Morrissey, begnadeter Sänger und Textdichter, ist heute einer von Pegida

Perrecy & Mexrrissey: Wenn aus Liebe Ekel wird

Der Schmerz bei vielen Fans über die politische Entwicklung von Morrissey sitzt tief. Zwei, die nicht nur Fans sondern auch Künstler sind, die ihm Coverprojekte gewidmet haben, melden sich bei uns zu Wort: Der Bayer Perrecy und der aus Mexico City kommende Camilo Lara (Mexrrissey).

Sehen wir es positiv. Wenn man etwas über die Beziehung zwischen Künstlern und Fans lernen will, gibt es kaum einen interessanteren Fall als den aktuellen um Morrissey und seine Gefolgschaft. Ein Verhältnis, das noch nie konfliktfrei war, stets einseitig befeuert durch ihn.

Dabei fing alles so harmlos an. Zu The Smiths Zeiten musste man nur damit klarkommen, dass er ein Exzentriker ist, der keinen Sex hatte und kein Fleisch aß. Alles kein Problem. Es sei denn, man gehörte zu seinem Bekanntenkreis in Manchester. Schließlich ließ er sich dort nur noch mit seinem Künstlernamen Morrissey anreden, was natürlich allen auf die Nerven ging. Mark E. Smith von The Fall machte sich gerne über ihn lustig und rief ihm jedes Mal, wenn er ihn auf der Straße sah, “Steeeeven” hinterher.

Nach dem Split der Band hörte es dann bald auf lustig zu sein. Es fing mit zwei Songs an, die bei genauerem Hinsehen als fremdenfeindlich verstanden werden konnten und wurden: Während Asian Rut” noch etwas uneindeutiger von rassistisch motivierter Gewalt erzählt, zeigt Morrissey in “Bengali on platforms” mit der Textzeile “Life is hard enough when you belong here” schon deutlich, wo die Reise hingehen wird.
“National Front Disco” konnte man trotz der Zeile “England for The English” mit gutem Willen als traurige Geschichte eines jungen Manns verstehen, der nach rechts driftet. Heute wissen wir, dass Morrissey es selbst ist, der als 60jähriger ganz rechts angekommen ist.

So sehen das auch meine beiden Interviewpartner Perrecy und Camilo Lara. An Morrisseys politischen Äußerungen lassen beide kein gutes Haar. Keiner versucht auch nur im Ansatz Entschuldigungen zu finden. “Er ist rechtsradikal”, sagt Perrecy und Lara pflichtet ihm bei: “Was immer er auch sagt, es ist bedauerlich und ich könnte nicht weniger einverstanden sein”.

Perrecy kommt aus Ingolstadt. Er hat sich mit deutschen Ukulele-Versionen von The Smiths und Morrissey Songs eine eigene kleine Fan-Schar aufgebaut. Vor allem im Netz. Über myspace kam er auf die Bühne und später mit dem Album “Du bist das Opfer” auch ins Radio und in die Presse. Seine Vortragsweise ist dem Vorbild recht ähnlich, großen Witz und Charme wohnen seinen Übersetzungen inne. Aus “Half-A-Person” macht er “Halb-E-Person”, aus “All I saw on Channel 4” in “Shoplifters Of The World” – “Alles was ich seh, in der ARD.” Ein sehr sympathisches, amateurhaftes Projekt, das durch Unterstützung der Band Slut professionelle Züge bekam.

Bei Camilo Lara liegt der Fall ganz anders. Er ist in Mexiko als das One-Man-Projekt Mexican Institute Of Sound sehr bekannt und hat schon vor großem Stadionpublikum (Coachella, Loolapalooza) gespielt. Mit grenzgängerischem Sound zwischen lateinamerikanischer Musik und beat-lastiger Elektronik hat er bereits sechs Alben veröffentlicht. Ein Profi mit Vergangenheit in der Musikindustrie – er war Chef von EMI Mexiko – und gefragter Mann, der an Projekten wie den Oscar-prämierten Film “Coco” oder dem Game-Hit GTA mitgearbeitet hat.
Mit Perrecy verbindet ihn die Leidenschaft für den Mozzer. Camilo Lara gründete mit Sergio Mendoza (Orkesta Mendoza, Calexico) vor ein paar Jahren die siebenköpfige Coverband Mexrrissey als Nebenprojekt. Die Texte übersetzten sie ins Spanische, die Arrangements ins Mexikanische, “No Manchester” so der passende Titel des tollen Albums. Die Versionen funktionieren so gut, dass man glatt vergisst, dass die Originale aus England stammen. Die Band tourte vor allem durch USA, UK und Irland – und wurde überall abgefeiert. Das einzige was Lara im Nachhinein bedauert, ist, dass er nie von Johnny Marr die Freigabe für The Smiths Songs bekommen hat, weswegen er sich auf Morrisseys Solowerk beschränken musste. Marr mochte wohl den Bandnamen nicht. Die Freigabe von Morrissey war hingegen kein Problem, er lud Lara sogar als Mexican Institute Of Sound ins Vorprogramm nach Santa Barbara ein. Wenn man bedenkt, dass es kaum ein Land auf der Welt gibt, wo die Begeisterung solch fanatische Ausmaße annimmt wie in Mexiko, dann war das für den Mann mit Melone eine ganz besondere Ehre (“Es war fantastisch!”).

Perrecy kennt Mexrrissey seit 2016 und er findet, dass das alles musikalisch sehr toll gemacht sei, ihm persönlich aber zu weit entfernt vom Original ist. Lara hat durch dieses Interview das erste Mal Perrecy gehört und findet ihn umgekehrt “pretty cool”.
Ich habe mit beiden gesprochen, weil mich interessierte, wie Künstler, die auch gleichzeitig große Fans sind, mit dem Rechtsdrift ihres Helden umgehen. Durch sie kann man ungefähr erahnen wie es dem Rest der immer noch großen, aber täglich schrumpfenden Church Of Morrissey so geht. Auch weil es mich persönlich beschäftigt. Ich wurde mit 18 durch das Debutalbum “The Smiths” zum Fan von Morrissey und seiner Band. Und auch ich habe, wie so viele andere, in den letzten Jahren immer wieder betont, dass man Kunst und Werk trennen muss. Seit Morrissey im letzten Jahr ein Interview gegeben hat, in dem er Hitler als Linken bezeichnet und dafür Werbung macht, “For Britain” zu wählen, gelingt mir selbst diese Trennung nicht mehr. Für viele war die letzte rote Linie überschritten als der Mozzer vor einem Millionenpublikum in der TV-Show von Jimmy Fallon mit einem Anstecker der Partei aufgetreten ist, die aus Pegida England hervorgegangen ist. Badge-Gate sagen manche Fans zu der Affäre.

Einen Effekt auf Perrecy und Mexxrissey hat Badge-Gate allerdings nicht. Perrecy macht einfach weiter. Letzter Termin: 20. Juli, Stadtfest Ingolstadt, mit Band umsonst und draußen.
Camilo Lara hat Mexrrissey schon längst begraben. Die letzte Show fand letztes Jahr in Berlin statt. Nicht wegen der jüngsten Entwicklung. Für ihn war es von vornherein ein zeitlich begrenztes nettes Nebenprojekt und er betont gerne, dass er nicht darauf reduziert werden möchte. Ob er nochmal eine Einladung ins Vorprogramm annehmen würde? “Ich denke eher nicht.” Perrecy, der mit seinen Versionen sogar die Aufmerksamkeit von Major-Labeln auf sich gezogen hat, muss sehr lange bei dieser Frage nachdenken, und winkt eher ratlos ab.

Krass sind bei beiden Musikern die emotionalen Gegensätze, vergleicht man ihre Begeisterung für Morrissey mit ihrem Entsetzen über dessen politische Torheiten. Perrecy spricht von “großer Dankbarkeit”, weil es eben seine Musik war, die es ihm ermöglichte auf die Bühne zu gehen und die ihm zum Musiker machte. Ähnlich auch der Ton bei Lara: “Ich habe das Projekt wegen der Songs gemacht. Diese Lieder haben mein Leben gerettet, als ich ein Teenager war. Sie haben mir geholfen, meine eigene Stimme und meinen Platz auf der Welt zu finden.” Eine größere Liebeserklärung kann es kaum geben. Und trotzdem fährt Lara nur einen Satz später harte Geschütze auf. “Ich empfinde das genauso, wie bei Wagner oder Carl Orff, beides Nazi-Unterstützer, die ein bemerkenswertes Werk hinterlassen haben. Teile ich ihre politische Haltung? Absolut nicht! Habe ich Carmina Burana genossen? Aber ja!”

Perrecy hat sich sogar die Mühe gemacht, das komplette Parteiprogramm von “For Britain” zu lesen, um Morrissey zu verstehen. “Die einzige Begründung dafür, die ich noch hätte verstehen können, ist deren Haltung zum Tierschutz. Allerdings sind sie auch nicht gegen das Schlachten an sich, sondern nur gegen Halal-Schlachtung.” Inkonsequent für einen radikal denkenden Vegetarier wie Morrissey, findet der “Bayer mit Preußisch Blut” (“English Blood, Irish Heart” in seiner Übersetzung). Die programmatische Islam-Feindlichkeit von “For Britain” passt dann in das bedenkliche Bild der anderen Äußerungen ihres prominenten Unterstützers.

Inzwischen haben viele Fans Konsequenzen gezogen. Manche gingen so weit und haben ihre CDs und LPs wieder verkauft. Einigkeit herrscht jedoch allenthalben, dass Skandale und Interviews nicht das Erbe der Smiths tangieren. “You can’t change history”, sagt Johnny Marr dazu, der sich ebenso deutlich distanziert hat, wie viele seiner Zeitgenossen und Weggefährten wie Billy Bragg, Stuart Murdoch (Belle & Sebastian), Tim Booth (James) und Damon Albarn (Blur). Für Perrecy gehören da auch die frühen Solo-Platten dazu. Mit seinem Drift nach rechts seien auch die Platten schlechter geworden. “Das jüngste Stück, was ich spiele ist “Ich werfe meine Arme um Paris”” – das Original ist inzwischen schon zehn Jahre alt. Auch mit der Qualität der Texte ging es bergab.” Perrecy nennt als Beispiel “The bullfighter dies”. “Ich dachte erst: was für ein toller Titel! Aber dann war der Text so platt und banal.” Für mich war ein weiterer Tiefpunkt: die musikalisch eigentlich schöne Single “Spent the day in bed”, die eine charmante Hymne ans Nichtstun sein könnte, würde Morrissey nicht im gleichen Song in die “Lügenpresse”-Chöre der neuen Rechten miteinstimmen.

Haben die beiden Ratschläge für deprimierte Fans, wie sie mit der Enttäuschung umgehen könnten und vielleicht ein neues Verhältnis zu Morrissey zu finden? Lara sagt: “Das ist ganz ihre Sache. Es ist ihr Recht zu hören, was sie wollen und was nicht.” Auch Perrecy kann nicht wirklich weiterhelfen. “Ich höre ja wie gesagt eh nur die alten Sachen. “You are The Quarry” war ein fantastisches Album. Danach ging es immer mehr bergab. Wenn er wieder in Deutschland spielt, werde ich wohl nicht mehr hingehen. Alles dafür geben werde ich aber nicht.“ Aktuell steht eine US-Kanada-Tour an. Früher wären die Konzerte in Windeseile ausverkauft gewesen, nun bekommt man noch für jede Show Tickets. Sein Album “Son Of California” kam zwar in die britischen Charts (Platz 4), flog aber schon nach vier Wochen aus den Top 100. Der Schaden ist eben nicht nur ein emotionaler, sondern wohlmöglich auch ein wirtschaftlicher.
Ich persönlich habe die absurde Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass Morrissey eines Tages vor eine Laterne läuft, es laut Dong! macht und er auf einmal merkt, was für Unfug er in den letzten 25 Jahren vom Stapel gelassen hat. Früher war er immer noch geschickt genug nach Äußerungen wie “The Gates of England are flooded” Zeit verstreichen zu lassen und mit guten Platten und Shows abzulenken. Doch in den letzten Jahren schritt seine Verwandlung zum singenden Wutbürger immer schneller voran. Die Beziehung zwischen Fan und Star hält das in sehr vielen Fällen eben nicht mehr aus. In den Fan-Foren bleiben vielfach nur noch die hängen, die ihm politisch mitgefolgt sind. Traurige Einzelfälle, die auf die stärker werdende Kritik, mit aggressiver Abwehr und Hass reagieren. Die Mehrheit hat sehr viele bessere Möglichkeiten. Camilo Lara und Perrecy machen es vor: Fan bleiben, sich vom Star distanzieren und eine differenzierte Analyse der simplen Trennung von Kunst und Künstler vorziehen. Das geht.

Zum Weiterlesen:
„The Smiths im Sauerland. Eine Jugenderinnerung von Rolf Witteler.“

 

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!