Interview mit Keeley Forsyth / Rewire Festival 2024 / EM GUIDE

Keeley Forsyth „Ich genieße das Gefühl, mich unwohl zu fühlen“

Keeley Forsyth (Photo courtesy of the artist)

Mit Schauspieler:innen, die es zur Musik zieht, ist es ja so eine Sache. Bei Männern haben wir es zumeist mit unterdurchschnittlichen Rock zu tun (man höre nur mal die Bands von Kevin Bacon oder Johnny Depp an), bei Frauen mit zwischen rockistisch aufgeladener Wildheit (Juliette Lewis) und lasziven Verführungspop (Scarlett Johansson) changierenden Inszenierungen. So richtig gerne hört man jedenfalls nichts davon.

 

Aber reden wir nicht lange um die Ableitung herum: bei Keeley Forsyth verhält sich das ganz anders. Obwohl Musik schon lange im Leben der bis dato in der Wahrnehmung primär als Schauspielerin („Guardians of the Galaxy“, „Poor Things“) wahrgenommenen Engländerin eine wichtige Rolle einnimmt (und ihr gegen Alltagsdepression hilft), dauerte es bis zu ihrem vierten Lebensjahrzehnt, bis Forsyth ihr auch eine öffentliche Positionierung in ihrem künstlerischen Portfolio gewährte. Unsicherheit mag ein Grund gewesen sein. Der Schutz der schützenden Kunst der andere.
Seit 2020 kultiviert Forsyth jedenfalls und mittlerweile über drei Alben („Debris“, „Limbs“ und „The Hollow“) ein in Dunkelheit gekleidetes Schattenbiotop, das – wenn man den Augen das Öffnen gewährt – peu a peu seinen Schrecken verliert und statt Angst auszulösen, Trost zu spenden weiß.

Aktuell präsentiert Keeley Forsyth „The Hollow“ live. Zuletzt unter anderem beim alljährlich in Den Haag stattfindenden Musikfestival Rewire zusammen mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Matthew Bourne, den Livemusikern Ross Downs, Robert Bentall und Michael Bardon sowie der Filmemacherin Netia Jones in einer atemberaubend schönen Kirchen namens Grote Kerk. Eine beeindruckende Performance, bei der man sehr gut die von Forsyth genannten Einflüsse von Pina Bausch, Antonin Artaud und Scott Walker nachvollziehen konnte, das Inspirationsdreieck aus minimalistischen Tanztheater, Theater Grausamkeit und Avantgarde-Drone-Kompositionen hat sich tief in das Werk und Wesen von Keeley Forsyth eingeschrieben.

Ich möchte das Gespräch mit einem Kompliment beginnen: Dein Auftritt in Den Haag war umwerfend schön.

Keeley Forsyth: Oh, danke, das bedeutet mir sehr viel. Es war das erste Mal, dass wir alle zusammengespielt haben. Es war also eine Art Live-Probe. Das liegt mir, ich betrete gerne mir unbekanntes Terrain – und ich mag es, wenn die Dinge ein bisschen frei sind. Aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, es gibt einiges zu optimieren.

Interessant, dass du den freien Aspekt betonst, denn in gewisser Weise hatte die Performance auch eine sehr klare, festgeschriebene Erzählung. Die Art und Weise, wie du dich auf der Bühne bewegen, empfand ich als einzigartig, vor allem diese dramatischen Gesten, mit denen du deinen Musikern signalisiert hast, dass diese ihr Spiel immer mal wieder temporär pausieren sollten.

Das ist etwas, worüber ich nie wirklich nachdenke, bis ich diese körperliche Konversation auf der Bühne führe – ich behandle meinen Körper als eine andere Form der Sprache.
Vor ein paar Monaten war ich in Düsseldorf, um das Stück “Nelken” von Pina Bausch zu sehen, es war meine erste Erfahrung mit ihrer Arbeit als Live-Produktion. Ich kenne alle ihre Werke ziemlich gut, aber es ist etwas anderes, ein Stück live zu sehen, man nimmt die Art und Weise, wie die Körper zur Kommunikation eingesetzt werden, ganz anders war. Der Herzschlag wurde in der Aufführung zum Fundament; wenn die Schauspieler:innen rennen, wird der Herzschlag schwerer und tiefer, das Mikrophon taucht in den Körper geradezu ein. So etwas liebe ich.
Man muss auf der Bühne wirklich alles wegnehmen. Die Verwandlung ist eine innere. Ich trage auf und abseits der Bühne immer die gleichen Klamotten. Es gibt also keine Vorbereitung auf eine Performance in diesem Sinne. Als Performerin weiß ich nie, was ich aufführen werde – bis ich es tue.

Die Inszenierung in der Grote Kerk in Den Haag war jedenfalls eine melodramatische Erfahrung, du hast deine eigene kleine Welt erschaffen.

Ich bevorzuge solche Räume, da ich als Schauspielerin aus dem Theater komme. Dieser Raum war sehr beeindruckend, aber ich mag auch Räume, die flach sind.
In meiner Arbeit geht es mir darum, etwas zu präsentieren, das wahrhaftig ist.
Warum trete ich auf? Warum ist dieses Element in der Performance notwendig?
Wenn man versteht, woher alles kommt, dann kann man es auch loslassen und weitermachen.
Es war das erste Mal, dass ich visuelle Elemente verwendet habe. Ich habe die Video- und Lichtkünstlerin Tanisha Jones vor nicht allzu langer Zeit kennengelernt. Mir ist es sehr wichtig, dass ich mich mit den Leuten verstehe, mit denen ich zusammenarbeite, das ist wichtiger als die Entscheidung für beispielsweise das konkrete Bildmaterial.

Was bedeutet das für die Konstellation mit den anderen Musikern auf der Bühne? Du stehst ja durchaus im Mittelpunkt der Performance.

Ja, aber ich möchte, dass es als Teamarbeit gesehen wird. Ich arbeite schon lange mit dem Pianisten Matthew Bourne zusammen. Wenn wir nur zu zweit auf der Bühne sind, wird er Teil der Aufführung. Es gibt Zeiten, in denen ich meinen Körper über seinen lege. Ich genieße es, wenn mehr Leute auf der Bühne sind, aber es ist schwierig, damit umzugehen.

Während eines Auftritts kann ich wie besessen davon sein, zu verstehen, was passiert. Manchmal drifte ich ab – und denke, dass ich mich langweile. Hinterher frage ich mich dann, warum ich gelangweilt war? Ich meine, es ist okay, sich zu langweilen.

Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich mir dieser Art von alltäglichem Gefühl sehr bewusst. Ich bin von meiner eigenen Stimme gelangweilt. Ich möchte, dass sie aufhört. Und dann denke ich, vielleicht kann ich das nächste Mal einfach aufhören. Ich muss ja nicht singen.
Es ist ein Theater des Absurden! Es ist so, als würde ich mich dagegen wehren, auf der Bühne zu stehen und zu versuchen, die Leute zu unterhalten, damit sie sich wohl fühlen. Ich selbst genieße das Gefühl, mich unwohl zu fühlen.

Ich habe gelesen, dass der französische Schauspieler und Dramatiker Antonin Artaud (“Theater der Grausamkeit”) ein Lieblingsautor von dir ist.
Als ich jünger war, habe ich mich sehr für seine Arbeit interessiert, weil sie eng mit den Splatter- und Horrorfilmen von Regisseuren wie Herschel Gordon-Lewis verbunden war, die ich liebte; diese Welt des falschen Blutes, der falschen Grausamkeit. Diese Filme spielten mit der Grenze zwischen Inszenierung und echter Gefahr. Man überschreitet sie aber nie wirklich.

Ja, ich liebe die Arbeitsprozesse von Antonin Artaud sehr. Kürzlich bin ich auf die Briefe gestoßen, die er an die Rundfunkkommission für ein Hörspiel geschrieben hat, ein Stück, das man schließlich nicht aufführte. Es gibt etwas in diesen Briefen, das mich den physischen Aspekt des Menschseins verstehen lässt. Und ich verstehe auch den mentalen Aspekt davon. Ich folge nicht unbedingt seinem Weg, aber ich habe das Gefühl, dass ich ihn verstehe.
Ich mag die Absurdität in seiner Arbeit, sie ist nicht real – so wie nichts, was ich auf der Bühne mache, real ist. Ich stehe nicht so sehr auf diese Art von Kunstblut-Horror-Suggestion. Ich glaube, das ist für mich der Punkt, an dem es dann eher in die Welt von Pina Bausch oder Samuel Beckett geht.

Schauspielerei benötigt viel Disziplin. Mit deiner Musik agierst du frei(er).

Ja, das tue ich. Ich kann der Musik ohne Disziplin begegnen – aber nur, da ich mit so tollen Mitmusikern wie Matthew Bourne und Ross Downs zusammenarbeite. Wenn ich mit neuen Musikern zusammenarbeite, genieße ich dieses unbekannte Element nicht. Ich glaube, das Ausbalancieren von Disziplin und die Freiheit funktionieren nur, wenn man eine Kernstruktur hat.

Was suchst du in der Musik?

Zunächst: Ich singe wirklich gerne. Ich liebe die Resonanz, die es erzeugt.
Es ist eine der schönsten Sachen, die man tun kann. Es spricht den Atem an. Es spricht das Körperliche an. Und es schaltet den Verstand sozusagen aus.
Der musikalische Teil ist also nur eine Art, diese Liebe für mich auszufüllen. Wenn ich einen geradlinigeren Lebensweg gehabt hätte, wäre ich schon vor vielen Jahren in die Musik gegangen. Aber aus irgendeinem Grund habe ich es nicht getan. Dass ist der Grund, warum ich die Sachen mache, die ich jetzt mache, weil es eine Menge unbeantworteter Fragen in der Musik gibt.

Hast du Role Models für deinen Gesang?

Als ich aufwuchs, hörte ich immer Édith Piaf. Später habe ich Scott Walker entdeckt, bei ihm spürte ich das erste Mal, dass ich vielleicht auch singen könnte. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie jemanden mit einer Stimme wie der meinen gehört.
Als ich in der Schule war, wurde ich immer gehänselt, weil meine Stimme niedrig war. Also habe ich versucht, das zu manipulieren und höher zu singen versucht. Und dann hörte ich Scott Walker und dachte nur: „Was soll’s. Ich will so klingen wie er.“ Er war meine Erlaubnis, die Scham darüber zu überwinden, wie meine Stimme von Natur aus ist.

Fühlst du dich wohl in der Landschaft, die du mit deinerMusik kreierst?
Ich frage, weil sie auch ziemlich düster ist. Man denkt viel über das eigene Leben nach, wenn man deine Musik hört.

Ja, ich fühle mich sehr wohl in dieser Welt. Sie fühlt sich nicht düster, gezwungen oder gedrängt an. Meine Lebenserfahrung ist, dass das, was man für das Dunkelste hält, eigentlich das Gegenteil ist.
Mein Ziel ist es, immer Arbeiten zu machen, bei denen ich mich gut fühle, bei denen ich ein besserer Mensch werde. Ich möchte keine Arbeiten machen, bei denen ich das Gefühl habe, dass die Arbeit Leiden mit sich bringt.

 

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