Im Gespräch

“Andere Frage: Wer von euch hat schon mal einen Kaugummi-Automaten aufgeschmolzen?” – Das Zimt-Interview

In Zeiten, in denen jeder wildgewordene DIY-Kasper mit seinen selbstbesungenen Schrammelalben die Presswerke blockiert, allein um seine Existenz fortan zwischen Kartons voll unverkäuflicher Tonträger zu fristen, veröffentlichten Zimt bislang nicht einen einzigen (Demo-)Song in Eigenregie. Die ersten beiden Songs erschienen auf einer 7“ bei Kleine Untergrund Schallplatten, das Debütalbum nun ein Jahr später auf Tapete Records. Und zwar gerade jetzt: »Glückstiraden« heißt es. Schwer anständige Menschen scheinen sich hinter dieser Band zu verbergen. Janina (Stimme, Tasten, Gitarre), Isabella (Bass, Stimme) und Ralf (Schlagzeug, Gitarre, Stimme) wären schon mal die Namen. Der hochverdichtete Musiker und Buchautor Roland van Oystern hat sie für kaput getroffen. Fotos: Frederik Jehle.

000

Foto: Frederik Jehle

Hallo Zimt, wie habt ihr einander gefunden?
Janina: Wir haben uns alle drei auf einem Tocotronic-Konzert kennengelernt und wollten dann spontan Musik machen.
Isabella: So schnell kann’s gehen.
Ralf: Man kam auf mich zu.
Auf diesem Tocotronic-Konzert kamen die beiden dann auf dich zu? Auf welchem war das, wisst ihr das noch?
Janina: Das war auf einem München-Konzert. Ich hab über die beiden Bier geschüttet. Dann kamen wir ins Gespräch.
Isabella: Ja, ich war natürlich erstmal etwas aufgebracht wegen des ganzen Bieres auf meiner Kleidung. Aber man rauft sich dann zusammen. Auf dem Rückweg im Zug hatten wir dann die Idee mit der Band und ich bin immer noch erstaunt, dass wir das dann auch wirklich durchgezogen haben.

Wo wir’s gerade schon von Tocotronic haben: Jemand von Tocotronic meinte mal, bei Bandfotos ließe sich bestenfalls Schadensbegrenzung betreiben. Würdet ihr sagen »ja, das stimmt«?
Janina: Auf jeden Fall. Ich bin aber ganz zufrieden mit unseren jetzigen Bandfotos.
Isabella: Ja, unser liebster Herr Fotograf fängt uns immer sehr gut ein. Eigentlich sehen wir viel schlimmer aus.
Ich finde, ihr seht auf den Pressefotos und dem Albumcover auf sympathische Art befremdet aus. So ein bisschen als wäre euch die Situation mit der weißen Wand nicht ganz geheuer oder zumindest leicht unangenehm.
Janina: Das hast du richtig erkannt. Wir sind alle nicht im Model-Business groß geworden und standen alle zum ersten Mal in so einem weißen Fotostudio. Eigentlich machen wir ja wirklich lieber Musik in der Zeit als nett in die Kamera zu lächeln.
Isabella: Eben, man macht das ja nicht alle Tage. Wahrscheinlich sehen wir so befremdet aus, weil wir zuvor schon einige Schwierigkeiten hatten, anständig und mit offenen Augen in die Kamera zu sehen. Und dann mussten wir uns halt wahnsinnig konzentrieren.

000000Wie war es denn im Tapete-Studio? Da soll es ja bisweilen recht gesellig zugehen?
Janina: Es war sehr nett. Zwanie, unser Aufnahmeleiter, ist ein lockerer und tiefenentspannter Kerl, wir hatten da echt eine gute Zeit. Ab 5 gab’s dann immer Bier. Die Regel mit 4 wurde aus Produktivitätsgründen um eine Stunde nach hinten geschoben. Danach ist man dann noch auf ein paar Astra in Zwanies Stammkneipe nebenan geschlürft, wie hieß die noch?
Isabella: Kulturhaus? Natürlich hat das der Produktivität aber keinen Abbruch getan.
Janina: Ein echtes Musiker*innen-Leben also.
Isabella: Wegen des Begriffs »Tapete-Studio«: Es ist kein direktes Studio von Tapete selbst, sondern Zwanies Studio mit dem Namen »artikel 1 Tonstudio«, wo z.B. Andreas Dorau und DLDGG schon öfter aufgenommen haben.
Andreas Dorau und Saskia Lavaux standen dann pünktlich um 5 auf der Matte?
Janina: Genau.

Und abgemischt habt ihr das Album selbst? Auf der Hülle steht: Produziert und abgemischt von Zimt.
Ralf: Das ist theoretisch gesehn richtig. Wir haben ihm gesagt, wie es für uns klingen muss und Zwanie hat das dann in der Praxis durchgeführt.
Isabella: Sagen wir so: Wir haben beim Mischen vorwiegend angeleitet und Zwanie hat unsere Vorschläge dann mit seinem allerbesten technischen Know-How umgesetzt.

Wo wir schon dabei sind, einen Blick hinter die Kulissen zu schmeißen: Wenn man fürs Deutschlandradio interviewt wird, benötigt man nicht nur ein Festnetztelefon, sondern sofern man möchte, dass das Interview hernach gesendet wird, auch ein Aufnahmegerät, um das Gespräch aufzuzeichnen und dem Rundfunk zu übersenden?
Janina: Genau, irgendwer muss das ja aufnehmen, wenn man keine Mittel hat, nach Berlin ins Studio zu fahren.
Isabella: Einfach, damit man dann eine einigermaßen anständige Tonqualität bei unseren Antworten hat.
Ach klar, wegen der Tonqualität, das leuchtet mir ein. Darauf wäre ich jetzt gar nicht gekommen.

Zu eurem Bandnamen: Zimt ist ja die Schlüsselkomponente der Cinnamon Challenge, welche im Jahr eurer Bandgründung erste Todesopfer gefordert hat. Weiter erhält das Gewürz jährlich Negativberichterstattung in der Vorweihnachtszeit, wenn die Menschen vom vielen Zimtsternemampfen an der Gallsucht erkranken. Ist eure Namenswahl der Versuch einer Rehabilitierungsmaßnahme für das Gewürz in der öffentlichen Wahrnehmung?
Isabella: Das hast du vollkommen richtig erkannt. Man kann sich nicht einfach Unmengen Zimtsterne einverleiben und dann hinterher alles auf ein unschuldiges Gewürz schieben statt auf die gegessene Menge an Zimtsternen.
Janina: Was für ein Ding?
Die Cinnamon Challenge, hast du davon wirklich noch nie gehört? Da steckt man sich einen Löffel Zimt in den Mund und wenn man ihn runterbekommt, erhält man dafür lebenslang Anerkennung.
Janina: Kann man daran sterben?
Isabella: Ich weiß nur, dass ein Jugendlicher davon ins Koma gefallen ist und dass man eine Lungenentzündung und Atemnot bekommen kann. Mit solchem Schabernack haben wir jedenfalls nichts zu tun.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man überlebt, ist sehr hoch. Es lohnt sich unter Umständen, das Risiko einzugehen. Andere Frage: Wer von euch hat schon mal einen Kaugummiautomaten aufgeschmolzen?
Janina: Bestimmt die Isi, als sie Zimt-Kaugummis haben wollte, aber kein Geld dabei hatte.
Isabella: Irgendjemand muss ja die Kaugummis vor Ablauf des MHD retten. Bei den meisten ist es allerdings sowieso schon zu spät.


Das erste Musikvideo von Zimt: »Du kannst so leben wie du willst«

Warum gibt es in eurem ersten Musikvideo Gösser? Und was genau geht auf den Bildern in euren Händen vor sich (1:52 bis 1:57)?
Janina: Wir lieben Gösser. Und wir lieben veganes Essen.
Isabella: Das auf den Bildern? Das ist Kunst.
Ralf: Erfrischungsgetränke sind ein Muss in den ersten Musikvideos einer jeden Band.
In welchem Verhältnis steht die Kunst auf den Bildern zum Song?
Janina: In keinem, die sind völlig willkürlich.

In einem Lied von euch heißt es »Euer Wohlstand regt mich auf«. Regt euch euer eigener Wohlstand auch manchmal auf?
Ralf: Andauernd.
Janina: Ja, bestimmt.

Mögt ihr die Bands von Carsten genauso gern wie er eure?
Janina: Ja, wir lieben Superpunk.
Ralf: So sieht’s aus.

Es gibt noch einen unveröffentlichten Song aus der »Glückstiraden«-Aufnahmesession, der demnächst auf einer Compilation von Kleine Untergrund Schallplatten erscheint?
Janina: Genau, der Song heißt »Weg der Harmonie« und wird demnächst auf einem KUS-Sampler erscheinen.
Ralf: Alle Interpreten auf diesem Sampler sind absolut empfehlenswert.

Was sind eure Lieblingsbands?
Janina: Velvet Underground, Broadcast, Die Sterne
Isabella: The Vaselines, Sonic Youth, Stereolab
Ralf: JaKönigJa, Pulp, Television Personalities
Warum?
Isabella: Vor allem The Vaselines und Sonic Youth, weil sie unangepassten, teils dissonanten Sound ohne hohe Ansprüche an sich selbst und ohne unnötige Schnörkel machen.
Ralf: Lieblingsmusik kann man ja nicht erklären. Es ist reine Geschmackssache.
Janina: Die Sterne sind eine meiner Lieblingsbands, weil ich als Teenie ein echter Hamburger-Schule-Nerd war und diese Band mich am meisten davon, denk ich, geprägt hat.
Von einem Väterchen der Hamburger Schule gelobt zu werden, ist dann ja besonders schön. Bei YouTube steht unter einem eurer Videos: »Wurde aufmerksam, weil Bernd Begemann euch lobte und ich finde es auch gut.«
Janina: Ja, das ist eine ganz große Ehre! Bernd Begemann ist ja quasi eine Kultfigur.
Von Bernd Begemann habe ich durch die Kurzgeschichte »Baucheln mit Begemann« erfahren. Die ist in so einem Literaturheftchen namens Salbader erschienen, in der Ausgabe Nr. 35 »Belehrung und Erbauung« aus dem Jahr 2005. Die Geschichte ist sehr gut; belehrend und erbaulich. Das Wort »baucheln«, das von Bernd Begemann stammt, steht seltsamerweise nicht im Duden. Das müsste man da unbedingt mal beantragen. (Obacht, liebe Leser*innen: Wer einen Scan von der Geschichte haben mag, dem mache ich gerne einen.)

Die Hamburger Schule kommt ursprünglich aus Bad Salzuflen. Kommt ihr auch vom Dorf?
Janina: Ja. Ich finde schon, dass das Dorf einen zum Musikmachen inspiriert, besonders, wenn man nicht zur Dorfjugend gehört. Irgendwie muss man sich ja beschäftigen. Und damit ist die Frage beantwortet: ⅔ von uns sind Dorfkinder.
Wie trist war die Dorfjugend so?
Janina: Ich glaube, Stadtkinder können das gar nicht so nachvollziehen, wie es ist, auf dem Land aufzuwachsen. Viele Städter romantisieren das Dorfleben ja irgendwie. Mit Kühen und frischer Luft und so. Ich hab mich im Dorf immer deplatziert gefühlt. Wenn man nicht unbedingt in den Schützenverein wollte oder bei der Feuerwehr aktiv war, dann war man direkt anders, eine Außenseiter*in, es wurde über eine*n getratscht, die Ablehnung und Intoleranz konnte man bis tief ins Mark spüren.
Ralf: Man lernt sich selbst sicher am besten kennen, wenn man geburtenhalber in einer provinziellen Isolation aufwächst.

1459803_10200868458305343_597477891_n

Bad Salzuflen weltweit: Im legendären Kurort finden sich noch Spuren der Protagonist*innen. Bernadette Hengsts Familie betreibt diesen Hot Spot…

1458614_10200868457585325_631606525_n

… und die Familie respektive der Bruder von Frank Spilker führt ein Garten-Center. (Fotos: Linus Volkmann)

Wer sind eure Lieblingsschriftschaffenden?
Janina: H. Hesse, H. Thoreau, Adorno
Isabella: Kafka, Dürrenmatt, H. Murakami
Ralf: Max Frisch, Sibylle Berg
Warum?
Janina: Hesse, weil er ein großer Helfer in schwierigen Zeiten ist.
Isabella: Ich mochte immer den Zweifel, die Unsicherheit und das Kryptische bei Kafka.
Ralf: Die können gut schreiben, ja.

Was ist euer ältester Gegenstand? Habt ihr so was? Irgendein Ding, das vielleicht auch zufällig einfach immer übriggeblieben und jedenfalls nie abhanden gekommen ist.
Janina: Ein kleines Plüschtier-Lamm namens »Schäfchen«. Das habe ich seit ich auf die Welt gekommen bin.
Isabella: Ein Foto von meinem 1. Geburtstag. Sogar Gläser mit Zuckerrand hatten wir da.
Ralf: Mein erstes Nervenkleid.

Ist Sehnsucht wirklich nur der leere Wunsch, die Zeit zwischen dem Begehren und Erwerben des Begehrten vernichten zu können?
Janina: Nein. Die Sehnsucht ist vielmehr das genussvolle sich-Drehen und Wälzen in seiner selbst erschaffenen Welt.
Isabella: Manchmal ist das Sehnen letztendlich ja auch schöner als das Haben.
Ralf: Sehnsucht besteht ja schon zur Hälfte aus »Sucht«. Ohne sie kann keiner.


http://www.tapeterecords.de/artists/zimt/

https://www.facebook.com/zimtband/

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!