„Immer noch nicht gebumst“ – Gas Wasser Indiepop live
Kultband-Dämmerung im Kölner Basement: Eine Gruppe fresher Kieler Allstars hat die Band Gas Wasser Indiepop erschaffen. Das Publikum trifft hier auf Mitglieder von unter anderem Die Bullen und Keine Zähne im Maul aber trotzdem LaPaloma pfeifen. Unser Nerd-Fuchs Marc Wilde hat sich diese Show nicht entgehen lassen – und hängt hinten dann auch noch ein kleines Interview dran. Viel Spaß!
GNEDBY, „der Traum aller Sammler und Sammlerinnen“ – wer von uns kennt es nicht, das schlanke und hochaufgeschossene Möbelstück aus dem Hause Ikea? Unzählige CDs fristen in eben diesen gut gebauten Regaltürmen ihr unbewegtes Dasein – auch in meiner Wohnung. Ich kann mich nicht trennen. Nicht alle habe ich mir aus musikalischen Gründen gekauft, manche nur wegen des Covers, so wie dieses hübsche Exemplar. Oder wegen des Namens. „Sie kamen Australien“ ist so ein Beispiel. Womit wir auch direkt bei Keine Zähne im Maul Aber La Paloma Pfeifen (KZIMALPP) wären. Von denen habe ich fast alles. Wegen der Musik, des Covers und des Namens. Nicht nur auf Platte und CD, sogar auf Leinwand.

Sammlung Wilde: „Die Biellmann-Pirouette“ gemalt von Eddie Argos (Art Brut)
Die Bekanntgabe ihres Splits im Herbst 2017 gab wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Band es noch einmal miteinander versuchen würde. Es hatte sich ausgepfiffen. Meine Entzugserscheinungen währten lang, mindestens fünf Jahre, bis auf einmal wieder Lebenszeichen zu vernehmen waren. Von einem norddeutschen Trio namens interna, bestehend aus Zweidritteln KZIMALPP und Zweidritteln Sie kamen Australien. Wie das mathematisch möglich ist? Lest die Auflösung hier.
Wenig später machte sich auch das dritte Drittel bemerkbar, Jochen Gäde, ein weiterer Matador des Northern Punks. Mit Gas Wasser Indiepop. Noch so ein Name, der sich einbrennt wie ein Slogan aus dem hippsten Co-Working-Space deiner Stadt. Dieser wurde jedoch nicht von führenden Kreativköpfen des Musikmarketings erfunden, sondern von den Protagonisten selbst. Kein Wunder, wenn man weiß, dass Gäde selbst zwanzig Jahre in der Werbebranche war. Auch die von internas (sic!) Bandpromo in Gang gesetzte Zahlenspirale wird gekonnt weiterweitergedreht: Dreiviertel von Gas Wasser Indiepop sind Die Bullen, namentlich Kocky am Schlagzeug, JoyBoy an Gitarre und Keyboards und Ufo am Bass. „15 Zoll Maul“ lautet der Titel ihres Debut-Albums, ein weiterer Nachhall in Form von Zahlen.
Als Keine Zähne im Maul-Addict hatte ich mir das vor geraumer Zeit angekündigte Datum ihres ersten Konzerts in Reichweite – 1.2.2025 – sicherheitshalber auf den Arm tätowiert. Letztes Wochenende war es dann soweit, auf nach Köln. Die lokale Punkrock-Formation Ahab lieferte am frühen Abend einen zackigen Einstieg, den ich jedoch nicht von Beginn an mitbekommen habe. Angenehme Überraschung: Die zweite Vorband, Kontrolle, trat erst am Ende des Abends auf, vermutlich, um das Publikum nicht länger auf die Folter zu spannen. Also Vorhang auf: Gas Wasser Indiepop.

Am 01.02.2025 Gas Wasser Indiepop live im Basement zu Köln (Foto: Marc Wilde)
Vier Herren aus dem hohen Norden betreten die Bühne. Unter den verklinkerten Rundbögen im Kellergewölbe des Basements – schönes Ambiente für einen Punkrockabend by the way – wirkend sie auffallend jung. Zunächst zieht JoyBoy mit einer eng ansitzenden und silbrig glänzenden Shorts die Aufmerksamkeit auf sich, aber auch Kocky zeigt viel Bein (und Tattoos) und bietet mit seiner orangefarbigen Pudelmütze einen weiteren Blickfang. Jochen Gäde ist auch schon startklar, seine Texte hat er an den obligatorischen Notenständer geklemmt. Wie ich später erfahre, bezeichnet Gäde seinen Ständer auch als „positronisches Gehirn“ – Professor Simon Wright aus der Serie Captain Future lässt grüßen.
Der Opener ist ein alter Keine Zähne-Song, schnelles Andocken garantiert. Während „Einsamer Mulero“ auf der Biellmann-Piroutte noch etwas gemächlicher daherkam, wird er nun von der Bullen-Fraktion mit der Punkrock-Peitsche vorangetrieben. Die Lyrics sind 1:1 dieselben geblieben, bis auf ein winziges Detail. Auf „15 Zoll Maul“ wird das Stück als „Einsames Mulero“ geführt. Wohl kein Tippfehler, denn noch ein weiteres titelgebende Tier, ein Wolf, morpht zwischen den Geschlechtern und bricht mit grammatikalischen Konventionen. „Angeschossenes Wolf“ wird am heutigen Abend als Vorbote zum nächsten Album präsentiert, reicht aber ebenfalls in graue Vorzeiten (KZIMALPP, 2009) zurück. So gerät der Abend mit Gas Wasser Indiepop zu einer Reise in die Vergangenheit. Für diejenigen, denen der Name Jürgen von der Lippe noch was sagt, weckt „Der prominente im Sack“ Erinnerungen an schrille TV-Spielshows aus den Achtzigern, bunt und lustig wie Puffreis. Donnerlippchen, ist das lange her!
Ein weiterer Song aus der La Paloma-Zeit, der auf „15 Zoll Maul“ eine zweite Heimat gefunden hat, ist „Und immer noch nicht gebumst“. Hierzu entledigt sich Gäde seiner durchsichtigen Acryl-Gitarre und greift zur Wanderklampfe. Zwar stammt auch dieser Text ursprünglich aus seiner Feder und bewahrt erneut Kontinuität, musikalisch präsentiert sich das Stück aber in einem völlig anderen Gewand. Vom funkigen Elektro-Punk des Originals ist jedenfalls wenig übriggeblieben. Dafür schockt der umso größere Kontrast zwischen expliziten Lyrics und sanftem Liedermacher-Charme.
Von diesem Abstecher in fremde Gefilde abgesehen, bleibt die Kieler Kombo ihren Stiefeln treu und bietet dem überwiegend reiferen Publikum aus der Rheinmetropole abwechslungsreichen, melodischen Punkrock. JoyBoy setzt die musikalischen Akzente, hinter dem Schlagzeug thront Kocky und hält den Laden ohne große Faxen zusammen. Etwas verschüchtert in der hinteren Ecke tänzelnd, Gunnar am Bass. (So sind sie, die Männer am Viersaiter). Gädes herbe Stimme passt zum norddeutschen Charme, und mit seinen knuddeligen Ansagen, einem Schuss gespielter Schusseligkeit sowie unter Zuhilfenahme diverser Bühnenutensilien – Spielkarten, Getränkeflaschen sowie ein Fußpedal aus echtem Silber – führt der Kapitän den Kahn immer wieder in leichtes Fahrwasser zurück.
Höhepunkt des knapp einstündigen Sets ist zweifellos das Spoken-Word-Epos „Autobiografie eines Heizlüfters“, eine Reverenz an den alten Kumpel aus Hamburger Schulzeiten – „er hieß damals noch Waldi“. Gemeint ist natürlich der Sänger von Huah!, im Text kommt dieser gleich mehrfach vor. An die zehn Minuten lang rezitiert Gäde in der Tradition von Randy Newman und Knarf Rellöm Zeile um Zeile und lässt auf einem sanft verzerrten Klangteppich anekdotische Begebenheiten seines Lebens Revue passieren. Wiederholt werden die kleinen Geschichten mit den Worten „Ich erinnere mich …“ eingeleitet und hinter die Erlebnisse schlussendlich ein Haken der Verarbeitung gesetzt, formvollendet mit dem Klang einer silbernen Glocke. Das war schön und mehr Worte muss man über den gelungenen Auftritt von Gas Wasser Indiepop nicht verlieren.
Nur eins noch: Als ich mir nach dem Konzert von Jochen Gäde eine Zigarette schnorre und wir ins Plaudern geraten, verrät mir eine seiner Bühnen-Persona, Pinocchio, dass die Glocke von der Rezeption des Grand Hotel van Cleef geklaut worden sei. Das macht mich natürlich mehr als neugierig, und so verabreden wir uns für den darauffolgenden Tag zum Nachgespräch im Internet.
„Gas Wasser Indiepop“ ist ein wirkungsvoller Name, der starke Assoziationen hervorruft. Wie ist er entstanden?
JOCHEN GÄDE: Wir haben einfach unsere Nachnamen genommen – Klengel, Klock, Clausen und Gäde – und dachten uns, wenn man die auf so einem Messingschild lesen würde, klingt das nach einer schmierigen Anwaltskanzlei, die nebenbei noch in Gas, Wasser, Scheiß macht. Wir wollten dann erst „Scheiße“ gegen „Indierock“ tauschen, haben uns aber letztlich für „Pop“ entschieden. Klingt süßer. Und wir sind wohl auch eher Pop als Rock.
Aha. Ich hatte ja angenommen, dass sich Euer Hass eher auf Indiepop richten würde. Welche Musikrichtungen findest du denn sonst so richtig scheiße?
Mittelalter-Rock, Nazi-Rock und Shanty-Rock.
Wie der Bandname lädt auch Euer Albumtitel „15 Zoll Maul“ zum Weiterdenken ein. „Maul“ lese ich als Verweis auf deine Bandvergangenheit. Aber was hat es mit den 15 Zoll auf sich?
Ja, das war quasi ein Rübersliden von meiner alten Band Keine Zähne im Maul Aber La Paloma Pfeifen. Große Fresse haben gilt weiterhin. Und dann kommt noch das Wortspiel mit dem sehr großen Maulschlüssel dazu, ein unverzichtbares Werkzeug jedes kompetenten Gas Wasser Indiepoppers. 15 Zoll ist außerdem eine gute Größe für einen soliden Basslautsprecher, das spielt sicher auch mit rein.
Euer Konzert hat mir viel Spaß gemacht. Wie fällt deine Bewertung aus?
Der Auftritt war fast sehr gut, ich habe mich fünf Mal verspielt. Den Entertainment-Faktor würde ich mit 13 Punkten bemessen. Wir haben allerdings zu wenig Platten, CDs und Blusen verkauft. Dafür bin ich nach ein paar Kölsch und Cuba-Libre sehr glücklich und angetüdelt eingeschnorchelt, in einem 5-Bett-Hostelzimmer.
Apropos Kölsch. Der Sänger einer bekannten Heavy-Metal Band, Bruce Dickinson, hat einmal gesagt, dass er von dieser „Plörre“ einen der schlimmsten Kater seines Lebens bekommen hätte. Die Hölle sei für ihn „ein Ort, an dem es nur Männer gibt, die Kölsch trinken.“ Dir hat es offensichtlich geschmeckt?
Kölsch is Kölsch, wie es singt und lacht. Ich bin kein Bierkenner, ich mag die Wirkung.
Magst du BAP?
Ich kenne nur „Verdamp lang her“. Ich glaube, die sind ganz knuffig. Nichts Unangenehmes gehört bis jetzt von den Herren.

Sammlung Gäde
Du hast vorhin vom Entertainment-Faktor gesprochen. Teil deiner Bühnenperformance ist das Hantieren mit zwei Spielkarten, auf der Pinocchio und eine Ente zu sehen sind. Deine alter Egos?
Die Ente ist Gina, Pinocchios Freundin. Ich bin gerade in so einer Pinocchio-Phase. Wobei ich eh immer sehr gerne Devotionalien aus meiner Kindheit und Jugend um mich herum habe. Auf der Pinocchio-Karte ist er übrigens gerade gut drauf. Gina dagegen schaut auf der Karte sauer und ist angepisst. Kann man gut Songs mit ansagen.
Eines meiner Lieblingsstücke von euch vertont das Schicksal des Prospektaustragens. Ich mag auch das Video sehr, wo du vom Hund verfolgt wirst. Bevor ihr gestern „20 Jahre in der Werbung“ gespielt habt, hast du gesagt, dass du das tatsächlich so lange gemacht hast. Ist alles wahr, was in dem Text steht?
Ja, von meinem neunten bis zum 29. Lebensjahr habe ich Prospekte ausgetragen, in Hanerau-Hadermarschen und im Nachbardorf Gokels. Da stimmt eigentlich alles dran, außer die Namen der Hunde. Rex und Bonzo hören sich sehr gefährlich an. Salute und Pancho sind zwei Hunde, zu denen ich tatsächlich eine schöne Beziehung hatte bzw. habe.
Womit hast du ab deinem 30. Lebensjahr dein Geld verdient?
Ich arbeite seit vielen Jahren am Kieler Opernhaus als Orchesterwart, der Punkrocker sagt Klassikroadie.
Ihr habt mit „Angeschossenes Wolf“ ein neues Stück gespielt und ein nächstes Album angekündigt. Kannst du uns dazu schon Konkretes mitteilen?
Das lässt sich immer schwer sagen. Ich hoffe, das kommt im nächsten Frühjahr. Ich hoffe auch, dass ein Cello darauf zu hören sein wird. Denn Gunnar, unser neuer Bassist, spielt Cello seit seinem zweiten Lebensjahr. Er verfügt sowieso über diverse Talente, die in keiner Popband fehlen sollten. Er ist sehr lernfähig, tierlieb und super-sympathisch.
Gibt es sonst noch irgendwas anzukündigen?
Ich möchte hiermit ankündigen, dass das Album „15 Zoll Maul“ sehr gut ist – musikalisch und auch als Geldanlage. Die erste Auflage wird bald vergriffen sein und dann beißt Mann oder Frau sich wieder in den Arsch und nervt mich, ob ich noch einen Karton hinterm Sofa versteckt habe… Also: Zugriff (im Schallplattenfachhandel)!!
Interview und Text: Marc Wilde