KLAN – Interview

KLAN: Das Peter-Altmaier-Gefühl

Was bitte ist ein Halbum? Ein halbes Album. Logisch, oder? Stefan und Michael Heinrich alias KLAN hätten für den Release von „Winterseite“ auch den branchenüblichen Terminus EP wählen können. Haben sie aber nicht und damit sind bereits zwei wesentliche Dinge über die Brüder erzählt: Anders ist immer besser. Und ohne Humor hat man bei Klan ganz schlechte Karten.

Text und Fotos: Daniel Ibald

Sonntag Abend, 20 Uhr, Berlin Neukölln. Die Release-Party vom Abend zuvor ist an allen Beteiligten nicht spurlos vorbeigegangen, aber gejammert wird im Hause Heinrich nicht. Pünktlich sitzen die beiden mit beneidenswerter Resistenz gegen Gebrechen wie Hangover oder Augenringe im Horse, ihrer Lieblingsbar im Kiez. Die hat sonntags eigentlich geschlossen, wird aber mit versiertem Charme aufgelächelt. Mit dem ersten Konterbier beginnt ein ebenso kurzweiliges wie intensives Gespräch über Musik, Politik, Gott und die Welt.

Winterseite heißt eine von tatsächlich zwei Straßen in Lampertswalde, dem Heimatort der beiden. Der Vater ist Pfarrer, die Mutter Pädagogin, Schwester Susanne war ebenfalls in einem früheren gemeinsamen Bandprojekt beteiligt, erste musikalische Erfahrungen stammen aus dem örtlichen Kirchenchor. Ein durchaus kreatives und nicht alltägliches aber eben doch bodenständiges Elternhaus. Folgerichtig schrieb man sich also an der Uni ein, Stefan für Kommunikations- und Medienwissenschaften, Michael für Medizin. Die Musikerlaufbahn hat hier sicher nicht zum ersten Male elterliche Träume im Bezug auf den Nachwuchs platzen lassen und auf dem Debütalbum erzählt der Song „Mama“ von den mütterlichen Ängsten um die Zukunft der Kinder.

Zum Einstieg: Macht Mama sich immer noch Sorgen?
Michael (lächelnd): Mama macht sich immer Sorgen, aber mittlerweile über andere Sachen. Sie hat nach dem Song auch einige Dinge klargestellt. Nämlich, dass es ihr gar nicht in erste Linie darum ging, dass ich als Arzt leichter hätte aussorgen können, sondern darum, dass man sich extrem abhängig macht, wenn man Künstler ist und davon leben möchte. Auch in seinem Selbstwertgefühl. Und davor hat sie Angst. Bei uns beiden. Das ist vielleicht auch eine begründete Angst.

„Mach dir keine Sorgen, die mach ich mir schon selbst“. Zum Thema Finanzierung im Musikbusiness hat Kaput-Herausgeber Thomas Venker vor ein paar Jahren ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Frank Spilker von den Sternen geführt. Ist das Auskommen ein Teil der Sorge?
Stefan: Momentan machen wir gut Verlust. Das kann man aber in einer so satten Gesellschaft auch mal verkraften, dass es Menschen gibt, die Verlust machen. Wir haben schon den Plan, dass das Ganze sich trägt. Wir versuchen, gute Arbeit zu leisten und uns nicht die ganze Zeit damit zu beschäftigen, wie rentabel wir sind. Aktuell leben wir von Vorschüssen und sind uns auch bewusst, dass es ein Leben auf Pump ist. Aber das haben wir uns ja auch erarbeitet. Was man auf jeden Fall noch sagen muss ist, dass uns Geld erstaunlich wenig wichtig ist. Wir sind Ossis, wir sind immer mit wenig Geld klargekommen. Entsprechend spielt das in unserem Leben nicht so eine große Rolle.
Michael: Wir haben uns ein Management gesucht, dass sich mit sowas auskennt und uns in diesen Dingen unterstützt. Langfristig wollen wir versuchen, durch das Touren unser Geld zu verdienen.

Apropos: Ein Thema, mit dem ihr euch eingehend befasst habt ist die Nachhaltigkeit, gerade auch im Bezug auf das Touren. Ich habe gehört ihr verkauft statt regulärem Merch jetzt Second-Hand-Shirts.
Michael: Wir sind dabei, unser persönliches Leben zu verändern und nachhaltiger zu gestalten. Das liegt nicht nur daran, dass wir arm sind (lacht). Wir machen das schon auch absichtlich. Wir essen fast nur vegetarisch, tragen Second Hand Kleidung, haben kein Auto.
Beim Second Hand Merch und dem Projekt „Green Touring“ geht es darum, die beiden häufig getrennten Sphären des Privaten und des Beruflichen etwas mehr zusammen zu bringen. Ich glaube, sehr häufig spalten Leute das voneinander ab. Dann sagt man „Ich fliege nicht mehr“ und wenn jemand dann sagt „Aber du bist doch gerade geflogen“ ist die Antwort „Ja, aber das war für den Job“. Die Begründung ist oft, wenn man nicht fliegt kann man nicht alle Aufträge annehmen. Das mag richtig sein, aber irgendwann muss man sich die Frage stellen, ob tatsächlich Produktivität und Wirtschaftlichkeit immer die Priorität Nummer 1 ist.

Lässt sich der Gedanke des Verzichts auch auf andere Ebenen übertragen? Ihr habt auf dem neuen Album keinen externen Produzenten mehr, Stefan hat das Heft allein in die Hand genommen. Ist Reduktion auch hier eine Befreiung?
Michael: Spannende Frage. Meine Freundin hat mal gesagt, „gute Kunst geht vom Banalen übers Komplexe zum Simplen“. Uns geht es darum, die elegantesten, leichtesten und reduziertesten Möglichkeiten zu finden. Es geht darum, zur Essenz zu kommen.

Wie muss man sich unter dieser Prämisse euren Arbeitsprozess vorstellen?
Stefan: Es gibt zwei Wege. Der erste ist, ich mache einen Beat und Micha hat darauf eine Idee. Die Beats entstehen oft aus einer Mischung von Samples. Das entsteht nicht in der klassischen Probenraum-Situation sondern schon mit konkreten Ideen am Rechner. 
Die zweite Variante ist, Micha schreibt was an der Gitarre – Michael ist eigentlich ein talentierter aber sehr ungeübter Gitarrist (Michael unterbricht lachend: „Mir tun halt immer so schnell die Finger weh“). Er kann sehr schöne Dezimen-Griffe und macht das auch mit Vorliebe. Ich reiße dann in der Regel die harmonische Grundstruktur ein und mache irgendwie etwas anderes daraus, weil ich der ältere Bruder bin und es aus Prinzip nicht geht, den Kleinen Recht haben zu lassen (Stefan lacht und Michael nickt ergeben). Dann kommen wir schnell von dieser Gitarren-Version weg und versuchen, das Ganze zu modulieren zu einem modernen Sound. Modern und gleichzeitig irgendwie zeitlos oder halt nicht an den Zeitgeist anbiedernd.
Michael: Stefan macht regelmäßig einfach aus meinen Akustikgitarren-Songs irgendwelche cooleren, souligeren Sachen. Ich weiß noch wie mir das weh tat, als ich zum Beispiel mit „Teilen“ von der ersten Platte angekommen bin und Stefan auf einmal einen vollkommen anderen Song daraus gemacht hat durch eine andere Harmonisierung. Am Ende war das der absolut richtige Schritt.
Überhaupt ist das unsere Arbeitsweise, Stefan macht mehr die Musik, ich mache mehr die Texte und dann reden wir uns so lange gegenseitig in den anderen Bereich rein, bis wir beide mit allem zufrieden sind. Da gibt es nichts, was nicht angetastet wird.

Neben euren schon sehr persönlichen Texten teilt ihr in den sozialen Netzwerken erstaunlich viele private An- und Einsichten, auch immer wieder deutliche Worte zu politischen Themen. Wie wichtig ist Haltung in eurem Beruf?
Michael: Ich denke, dass alle Künstlerinnen und Künstler den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen. Sich dessen bewusst zu sein ist auf jeden Fall eine Pflicht. Wie man damit umgeht ist jedem selbst überlassen. Für uns beide ist es ein Bedürfnis, es ist uns wichtig, weil wir politische Menschen sind. Das findet wie von selbst den Weg in unsere social media Kanäle und natürlich auch in die Songs, auch wenn „Winterseite“ jetzt vielleicht weniger explizit politisch ist, das kommt vielleicht auf der nächsten Platte wieder mehr. Ich finde nicht, dass jeder das machen muss, aber ich freue mich total wenn Leute das machen und finde das richtig und gut.

Ihr kommt aus einer Gegend, in der die AfD bei der letzten Bundestagswahl Rekordwerte verzeichnen konnte. Eure politische Positionierung in den sozialen Netzwerken ist unmissverständlich: „Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen“. Sind eure privaten Statements für euch auch ein Gegenmittel zu dem allgegenwärtigen Hass im Netz?
Stefan: Ich hoffe das. Was ich schön finde ist, wenn Leute kommentieren, dass sie die ruhige und sachliche Art mögen in der wir über solche Themen reden. Wir versuchen, nicht so emotional geladen zu reagieren sondern eher auf ein bisschen reflektierter Ebene. Ich finde es total wichtig, dass es tatsächlich mehr zu Diskussionen kommt als dass Menschen sich wütend anschreien. Dann kann sich dieses Empörungs-Niveau, das wir im Netz erreicht haben, vielleicht wieder so ein bisschen entspannen.
Michael: Es gab vor zehn Jahren diesen Text „Empört euch!“, ich weiß nicht mehr wie dieser französische Autor hieß (es handelt sich um den ehemaligen UN-Diplomaten Stéphane Hessel – Anm. d. Autors). Ich glaube, diese Empörung ist die ganze Zeit da, aber es geht halt irgendwann nicht weiter. Bei Depressionen ist es häufig so, dass die Leute ganz zu Beginn der Krankheit hohe Cortisol-Schübe haben. Das ist ein Hormon das ausgeschüttet wird, um in Stresssituationen gut agieren zu können. Das ist bei Depressionen häufig über einen längeren Zeitraum dauerhaft hoch und irgendwann bricht das ein, bleibt irgendwo in der Mitte stehen und kann nicht mehr ausschlagen. Also weder nach unten noch nach oben. Irgendwann ist ein Zustand erreicht, wo man sich nicht noch mehr empören kann weil man die ganze Zeit schon empört ist und irgendwie braucht man da eine andere Basis, eine andere Grundstimmung, um überhaupt etwas zu bewegen. Diese Daueraufregung lässt einen total inaktiv werden.

Bleiben wir bei der Kommunikation via social media – Stefan, du hast auf Facebook einen Text veröffentlicht, der mich sehr berührt hat. Du schreibst über Weichheit, über Emotionalität, über Homosexualität. Sicher für viele Männer nicht die klassischen Lieblingsthemen wenn es um ihre Außenwirkung geht. Gibt es eine neue Männlichkeit?
Stefan: Ich hab da ganz viele Sachen im Kopf. In Beziehungen versuche ich die Bilder von Männern und Frauen, mit denen ich aufgewachsen bin, zu reflektieren. Für mich ist das ein Riesenthema und es ärgert mich manchmal, dass wir als Gesellschaft da nicht weiterkommen. Ich merke, dass viele Frauen noch einen anderen Typ Mann gewohnt sind und mich gar nicht verstehen in meiner sanften Art. Wir sagen uns ganz oft, dass wir da total weit sind. Aber zumindest in meiner natürlich sehr subjektiven Wahrnehmung ging es mir auf jeden Fall schon öfter so, dass ich gemerkt habe, wir haben alle noch die heteronormativen Bilder im Kopf nach denen zum Beispiel auch Sex nach wie vor funktioniert.
Michael: Das ist total absurd, oder? Mir ist es passiert, dass eine Frau, mit der es offensichtlich auf mehr zulief, tatsächlich allen Ernstes auf die Frage, ob ich sie küssen darf, sagte: Nicht wenn du fragst. Ich will damit gar nicht sagen, dass wir als Männer die Leidtragenden oder gar Diskriminierten sind, im Gegenteil, aber auf jeden Fall haben auch Männer damit zu kämpfen und sind häufig in Zwickmühlen bei den unterschiedlichen Anforderungen die an sie gestellt werden. Man versucht das irgendwie alles gleichzeitig zu erfüllen oder nebeneinander her und wechselt zwischen unterschiedlichen Registern. Das ist schon eine ziemliche Herausforderung für einen Menschen, in einem Moment weich und aufmerksam zu sein und im nächsten Moment wieder einem virilen Rollenbild zu entsprechen und der tolle Hecht zu sein.

Das ist vielleicht auch eine Frage der Erziehung. Mit Blick auf eure Familie: Die Themen in eurer Musik sind dann doch unterm Strich oft die ganz Großen: Liebe, Hoffnung, Vergebung, Glaube. Wieviel Pastorenkind steckt denn noch in euch?
Michael: Viel, auf jeden Fall. Auf der letzten Tour haben wir am Ende des Konzerts noch einen Song unverstärkt gespielt, in der Mitte des Publikums, und als unser Papa in Frankfurt beim Konzert war ist mir klar geworden, wie nahe das an eine Gottesdiensterfahrung heran kommt.
Stefan (unterbricht lachend): Das wirbt jetzt nicht gerade für unsere Konzerte. Es ist einfach deine Rolle. In dem Moment, wo du live etwas erzählst, kleben die Leute an deinen Lippen.
Michael: Na ja, das ist das Äußerliche. Da ist aber noch viel mehr was in den Menschen drin passiert. Glaube ich zumindest. Mir ist aufgefallen, dass wir und vielleicht ich insbesondere, ein Stück weit in die Fußstapfen unseres Papas treten. Er weiß auch, dass Pfarrer zu sein nicht nur bedeutet einen göttlichen Dienst auszuführen, sondern er ist auch ein guter Showman. Er ist gut auf der Bühne, so als Typ. Und ich glaube davon haben wir ordentlich etwas mitbekommen. Das, dieses Showman-sein, und einen speziellen moralischen Anspruch, den ich persönlich an mich, an mein Umfeld und auch an unsere Kunst stelle. Ein Kollege hat mal gesagt „Ihr habt so etwas Moralisches in der Musik“ und ich habe mich sehr geschämt dafür als er das sagte. Ich habe in den letzten Wochen öfter mal drüber nachgedacht. Ich dachte erst es sei mega uncool aber ich kann das mittlerweile unterschreiben.

Wir können alles machen was wir wollen
Aber wir müssen nicht
Denn keiner muss tun was nicht gut ist
Keiner muss tun was er nicht will
Keiner muss tun was er seinen Kindern nicht erzählt
(„Die Wahl“, 2018)

Moral ist ein schwieriges Thema, bis hinein in die Popmusik. Ist sie echt, ist sie derzeit wohl so nötig wie schon lange nicht mehr. Oft genug ist sie aber leider eher das perfekt sitzende Kostüm für die Durchhalteparolen der Wohlfühlmusiker im Land. Klan waren nie Teil der deutschen Befindlichkeits-Maschine, jener stetig wachsenden Armada angeblich authentischer Musiker, deren gebrauchsfertige Belanglosigkeiten auf Biegen und Brechen als autobiografisch angepriesen werden, obwohl dahinter eine Marketingabteilung steht und kein Künstler mit deeper Message. Mit den neuen Songs haben Klan sich noch weiter davon entfernt. In ihrer Musik geht es auch mal um Versagensängte oder Depressionen, verpackt in Pop, Soul, R’n’B und Hip Hop. Die passende Schublade ist also prall gefüllt, das Etikett wird jedoch sicherheitshalber noch mit Bleistift beschriftet. Immer wieder fällt auf, wie schwierig für Medien der Umgang mit nicht ganz so leicht einsortierbaren Künstlern scheint.

Wie beschreibt ihr selbst euren Sound?
Stefan: Wir haben das zum ersten Album „Conscious Pop“ genannt. Ich glaube das passt ganz gut. Wenn man ein bisschen tiefer reinhört gibt es bei uns ja auch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen, parallel zum Conscious Rap, abgegrenzt von dem Rap, der sich eher mit sich selbst beschäftigt und auf die eigenen Szene-Referenzen achtet.
Michael: Pop ist auf jeden Fall eine Spielwiese für uns, wo wir ziemlich offen das sagen können, was wir denken und wo wir musikalisch extrem viel ausprobieren dürfen. Das nutzen wir auch ziemlich aus – und dann bleiben wir am Soul und am Hip Hop hängen. Das Spannungsfeld wurde sehr gut aufgemacht von der besten Radio-Abmoderation die wir je bekommen haben: „Das waren Klan mit ‚Bei dir‘. Klan sind zwei Jungs, die sehen aus als wären sie gerade aus dem Berghain gekommen, machen aber Schlager“. In beide Richtungen etwas überspitzt, aber da ist was dran.

Oh. Ich weiß nicht recht …
Michael (lacht laut): Ok, ich sehe, das geht dir zu weit …

Eindeutig. Beides. Lasst uns mal über euren aktuellen Release sprechen. „Baby Baby“ ist der Opener. Worum geht es?
Michael: Um Durchhaltevermögen. Ich habe mich vor kurzem mit meiner alten Fußballmannschaft aus Leipzig getroffen. Da gab’s einen Jungen in der Mannschaft, der war zwei Köpfe kleiner als alle anderen und hat miserabel Fußball gespielt. Er hieß auch noch mit Nachnamen Knabe, seine Eltern haben ihn immer zum Fußball gebracht und haben ihn Knabi genannt. Alles in allem sehr schlechte Voraussetzungen um irgendwie das System „Fussballverein“ zu überstehen. Ich habe mich jetzt mit dieser Mannschaft getroffen, es war nur die Hälfte da und wir haben darüber gequatscht was wir alle so machen. Kaum einer von denen spielt noch Fußball, aber dieser Knabe ist einer der wenigen die überhaupt noch spielen. Er spielt auch ganz gut mittlerweile. Das finde ich total krass. Ich hätte nie gedacht, dass er es schafft uns alle noch zu überleben.

Die Vorzeichen standen auch denkbar schlecht. Auf zum nächsten Song. Ich mag die Zeile „Nur bei dir bin ich ganz bei mir“. Ist Treue das treffende Stichwort?
Michael: Treue ist absolut das richtige Wort dafür. Manchmal bin ich fast neidisch auf unsere Elterngeneration. Da haben Leute sich wirklich kennen gelernt und dann ihr ganzes Leben miteinander verbracht ohne jemals kennenzulernen, was alles sein kann. Diese ganzen Möglichkeiten. Wir haben diese Möglichkeiten aber wir müssen auch mit diesem ganzen fucking Möglichkeiten klarkommen.
Das ist etwas das in meiner Beziehung auch immer wieder Thema ist. Dieser Song drückt den Moment aus der bedeutet, angekommen zu sein und sich geborgen zu fühlen.

In „Fan“ singst du: „Ich hab auf dem Weg gelernt, ich bin es wert“. Das riecht nach einer Geschichte dahinter.
Stefan: Michael hat dazu gleich mehrere Geschichten. Im Song geht es um Vorbilder, wie man sich davon löst und seinen eigenen Weg geht.
Michael (lacht): Eines dieser Vorbilder ist übrigens Stefan. Ich habe nämlich als Teenager nicht nur – wie im Text – meine Hosen so getragen wie er, sondern ich habe tatsächlich seine Hosen getragen (beide lachen laut). Ich habe auf seinen Konzerten gestanden und war teilweise auch neidisch und eifersüchtig. Ich weiß noch, wie ich auf einem Konzert im Anker in Leipzig dastand und geheult habe. Nicht weil es so ein emotionaler musikalischer Moment war, sondern einfach. weil ich so neidisch war auf das was du da auf der Bühne gemacht hast und auf dieses Leben, was ich glaubte, das du hast.
Stefan: Und dann geht man selbst rein in dieses Business und merkt …
Michael (lacht): … Scheiße! Und jetzt schaue ich nur noch auf ihn herab.
Stefan: Mir haben damals schon alle vorausgesagt, dass mein Bruder mich überholen wird. (Michael lacht laut). Ich bin also eines von diesen Vorbildern bei denen Micha irgendwann gesehen hat: Ich mach das selbst viel geiler. Generell hat Michael eine sehr bescheidene Art, über sich zu sprechen. Dabei könnte er erzählen, was er alles macht. Aber er schaut immer sehr darauf, wo das alles herkommt und erzählt sich auf einer sehr geerdeten Basis.
Michael (fragt Stefan): Bist du selbst Fan?
Stefan (lacht): Nee. Dafür finde ich mich selbst zu gut.
Michael: Stefan ist ein echter Narziss. Die meisten Künstler sind ein bisschen narzisstisch. Ich denke manchmal, ich bin da einfach weniger Künstler als du.
Stefan: Natürlich nur in bestimmten Teilbereichen. In den meisten Dingen bin ich da ein ganz normaler Typ, aber in Sachen Musik weiß ich halt, was ich kann und ich habe das ja auch oft genug bestätigt bekommen. Irgendwann muss man halt aufhören, sich selbst kleinzumachen. Ich mach den Shit jetzt 20 Jahre und dann ist es okay auch einfach mal zu sagen: Ich hab halt einfach den dicksten Pimmel (beide lachen laut).

Ich weiß wirklich nicht ob ich dir garantieren kann, aus diesem Statement nicht die Überschrift zu machen. Wir müssen auch sehen, dass die Klickzahlen stimmen. Kommen wir zum nächsten Song, „Scheisztag“: „Bitte nimm mich in den Arm, bitte sag mir life is hard, bitte trag mich“. Obwohl du in festen Händen bist handeln deine Texte oft von der Suche nach Liebe. Wie autobiografisch ist sind die Texte?
Michael: Jetzt auf diesem Album ist alles ziemlich direkt. Während „Bei dir“ ja total vom ankommen bzw. angekommen sein erzählt, was ich auch privat immer wieder spüre, ist „Scheiztag“ einfach ein Gefühl, das ich im Winter oft habe. Dass ich mich allein fühle. Wenn du damit auf die anderen Songs anspielst, auf „Nie gesagt“ zum Beispiel, wo es um eine Trennung geht, kann ich dir sagen, dass das absolut genau so im Raum stand, und zwar während des Schaffungsprozesses. Die Gedanken und Gefühle sind da ziemlich direkt und absolut autobiografisch.

Das ist mutig. Es gibt bei „Baby Baby“ schon dieses Moment des „sich nackig machens“. Als Künstler kehrt ihr oft euer Innerstes nach aussen und du als Frontmann musst den Reaktionen darauf dann auch noch in einer Halle voll fremder Menschen standhalten. Fasst dich das nicht manchmal extrem an?
Michael: Auf jeden Fall. Ich hab das trainiert. Ich habe mal ein Semester lang in einem Zeichenkurs Aktmodell gestanden. Das war ein guter Job, weil es eben dieses auf der Bühne sein, nackt sein im wahrsten Sinne des Wortes, bedeutet. Ein Freund hat mich letztens darauf angesprochen und meinte, dass er das ziemlich krass findet, so ein großes Stück Intims- und Privatsphäre damit aufzugeben. Ich glaube, das geht auch über die Songs hinaus, in dieses Social-Media-Ding rein, wo wir ja viele Fotos und Erinnerungen mit Leuten teilen, die wir nicht kennen. Ich finde das ein sehr spannendes Thema und ich versuche immer zu fühlen, was für mich noch gut ist. Gerade wenn wir Songs schreiben habe ich da weniger Probleme als beim Teilen privater Fotos, weil Songs schreiben immer auch Kunst ist und es trotz allem eine gewisse Distanz hat und ja auch immer die Musik dazwischen ist. Dann ist das für mich total heilsam und gut.

Wir sind alle so unperfekt
Wir sind alle mal schlecht im Bett
Wurden alle schon mal verletzt
(„Baby Baby“, 2020)

Könnt ihr euch vorstellen, dass ein Song im Entstehen ist und ihr euch plötzlich sperrt und sagt: Das ist mir jetzt doch zu nah, das will ich von mir nicht preisgeben?
Stefan: Michael hat mal bei einem Song, den ich für eine gute Gelegenheit für ein Feature hielt, gesagt, dass ihm das zu privat und zu wichtig ist. „Nie gesagt“ war das. In einer größeren Runde mit unserem Team haben wir nochmal darüber geredet, und dann konnte er sich das irgendwie vorstellen. Wir reden dann darüber. Beim ersten Mal tut’s weh, beim zweiten Mal ok… (lacht). Ich wollte noch was zu diesem „sich nackig machen“ sagen. Micha, ich finde es interessant, was du erzählt hast. Das habe ich so noch nie von dir gehört. Ich wusste noch gar nicht, dass dich das so stark beschäftigt. Weil ich uns insgesamt im Vergleich zu anderen Künstlern so wahrnehme, dass wir schon sehr große Lust haben, auf eine deepe Ebene zu gehen. So sind wir halt auch privat als Typen veranlagt. Wir reden nicht „cool“ miteinander, das ist uns relativ schnell unwichtig. Es geht uns immer darum: Wie geht es dir eigentlich gerade wirklich? Ich merke das auch in unserer Familie. Wir erreichen da eine Tiefe der Kommunikation, die mich manchmal stresst weil ich glaube, dass ich von allen in unserer Familie am wenigsten so bin. Da sitzen wir beim Geburtstag unserer Schwester zusammen und reden drei Stunden darüber, wie es uns geht. Und zwar nicht „Hey, mir geht’s gut und jetzt hab ich hier und da nen neuen Job und dieses oder jenes getan“, sondern so, dass gleich der Erste in seinem Vortrag direkt jede Grenze einreißt und erzählt „Damit geht’s mir gut und damit geht’s mir richtig scheiße, hier habe ich gerade Probleme“ und dann geht es um Sex oder sowas und die ganze Familie spricht drüber. Das sind so Sachen, die passieren in anderen Familien nicht (lacht). So sind wir geprägt. Für viele Leute ist das sicher total weird. Auch, dass da zwei Brüder im Video stehen und einer ist nackt, und der andere malt ein Porträt von ihm, also da weiß ich auch nicht ob das für die Leute so normal ist.
Michael (lacht): Darum passt das Video auch so gut zu uns!

Habt ihr beim Songschreiben den Adressaten im Kopf?
Michael: Ich habe unterschiedliche Adressaten. Manchmal ist es Stefan, bei „Tut mir leid“ zum Beispiel, manchmal ist es meine Freundin und ich glaube, gerade bei politischeren Songs habe ich dann auch tatsächlich eher eine Masse an Menschen im Kopf. Das sind Dinge, die ich allen sagen will.

„Tut mir leid“ hast du gerade schon angesprochen: „Wenn ich Sätze streichen könnte wär’ die letzte Stunde stumm“. Schön gesagt. Je länger man sich kennt, desto mehr Munition hat man bekanntlich im Streit. Wie sehr potenziert sich das, wenn man sich schon immer kennt und ja auch weiß, das wird ein Leben lang so bleiben?
Michael: Man will das ja nicht, man tut es trotzdem. Wir wollen uns nichts Böses. Wir wollen beide, dass es funktioniert und wir haben ja auch die gleichen Ziele. Und trotzdem gibt es immer wieder diese Punkte, an denen ich merke, das geht gerade viel zu weit, ich tue ihm gerade weh. Ich mache das manchmal mit einem Sadismus und einer Brutalität, die ich selbst an mir nicht kenne und die ganz schrecklich ist. Auf jeden Fall haben wir heftige Munition und es gibt keinen anderen Menschen, mit dem ich mich so krass gestritten habe wie mit Stefan. Das ist doch mal ein Liebesbeweis!
Stefan (lacht): Absolut! Da gibt es auch eine Songzeile von uns: „Solang es uns noch weh tut ist es noch nicht vorbei“. Es ist ein Teil der Wahrheit, dass man sich mit den Menschen, die man am meisten liebt, auch am meisten fetzt. Man muss es halt hinbekommen, sich aus dieser Abgefucktheit, die es für beide bedeutet wenn man sich so streitet, weil es ja auch das Team schwächt, wieder herauszuarbeiten.

Nächster Song: „Gleichzeitig“: „Ich such’ nach der Balance, I don’t know what I want“.
Michael: Wir haben gerade auf der „Deep Dive Conference“ gespielt (Die DDC ist eine Nachhaltigkeitskonferenz für Unternehmen in Hamburg, Anm. d.  Autor) und da ist mir das in einer Moderation irgendwie so rausgerutscht: „Gleichzeitig“ ist für mich das Peter-Altmaier-Gefühl.

Das müsstest du vielleicht kurz ausführen …
Michael: Der hat vor Kurzem gesagt: „Wir müssen den Leuten zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit zusammengehen“. (Er macht eine rhetorische Pause und muss dann sehr laut lachen.) Das ist der absolut bekloppteste Satz. Weil das Primat des wirtschaftlichen Wachstums im kapitalistischen System einfach ein Widerspruch ist zu der Endlichkeit der globalen Ressourcen. Es ist ein ganz klarer Widerspruch, man kann nicht ewig wirtschaftlich wachsen, außer man erstreckt die Menschheit noch über viele andere Planeten. Das Peter-Altmaier-Gefühl heißt: unvereinbare Dinge unbedingt gleichzeitig haben zu wollen.

Bist du denn zu einem sinnigen Ansatz gekommen, im Gegensatz zum Fachbereich unseres Wirtschaftsministers wenigstens im Zwischenmenschlichen solche Dinge vereinen zu können oder sollte man es einfach nicht mehr versuchen?

Michael: Es gibt sicher Leute, denen gelingt das. Mir bislang nicht so gut. Im Hinblick auf eine Beziehung zum Beispiel, die Vereinbarkeit von Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit, alles tun und lassen zu können, auch sexuell, und die Sicherheit, mit seinem Partner eine vertrauensvolle Beziehung zu haben. Oder zum Beispiel reich aber links sein. Ein Freund sagte mal „Ich will richtig viel Geld verdienen und damit dann ganz viel Gutes machen“. Das ist eine schöne Idee und gleichzeitig auch ein Widerspruch. Diese Art von Reichtum bedeutet ja immer: Ich bin reicher als die Anderen. Und links sein bedeutet: Ich bin wie die Anderen.

Der private Anstrich dieser Unvereinbarkeiten ist eine gute Überleitung zum letzten Song, „Nie gesagt:“ „Ich hab’ dir nie gesagt, was Liebe für mich heißt. Ist es das, was uns zerreißt?“. Sind die Dinge, die man nicht gesagt hat, Schuld wenn die Liebe stirbt?
Michael: Für mich ist das so, ja. Es gibt total unterschiedliche Arten mit Konflikten umzugehen, aber ich glaube immer, dass man bessere Karten hat wenn man spricht. Ich glaube, dass es bei unseren Eltern ein Stück weit so war, dass das, was sie nicht sagen konnten oder auch nicht sagen durften, dazu geführt hat, dass sie heute nicht mehr zusammen sind. Ich glaube, das ist häufig der Fall und dass das manchmal auch einen Wendepunkt in einer Beziehung markiert. Wenn man Dinge nicht mehr sagt.

Man könnte so viele eurer Songs noch bebildern. Ihr habt da einen wirklich spannenden Ansatz gefunden, nämlich die Adaption berühmter Filmszenen für eure Videos. Ich habe lange nicht mehr so gern Clips geschaut. Wie kam es dazu?
Stefan: Wir haben mit „Bei dir“ angefangen eine Szene von „Reservoir Dogs“ nachzustellen, den wir sehr oft geschaut haben weil das die einzige VHS-Kassette ist, die in unserem Ferienhaus zur Verfügung stand. Danach wurde irgendwie ein Konzept daraus, soweit hatten wir das gar nicht gedacht. Nach dem ersten Album haben wir erstmal überlegt, was möchten wir erzählen? Ich hatte Lust, dass es richtig entertaining wird. So ist das einfach gekommen, dass wir jetzt FIlmszenen nachdrehen. Das Schauspielen macht uns Spaß.

Michael: Das Team ist super, die finden wirklich gute Locations. Mightkillya heißt die Produktionsfirma, die kommen aus Bochum. Mit denen haben wir das jetzt dreimal gemacht, die haben wirklich tolle Ideen. Ich glaube, Titanic und Reservoir Dogs kamen von unserer Seite und Wolf Of Wall Street kam von denen. Das heißt, wir sind jetzt eigentlich wieder dran.

Auf der kommenden „Sommerseite“ geht es damit also weiter?
Michael: Ja!
Stefan: Wir haben überlegt, ob das vielleicht schon auserzählt ist. Aber wir haben das Gefühl, dass das eine Serie ist, die gerade erst ankommt. Dass die Leute jetzt langsam checken, ah ok, das sind die mit den Filmszenen.

Stimmt. Klan sind die mit den Filmszenen. Sie sind noch deutlich mehr. Klan sind die, die Alltägliches und Abseitiges in wunderbar zugänglichen Pop kleiden, der sich weder anbiedert noch gewollt versperrt. Dahinter stecken zwei kluge Köpfe die mit offenen Augen und Herzen durch die Welt gehen und denen man den Spaß anmerkt, das Erlebte in Musik zu verwandeln. Mama muss sich keine Sorgen machen. Mama kann stolz sein. Der Showman auch. Eltern mit dieser Visitenkarte haben alles in Allem doch ziemlich viel richtig gemacht.

Klan auf Tour:
Klan auf Tour:


13.10.20 – Kiel – Orange Club 

14.10.20 – Hamburg – Knust / VERSCHOBEN

15.10.20 – Bremen – Lagerhaus / VERSCHOBEN

16.10.20 – Rostock – Helgas Kitchen / VERSCHOBEN

17.10.20 – Berlin – Hole 44 / VERSCHOBEN

21.10.20 – Leipzig – Werk 2 / VERSCHOBEN

22.10.20 – Mainz – Schon schön / VERSCHOBEN

23.10.20 – München – Strom / VERSCHOBEN

24.10.20 – Nürnberg – Club Stereo / VERSCHOBEN

25.10.20 – Regensburg – Alte Mälzerei 

27.10.20 – Ulm – Roxy / VERSCHOBEN

28.10.20 – Stuttgart – Kulturquartier / VERSCHOBEN

29.10.20 – Heidelberg – Karlstorbahnhof 

30.10.20 – Köln – CBE / VERSCHOBEN

31.10.20 – Duisburg – Grammatikoff
27.01.21 – Wien, Das Werk / VERSCHOBEN
28.01.21 – Augsburg, Kantine
29.01.21 – Darmstadt, 806qm
30.01.21 – Kaiserslautern, Kammgarn
31.01.21 – CH-Zürich, Exil
03.02.21 – Dresden, Groovestation / VERSCHOBEN
04.02.21 – Jena, Rosenkeller
05.02.21 – Bielefeld, Movie
06.02.21 – Lüneburg, Salon Hansen
08.02.21 – Hannover, Musikzentrum / VERSCHOBEN
09.02.21 – Potsdam, Waschhaus

Klan haben im Rahmen der Reihe THANK ME LATER bereits eine Playlist mit ihren Lieblingssongs für uns kompiliert:

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