Jugendkultur Jetzt Teil 2

Generation, why?

Are the kids alright? Und sind wir es auch? Im August denken drei Autor*innen über aktuelle Phänomene der Jugendkultur nach – und was sie für die Gegenwart bedeuten. Für den zweiten Teil der Reihe hat JULIA LORENZ ein Plädoyer gegen Generationenklischees und den grassierenden Sortierwahn im Pop verfasst. Denn sie findet: Nicht alles, was neu ist, muss gleich „Sound einer Generation“ werden. Illustration: RONJA SEIFERT.

Die gute Nachricht vorab: Die „Generation Y“ ist aus dem Schneider.

An den mitteljungen Menschen, die – zumindest nach geläufiger Dimension – zwischen den frühen 80er- und mittleren 90er-Jahren geboren wurden, hat sich die Welt so ausführlich abgearbeitet, so ausgiebig herumanalysiert wie an wohl keiner Generation zuvor. Aber bald schon wird sich niemand mehr für die Millennials interessieren, für ihren (angeblichen) Narzissmus, ihre Bindungsangst und Verantwortungslosigkeit, ihren unpolitischen Optimismus und Konsumismus, ihre Obsession mit Mac-Produkten und Polaroidkameras, Third-Wave-Coffee und Avocadobrot, und ihre Faulheit, Anfälligkeit für Flohmarktspießer-Tand, ihren Craft-Beer-betankten, oberflächlichen Hedonismus. Und für all die anderen (manchmal dummen, manchmal wahren, meist aber ärgerlichen) Klischees, die längst dermaßen langweilen, dass man sie kaum mehr aufschreiben mag. Nun kommen die nächsten auf den Seziertisch: Die Generation Z hat übernommen.

Douglas Coupland machte 1991 mit seinem Episodenroman „Generation X“ den gleichnamigen Kohortenbegriff aus der Soziologie im Pop salonfähig – und begründete den unwiderstehlichen Mythos von einer (Schicksals-)Gemeinschaft der zynischen, von Weltekel getriebenen Slacker. Spätestens seitdem ist die Popkultur besessen von der Idee, Generationen typisieren zu wollen. Mit jedem Jahrgang, so scheint es, ein bisschen mehr.

Der Journalist Joachim Hentschel beschreibt in seinem Buch „Zu geil für diese Welt. Die 90er – Euphorie und Drama eines Jahrzehnts“, wie in der Generation X sogar die Generationen selbst begannen, Generationenforschung zu betreiben:

„Ein „Kronjuwelenfach“ seit den 90er-Jahren: Neben der ‚Prozac Nation‘ (Elizabeth Wurtzel, 1994), der ‚Tugend der Orientierungslosigkeit‘ (Johannes Goebel und Christoph Clermont, 1997) sind es vor allem zwei große Verallgemeinerungen, die den Befindlichkeitsdiskurs über die Zeit prägen. Generation X, wie schon genannt, und, jünger, die Millennials. Zwei benachbarte Schicksalsgemeinschaften, die sich in der Mitte des Jahrzehnts wie auf einer Aschenrennbahn gegenseitig den Stab übergaben. Den Stab, der darüber entschied, wer die beste Werbezielgruppe und zugleich die ärmste Sau der Welt sein würde.“

Nun hat der Millennial also den Stab an die Generation Z weitergereicht: An jene jungen Menschen, die seit den mittleren 90ern geboren wurden. Vordigitale Zeiten mit CDs und MTV als Popkulturbeschleuniger hat es für diese Generation nie gegeben. Im Umgang mit Themen wie Queerness, Gendergerechtigkeit und psychischen Krankheiten herrscht für sie eine völlig andere Selbstverständlichkeit als für ihre Eltern und Geschwister.

Künstler*innen wie Lil Nas X, Willow Smith oder die 2001 geborene US-Sängerin Billie Eilish dürfen einen deshalb natürlich faszinieren: Solche Popstars hat es schließlich nie gegeben. Popstars, die Geschlechterbilder völlig unbefangen transzendieren und sich der (technischen) Möglichkeiten ihrer Zeit so bewusst sind, dass sie scheinbar mühelos Neues aus dem Ärmel schütteln.

Als besagte Billie Eilish im März ihr Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ veröffentlichte, war sie schon seit einigen Jahren ein Star auf Instagram. Im Popdiskurs etablierter Medien hatte sie bis dato kaum stattgefunden. Oder, anders formuliert: Ein Großteil der Pop-Presse hatte das Jugendphänomen Billie Eilish verschlafen – und stürzte sich nun, kurz vor zwölf, mit maximalem Analysewillen auf die Sängerin.

Kaum ein Beitrag über Billie Eilish wollte nicht das große Ganze klären. Und kaum ein Beitrag kreiste nicht um die Frage, Symptom welcher Eigenart der Gegenwart Z sie sein könnte: Was verrät uns der Erfolg dieses morbide tickenden Teenagers, dessen Videos aussehen, als wurden sie aus den Untiefen der seltsamsten Reddit-Foren in den Mainstream gespült, denn nun über die Jugend? Haben wir es gar (endlich!) mit einem neuen, weiblichen Kurt Cobain zu tun?

Der popkulturelle Sortierwahn ist nachvollziehbar. Immerhin ist die Welt unübersichtlich, und überhaupt ist es eine Hauptaufgabe von (Pop-)Journalismus, die Gegenwart zu bespiegeln und Trends zu beschreiben. Man möchte nicht nur wissen, wie Musik klingt – sondern auch, was sie einem über Zeit erzählt, in der wir leben. Verkürzungen muss es dabei immer geben.

Schwierig wird es nur, wenn die Gegenwartsbeobachter sich den nachrückenden Generationen nicht deskriptiv und mit ehrlichem Interesse nähern, sondern sich zu paternalistischen Analysen hinreißen lassen. Wer am Beispiel einer Künstlerin wie Billie Eilish verbissen eine Generation erklären möchte, die sich just ausdifferenziert, ihre Stimme findet; deren Codes die Älteren gerade erst zu lesen und kapieren lernen, überfrachtet sie mit Verantwortung und nimmt sie zugleich nicht ganz ernst. Wenn die Historisierung durch Fremdanalysen beginnt, bevor die Jungen die Chance bekommen, ihre Geschichte selbst zu schreiben, werden Gegenwart und Gegenwartsanalyse entkoppelt.

Junge Menschen, junge Künstler wie Forschungsobjekte zu behandeln, ist oft nicht mehr als der Versuch, die Kontrolle über Phänomene der Jugendkultur zu wahren. Und damit ein bisschen Deutungshoheit. Nicht jede Idee und Eigenheit einer jungen, nachwachsenden Garde definiert gleich den „Sound ihrer Generation“ – obwohl es natürlich immer einfacher ist, Zeitgeist-Botschafter zu benennen, als sich der Vielschichtigkeit der Zeit zu stellen. (Natürlich auch für die Autorin dieses Texts.) Wenn Billie Eilish sich entschließt, ihren Körper mit müllsackartiger Streetwear zu verhüllen, erzählt das nicht notwendigerweise alles über die Gegenwart. Sondern vielleicht auch einfach über Billie Eilish und ihren Blick auf die Handlungsmöglichkeiten ihrer Generation.

Vielleicht hat der Generationen-Sortierwahn nie besonders viel Sinn gemacht – vielleicht aber nie so wenig Sinn wie heute. Schließlich dürfen Identitätsentwürfe heute vielfältig und formwandlerisch wie nie sein. Was man auch daran erkennt, wie wenig sich die Idole der Zeit auf einen Nenner bringen lassen: Immerhin ist der größte Popstar ihrer Generation, neben der überästhetisierten Nihilistin Billie Eilish, die maximal unprätentiöse, maximal ernsthafte schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg.

Text: Julia Lorenz // Illustration: Ronja Seifert

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