Interview

Bärchen und die Milchbubis: “Mir hat Punk auf jeden Fall geholfen, meinen Lebensweg zu finden”

Bärchen und die Milchbubis (Photo: Kevin Winiker)


Man schrieb das Jahr 1981, als das Debütalbum von Bärchen und die Milchbubis erschien: „Dann macht es Bumm“ hieß es, Hits wie „Ich will nicht älter werden“ und „Tiefseefisch“ waren darauf.

Die Band um Annette „Bärchen“ Simons spielte seit Ende der Siebziger in Jugendzentren in Hannover und Umgebung, mit dem Song „Jung kaputt spart Altersheime“ gelang ihnen bereits 1980 ein Klassiker des deutschsprachigen Punkrocks – ein noch heute oft gesehener Slogan auf Lederjacken und Kneipentheken. Ein paar Jahre lang waren Annette und ihre Mitmusiker regelrecht berühmt: Ihr Pop-Appeal machte Bärchen und die Milchbubis zum Bindeglied von Punk und NDW, brachte die Band sogar in die BRAVO und in TV-Shows. 1983 löste sich ihr Label No Fun Records auf, die Band auch, man ging seiner Wege.

Es sollte fast vierzig Jahre dauern, bis man wieder von Bärchen hörte: 2021 erschien die Werkschau „Endlich komplett betrunken“, erste Auftritte in neuer Formation bei kleineren Punk-Festivals wurden absolviert. Sam Vance-Law nahm eine Coverversion von „Ich will nicht älter werden“ auf. Bärchen und die Milchbubis waren wieder in aller Munde – und so manche andere Akteur:innen „von damals“ auch: Annette Benjamin von Hans-A-Plast zum Beispiel, die mit jungen Musiker:innen wie Max Gruber und Charlotte Brandi neue Songs aufnahm.


Die Bärchen spielten 2023 einige Konzerte, jetzt erscheint ihr zweites (!) Full-Length-Album „Die Rückkehr des Bumm!“ bei Tapete Records. Nicht älter werden zu wollen, ist nicht mehr das Thema für Annette Simons, Kai Nungesser und Marky Joseph. “Ja, ich bin alt – und ich darf alles”, singt Annette Simons befreit und selbstbewusst, „rauchen, saufen, alles!“, auch „kein Stress mit PMS“ ist eher Grund zu feministisch begründeter Freude als für Gram.

Auf dem neuen Bumm-Album beschäftigt sich die Band mit aktuellen Themen wie Katzenvideos, untreuen Tinderhengsten, nervigen Mansplainern oder mit eigenen Unzulänglichkeiten („Alles falsch“). Die musikalische Gästeliste reicht von Annette Benjamin und Dr. Renz bis Martina Weith, Bärchen und die Milchbubis wollen nicht im eigenen Saft schmoren, sondern mit Freund:innen um die Häuser ziehen, so lange man es eben schafft. Aufs Sofa zum Katzenvideos gucken kann man sich später noch legen.

Annette Simons (Photo: Laila Fruehsorger)

kaput: Hallo Annette, wie geht’s? Die Veröffentlichung des zweiten Albums von Bärchen und die Milchbubis steht – seid ihr, bist du aufgeregt?

Annette Simons: Ja, sehr. Vorhin habe ich mich auf einen Termin vorbereitet und habe viele Sachen zu Hause vergessen. Meine Brille zum Beispiel.

Was war das für ein Termin?

Isa von Tapete Records und ich haben das Hanseplatte-Schaufenster dekoriert. Wer dort ab 19.4. unser Album kauft, darf sich zwei von mir gestaltete Bierdeckel aussuchen!

Euer Debütalbum „Dann macht es Bumm“ erschien 1981, also vor 43 Jahren…

Ich bin schon sehr nervös und frage mich, ob ich das alles schaffe. Wir gehen ja bald auf Tour – das wird kräftemäßig sehr anstrengend. Im vergangenen Jahr sind wir einige Male aufgetreten, aber das waren nur einzelne Konzerte beziehungsweise wir als Vorgruppe. Jetzt sind wir selbst dafür verantwortlich, ob Leute kommen.

Bärchen und die Milchbubis sind ja nicht die einzigen, die wieder da sind und neue Musik machen. Östro 430 haben letztes Jahr ein neues Album rausgebracht, Annette Benjamin von Hans-A-Plast hat mit Max Gruber/Drangsal und Charlotte Brandi als Die Benjamins neue Songs aufgenommen. Warum scheint jetzt die Zeit (wieder) reif zu sein, vor allem für ehemalige Punk-Musikerinnen?

Anja Huwe (Xmal Deutschland) hat auch ein neues Album veröffentlicht, mit Mona Mur und der Gitarristin von Xmal Deutschland, Manuela Rickers. Ich denke, dass das biographische Gründe hat. Typisch weiblich biographisch: Annette Benjamin und ich haben Kinder bekommen, da war keine Zeit mehr für Punkrock.

Annette Benjamin hat nach Hans-A-Plast einen Vollzeit-Schreibtisch-Job angenommen. Als ich sie kürzlich sprach, sagte sie, dass ihre Punk-Vergangenheit sie immer begleitet und ihr geholfen hätte. Ist das bei dir auch so?

Mir hat Punk auf jeden Fall geholfen, meinen Lebensweg zu finden – ich denke, dass die Punkvergangenheit einander verbindet. Also dass sich frühere Punks immer erkennen, ohne dass man die üblichen Insignien trägt. Ich finde, dass ehemalige Punks offen, tolerant und friedlich sind!

Fühlt es sich für dich gerade nach Anknüpfen an frühere Zeiten an oder wie ein Neuanfang?

Wie ein Neuanfang! Jetzt passt es super, etwas neues zu machen: Ich bin älter, habe keine Verpflichtungen mehr, stehe nicht mehr unter Druck, etwas beweisen zu müssen. Ich habe keine Angst mehr davor, falsche Entscheidungen zu treffen. Ich wollte immer Malerin werden, jetzt mache ich es einfach. Die Aggrobärin auf dem Cover unseres neuen Albums ist von mir und sie gefällt mir sehr! Früher war ich als Sängerin unsicher und schüchtern – inzwischen habe ich Gitarre spielen gelernt und muss nicht mehr so ungeschützt performen.

Fühlst du dich als Role model für jüngere Frauen / Musikerinnen?

Eigentlich nicht, aber ich freue mich, wenn es mir jemand sagt! Es freut mich auch sehr, dass zu unseren Konzerten viele Frauen kommen – letztens sagte eine Besucherin zu mir, dass sie sich bei uns zum ersten Mal getraut hätte, Stage Diving zu machen! Überhaupt höre ich gern die tollen Geschichten, die mir Frauen nach den Konzerten erzählen: Nathalie von der Band Klaus K!nks zum Beispiel engagiert sich für inklusive Konzerte, also dass auch Leute im Rollstuhl in die Halle reinkönnen.

Hat sich das Punk-Publikum im Gegensatz zu früher verändert?

Die Leute sind bewusster, aufmerksamer, weniger aggressiv… es wird auch viel weniger Alkohol getrunken. Früher wurden Bierdosen geworfen und viel gespuckt – das gibt es heute nicht mehr.

Wie motiviert man sich nach so langer Zeit, neue Songs zu schreiben – für ein komplettes Album?

Haha, ganz einfach: Man kriegt einen Vertrag vom Label und in dem steht, bis wann die Platte fertig sein muss! Es war ganz schön stressig, hat aber auch sehr viel Spaß gemacht. Als ich den anderen den Song „Alles falsch“ vorgespielt habe, dachte ich, dass sie ihn mir um die Ohren hauen werden – aber dann mochten sie ihn doch. Zwölf Songs haben wir geschrieben und eine Coverversion aufgenommen: „Kein Problem“ von Rotzkotz, die seinerzeit auf dem selben Label wareb wie wir, bei No Fun Records. Der ehemalige Rotzkotz-Schlagzeuger Markus Joseph ist ja jetzt unser Schlagzeuger.

Ich finde es sehr mutig, das Album mit einem Song über Bettwanzen zu eröffnen…

… wir haben nicht darüber nachgedacht, welcher Song der beste Opener ist – ich finde das Stück einfach sehr gut!

Hast du beim Text von „Mansplainer“ an konkrete Personen gedacht? „Quatsch mich nicht an / lass mich in Ruh / text mich nicht voll / vielleicht hörst du mir mal zu“…

An alle Männer um mich herum! Auch an meinen eigenen Mann, die Bandkollegen wollen mir andauernd etwas erklären! Ich glaube, das liegt an ihren schwachen Egos.

Auf der Rotzkotz-Coverversion singt Annette Benjamin, beim Song „Fett“ ist Dr. Renz von Fettes Brot zu hören – kanntet ihr euch vorher schon?

Nein, das war eine fixe Idee von mir, bei diesem Song Dr. Renz dabei zu haben! Wir kennen den Gitarristen, der bei der Abschiedstour von Fettes Brot dabei war, so kam der Kontakt zustande. Ich habe Dr. Renz eine Mail geschrieben und er hat gleich geantwortet. Hat gefragt, was er machen soll, kam ins Studio und hat ganz professionell seinen Part eingesungen. Noch ein Beweis, dass Ex-Punks echt okay sind!

Als Blondie-Fan gefällt mir „Blondie“ natürlich besonders gut…

Ich wollte ein Stück übers Altwerden schreiben, ein Lied über Liebe im Alter, wenn sich alles ändert, Sex nicht mehr so wichtig ist… ja, ein Liebeslied sollte es sein.

Mich berührt es sehr, wenn du singst, „Und wenn ich alles vergessen hab / singst du dann Blondie für mich? / Vielleicht geht dann meine Lampe an / und ich erinnere mich“ – ich habe meiner Familie auch schon gesagt, dass sie mir „Heart Of Glass“ vorspielen sollen, wenn ich dement werde.

Ach, wir sollten doch eine Band aus alten, garstigen Weibern gründen und sagen, was wir schon immer gesagt haben! Vor ein paar Tagen beim Nachrichtenschauen konnte ich kaum glauben, dass immer noch über die Abschaffung des Paragraph 218 diskutiert wird – der Fortschritt wird immer von denselben rückständigen Leuten verhindert.

Das Stück „Geister“ fällt ein bisschen aus dem Rahmen, kannst du dazu etwas erzählen?

Die Idee zu dem Song kam mir, als ich einen Bericht über Geflüchtete an der europäischen Grenze gesehen habe. Leute, deren Spuren sich einfach verlieren… ich fand es schwierig, über dieses Thema einen direkten Text zu schreiben, also habe ich versucht, diese Traurigkeit poetisch anzugehen. Auch damit die Interpretation offen bleibt – mir haben mal Punks aus der DDR erzählt, dass der Bärchen-Song „Egal“ für sie ein Anti-Stasi-Lied ist, also in der DDR ganz anders aufgefasst wurde als in Westdeutschland.

Ende April beginnt eure Tournee mit zwölf Terminen – wie bereitet ihr euch vor?

Es geht genau heute mit den Proben los! Ich mache seit einer Weile Krafttraining: Anderthalb Stunden Gitarre spielen ist wahnsinnig anstrengend.

Bärchen und die Milchbubis DIE RÜCKKEHR DES BUMM! Tour 2024:
28.4. Berlin – Monarch
29.4. Leipzig – Moritzbastei
2.5. München – Rote Sonne
3.5. Ulm – Gold
4.5. Lindau – Vaudeville
8.5. Köln – Sonic Ballroom
9.5. Oberhausen – Druckluft
10.5. Wuppertal – Die Börse
11. 5. Hildesheim – Kulturfabrik Löseke
18.5. Husum – Speicher
24.5. Bremen – Lagerhaus
25.5. Hamburg – Hafenklang

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