattdessen in die Gegenwart schauen: Wie bewertet ihr die Frage nach Gleichberechtigung in der Musikbranche aktuell, hat sich in der Hinsicht nach all den Jahren überhaupt irgendetwas verändert?

Knarf: Ja, ich glaube, da tut sich was. Wie eingangs gesagt, ich habe hier gestern Die Feigen Flittchen kennengelernt.

Bernd: Meine Tochter, die Teenagerin ist, macht auch Musik. Sie singt und schreibt die Songs selbst. Und im Gegenteil nehme ich eher wahr, dass die Jungs in ihrer Band total eingeschüchtert sind. Also vielleicht muss da auch wieder ein bisschen feinjustiert werden, damit wir endlich irgendwann alle auf Augenhöhe agieren.

Ebba: Wenn wir da gesamtgesellschaftlich draufblicken, dann sehen wir ja, dass es Diskriminierung oder so etwas wie den Pay Gap nach wie vor gibt. Jakobus und ich haben gerade festgestellt, dass er eine viel höhere Rente beziehen wird als ich. Also er bekommt, glaube ich, 100 und ich nur 50 Euro (lacht), obwohl er im Gegensatz zu mir nie fest angestellt war. Wir wissen alle, dass es noch einiges zu tun gibt. Und was die Musikwelt betrifft, denke ich auch, dass sich einiges verbessert hat. Aber man muss auch differenzieren: Im Rap scheint die Frage nach Gleichberechtigung nach wie vor ein Thema zu sein.

Wie sehen denn eure eigenen Pläne für die Zukunft aus? Ebba, arbeitet ihr mit JaKönigJa weiter an Songs oder können wir euch bald wieder live erleben?

Ebba: Nein, Konzerte stehen derzeit nicht an. Aber es gibt total viel Material, das sich über mit der Zeit angesammelt hat. Wir haben auch mit Buback eine Plattenfirma, die immer noch da ist und das veröffentlichen würde. Aber erst einmal müssten wir daraus was machen. Ob sich das dann live umsetzen lässt, ist wiederum eine andere Frage. Jakobus sagt immer, lass es uns machen wie Harry Nilsson: Wir nehmen die Platten so auf, dass schon vorher gesetzt ist, dass wir damit niemals auf Tour gehen können. Ich bin da anders. Ich würde sehr gerne wieder auf der Bühne stehen. Es ist doch wichtig, mit der Musik rauszugehen.

Bernd: Ja, bitte! Ich würde euch jederzeit sehen wollen und sofort kommen.

Wie sieht es bei dir aus, Knarf? Konzerte spielst du ja weiterhin regelmäßig. Steht auch eine neue Platte an?

Knarf: Ja, die muss endlich wieder her. Ich habe nur keine Ahnung, woher das Geld kommen soll. Wir verdienen ja nur durch die Konzerte, aber die Gage geht bei mir immer sofort für den Lebensunterhalt drauf. Es bleibt nie etwas übrig.

Bernd: Die Welt, über die wir geredet haben, ist versunken. Wir sind komplett enteignet worden. Journalisten sind enteignet worden, jedenfalls zu einem hohen Grad. Auch die Meinungsmacht ist gebrochen worden. Wir wissen das alles, da braucht man kein Amateursoziologe zu sein. Uns wurden die Tonträger genommen. Und jeder weiß, dass sich die heutige Generation nicht mehr dafür interessiert, ein Album als Ganzes wahrzunehmen. Die Kids interessieren sich auch nicht mehr für Filme, sie interessieren sich für Filmstars. Das, was früher Populärkultur war, liegt jetzt im Rückspiegel. Ich würde sagen, Populärkultur ist inzwischen zu 90% TikTok.

Knarf: Aber trotzdem machst du weiter. Und ich mache weiter.

Bernd: Ja, Konzerte sind das Tollste überhaupt. Ich hoffe, ich kann euch bald wieder live sehen. Und ich werde schwelgen!

Ebba: Und wann kommt das Gemeinschaftskonzert, bei dem dann alle wieder zusammengebracht werden? Das Abschlussbild auf der Bühne mit den Goldenen Zitronen, Ted Gaier Arm in Arm mit Bernd Begemann und alle drumherum …

Ja, bitte. Und danach alle zur Aftershow-Party in die Mutter!
Interview: Marc Wilde

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