Interview mit Miki Yui & Stefan Schneider

Klang, Gemeinschaft und Demokratie zwischen Cape Coast (Ghana) und Bonn (BRD)

 

Anfang September präsentieren die Düsseldorfer Künstler:innen Miki Yui und Stefan Schneider, die derzeit als Stadtklangkünstler:innen von Bonn fungieren, beim echoes soundforum bonn einige neue Arbeiten, die auf Recherchen der beiden in Ghana (die sie im Herbst 2023 und Frühjahr 2024 durchgeführt haben) basieren. 

Für Kaput waren Miki Yui und Stefan Schneider so freundlich, ein paar Fragen über den Kulturaustausch zwischen Cape Coast (Ghana) und Bonn (BRD) zu beantworten. 

Informationcenter Oguaaman (Photo: Miki Yui)

Miki, Stefan, wo sollen wir anfangen? Ein guter Punkt ist ja immer ganz am Anfang: Ich hatte auf Instagram und Facebook gesehen, dass ihr in Ghana unterwegs gewesen seid und das hat mein Interesse geweckt. Was habt ihr dort genau gemacht?

Stefan Schneider: Wir haben im Sommer 2023 von Carsten Seiffahrt, einem sehr aktiven Berliner Kurator für Klangkunst, die Einladung zu dem Projekt erhalten. 2024 wird das Grundgesetzt der BRD 75 Jahre alt und zu diesem Anlass gibt es, ausgehend von der BRD, internationale Forschungsprojekte zwischen verschiedenen Partnerstädten.

Das Thema bei uns ist Klang, Gemeinschaft und Demokratie. Cape Coast ist eine Partnerstadt von Bonn, wo Carsten wiederum seit Jahren arbeitet. Carsten hat in der Vergangenheit schon oft mit Miki gearbeitet, oder auch mit Robert Lippok, mit dem ich früher bei to rococo rot gespielt habe. Daher kannte Carsten wohl auch einen Teil meiner Arbeit. So kamen die einzelnen Stränge zusammen.

Wie habe ich mir die Reise vorzustellen? Wurde da für Euch viel vorab arrangiert oder basierten die Begegnungen auf Eurer eigenen Recherche?

Miki Yui: Da es auch um den Austausch zwischen Wissenschaft und künstlerischer Arbeit ging, war Carsten Seiffarth selbst vorab in Ghana und hat bereits einige Kontakte (u.a. im Music Department der Cape Coast Universität) gemacht und uns mit diesen verknüpft.
Wir haben uns auch mit Susanne von der Deutsche Welle Akademie in Bonn getroffen, sie arbeitete lange Jahre in Ghana und Burkina Faso und konnte uns so einige Kontakt zu Journalisten und Radiostationen in Ghana gegeben.
Wir hatten das große Glück, dass mehrere Leute uns geholfen haben, so dass wir von diesen Ansprechpartner:innen weitere Empfehlung bekamen.

Stefan Schneider: So richtig waren aber nur der Zeitraum der beiden Reisen und deren jeweilige Dauer vorab geplant. Die finale Präsentation ist für September 2024 in Bonn vorgesehen. Es gab im letzten Herbst einige vorbereitende Besprechungen mit der Beethoven Stiftung in Bonn und mit Carsten Seiffahrt. Da Miki und ich noch nie in Westafrika waren, haben wir den ersten Aufenthalt im November 2023 genutzt, um uns einen Einstieg in das Land, die Musik, die Politik etc. zu verschaffen. Im Vorfeld hatten wir eigentlich nichts vorbereitet, da wir alle inhaltlichen Aspekte und die weitere Struktur des Projekts gemeinsam mit anderen Leuten vor Ort in Ghana entwickeln wollten. Ähnlich wie der japanische Filmemacher Soda Kazuhiro seine Dokumentationen angeht: “no research, no script, no narration, do not set up a theme before editing.”

In Cape Coast hatten wir zunächst nur den von Miki angesprochenen Kontakt zur Musikfakultät der Universität Cape Coast und wir haben uns und das Projekt dort kurz vorgestellt. Vor Ort haben wir dann sehr schnell fast alle Kontakte zu den einzelnen Personen, die wir später trafen, selber organisiert. Das war recht einfach, da wir bei jedem Gespräch neue Empfehlungen von Leuten erhielten, die in dem Feld von Sound and Community aktiv sind. Das ging dann auch weit über die Uni hinaus.

Es ist immer eine leicht banale, dann aber doch zumeist ergiebig Frage: wie anders / ähnlich habt ihr die Begegnungen mit den Menschen in Ghana im Vergleich zu Euren ansonst kultivierten kulturellen Austauschbeziehungen empfunden?

Miki Yui: In Ghana funktioniert alles auf Basis von Empfehlungen. Die erste Begegnungen sind eher formal, ohne Einführung von Einheimischen geht gar nichts, normale Leute auf der Strasse kennenlernen war eher ausgeschlossen. Aber wenn man jemand einmal kennengelernt hat, dann sind die Menschen meist offen gegenüber uns Fremden.
Was mir auch auffiel: Es gab sehr wenig die Situationen, wo jemand bettelte, es war in Ghana anders als in anderen Ländern.

Stefan Schneider: Zwischen 2011-2015 war ich oft in Kenya und habe dort viele Tonaufnahmen von lokalen Musiker:innen in ländlichen Gegenden gemacht. Das war anfangs vom Goethe Institut Nairobi initiierte und hatte das Ziel, dass Produzenten aus Kenya und Deutschland gemeinsam Tonaufnahmen von Musik in ländlichen Regionen von Kenya machen. Zusammen mit George Odhiambo aus Nairobi und Sven Kacirek aus Hamburg, sind wir meist mit dem Moped in abgelegene Dörfer gefahren, um dort Tonaufnahmen von sehr verschiedenen Musiker:innen und Gruppen zu machen. Das war sehr beeindruckend. Die Tage die wir mit der Sängerin Ogoya Nengo in ihrem Dorf Rang’ala Village verbracht haben, sind unvergesslich. Ich konnte kaum glauben, was für tolle Musik wir dort zu hören bekamen.

Im Laufe dieser Arbeit, stellten sich uns bald viele Fragen über unsere Rolle bei diesen Aufnahmen. Wie weit ist man Produzent und greift während der Aufnahmen in die Musik ein?
Oder versteht man sich eher als rein dokumentierender Tontechniker ? Wie unterschiedlich wird die Musik aus ländlichen Gegenden des Landes in der Metropole Nairobi gehört und was passiert dann in Europa, als diese Aufnahmen veröffentlicht wurden und die Band mehrfach auf langer Tour war ?

Zudem hatten wir in Kenya ausnahmslos mit Musiker:innen zu tun, die keinerlei Erfahrung mit Tonaufnahmen hatten und, wie sich später herausstellte, auch sehr wenig Interesse an deren Ergebnissen. All das hat viele Fragen gestellt über unser Verhältnis zu Musik, Gemeinschaft und Öffentlichkeit, welches bei uns in Europa vielfach als geklärt gilt. Es gibt drei Alben, die auf diesen Reisen in Kenya aufgenommen wurden und dann auf Honest Jon‘s in London und auf TAL erschienen sind.

In Ghana war der Ansatz der Arbeit ganz anders und hatte erstmal kein Endprodukt im Sinn, wie beispielsweise eine Publikation, eine Ausstellung etc.. Ich war sehr angetan davon, dass ich in Ghana nicht gleich eine klare und vertraute Rolle, zum Beispiel die des mobilen Tontechnikers, einnehmen konnte, sondern vor Ort war und erstmal guckte was dort passiert und was man überhaupt sinnvolles beitragen kann. Was fehlt und wie füllt man es ? Füllt man es überhaupt ?

Miki und ich hatten anfangs lediglich die Idee, dass wir nicht nur über Sound und Gemeinschaft arbeiten wollen, sondern auch innerhalb einer möglichst vielstimmigen Gemeinschaft aktiv sind und vielleicht sogar selbst eine Community bilden würden. Im Vergleich zu Kenya, kam mir Ghana viel näher an der westlichen Welt orientiert vor. Zum Beispiel hatten fast alle Leute die wir in Ghana trafen Auslandserfahrungen, hatten Verwandte in England oder den USA, während in Kenya kaum jemand einen Reisepass hatte.

Was hat Euch am meisten beeindruckt vor Ort in Ghana?

Miki Yui: Die Menschen, ihre positive Einstellung zum Leben, die Gemeinschaft. Alle, die wir getroffen haben waren eloquent und offen.

Stefan Schneider: Ich denke, die Menschen haben uns sehr beeindruckt. Und ja, besonders deren Eloquenz und deren positive Energie.
Man versucht aus jeder Situation, egal wie misslich sie ist, etwas produktives zu machen. Technische oder politische Veränderungen werden erstmal geprüft, ob und was sich damit machen lässt.
Gegen das allgemeine Gejammer in Deutschland, wo viele in ständiger Angst vor dem finanziellen Abstieg oder der allgemeinen Überforderung zu leben scheinen, mutet es fast schon grotesk an, wie Leute in Ghana mit einfachen Mitteln, fast ohne Geld, Dinge herstellen, bei denen auch oft eine Gemeinschaft mitgedacht ist. Zum Beispie. in den Bereichen Erziehung, Bildung oder Ernährung.

Wir haben das Sprichwort „You cannot fall down, when you are on the ground“ kennen gelernt, was diese Haltung in Ghana ganz gut beschreibt. Auf der anderen Seite gibt es dass große Thema, dass fast alle jungen Leute das Land verlassen wollen, da es kaum berufliche Perspektiven gibt. Es gibt Protestbewegungen von jungen Menschen, die heissen „Fix the Country“ oder „I for left Ghana“, die sich damit befassen.

Und anders herum gefragt: könnt ihr sagen, was die Menschen vor Ort im Dialog mit Euch besonders interessierte?

Miki Yui::Interessant war, dass die Leute uns kaum etwas über uns gefragt haben – woher wir kommen, was wir machen, interessierte sie nicht. Sie haben unsere Fragen geantwortet, aber nicht zurückgefragt. Viele haben von ihrem Traum nach Europe auszuwandern erzählt, trotzdem haben sie uns nichts konkretes gefragt. Im Nachhinein haben wir von anderen Afrika erfahrenen Europäer:innn gehört, dass sie auch ähnliche Erfahrung hatten.

Die Spiritualität der Menschen, ihre nicht kritisch integrative Art der Handlungen, auch im Alltag, haben mich an Japan oder in Asian erinnert. Wir haben viele interessante, für mich auch ermutigende Gespräch gehabt vor Ort, über Themen wie Decoloniality, das Bewusstsein über kulturelle Identität nach Independence, Gedanken über Pan-Africa.

Stefan Schneider: Das ist schwer zu sagen. Obwohl wir in den fünf Wochen sehr viele Treffen hatten, gab es wie Miki schon sagte wenig Fragen an uns. Selbst von Leuten, mit denen wir regelmässig in Kontakt waren, gab es kaum nähere Fragen zu unser Arbeit. Miki war diese Art der Zurückhaltung aus Japan vertraut.

Andererseits gab es viele Themen in Ghana, wie Klimawandel, Umweltverschmutzung, Korruption, wachsende Unterschiede zwischen Land – und Stadtbevölkerung oder Alt und Jung, akademisch oder nicht akademisch, die wir auch aus Europa diskutieren und über die man sehr schnell ins Gespräch kam. In Ghana sitzt man zum Teil am anderen Ende dieser Probleme – zum Beispiel was Migration angeht oder Umweltverschmutzung, zum Beispiel durch E-Waste oder Plastikmüll im Meer. Es werden nur die Strände gereinigt, wo Hotels für Touristen stehen. Durch die Ähnlichkeit dieser globalen Probleme, kamen wir auf den Titel “We are more alike than we are different”, den Gabriel Hansen in einem Gespräch mit uns eigentlich auf die unterschiedlichen Regionen und Sprachen in Ghana bezog.

Photo: Miki Yui

Ihr habt zu „Klang und Gemeinschaft“ geforscht. Das klingt für uns, deren Alltag so sehr von Musik geprägt ist, total naheliegend und selbstverständlich identitätsstiftend. Aber ist es das auch über unsere Blase hinaus? Jetzt erstmal für Deutschland gefragt, wo Eurer Lebensmittelpunkt liegt.

Miki Yui: Es gibt Ähnlichkeiten zwischen den Umständen hier und in Ghana, “die Gemeinschaften“ in großen Städten sind oft vereinzelt, isoliert, und nur gelegentlich wirkliche Gemeinschaften. Man kann von einer Gemeinschaft zur anderen Gemeinschaft wechseln – von der Schule zu den Jobs, in die Geschäfte. Auf dem Land aber sind die Menschen in ihrer Gemeinschaft mehr verwurzelt. In Ghana hat Gemeinschaft auf dem Land ein klare traditionelle Struktur, es gibt den Chief einer Gemeinschaft, den König oder die Könige der Region – und es gibt sehr lebendige Rituale. Das wirkt sich auf die Klänge und auf die Musik auch aus.

Auch durch die mangelnde Struktur von öffentlichen Hilfen (wie es sie in der EU gibt) sind die Gemeinschaften in Ghana  gezwungen sich selbst zu helfen. Dadurch sind die Gemeinschaften stärker verbunden; es gibt auch viele Kollaboration verschiedener Gemeinschaften um Problem zu lösen.
Wir haben beispielsweise den Gesang von Fischern aufgenommen, sie singen um ihre physische, harte Arbeit zu überstehen. Im ihre Gesang kann vieles zur Ausdruck gebracht werden, was man sonst nicht so aussprechen darf.

Stefan Schneider: Wir haben sowohl Unterschiede kennen gelernt, als auch Gemeinsamkeiten gefunden, über die man sich sofort verständigen konnte. Daher hatten wir oft das Gefühl, wir sind gar nicht so weit weg von zuhause. In Ghana gibt es sicher viele alltägliche, gemeinschaftliche Situationen, die stark durch Musik strukturiert sind. Zum Beispiel wird bei der Arbeit gesungen, bei den Fischern aber auch in der Schmiede, beim Weben oder im Post Office.
Dazu gibt es viel Musik bei Beerdigungen, die jedes Wochenende in sehr öffentlichen Situationen gefeiert werden und manchmal zwei Tage dauern.
Das Leben findet ja überwiegend sehr öffentlich auf der Straße statt.

Privatsphäre ist vermutlich eine europäische Erfindung. Es bedeutet ja, sich von der Gemeinschaft zeitweise zu entfernen. Jede Musik in Ghana scheint nur im Kontext einer sozialen Funktion, einer gemeinschaftlichen Situation, sinnvoll. Eine künstlerische Herangehensweise, wie man sie aus dem Westen kennt, bei der man zum Beispiel mit Tönen arbeitet um etwas zu machen was neu oder ungewohnt klingen soll oder gar konfrontativ gemeint ist (im Sinne von: ich möchte anders sein als alle anderen) , haben wir in Ghana nicht gefunden.

EWE Community Funeral (Photo: Miki Yui)

Andererseits ist die aktuelle Popmusik sehr vom Wettbewerb um die neuesten Tricks, die coolsten Beats geprägt und das Musikbusiness in Ghana ist sehr an England orientiert. Alle jungen Leute hören Musik über Spotify. Antoinette, einer Meister-Trommlerin, haben wir darüber gesprochen, ob traditionelle Musik überhaupt Veränderung haben darf und inwieweit sie noch als traditionell gilt, wenn sie sich verändert. Das sind sehr schmale Linien der Differenzierung. Es gab recht viel Verwirrung und auch klare Ablehnung, als wir unsere Musik an der Universität Cape Coast vorgespielt haben: „Who allows you to make this music ?“ war eine Frage aus dem Publikum. Wir haben versucht diese Frage ernsthaft zu beantworten, da es bei uns eben diese unausgesprochenen Verabredungen dazu gibt und in Ghana scheinbar nicht.

Ich habe bewusst die Frage zunächst auf Musik konzentriert, Klang umfasst aber natürlich auch Geräusche und Sprache. Wie würdet Ihr das Beziehungsdreieck beschreiben?

Miki Yui: In unserer Recherche haben wir auch mehrere Radio Station besucht und dort Menschen über die Auswirkung ihre Arbeit auf die Gemeinschaft interviewt. das Radio ist die meist verbreitete Info Quelle und wird sowohl in English als auch in der jeweiligen Sprache der Ethnischen Gruppe gesendet.

Durch die Erzählungen von Musiker:innen haben wir erfahren – und es ist aus der Ghanaischen, traditionelle Musik deutlich erkennbar –, dass es je nach Region, unterschiedliche Klang- und Musikstile gibt, abhängig von der geografische Lage, auch die Material, aus denen die Instrumente gebaut werden, sind völlig unterschiedlich. An der Küste gab große Trommeln, weil da Wald und damit viel Holz vorhanden ist. In Norden Richtung Wüste sind die Trommel kleiner, und werden mehr Seiten Instrument gebaut.

Stefan Schneider: Es hat uns erstaunt wie laut und intensiv der städtische Alltag in Cape Coast und Accra ist.
Neben dem heftigen Strassenverkehr, läuft auch viel Musik an Marktständen, die in Ghana überall aufgebaut sind. Die Menschen reden sehr laut, überall wird telefoniert usw. Es ist also permanente Überlagerung von lauten Klängen da. Auch wenn man sich abends mit Leuten verabredet, gucken sie parallel Fussball, telefonieren, schreiben sms und unterhalten sich mit Dir. Im Hintergrund spielt noch Live Band. Alles gleichzeitig und man muss schnell lernen, wie dort die Aufmerksamkeit strukturiert ist, so dass Dein Gegenüber auch zuhört wenn Du etwas sagst. Alles scheint sich in ein abstandsloses Nebeneinander oder Übereinander zu drängen. Für mich war das anfangs manchmal sehr anstrengend aber es kam mir auch sehr zeitgemäss vor. Im Sinne von völlig entgrenzter Zeit – im Gegensatz zu linearer Zeit, in der ein Vorgang auf den nächsten folgt.

Die Frage nach der Bedeutung für Klang stellt sich auch für Japan, wo du, Miki her kommst und auch noch regelmäßig länger bist.

Miki Yui: Ja, einige Parallelen habe ich zwischen Japan (oder besser der Asiatische Region) und Ghana empfunden. In Japan können Klänge als einer Art Sprache funktionieren. In Ghana gibt es Talking Drums, die auch manchmal zur Verbreitung von Information dienen.
Die Menschen in Ghana kultivieren, wie auch die Menschen in Japan, die Gleichzeitigkeit der unterschiedliche Klänge in öffentlichen Raum – teilweise sind das richtig laute Töne, die aber als ganz normal empfunden werden, geradezu ungestört wahrgenommen werden.
In Japan werden Klänge in öffentlichen Raum mehr fein ausgearbeitet, beziehungsweise gestaltet, in Ghana ist alles sehr direkt und pur.

Photo: Miki Yui

Nun wart ihr ja nicht nur zum beobachten und reden in Ghana, sondern habt auch Aufnahmen gemacht und Musik vor Ort produziert.
Zunächst nach den Klängen gefragt: könnt ihr im Nachklang gewisse Themenfelder / Soundkomplexe sehen, die Euch besonders interessiert haben?

Stefan Schneider: Wir haben versucht zu beobachten, zu reden und gleichzeitig damit etwas zu schaffen, zu produzieren. Schon während dem ersten Aufenthalt in Ghana, im November 2023, sagten uns einige Leute, dass wir als Aussenstehende die Möglichkeit hätten, mit ganz unterschiedlichen Leuten in Ghana zu sprechen, die untereinander sonst kaum in Berührung kommen. Als Außenstehende würden uns Dinge auffallen, die Leute vor Ort kaum wahrnehmen.

Das ist sicher ein interessantes Phänomen, das überall auf der Welt eintreten kann, wenn Fremde auf eine neue Umgebung treffen. Durch das Fremde entsteht auch das Neue.

Besonders interessant fand ich in Ghana die Schnelligkeit mit der Dinge verabredet und umgesetzt wurden. Durch die schon erwähnte Eloquenz der Leute, sind viele Vorgänge knapp, rough und klar beschrieben. Mein liebster Ort war eine kleine Radiostation in Oguaaman, im Zentrum von Cape Coast. Die Station hat kein Geld für eine Frequenz, also „senden“ sie über Lautsprecher, die an Strommasten oder auf Hausdächern befestigt sind und die man über das ganze Viertel hört. Das ist noch eine Klangebene über dem krassen Sound der Straßen. Wir waren fast jeden Abend dort. Das Studio ist höchstens 9 qm gross, direkt an der Strasse. Die Tür der Hütte ist immer offen, viele Leute kommen vorbei. Sie haben abends oft Musik aus Nigeria gespielt, die sie für interessanter als ghanaische Musik halten.

J.W.Nketia Archive Accra (Photo: Stefan Schneider)

Wie verhalten sich die Klänge, die ihr in Ghana als für Aufnahmen relevant empfunden habt, zu Euren sonstigen Field Recording Erfahrungen?

Miki Yui: Neben traditioneller Arbeit-Ritual-Musik, auf die Stefan gleich noch näher eingehen wird,  haben wir den Divine Master Drummer Okyerema Pra und seine Band Twerammpon Traditionals in Cape Coast kennengelernt.  Sein Arbeit, die dem  Erhalt von traditioneller Musik dient, aber auch der Erweiterung von traditionellen Musikformat – über das Mischen von elektronischen Instrument und traditionellen Trommel –, haben wir auch aufgenommen. Okyerema hat uns dabei erzählt was diese einzelne Musik oder Musikstille bedeutet. Durch ihn haben wir auch zwei weibliche Master Drummer von der Cape Coast kennengelernt. In Ghana an der Küste ist Trommeln eine Männer Domänen, aber es gab vor 20 Jahren einen Taboo Bruch, der zu Erneuerungen geführt hat. Für all diese spannenden Einblicke in die Musik, die Klänge und die Tradition bin ich dankbar – so lernten wir, wie das Leben, die Umwelt und die Tradition sich in Ghana in der Musik verbinden.

Stefan Schneider im Nketia Archive (Photo: Miki Yui)

Stefan Schneider: Wir haben überwiegend Interviews gemacht, Gespräche geführt und diese meist aufgezeichnet und schließlich zusammengeschnitten.

Reine Musikaufnahmen haben wir nur dreimal gemacht: die Gesänge einer Fisher Community in Cape Coast, die wir bei der (körperlich harten) Arbeit begleitet hatten. Dann eine Beerdigungsfeier einer Ewe Community, die als Migranten aus der Volta Region recht isoliert in Cape Coast leben und dann eine Band im Regenwald, die Musik mit aus Bambus hergestellten Instrumenten macht. Diese Aufnahmen haben wir aber als ergänzenden Teil der ganzen Recherche gemacht, nicht unbedingt als eigenständige Tonaufnahmen.

Irgendwie konnte ich, ganz anders als in Kenya, keinen richtigen Zugang zu Musik in Ghana erlangen. Ich fand inhaltlich zwar vieles interessant aber musikalisch hat mich kaum etwas bewegt. Ausserdem war ich froh, nicht gleich wieder in der Rolle des europäischen Produzenten zu sein, der selten gehörte Musik aus einem afrikanischen Land aufzeichnet und diese dann in Europa /USA/Japan veröffentlicht. Da wir in Kenya überwiegend Musik von meist älteren Musikern auf dem Land aufgenommen hatten, war ich in Ghana eher daran interessiert mitzubekommen, welche Musik gerade junge Leute in den Städten hören und produzieren.

Es gibt in der aktuellen Musik in Ghana auch die Kategorie „Underground“ oder „Alternative“, was sich aber rein auf die Inhalte der Texte bezieht und nicht auf den Musikstil oder dessen Produktion. Musikalisch klingt auch diese Underground Musik für mich unglaublich kitschig und besteht meist nur aus billigen Preset-Sounds aber irgendwie hat sich das richtig bzw. zeitgemäss angefühlt und spiegelt auch wieder, wie Leute Musik konsumieren oder hören. Mehrere Leute in Accra, mit denen wir über Musik gesprochen haben, haben belächelt, dass es in Europa noch Vinyl Lps, Cds oder gar Cassetten gibt. Dennoch gibt es in Ghana auch die Idee von konsistentem Hören und der detaillierten Auseinandersetzung mit Pop Musik. Wir haben uns ständig Namen von aktuellen Musikerinnen aufgeschrieben und abends im Hotel dann deren Songs auf Youtube angehört.

Was könnt, was wollt ihr über eure gemeinsame Klanginstallation “We are more alike than we are different“ verraten, die ihr im Pavillon für Baukultur in Bonn präsentieren werdet?

Stefan Schneider: Das ist eine Collage aus Klängen (von der Straße, aus Interviews, Musik, Radio, Regenwald, Lieder) die wir selber in Ghana aufgenommen haben und aus Musik, auf die wir aufmerksam gemacht wurden. Vielleicht ist die Musik der Installation so etwas wie eine akustische Community, die versucht unsere Einrücke der akustischen Überlagerung abzubilden aber auch den Charakter einer Radiosendung hat. Wir wollen mit der Präsentation nach den fünf Wochen dort nicht als Ghana -Experten auftreten. Wir haben höchstens zwei Schulstunden Vorsprung, vor allen die nicht dort waren.

Im begleitenden Text zur Installation werden wichtige Aspekte angesprochen und Fragen aufgeworfen:
Unter anderem diese: Welche Formen von Gemeinschaft wollen wir heute, in Zeiten, in denen wir kaum noch auf verlässliche Gemeinsamkeiten und bewährte Formen der Verständigung bauen können?
Ich möchte Euch nicht mit der Bürde konfrontieren, die Frage gesamtgesellschaftlich zu beantworten – was aber bringt sich für die Art, wie ihr Euch künstlerisch positioniert und mit anderen Künstler:innen aber auch dem Publikum interagiert mit sich?

Miki Yui: Temporäre Gemeinschaften bilden, oder Raum dafür zu öffnen, das ist schon länger Teil meiner künstlerische Praxis. Bei meinen Konzerten bilden sich Hörgemeinschaften. Oder nimmt mein Kunstprojekt mit Nathalia Favaro, “Flux Project”, ein  Kurzfilm über den Amazonas River – damit bilden wir auch einen Raum für den gemeinschaftlichen Austausch. Für mich steht es bei Kunst datum, die Grenze zwischen “Artist and Audience” zu überwinden und neue gemeinsam neue Kraft zu binden.

Stefan Schneider: Ich denke, dass sich die aktuellen und anstehenden Probleme auf der Welt nur gemeinschaftlich lösen können. Der Aufenthalt in Ghana war für mich zunächst dadurch positiv geprägt, dass ich Gelegenheit hatte, für eine Zeit aus Deutschland und auch aus Europa weg zu kommen. Es gibt in der BRD so viele politische und auch kulturelle Debatten, die völlig festgefahren scheinen. Es gibt seit langem, von einzelnen Positionen abgesehen, quasi keine Ideen für eine Zukunft und für jede gedachte kleinste Veränderung wird gleich der Zusammenbruch des gesamten Systems prognostiziert. Von daher war es gut sich in einem ganz anderen Kosmos aufzuhalten. Auch wenn ich manches an dem Aufenthalt schwierig fand, war es eine gute Zeit in der ich viel gelernt habe.

Es kommt ja nicht oft vor, dass Ihr zusammen kollaboriert. Wie habt ihr den Prozess empfunden?

Miki Yui: Wir waren vorher unabhängig von einander in Afrika. Es fiel uns deshalb leichter, mit den verschiedenen Situationen klar zu kommen.

Stefan Schneider:  Wir hatten vorher schon das Hombroich:Raketenfestival zusammen gemacht.

Hat die Tatsache, dass ihr Euch lange und sehr gut kennt die künstlerische Zusammenarbeit leichter gemacht?

Miki Yui: Ja, wir finden relativ schnell ein gemeinsame Interesse und einenFokus. Wir können uns gegenseitig Ergänzen. Natürlich Kollaboration hat aber auch seine Herausforderung.

Stefan Schneider: Das stimmt. Inhaltlich finden wir meist schnell zusammen. Bei den Arbeitsabläufen gibt es auch Unterschiede.

Zwei weitere Performances in Bonn, am 31.8. und 1.9., für die Ihr mit Bradford Bailey, Bulat Khalilov, Timur Kodzoko, und Esen Erhan kollaboriert, tragen den bedeutungsvollen Titel „Sound of Democracy“.
Wie kam es dazu?

Miki Yui: Der Titel ist von einer Publikationsreihe von Bradford Bailey auf dem Blog THE HUM inspiriert . Er
hat 2017, als Trump an der Macht kam, über diverse traditionelle Musiken aus aller Welt geschrieben, als Gegengewicht zu politische Lage in U.S.A.

Stefan Schneider:  Wir wollten in Bonn keinen reinen Ghana Report veranstalten, sondern Fragen, die wir in Ghana kennen gelernt und besprochen haben, auf andere, uns bekannte Situationen übertragen. Bulat und Timur sind aus dem russischen Kaukasus geflohen und seit März in Düsseldorf. Sie haben 2012 das Label ORED Recordings gegründet, was sich fast ausschließlich systematischen, ethnologischen Musikaufnahmen aus dem Kaukasus widmet. Ihr künstlerischer Ansatz ist unglaublich, da sie eine Musikkultur direkt vor ihrer Haustür wahrnehmen und diese aufzeichnen. Meist reisen Musikethnologen ja in ferne Länder und erforschen entlegene Musikkulturen. Zudem haben ORED in Russland ganz andere Fragen zu nationaler oder regionaler Identität und musikalischer Tradition, als Menschen in Ghana oder in der westlichen Welt.

Aus politischen Gründen wurde im sozialistischen Russland eine regionale Identität verboten und somit waren auch musikethnologische Aufnahmen sowohl der Öffentlichkeit als auch dem wissenschaftliche Diskus entzogen. Heute ist man, aus Sicht der russischen Regierung, Separatist, wenn man sich intensiv um die Aufzeichnung von Musik zum Beispiel aus Tscherkessien befasst. In Ghana ist die Spannung der Menschen spürbar, die zwischen analoger Musiktradition, die als Identität gebendes Fundament brauche, und digitaler Popmusik, mit der ich den Anschluss an die internationale Welt erreiche, in fast jedem Gespräch spürbar. Bradford Bailey hat in seinem Blog über ORED geschrieben und den Titel „Sound of Democracy“ verwendet.

Was verbindet ihr persönlich mit dem Titel?

Stefan Schneider:  Er klingt gut als Titel für eine solche Veranstaltung und hat keine geographische Festlegung.

Und was zeichnet einen Sound aus, dass der Demokratie in sich trägt?

Miki : Polyphonie. Oder auch wie man in traditionelle Musik hört. Diversität, die regionale Unterschiede was die Klänge und Musikstile betrifft, also die Klänge, die stark mit dem Leben innerhalb der Umwelt der Menschen und mit der Gemeinschaft verbunden sind.

Unsere Veranstaltung in Bonn am 14./15. September “Listening with the feet” ist ein Deep Listening Workshop und Soundwalk mit der Künstler:in Viv Corringham. Diese Workshop ist für mich ein gutes prozesshaftes Beispiel dafür, wie wir Demokratie für die Zukunft überdenken, erweitern könnten.

Stefan Schneider: Er lässt Platz für eine andere Stimme.

Ein weiterer Programmpunkt, für den ihr mit Gabriel Hansen und Susanne Fuchs-Mwakideu kollaboriert, widmet sich dem der spezifischen Form des Storytelling an der Feuerstelle: “Sitting by the fireside“. Ich nehme jetzt mal an, dass es hierzu ein oder mehrere konkrete Erlebnisse in Ghana gab. Liege ich richtig?

Miki Yui: Ja, wir werden auch über diese besondere afrikanische Tradition des Storytellings in verschiedener Formate berichten und deren Auswirkung auf die Gemeinschaft reflektieren. Wobei der Fokus auf dem Storytelling durch Musik und dem investigativen Journalismus in Ghana liegen wird.

Stefan Schneider:  Storytelling ist in Ghana die traditionelle Grundlage aller Weitergabe von Information und Wissen. Es gibt dazu einen Kanon von klassische Geschichten, die an europäische Fabeln erinnern. In diesen Geschichten ist meist Ananse (eine Spinne) der böse Geist, der die Rechtschaffenheit der Kinder auf Proben stellt – und am Ende meist verliert. „Sitting by the Fireside“, heißt zusammen am Lagerfeuer zu sitzen und Geschichten zu erzählen. Es gibt eine schöne Kinder TV Serie aus den 80ern mit dem gleichen Titel.

Wie geht es weiter? Werdet Ihr auch Alben veröffentlichen, die auf den Erfahrungen und Aufnahmen aus Ghana basieren?

Miki Yui: Wir bereiten gerade eine Präsentation in Bonn vor, als Abschluss unsere Recherche.
Album veröffentlichen haben wir nicht geplant.

Stefan Schneider: Nein, das ist nicht geplant. Wir haben, wie beschrieben, nur sehr wenig Musik in Ghana aufgenommen. Wir bekommen aber immer wieder tolle Playlists mit Highlife Musik von Gabriel Hansen.
Über Gabriel Hansen haben wir erfahren, dass Bodo Staiger (hatte unter dem Namen Rheingold einige Hits in den frühen 80ern) heute in Ghana für seine Highlife Produktionen verehrt wird. Viele ghanaische Topstars sind in den 90ern und 2000ern nach Düsseldorf in sein Studio gereist, um dort aufzunehmen. Seine Produktionen sind in Ghana wohl für den Einsatz von Rhythmusmaschinen berühmt. In Ghana weiß wiederum niemand etwas von Bodo‘s früherer Popkarriere in der BRD. Wir haben Gabriel bereits mit einigen ehemaligen Weggefährten von Bodo in Düsseldorf in Kontakt gebracht. Gabriel möchte einen ausführliches Essay dazu schreiben.

Sind weitere Reisen nach Ghana oder in anderen afrikanische Länder geplant?

Miki Yui: Nein, momentan gibt es keine weiteren Pläne.

Gibt es Musiker:innen und/oder Songs aus Ghana, die ihr den Kaput Leser:innen besonders ans Herz legen wollt?

Miki Yui: Highlife aus verschiedene Epochen, selected by Gabriel Hansen (Journalist Music for Africa).

Und ein Künstlerin, die uns mehrmals empfohlen wurden: Wiyaala

Danke für die Zeit, die ihr Euch hierfür genommen habt. Eine letzte Frage hätte ich dann noch. Ihr seid ja Stadtklangkünstler:innen in Bonn derzeit. Wie verhält sich dieser Residency-Status zum Ghanaprojekt?

Miki Yui: Unsere Residency war für uns mehr in Ghana lokalisiert als in Bonn. Als Stadtklangkünstler:innen wurden wir von echos:Soundforum und der Beethovenstiftung während unserem Aufenthalt in Ghana unterstützt und nun auch bei der Präsentation in Bonn. Beethoven ist tatsächlich Weltbekannt, auch in Ghana, das hat uns einiges an Organisation in Africa erleichtert.

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