Marcel Odenbach & Richard Ojijo: „Eine Mischung aus Neugier und Naivität“
Zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 zeigte das K21 in Düsseldorf “Marcel Odenbach. So oder so”, eine umfassende Retrospektive des Kölner Künstlers, die gleichermaßen dessen filmische Collagen, Installationen und Performances als auch seine Papierarbeiten würdigte und so die Leitthemen in seinem Werk aus verschiedenen künstlerischen Blickwinkeln erfahrbar machte.
Marcel Odenbachs Arbeiten legen die Finger auf die Wunden Deutscher Geschichte, arbeitet sich an Nazideutschland und Kolonialismus ab, analysieren RAF-Terrorismus und das Wiederaufleben des Antisemitismus in der BRD.
Zum Abschluss der Ausstellung durfte ich eine Gesprächsrunde mit Marcel Odenbach, Richard Ojijo, der sich für die meisten Soundtracks zu den Videoarbeiten von Odenbach verantwortlich zeichnet (die jüngst auf dem Kölner Label Magazine in neuer Abmischung veröffentlicht wurden), sowie der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Doris Krystof moderieren. Hierbei handelt es sich um ein leicht redigiertes Transkript dieses Gesprächs.
Dr. Doris Krystof: Die Idee dieser Ausstellung war, dass wir die Film- und Papierarbeiten, die beide als Collagen mit dem Thema Schnitt arbeiten, zusammen zeigen und sich verschränken lassen. Mich interessiert, wie die Zusammenarbeit zwischen den Filmen, die zuerst existieren, und der Musik funktioniert – und ich möchte eine Arbeit herausgreifen, die mir besonders imponiert: das Video „Beweis zu nichts“ (der Titel zitiert ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, d. Verf.), das den Fortbestand der Opfer-Täter-Struktur in der deutschen Nachkriegsgesellschaft behandelt und an der Gedenkstätte Buchenwald spielt, wo der Sound von langer Hand den Song aus Heiner Goebbels‘ „Eislermaterial“ ansteuert. Wie kam es dazu? Und wie ist das gemacht? Ich höre das wahnsinnig gerne, wie sich aus Richards abstrakten Sounds allmählich dieses kleine, so wundervoll von Joseph Bierbichler vorgetragene Lied entpuppt.
Marcel Odenbach: Mir war schon in den 1970er Jahren, – also von Anfang an – der Ton so wichtig wie das Bild. Das heißt: ich habe Bilder gesammelt und ich habe auch Töne gesammelt. Und irgendwann sind die Bilder zu den Tönen gekommen oder die Töne zu den Bildern. Ich habe natürlich durch Film, der mich damals sehr geprägt hat – beispielsweise Pasolini oder Hitchcock –, sehr schnell verstanden, wie man durch Ton das Bild beeinflussen und manipulieren kann. Früher bin ich genauso unbedarft, wie ich mit dem Bild umgegangen bin – das hatte technische Gründe, man konnte nicht so viel schneiden, man konnte nicht das Bild manipulieren, es gab das Problem des Copyrights nicht –, auch die Töne benutzt. Dann kam die glückliche Fügung, dass Richard, den ich schon länger vorher kannte, angefangen hat Tontechnik zu lernen. Es gab dann diese Arbeit „Innere Sicherheit“ – und da äußert Richard den Wunsch, mal den Ton für mich zu machen. Warum nicht. So kam es zum ersten Mal – und so blieb es bis heute. Gottseidank. Die Bilder sind raffinierter geworden, aufwendiger – und der Ton ist durch Richard genauso aufwendig und raffiniert geworden.
Ich vertrau ihm da total. Es ist aber auch so, dass ich genauso wie ich Bilder in der Schublade habe, dort auch Töne liegen.
Als ich die Arbeit über Buchenwald gemacht habe … für „Beweis zu nichts“ hatte ich immer Hanns Eisler im Hinterkopf, weil er thematisch unheimlich viel mit der Thematik zu tun hatte. Ich kenne Heiner Goebbels seit Anfang der 1980er Jahre, wir haben damals im gleichen Videostudio bei TVT in Frankfurt gearbeitet und wollten immer mal was zusammen machen. Dazu kam es leider nie, aber als ich in der Kölner Philharmonie war, in der zur Verabschiedung von Kasper König das „Eislermaterial“ von Heiner Goebbels aufgeführt wurde, habe ich Heiner kontaktiert und fragte, ob ich nicht sein Stück zitieren dürfte. So ist es dazu gekommen. Er hat „ja“ gesagt, das musste klar sein. Das war die einzige Vorgabe. Wobei es durch das Bild immer wieder Dinge gibt, die quasi durch einen gefakten Off-Sound vertont werden müssen, das ist bei „Beweis zu nichts“ dieser Medizinball, der runterrollt. Das sind natürlich Vorgaben – aber ansonsten legt er mir was vor und wir diskutieren darüber und ich sag „ne, das gefällt mir nicht so gut“ oder „das finde ich großartig“. Ab einem gewissen Punkt ist es eine große Zusammenarbeit – auf Basis des Vertrauens.
Richard Ojijo: Bei „Beweis zu nichts“ hab ich auf Grundlage des „Eislermaterial“ drei oder vier Loop-Versionen gebaut und vorgeschlagen – das mache ich immer so. Anhand deren wird diskutiert, was noch nicht passt, was man besser machen kann. Wobei immer schnell klar ist, wofür man sich entscheidet. Von dem Moment an, wo die Grundidee steht, gibt es nicht mehr viel Absprache. Oder?
Marcel Odenbach: Das ist angenehm. Wir sprechen dann eher darüber, wie es deinem Kind geht – „hat es Schnupfen?“ – als über die Arbeit. Ich rede an Orten wie hier auf der Bühne über meine Arbeit, aber privat mag ich das nicht so. Das macht die Zusammenarbeit so angenehm, es gab bis jetzt noch nie ein Missverständnis. Es gab auch noch nie eine Auseinandersetzung – er könnte mir ja auch sagen: „was für ein bescheuertes Bild hast du da reingeschnitten“.
Dr. Doris Krystof: Dazu passend – also jetzt zum bescheuerten Bild –: was für ein Bild! Bei „Beweis zu nichts“ geht die Kamera ganz langsam um das Denkmal herum, man sieht die Oberfläche der Bronzefiguren, und wenn dann der Sound kommt, das Lied, dann wird das Bild am abstraktesten. Habt ihr vorher abgesprochen, wann der Sound kommt?
Richard Ojijo: Die Stelle war klar. Das Denkmal sollte mit dem Stück vertont werden. Der Rest des Films …. ich folg da meistens einem Bauhaus-Prinzip, „Form follows Function“. Ich habe ein Sample und verforme das so lange, dass ich lange Sequenzen daraus bauen kann, in dem Fall für davor und danach. Alles, was man im Film hört – bis auf die gefakten O-Töne über den historischen Aufnahmen –, ist aus dem „Eislermaterial“ heraus geformt: verfremdet, gesampelt, wieder verändert.
Thomas Venker: In wie weit unterscheidet sich deine Arbeitsweise denn von deinen sonstigen Produktionen? Es klang eben an: es kommt Fremdmaterial dazu, aber dann, so klingt es zumindest, kannst du frei damit operieren. Und doch steht die Produktion immer im Dienst des Narrativs der Videoarbeit. ich frage vor dem Hintergrund, dass du gerade auch die Box mit der gesammelten Musik zu den Arbeiten von Marcel Odenbach veröffentlicht hast, sind das Auftragsarbeiten für dich oder eigenständige Werke?
Richard Ojijo: Komische Frage.
Marcel Odenbach: Ich versteh die Frage, ich krieg die auch oft gestellt.
Thomas Venker: Vielleicht willst du sie für ihn beantworten?
Richard Ojijo: Ich bin da ganz unemotional und technisch. Ich hangel mich an der Technik entlang, hab bestimmte Methoden. Hmm, darauf zielt die Frage aber gar nicht hin, oder?
Thomas Venker: Das kann sie, wenn du sie so beantwortest.
Richard Ojijo: Auftrag oder Künstler, fragst du?
Thomas Venker: Ja, im Sinne von dass du sagen würdest, „das ist ein Stück, wie ich es zu 100% auch alleine gemacht hätte“.
Richard Ojijo: Natürlich nicht. Das Bild läuft immer parallel. Ich seh immer das Bild dazu – und dadurch entsteht natürlich eine andere Stimmung, und ich treffe andere Entscheidungen, als wenn ich kein Bild dazu hätte.
Thomas Venker: Hast du dir diese Arbeitsweise für deine eigenen Produktionen auch angewöhnt? Holst du dir da auch Bilder zum Musikmachen? Oder ist das reserviert für Eure Zusammenarbeit?
Richard Ojijo: Das passiert nur mit Marcel in der Zusammenarbeit.
Marcel Odenbach: Das ist interessant, bei mir ist es umgekehrt. Ich hab immer wenn ich ein Bild wähle schon einen Ton im Ohr. Auch wenn er falsch ist oder etwas Gewohntes, dass ich schon kenne. Ich könnte nie einen Stummfilm machen. Obwohl ich natürlich mittlerweile ohne Sound arbeite, nur das Material sehe. Ich komme noch aus der Videozeit her, in der Bild und Ton parallel aufgenommen wurden, das ist mittlerweile nicht mehr so. Das war ganz am Anfang ein Gewöhnungsprozess für mich, und es ist noch immer so, dass wenn ich ein Bild sehe, immer sofort auch einen Ton höre.
Thomas Venker: Wo du das so sagst, ist es umso erstaunlicher, dass du ihm so viel Platz lässt. Das heißt, er trifft deine Töne oder spielt das letztlich keine Rolle, da du akzeptierst, dass ein anderer Ton den Platz von „deinem“ Ton einnehmen kann.
Marcel Odenbach: Nein, das spielt schon eine Rolle. Das ist eine Vertrauenssache. Ich weiß, dass wir eine ähnliche Bild- und Tonsprache sprechen. Sonst würde es nicht so gut funktionieren. Ich hätte ja schon längst mal jemand anderes beauftragen können, aber ne, da bin ich jetzt zu alt zu – mit fast 70 ist man ein Gewohnheitstier. (lacht)
Richard Ojijo: Es gibt vorher immer ein Moodboard, du kommst vorher mit Stücken um die Ecke: „Beim Schnitt haben wir das und das benutzt, das hat mir gut gefallen.“ Es gibt also Impulse. Das war beispielsweise bei „Wer leidet der schneidet“ sehr ausschlaggebend.
Marcel Odenbach: Was du machst: es gibt immer nicht nur eine Grundmelodie oder einen -ton oder ein -thema, sondern drei, vier, fünf. So war es auch aktuell bei der Arbeit in Krefeld, „Verzettelung“, die ganz frei war, es überhaupt keine Vorgaben gab. Da haben wir uns dann auf einen Vorschlag davon geeinigt. Ich hab nie das Gefühl, dass ich in eine Falle gerate, dass er mich in etwas hinein führt, was ich gar nicht will, was nicht meine Vorstellung ist. Ganz im Gegenteil. Ich lege beim Schnitt gerne einen Rhythmus drunter – beliebt bei mir ist Steve Reich, so bin ich groß geworden in den 70er Jahren, und er ist immer noch gut zum Schneiden. Aber ich löse mich dann davon total – so wie ich mittlerweile auch einem Kameramann vertraue, vertraue ich Richard, auch weil er so einen neuen Aspekt in meine Arbeit bringt, das hat ja auch vielleicht etwas Filmisches.
Richard Ojijo: Ich find das sehr beachtlich, dass du dich davon lösen kannst. Ich weiß nicht, ob ich das so könnte. Wo du soviel Zeit damit im Schnitt verbracht hast, dich dann wieder von der Idee zu verabschieden – Respekt.
Marcel Odenbach: Das ist Vertrauen. Das hat natürlich auch mit einer Veränderung des Mediums zu tun. Ich werde nie vergessen, wie ich 1984 die erste größere Produktion mit Kathy Huffman in Boston gemacht habe für den Cat Fund. Da musste ich plötzlich mit einem Kameramann arbeiten. Ich wusste nicht, wie ich ihm meine visuelle Vorstellung erklären sollte, weil ich vorher die Kamera immer selbst gemacht hatte, was damals aus fernsehtechnischen Gründen nicht mehr ging. Ich hab ihm dann gesagt: „Nimm die Violine 50mal auf!“ – zwei Aufnahmen davon konnte ich gebrauchen; aber die waren dann auch ganz anders, als ich es mir selbst hätte vorstellen können. Das empfand ich als eine Bereicherung.
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Dr. Doris Krystof: Der Sound ist wie ein Soundteppich angelegt, breitet Flächen aus. Was bei den Filmen, die sehr inhaltlich intendiert sind, auffällt: Es gibt keinen Text. Keine Voice-Overs. Es wird nicht gesprochen, es wird nichts erklärt. Es wird alles über Bilder auf sehr atmosphärische Weise vermittelt. Da passt die Musik wirklich ganz wunderbar zu, da gibt es eine gemeinsame Einflugschneise. Aber was sich trotzdem nicht einstellt: man geht nicht in die Arbeiten rein und denkt: „Ah, das ist wieder der Ojijo Sound!“ Dieser Effekt stellt sich erstaunlicherweise nicht ein.
Richard Ojijo: Cool. Wie ich gerade schon mal erwähnt habe: Es gibt ja entweder eine Vorgabe wie das „Eislermaterial“ oder Originaltöne von den gedrehten Bildern, an denen ich mich entlang hangele. Oftmals gehe ich ohne Vision rein und nutze die Technik. Technik ist key. Ich habe Tools, mit denen ich den Originalsound – den man nachher auch nicht mehr heraus hört – bearbeitete. Ich drehe alles durch die Plug-In-Mangel bis etwas heraus kommt, was sich schön anhört, um es profan zu sagen.
Ich hoffe darauf – und kann mich da mittlerweile auch drauf verlassen –, dass Marcel mit der Richtung, in die ich mich bewege, okay ist. Diesen Moment, dass ich gar nicht wusste, ob es ihm gefallen würde, den hatte ich nur bei der ersten Arbeit. Das hatte ich danach nie wieder.
Dr. Doris Krystof: Ihr habt nach „Innere Sicherheit“ dann auch gleich eine große Arbeit zusammen gemacht: „In stillen Teichen lauern Krokodile“. Da ist viel Bach drin.
Marcel Odenbach: Da gab es die Vorgabe, dass ich diesen Bach-Loop wollte – wie bei Pasolini die Matthäus-Passion –, damit man das Gefühl hatte: „Wann fängt er jetzt endlich an zu singen? Ich habe genug!“
Das war die einzige Vorgabe – und das Filmrattern, geklaut von „Persona“ von Ingmar Bergman. Genauso wie ich Bilder und Dinge zitiere, macht das Richard dann auch musikalisch.
Aber was du eben gesagt hast über den Sound, der drunter liegt und eine Basis, eine Atmosphäre schafft, das ist auch ein bisschen so wie meine Collagen funktionieren. Ich lieb es, dass man sich in eine Arbeit reinloungt, sich zurück lehnt – und dann kommt der Terror. So verhält es sich mit den Collagen auch. Ich mag es, dass die Leute erst denken, das sei gemalt – „seit wann malst du eigentlich?“ –, und wenn sie dann näher heran treten, bekommen sie erst wie einen Schlüssel für die Arbeit. So arbeite ich mit Bildern und Richard mit Sounds – da haben wir uns gut getroffen.
Thomas Venker: Marcel, du hast vor einigen Minuten davon gesprochen, dass es damals noch keine Copyright Probleme gab. Da möchte ich nochmals kurz drauf zurück kommen. Ich nehm mal an, dass bezog sich auf die Sound-Samples. Hat sich das im Lauf deiner Biographie verändert? Ging ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr, was in den 70ern und 80ern im Umgang mit Sound noch möglich war?
Marcel Odenbach: Natürlich, klar. Auch was die Bilder betrifft. Das war eine einschneidende Sache. Ich kann es einfach sagen: Ich habe 78 eine Arbeit in Paris gemacht, da habe ich Kraftwerk drunter gelegt. (lacht) Das möchte ich heutzutage nicht mehr machen.
Thomas Venker: Moses P könnte dir Geschichten erzählen.
Marcel Odenbach: Genau, wir kennen alle die Geschichte… Aber es bereichert einen auch, die Arbeiten waren sehr viel roher, nicht so raffiniert, die waren mehr wie ein Tagebuch und nicht so inszeniert. Ich bin dadurch dann in eine andere Schiene gerutscht, hab eine andere Idee von meinen Arbeiten entwickelt. Ich habe später viel mehr Dinge machen lassen, die Zitate, die ich früher geklaut hätte – wie beispielsweise der ganze Anfang von „In stillen Teichen lauern Krokodile“, der ein 1:1-Zitat ist von „Persona“ von Ingmar Bergman, ist von mir fast in jedem einzelnen Bild nachgestellt worden.
Thomas Venker: Hast du das am Anfang als Einschränkung empfunden? Oder eher als neue Freiheit, da es dich woanders hinführte.
Marcel Odenbach: Naja, aus der Not macht man eine Tugend. Ich fand das am Anfang schon gemein und es hat mich geärgert. Ja, ich hatte das Gefühl, dass es mich einschränkt, das kann ich nicht anders sagen. Man darf auch nicht vergessen, ich bin momentan in einer ganz anderen Position. Ich glaube, wenn jemand in den 70er Jahren Steve Reich angerufen und gefragt hätte, ob er einem mal eben die Rechte für die Platte gibt, dann hätte er natürlich abgelehnt. Jetzt kann ich jemanden anrufen und fragen, ob ich seine Arbeit zitieren darf. Das hat sich verändert, aber ich hab auch die Arbeiten verändert aufgrund der anderen Umstände.
Thomas Venker: Stichwort „Arbeiten verändert“. Du hast vorhin kokett gesagt, dass Richard ja auch sagen könnte, „das Bild passt nicht.“ Passiert das? Gibt es in Eurer Zusammenarbeit den Rückkanal, dass du als Musiker auch mal eine Anmerkung zum Rhythmus des Films reingibst? Oder gebietet der Respekt das nicht zu tun?
Richard Ojijo: Also selbst wenn dem so wäre, das ließe sich gar nicht umsetzen. Ich krieg den fertigen Film meistens einen Monat oder zwei vor Ausstellungseröffnung.
Marcel Odenbach: Das hört sich wie eine leichte Anklage an. Das stimmt auch nicht, bei „In stillen Teichen lauern Krokodile“ haben wir zwei Jahre dran gearbeitet, sowohl am Schnitt als auch am Sound.
Richard Ojijo: Soweit kann ich nicht zurück denken.
Marcel Odenbach: Aber ne, das gab es noch nie. Aber vielleicht ein Anstoß…
Dr. Doris Krystof: Marcel, bei “3 Legged Race” wurde Filmmaterial verwendet, das du 1996 aufgenommen hast im Rahmen eines Ausstellungsaufbaus in Harlem, geschnitten wurde er aber dann erst 2019 für eine Ausstellung in New York (wo du, Richard, die Musik wieder zu gemacht hast) von jemand anderen. Da hast du es auch delegiert.
Marcel Odenbach: Das war aber eine Ausnahme. Weil ich das Material so lange liegen hatte und ich zu emotionalisiert war mit dem Material in dem Moment in meinem Leben. Ich hatte das Gefühl, nicht fähig zu seine, eine „Dokumentation“ zu schneiden, denn das hatte ich noch nie gemacht. ich wollte jemand anderes beurteilen lassen, inwieweit man Dinge noch erklären müsste.
Wir haben eine Ausstellung in Harlem gemacht damals. Die Vorbereitungen dauerten zwei Monate, wir haben das Haus ausgeräumt – und ich habe bis zum Türaufmachen und der Finnissage alles durch gefilmt, was stattgefunden hat. Ich wollte immer etwas mit dem Material gemacht haben, war aber nie fähig dazu. Deswegen fand ich es die richtige Idee, das Material an Daniela Kinateder zu geben, mit der ich schon lange zusammen arbeite und die hier in Düsseldorf an der Kunstakademie Montage unterrichtet, eine neutrale Person, die weder die Ausstellung gesehen hat noch in den 90er Jahren in New York war. Ich konnte das abgeben wie ein Baby, „so, jetzt hüte du das mal.“ Das hat auch gut funktioniert.
Dr. Doris Krystof: Hast du dieses gute Gefühl des Abgebens auch bei der Musik?
Marcel Odenbach: Ich habe immer noch die Möglichkeit – sowohl beim Schnitt wie auch bei der Musik – zu sagen: „Ne, das mag ich gar nicht!“ ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich entfremdet oder entmündigt fühle, in dem ich was abgebe. Das, was ich früher nicht wollte als Videokünstler – Filmemachen, weil mir das zu entfremdet erschien –, mache ich jetzt. Also Dinge abgeben.
In den 70er Jahren lag die Motivation beim Videomachen für mich darin, alles selbst zu machen, autark zu sein. ich bin der Akteur vor der Kamera, ich mach die Kamera, ich seh mich im Fernseher, ich leg den Sound drunter, ich bestimmt die Distribution – ich bin Selfmade Man. Und das ist überhaupt nicht mehr der Fall. Jetzt sehe ich das als Bereicherung, damals hätte ich das als Einschränkung empfunden.
Thomas Venker: Das heißt, du hast nie Rückversicherung gebraucht. Ich muss sagen, ich war sehr beeindruckt von der Ausstellung – wie früh der Mut dazu da war Stellung zu beziehen, die RAF-Arbeiten sind beispielsweise zu einem Zeitpunkt entstanden, da haben sich andere noch nicht getraut, künstlerisch etwas heraus zu geben, das drei, vier Jahrzehnte später noch gut dasteht.
Marcel Odenbach: Das hat natürlich Zeit- und Medienbedingte Gründe – mit Video zu arbeiten, das war damals eine politische Entscheidung. Ich hab damals sehr wenig Angst gehabt – vor Ländern, vor anderen Kulturen, vor Menschen, vor Aussagen, vor Reinfällen… ich weiß gar nicht, woher das kommt, aber es ist so. Wenn ich im Nachhinein zurück überlege … es war eine Mischung aus Neugier und Naivität.
Thomas Venker: Ich möchte die Chance nutzen, wo Künstler und Kuratorin anwesend sind, nach dem Auswahlprozess der Arbeiten für die Ausstellung zu fragen. Marcel, gab es da, wenn du auf dein Gesamtwerk zurückblickst, Arbeiten, von denen du sagst, die haben besser funktioniert und anderee schlechter. Gibt es die kritische Selbstreflektion?
Marcel Odenbach: Ja, das kann man durchaus sagen. Die Doris hatte eine gewisse Vorstellung, Gottseidank, das find ich auch ganz toll. Aber wir hatten Diskussionen, denn es gab Arbeiten, die wollte ich überhaupt nicht gerne zeigen. Doris fand die interessant – ich hätte sie eher als Jugendsünden beschrieben. Aber sie hatte eine Vision und da bin ich ihr sehr dankbar für, dass sie die durchgesetzt hat; im Zusammenhang der Ausstellung und wie es präsentiert wird, hat sie Recht gehabt. Bei zwei Arbeiten hab ich gesagt, „die kriegst du nicht, die zeig ich nicht“. (lacht) Ich hab neulich auch ein paar zerrissen.
Dr. Doris Krystof: Ich weiß gar nicht, welche du meinst.
Man musste schon sehr viel auswählen, weil das Werk ist immens, gerade bei den 1-Kanal-Videoarbeiten aus den 80ern.
Man muss beim Zusammenstellen einer Ausstellung auf die Gesamtkomposition achten, es gilt einen Takt zu finden. Zuviel ist auch nicht gut. Wenn ich das so sagen kann: Ich empfinde es als gelungen, dass es verschiedene Anmutungen gibt.
Worauf ich auch noch gerne zu sprechen komme, ist die Arbeit „Ach, wie gut, daß niemand weiß“, auch wenn du da noch nicht für den Sound dabei warst, Ricky. Die Arbeit versorgt uns in der gesamten Ausstellung mit Sound, da haben wir uns etwas getraut und keine Wand eingezogen haben, sondern es offen und sichtbar gehalten. Da würde mich interessieren, wie du das einschätzt, Ricky.
Richard Ojijo: Das ist ein Statement. Sehr reduziert, eben auch da eigentlich keine Musik – bis die Musik dann kommt von ….
Marcel Odenbach: Gang Starr.
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Dr. Doris Krystof: Ich frag das auch, da Hans Nieswandt im Katalog die Arbeit total in der DJ-Sampling-Clubkultur verortet.
Marcel Odenbach: Das ist eine Arbeit, die in den 90er Jahren entstanden ist. Damals gab es in Köln eine rege HipHop-Szene um Groove Attack, das spielte eine große Rolle, und auch die Verbindung von Bildender Kunst mit Musik und Sound, die für mich und viele andere Künstler wie Jutta Koether, die Spex oder einen Galeristen wie Daniel Buchholz sehr prägend war. Die Arbeit spiegelt all das wider. Das ist die letzte Arbeit, wo ich etwas geklaut habe: Gang Starr – und natürlich Miles Davis.
Thomas Venker: Wo gerade der Text von Hans Nieswandt erwähnt wurde, da steht ja auch drin, dass du, Marcel, über deine Liebe zur Popmusik zur Videokunst gekommen bist. Gibt es diese Kausalität?
Marcel Odenbach: Das weiß ich nicht. Ich bin familiär mit beiden Medien sehr stark groß geworden. Ich musste schon als Baby Blockflöte spielen neben meiner Großmutter am Konzertklavier. Meine Urgroßmutter war Meisterschülerin bei Dvořák
Ich fand das als Kind ganz schrecklich; ich konnte nach zehn Jahren noch immer nicht ein Lied auf dem Klavier spielen. Aber es hat mich stark geprägt. Mein Vater war ein großer Jazzfan und hat viel Klavier gespielt. Ich wurde so mit dem coolen Miles Davis Jazz in den 60er Jahren groß. Musik hat mich darin beeinflusst, dass ich nicht gemalt, sondern Video als Medium gewählt habe, da mir das Kreieren des Bildes genauso viel Spaß gemacht hat wie das Kreieren des Tons.
Thomas Venker: Nochmals kurz zurück in die Ausstellung. Neben der Auswahl ist ja auch die Positionierung sehr wichtig, gerade wenn man so Bildgewaltige aber auch Soundgewaltige Arbeiten anzuordnen hat. Wie hat man sich den Prozess vorzustellen? Habt ihr allerlei Kombinationen durchgespielt?
Richard Ojijo: Es gab da ein paar Ideen, welche Arbeiten man in welchen Räumen platziert und wie man die Räume baut, kommend von dem Wissen, was klanglich und harmonisch in diesen Arbeiten passiert. Da habe ich schon ein paar mal gesagt, „die besser nicht neben der“ oder „die neben der“ – damit es nicht clasht. Von meiner Seite war es aber relativ schnell klar.
Marcel Odenbach: Für uns beide war es ein großes Experiment. Weil wir noch nie die Möglichkeit hatten, so verflochten die Papierarbeiten – die Wandarbeiten und die Vitrinen – zusammen mit den Videos zu zeigen, ohne dass man den einen Raum vom anderen vollkommend trennt durch Vorhänge. Was mir immer ein Albtraum bei Mischausstellung ist, sind diese schweren schwarzen Filzvorhänge durch die man sich durchwursteln muss … und dann findet man nicht mehr raus. Das wollte ich nicht. Dadurch kam es, dass bis vor fünf, sechs Jahren immer von dem Videokünstler Marcel Odenbach oder dem Collagenkünstler Marcel Odenbach die Rede war. In Bonn im Kunstmuseum gab es beispielsweise diese große Ausstellung mit Papierarbeiten von mir – ohne Video. Das wollte Doris von Anfang an nicht mehr, sondern zeigen, wie stark die Arbeiten miteinander in Verbindung stehen. Das ist geglückt dank Richard, der wirklich für jede Arbeit den Sound nochmals neu im Raum gemischt hat.
Dr. Doris Krystof: Die Ablehnung der Filzvorhänge fand ich super, aber auch dass es keinen Teppich gibt. Es gibt ja per se nur einen Schallgeschützen Raum im Haus, die Black Box in der Mitte, wo der John Heartfield Film gezeigt wird: „Wer leidet der schneidet“.
Marcel Odenbach: Ich habe als Kind der 60er Jahre eine Teppichboden-Phobie.
Thomas Venker: Der fließende Charakter der Ausstellung ist in der Tat sehr auffällig. Man sieht die eine Arbeit und gleitet in die nächste weiter, es verbindet das Werk Mosaikhaft.
Marcel Odenbach: Das ist ja auch alles von mir! Eine Arbeit entsteht ja aus der anderen. Ich glaube, dass die Arbeiten alle etwas miteinander zu tun haben. Irgendwie gibt es in jeder Arbeit ein Versatzstück – das ist genauso wie bei den Collagen, da entdeckt man plötzlich einen Schnipsel, der ist fast identisch mit dem Schnipsel aus einer Arbeit vor zehn Jahren. Das war auch die Idee von Doris, die Arbeit über Heartfield, die ich vor zwei Jahren gemacht habe, als Herz der gesamten Ausstellung zu wählen Ein Collagekünstler verwertet halt Material! Ich fand das ja auch gut. Da kommt der Popbezug ja vielleicht auch rein, den Hans Nieswandt in seinem Katalogtext aufgemacht hat: man geht immer wieder vor und zurück in der Ausstellung, von einem Raum zurück in den anderen; man wandelt sozusagen durch den Song, durch das Werk, durch die Ausstellung und erlebt diese Bezugspunkte. Man macht seinen eigenen Mix aus deinem Werk dadurch, dass die Räume nicht durch die schweren Vorhänge getrennt sind und so keine Manifestierung einzelner Arbeiten stattfindet.
Marcel Odenbach: Wir wissen es ja jetzt noch mal ganz besonders, wieviel meine Arbeiten mit Faschismus und Rassismus zu tun haben. Das sind Themen, die mich berühren und die etwas miteinander zu tun haben.
Thomas Venker: Marcel, wie fühlt es sich für dich an, die Musik von Ricky nun dank der Box Zuhause ohne die Bilder anhören zu können. Gelingt es dir, die Bilder nicht mit zu sehen oder sind die so fest für dich damit verankert, dass du das nicht getrennt wahrnehmen kannst?
Marcel Odenbach: Beim ersten Hören dachte ich immer: „jetzt kommt doch … der Medizinball.“
Nein, ich sehe das sehr abgelöst – und finde auch, dass es sehr abgelöst ist. Weil es natürlich viele Elemente aus den filmischen Arbeiten gar nicht mehr beinhaltet. Das „Eislermaterial“ ist ja zum Beispiel gar nicht drin. Die Doppel-LP beinhaltet nur die Grundkomposition von Ricky, und die entsteht ja losgelöst von meiner Arbeit.
Richard Ojijo: Ich persönlich fand es beim Zusammenstellen der Platte abgefahren, zu hören, was der rote Faden ist. Ich dachte immer, es sei immer komplett anderes Zeug, ein anderes Approach, der auch jedes Mal ganz anders klingt – die Compilation hat mir das Gegenteil bewiesen. Es ist doch alles aus meiner Feder.
Marcel Odenbach: Es hat alles einen Stil!
Thomas Venker: Gibt es eigentlich ähnlich beständige Formen der Zusammenarbeit, die ihr schätzt und die Euch eventuell auch geprägt haben?
Marcel Odenbach: Bei Film gibt es das ja oft: Sergio Leone (und Ennio Morricone, Anm. d. Verf.), oder Akira Kurosawa (und Fumio Hayasaka, Anm. d. Verf.) … bei Video weiß ich das gar nicht so sehr, viele machen den Sound ja selbst. Ich bin mit einer Generation von Videokünstler:innen groß geworden, die selbst ihren Sound produziert haben – auf die Idee bin ich allerdings erstaunlicherweise selbst nie gekommen. ich hab mich noch nie an ein Instrument gesetzt und etwas zu meinen eigenen Bildern komponiert. Vielleicht sollte ich das mal machen … „Tschüß!“ (winkt lachend in Richtung Richard Ojijo)
Dr. Doris Krystof: Mir fällt da natürlich sofort Carsten Nicolai ein, der macht als Bildender Künstler Videoarbeiten, die er dann als Musiker Alva Noton vertont. Da verschränkt es sich auf ganz eigene Weise.
Aber ich denke auch an Hito Steyerl, die ihre Lieblingsmusiker hat, die immer wieder für ihre Video-Essays produzieren.
Marcel Odenbach: Musiker ja, aber nicht einen! Darum geht es ja! Ich bin noch nicht fremd gegangen – bisher. (lacht abgründig)
Thomas Venker: Und das trotz eigener Blockflötenvergangenheit.
Marcel Odenbach: Du meinst, ich soll mit Blockflöte und Klavier mal… ich weiß nicht, ob die Leute dann die Arbeit noch mögen.
Podiumsfrage I: Ich hätte eine Frage zum Copyright – und wie man als Museum damit umgeht: „Augen zu und durch“ oder „Finger davon weg!“? Muss man den Sound selber machen? Für mich als jungen Künstler stellt sich die Frage oft?
Dr. Doris Krystof: Wir machen es uns da ganz einfach. Wir sagen immer: alle Rechtefragen müssen vom Künstler geklärt sein. Wir stellen nur aus.
Marcel Odenbach: Das sagst du mir jetzt. Gott sei dank ist die Ausstellung in einer Stunde zu Ende. (Saal lacht)
Dr. Doris Krystof: Gemaanträge und -zahlungen übernehmen wir natürlich.
Marcel Odenbach: Ich kann nur sagen: Fragen kostet nichts. Mal sehen, wie reagiert wird. Wir hatten auch mal den Fall, dass die Arbeit ausgestellt wurde und plötzlich hieß es: „Ah, du willst Geld damit verdienen!“ Naja, sorry, jeder Künstler will Geld mit seinen Arbeiten verdienen. Und dann war es auch schnell beseitigt, das Problem, weil sie natürlich bemerkt haben, dass es bei Bildenden Künstlern mit filmischen Arbeiten und Videoinstallationen nun wirklich nicht um Millionen an Tantiemen geht. Man kann – zumindest innerhalb des Landes – auf gegenseitigen Respekt vertrauen; so ergeben sich Möglichkeiten. Also in Amerika würde ich es nicht machen. Und beim Bild ist es sowieso sehr viel lockerer als beim Ton.
Podiumsfrage II: Hast du eine Drohne verwendet bei den Denkmal-Aufnahmen?
Marcel Odenbach: Nein, das war eine Schienenfahrt mit einer Steadycam auf zehn Metern Höhe. Das war der teuerste Dreh meines Lebens.
Drohne – ist mir zu neu, ist mir zu modern.
Ich hab mal ein Experiment gemacht mit Lukas Marxt. Wir haben uns in Ghana zwei Wochen mit einer Drohne im Haus eingeschlossen und danach entschieden, dass wir so wenig Drohnenmaterial benutzen wollen wie möglich. Das sah alles aus, als ob ich das Haus verkaufen wollte. Das hatte sowas von Werbung.
Podiumsfrage III: Du meintest vorhin, dass für dich klar war, dass du für die Buchenwald-Aufnahmen die „Eislermaterial“-Aufnahmen von Heiner Goebbels nehmen wolltest. Hast du da immer schon vom Bildmaterial kommend die Musik im Kopf?
Marcel Odenbach: Ich hab das „Eislermaterial“ glaube ich fünftausend Mal gehört. Es war mir sehr vertraut. Ich wollte etwas über Buchenwald machen und ich hatte das „Eislermaterial“. Als ich dann nochmals in Buchenwald war und das Denkmal von Fritz Cremer gesehen habe, das gerade fertig restauriert und nicht mehr im Gerüst war, gab es für mich keine Frage: das gehört zusammen. Weil der kleine Eisler, für mich viel mit Buchenwald zu tun hat Das Denkmal ist auch sehr symbolisch für das was Eisler, Brecht, Heartfield ausdrücken. Fritz Cremer, der im Sauerland in Arnsberg geboren ist und auch in Österreich gelebt hat, ist sehr spät aus dem Westen als überzeugter Kommunist Ende der 50er Jahre in die DDR gegangen (wie auch Heartfield). Eisler, der die damalige DDR Nationalhymne geschrieben hat, ist übrigens einer der wenigen der seine Österreichische Staatsbürgerschaft nie abgeben hat.
Mir war klar, dass es beides zusammengehört, wenn es auch unabhängig von einander entstanden ist. Es ist ein ähnlicher Duktus, eine ähnliche Idee, von geschichtlicher Aufarbeitung und von Verantwortungsbewusstsein.