Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: “Reiß das Maul auf und beende diese Phase”
Die Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs waren – trotz des kaum (zumindest zu Kneipenuhrzeiten) fehlerlos bewältigbaren Namens – für nicht wenige einer der wichtigsten Bands der sogenannten Hamburger Schule. Ins Epizentrum der Wahrnehmung schafften sie es zwar nie so ganz, aber sie prägten viele der Musiker:innen um sich herum und auch der nachwachsenden Generationen nachhaltig.
Irgendwann Ende der 90er Jahre verstummte die Band leider, aber glücklicherweise nicht für immer. Denn wie heißt es so schön im OZSWMK-Song “Geschichte spricht”: “Reiß das Maul auf und beende diese Phase / jetzt bin ich durch und komm zum Anfang dieser Frage / Was sprechen heißt und nicht wie’s klingt wenn ich was sage / Das Sprache trägt und zwar auch mich und was ich trage / Geschichte spricht, Geschichten, eigene, also Leben …”
In diesem Sinne veröffentlichte das Hamburger Label Tapete dieser Tage “Leichte Teile, kleiner Rock” von OZSWMK nach 25 Jahren erstmals als komplettes Album auf einer Vinyl-Schallplatte. Und unglaublich aber wahr, die Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gehen auch wieder auf Tour.
Thomas Venker hat sich im Vorfeld mit Carsten Hellberg ausgetauscht.
Tilman Heyden war so freundlich und hat das Band-Archiv nach Fotomaterial durchwühlt.
Carsten, beginnen wir mit Gefühlen. Was hat der Beschluss die Band zu reanimieren in dir für ein Gefühl ausgelöst?
Carsten Hellberg:Eine gewisse Aufregung, etwas Euphorie, ein Gespanntsein, und im Großen und Ganzen, dass gute Gefühl, einen nicht ganz zu Ende gesponnenen Faden dankbar wieder aufzugreifen.
Kannst du kurz darlegen, wie es zur Möglichkeit einer Reunion kam und wie der Weg dahin diskursiv ausfiel?
Dirq Niemann, Berliner Booker und wie sich herausstellte ein alter Fan, fragte uns völlig ansatzlos ob wir mal wieder spielen wollen. Die Auseinandersetzungen darüber, ob und wie wir das machen wollen, waren vielfältig – persönliche Gespräche vor allem, schließlich hatten sich unsere Lebenswege doch ein Stück weit voneinander entfernt, auch wenn wir immer Kontakt hatten. Und es standen auch nicht alle Personen zur Verfügung, dafür kamen andere – alte und neue – dazu. Musikalische Umsetzungsformen mussten gefunden werden, Plätze im Bandgefüge neu- oder wiedereingenommen werden – ein insgesamt sehr aufwändiger Prozess, der auch tatsächlich einige Jahre dauerte, inklusive Pandemie. Aber dafür ist das „fertige Produkt“, wie man in der Branche sagt, auch sehr gegenwärtig.
Wo eine Reunion stattfindet, gab es auch eine Bandauflösung. Die 90er Jahre gehörten den Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, danach war Schluss. Warum eigentlich?
Es gab keine Auflösung, aus persönlich-biografischen Gründen ergab sich aber nach der letzten Tour 1999 keine Fortsetzung mehr. Wir haben noch einige Jahre in unterschiedlichen Besetzungen geprobt, ein paar Auftritte gemacht, aber ein neues Modell hat sich daraus nicht mehr ergeben. So war es Zeit, das sein zu lassen.
Es gibt ja die Kategorie der Musiker:innen-Musiker:innen, also Bands oder Musiker:innen, die es leider nie zu ganz großer Popularität geschafft haben, deren Veröffentlichungen und Konzerte, ja deren Existenz aber für eine ganze Generation anderer Musiker:innen von extrem großer Bedeutung waren und sind.
Für mich gehören die Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs im Kontext der Hamburger Schule und darüber hinaus definitiv so einsortiert.
Ignorier bitte mal kurz, dass es eine seltsame Frage an einen beteiligten Musiker ist, aber: Siehst du das ähnlich?
Nie ganz groß populär, das waren wir sicherlich. Für eine ganze Generation von extrem großer Bedeutung – das klingt für mich nach The Who, Joy Division oder Public Enemy, also Bands, die das für mich waren. Vielleicht n Tick zu hoch einsortiert, aber merci!
Neben all den persönlichen Umständen eines Wiederanfangs spielt natürlich auch die veränderte Welt um einen herum eine Rolle. Da wir ja auch viele jüngere Leser:innen haben auf kaput, wie erinnerst du denn die Welt in Hamburg, Deutschland und global Ende der 80er / Anfang der 90er als sich die Band originär zusammen fand?
Oha, die Frage will viel! Die Welt damals, als wir 1986 anfingen, war klein und kompakt, fast schon noch schwarz-weiß, und sehr übersichtlich durchstrukturiert. Das alles flog Ende der 80er auseinander, was einerseits sehr ungemütlich und beängstigend war, andererseits einen großen Reichtum offenbarte. Parallel zur globalen Weltordnung brach auch die Musikwelt auseinander, was dann auch zu Unübersichtlichkeit und Beunruhigung, aber eben auch zu erwähntem Reichtum führte. Blind Idiot God und Public Enemy, Universal Congress Of und Drum’n’Bass quasi nebeneinanderher zu hören, war schon sehr fruchtbar. Ab den Nullerjahren hat sich das dann wieder beruhigt, bei fortschreitender Diversifizierung, aber so im Eimer wie jetzt, war sie dann doch nicht, die gute alte Welt.
Wenn Dirk von Lowtzow / Tocotronic damals davon sangen, dass sie nicht in Seattle seien, dann vor allem auch deswegen, da neben Deutsch-Punk eben US-Indie so wichtig für die Band war.
Das Bezugsnetzwerk der Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs empfand ich damals als aufregend weiter gestrickt, man meinte zumindest neben den klassischen Koordinaten Indie und Postpunk den schrägen Jazz zu hören, der auf SST Records damals erschien, oder auch dezente Einflüsse von dem, was man später unter World Music fasste. Wie hat man sich die damalige Soundfindung und -ausarbeitung denn vorzustellen?
Diese Explosion der Bezugspunkte war für mich und uns schon sehr bedeutend. Der Garten wurde immer größer, die Begrenzungen fielen, und da wir eh kein klares musikalisches Programm hatten, konnten wir, was immer uns interessierte, einbinden in unser Musikschaffen. In der Grundstruktur waren wir so offen wie n Anarcho-Kinderladen (und manchmal eben auch genau das): jeder konnte was mithineintragen, es wurde sehr viel gejammt, am Ende mussten dann Songs draus werden, was dann ganz schön gedauert und Kraft gekostet hat. Aber das war unser Ansatz – maximale Freiheit beim Entstehen, dann konzentrierte Fokussierung.
Heute sieht die Welt völlig anders aus. Wie verhält sich diese Feststellung, wie verhält sich die veränderte Welt zu Eurem Werk, das ja dieser Tage teilweise („Leichte Teile” (von 1996) und “Kleiner Rock“ (von 1998) kompiliert) wiederveröffentlicht wird?
Das werden wir dann jetzt erst sehen, wie sich die veränderte Welt dazu verhält. Aber ich hoffe, dass sich unsere Musik, wenn wir sie jetzt spielen und sie auf Plattenspieler gespielt wird, zur veränderten Welt verhält wie ein alter Freund, dem man wiederbegegnet und der überraschenderweise kein Gramm von seiner früheren Verbindlichkeit verloren hat und doch ein anderer ist, schlichtweg weil Zeit vergangen ist.
Haben die Songs für dich Ihre damalige Lesart behalten? Oder hat sich dein Blick darauf verändert?
Mein Blick hat sich verändert, einige Zeilen hab ich jetzt erst verstanden oder zumindest anders verstanden, aber den generellen Ansatz, aus einer radikalen Selbstbetrachtung Mitteilenswertes zu erschaffen, den verstehe ich immer noch so wie damals.
Was ist für dich persönlich von der Hamburger Schule geblieben?
Die Erinnerung an eine sehr spannende, bewegte, aneinander interessierte soziale Szene, die weniger von Konkurrenz als von Verbundenheit geprägt war. Sicherlich ein Glücksfall, in so etwas hineingeraten zu sein, es lag aber auch irgendwie in der Luft. Und ein gewisser Stolz, daran mitgewirkt zu haben. Ich meine das allerdings komplett jenseits der kategorialen Zuschreibung – deutsche Texte haben uns ja erst sehr spät interessiert. Der Humor kam vielleicht etwas zu kurz, die Beats waren etwas dünn, aber die Vielfältigkeit der Szene war beeindruckend.
Ihr tourt 37 Jahre nach der Bandgründung in der Besetzung Thorsten “Taucher” Weßel, Tilman Heyden, Joachim Franz Büchner, Lars Horl und Carsten Hellberg – und habt, wie ihr in der Ankündigung schreibt: „tierisch Bock und immer noch Respekt vor dem eigenen Hau“.
Wie wirkt sich 2023 der „Respekt vor dem eigenen Hau“ aus?
Ich bin immer noch dabei, zu verorten, wo ich mir wann voraus- oder hinterher laufe und ob es nicht mal möglich wäre, genau in der Mitte zu sein. Und die Frage, ob man das alleine oder zu zweit oder zu mehreren besser kann, zieht sich durch mein Leben. Es gibt darauf auch sicherlich viele mögliche Antworten, mir erscheint allerdings der Ansatzpunkt, sich erstmal als leicht beschädigt anzuerkennen, aber im positiven Sinne, immer noch aktuell. Vielleicht geht der Blick heute weniger auf den Schaden als auf die Reparatur. Aber das eine geht natürlich nicht ohne das andere.
Wie verliefen denn die Proben? Als reiner Prozess der Rückschau oder kann man eventuell sogar das ein oder andere neue Stück erwarten, oder eine Coverversion?
Es ist immer ein Rückblick, wenn die Songs ein Vierteljahrhundert alt sind, es ergab sich aber schon durch die personellen Veränderungen automatisch, dass es eine gewisse Neuinterpretation wird. Ich war höchst erfreut, als ich merkte, dass sich das sehr gegenwärtig anfühlt, mit den Songs auf der Bühne zu stehen – ein luftiger Brückenschlag. Ein Cover gehört natürlich zu jedem Konzert, neues kann es jetzt aber nicht geben, erstmal müssen wir diesen Prozess erleben, dann wird man sehen.
Kamen die Songs in den 90ern eigentlich relativ leicht zu den Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs? Ich frage das, da für mich Eure Musik immer eine unglaubliche Leichtigkeit auszeichnete, die man als Hörer sich aber kaum erklären konnte, da die Textur der Songs ja eher knäulig ist, wenn du weißt, was ich meine. Es waren dichte Micro-Epen, die einen einerseits eng hielten, anderseits aber auch ein Gefühl des Loslassenkönnens schenkten.
Das ist sehr schön, wie du das beschreibst, so mag ich es auch gerne. Alleine, ich kann dir sagen: war ne Menge Arbeit.
Letzte Frage: DJ Melanie geht ja mit Euch auf Tour, welchen Song wünscht du dir denn von ihr jeden Abend?
Wir wünschen uns von ihr, dass sie in ihrer absoluten DJ-Melanie-haftigkeit die Abende eröffnet und beendet, so wie sie es auch auf der letzten Tour gemacht hat, deshalb schließen sich konkrete Wünsche aus. Aber „A Day in the Life“ hat natürlich den bestmöglichen Schlussakkord und macht allen klar, dass der Abend vorbei ist.
Leichte Teile, Kleiner Rock“ Tour 2023
präsentiert von Taz, ByteFM & Kaput Magazin
10.11. Hannover, Béi Chéz Heinz
11.11. Osnabrück, Kleine Freiheit
13.11. Oberhausen, Druckluft
14.11. Köln, Subway
15.11. Mainz, Schon Schön
16.11. München, Import Export
17.11. Dresden, Ostpol
18.11. Berlin, Lido
19.11. Hamburg, Knust