Phuong-Dan über seine Jugend in Bonn, den Golden Pudel Club, Breakdance und Fernost als Entdeckungsraum.

Phuong-Dan: „Mein Bild von Vietnam basierte bis dahin nur auf den Erinnerungen meiner Eltern.“

Dan5Deutschland war Birne und Bonn war sein Baum. In dem Jahr bevor ich geboren wurde, leitete ein Misstrauensvotum die Ära des Dicken aus Oggersheim ein, der fortan für mich Synonym für Politik war, nein, viel mehr, für Deutschland: Von meinem ersten Schiss in die Windel bis zum ersten Bier gab es nur ihn. In Bonn drehte sich bis zum Ende der Kanzlerschaft Kohls alles um Politik, Beethoven, Telekom, die Post und Haribo – und so viel hat sich daran bis heute nicht geändert.

 

Breakin‘ Bundesstadt Bonn

„Ich bin viel draußen gewesen, um zu breaken. Wir sind die meiste Zeit mit unserer PVC-Matte durch die Stadt gezogen“, blickt Phuong-Dan zurück auf seine Jugend im Bonn der späten 1990ern. „Unsere Crew hat auch an Battles teilgenommen. Nicht an großen Wettbewerben wie dem Battle of the Year, eher im Rahmen von HipHop-Jams in Bonn und der Umgebung.“

Notiz am Rande: Ich bin ebenso wie Phuong-Dan in einem Vorort Bonns aufgewachsen, allerdings nicht in demselben. Jetzt gerade sitzen wir aber circa 450 Kilometer entfernt in Eimsbüttel vor einem Cafe am Straßenrand und unterhalten uns. Und wie man das so macht, fangen wir vorne an. Seit 15 Jahren legt Dan bereits im Golden Pudel Club auf. Den zehnjährigen Geburtstag seiner Reihe Gatto Musculoso musste er vor zwei Jahren allerdings im Exil im Uebel&Gefährlich feiern, da der Pudel in Folge eines Brandes zu dem Zeitpunkt geschlossen bleiben musste.Die Liste der Gratulanten umfasste damals L.I.E.S.-Mastermind Ron Morelli, Mannequin-Labelhead Allessandro Adriani, Tolouse Low Trax, Felix Kubin, Alexis Le-Tan, Philip Berg sowie viele Pudel-Affiliates und langjährige Wegbegleitern und Freunde Dans. Namen, die von dem Renommee zeugen, das sich die Reihe seit ihrem Bestehen erarbeiten konnte.

Dan2Vor dem Umzug in die Hansestadt Anfang der Nullerjahre waren es jedoch HipHop-Kultur im Allgemeinen und Breakdance im Speziellen, die ihn umtrieben. Das Stecken und der Stadtgarten in Köln, das CVJM in Siegburg, das Bonner Blow Up, die Sternenburg, Nobbis Plattenladen oder die Bonner Rheinauen – es fallen Orte in der Region, die wir beide kennen, über den Weg gelaufen sind wir uns jedoch ganz sicher nicht. Während ich eher in Kneipen rund um das Stadthaus hing, zog es Dan und seine Leute auf Jams in der Umgebung, später dann auch ins Nahe Köln. „Als wir schließlich alle aufgehört haben zu tanzen, haben ein paar von uns, darunter auch ich, angefangen Soul, Funk und Jazz Platten zu sammeln – wir waren auf der Suche nach der Musik, zu der wir getanzt haben. Wir fingen an aufzulegen und haben in Bonn Parties organisiert. Natürlich gab es zu der Zeit in Köln und auch in Bonn schon 70s Funk- und Soul-Parties, auch Northern-Soul Nächte. Berührungspunkte gab es aber kaum, dafür waren wir einfach noch viel zu jung – wir waren um die 16, 17, 18. So ging das mit dem Auflegen los – das war kurz dem Abitur.“

Die Crew sei damals auseinandergebrochen, wie das nun mal meistens irgendwann der Fall ist, denn alles ist bekanntlich endlich. Man orientierte sich neu, einige wandten sich dem R&B aus dem Musikfernsehen zu, „ein Teil wollte sich mehr mit der Musik beschäftigen, die sonst immer auf den Jams lief. Dabei ging es gar nicht so sehr um das Auflegen, niemand von uns hatte Ambitionen DJ zu sein – wir waren einfach an der Musik interessiert und wollten Spaß haben.“

Ein, zwei Jahre ging diese Phase nur, dann bricht Dan auf nach Hamburg – der Zivildienst brachte ihn in die Hansestadt, im Anschluß blieb er um zu studieren. In Hamburg betreut Dan ausländische Studierende von der HfbK, und der TU. “Ich habe den Studenten bei Behördengängen und solchen Sachen geholfen. Ein Kumpel aus der Breakdance-Crew hat das gleiche schon in Bonn gemacht und ich fand diese Arbeit total interessant.“ Auch wenn man es anders vermuten würde, so kommt Dan keineswegs sofort mit dem Pudel-Umfeld in Kontakt, zunächst findet zunächst im Le Fonque mit seinen Platten sein Zuhause. Von Parties kann da allerdings noch keine Rede sein, der puffige Laden sei viel zu klein gewesen, merkt er an, tanzen konnte man dort „im Grunde eigentlich nicht” – der Ort sei mehr Salon oder Bar als Club gewesen und so tauschte man sich eher aus, als dass man feierte. „Ich wurde irgendwann etwas müde von dem späten 60er und frühen 70er Soul und Funk Sound, interessierte mich mehr und mehr für Disco aus den USA und Europa. In der Zeit begann ich dann auch im Pudel aufzulegen, ich bin einfach vorbeigegangen und habe ganz naiv gefragt ob ich mal auflegen dürfte. Klar, meinten sie. Mit zwei Freunden aus dem Le Fonque habe ich dann für eine kurze Zeit eher Disco und Boogie orientierte Parties im Pudel veranstaltet.“ Dem anfänglichen Dienstagstermin folgte ein Mittwoch, dann ein Donnerstag, irgendwann landete Dan mit seiner Party am Wochenende und rief 2006 schließlich Gatto Musculoso ins Leben.


Hütte ohne Hüter

Ich habe mich in den vergangenen Jahren schon mit Nina und Richard (RVDS) über den Pudel unterhalten, aber auch mit Tolouse Low Trax oder Lena Willikens, Residents des von Dan ebenso sehr geschätzten, konzeptuell ähnlichen Clubs SDan1alon des Amateurs – sofern man überhaupt von einem zugrunde liegendem Konzept sprechen kann. Der Pudel ist ein von außen oft überhöhter Ort, mystifiziert, gerade seit dem Brand und der damit aufkommenden vermehrten Berichterstattung, die jenseits von der taz, die den Club und seine Akteure schon seit vielen Jahren journalistisch begleitet, den Laden auch den letzten LeserInnen einen Begriff werden ließ. Denn plötzlich schien es, müsse jeder mitreden, worüber alle reden. Lokale und überregionale Zeitungen, Online-Portale, Stadtmagazine, Jugendseiten, die Musikpresse sowieso. Und trotz all der Geschichtsschreibung, vielleicht gar Umschreibung (ins falsche Licht setzen oder Überhöhung), hat der Club etwas an sich, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Trotzdem gilt: immer wenn es Jemand versucht und auf jemanden stößt, der schon mal da war, dann wissen beide, was gemeint ist. Wenn ihr mich fragt, ich persönlich lese unglaublich gerne Artikel über den Club, in denen das Besondere versucht wird in Worte zu fassen und versuche diese Puzzlestücke anschließend für mich zusammenzufügen.
„Es fühlt sich dort nie wie zu Hause an”, führt Dan aus. “Auch nach all den Jahren, die ich jetzt schon im Pudel Zeit verbringe, hat noch kein Wohnzimmer-Gefühl eingesetzt. Natürlich fühle ich mich dort mehr als wohl und zugehörig, aber während man zu Hause weiß, was einen erwartet, ist dem im Pudel nicht so. Es kann immer alles passieren.“

Der Pudel nimmt eine Solitärstellung ein, auch im eigentlichen architektonischen Sinn, der hier natürlich vorrangig nicht gemeint ist. Was im Club am Hafen funktioniert, daran kann ein anderer Club scheitern. Und umgedreht würde der Golden Pudel kaum so bleiben können wie er ist, wäre er professioneller aufgestellt und  finanziell besser ausgerüstet. Deswegen, so Dan, könne man Läden wie den Pudel, aber auch zum Beispiel den Düsseldorfer Salon, schwer mit anderen, gewöhnlichen Clubs vergleichen. Wir sprechen über die Betreiber, die offene Türpolitik und die – damit einhergehend – sich zurückhaltenden Türsteher, über die geringen Getränke- und Eintrittspreise, eben über jene Aspekte, die den Zugang zum Pudel erleichtern, weil sie die Barrieren senken oder gar ganz verschwinden lassen:

„Es ist ein riesiges Geschenk, so einen Ort zu haben. Das hat entsprechend auch die Art und Weise wie ich auflege geprägt. Es gibt keine Grenzen, dafür eine Wahnsinns Neugierde – niemand erzählt dir, was du zu tun hast oder tun sollst. Viele Menschen haben solche Orte ja gar nicht, die müssen sich solche Räume erst selbst schaffen. Da werden Anlagen und Getränke zu Orten geschleppt, es wird Miete gezahlt, um diese Freiheit zu haben, die Dinge so zu leben, wie man es sich wünscht. All das ist auch noch temporär, besteht nicht länger als diese eine Nacht. Der Pudel ermöglicht einem kontinuierlich das zu tun, was anderorts nur nach großem Aufwand möglich ist. Eine Infrastruktur und ein Publikum sind stets vorhanden – das ist ein riesiger Luxus.“

Diese Freiheit machen zu können, was man will, reicht Dan als Gastgeber an die Gäste seiner Gatto Musculoso-Party weiter. Der Gast könne alles, was ihn in den Sinn kommt spielen, er solle einfach mitbringen, was er selber gerne hören wolle, gibt Dan zu Verstehen. Auch er selber spiele die Musik, die ihn zum jeweiligen Zeitpunkt am meisten vorschwebt, wobei es schon in der nächsten Nacht  in eine ganz andere Richtung gehe kann. Dementsprechend gibt es kein Konzept, was die Reihe ausmache, sondern sei es die musikalische Wandelbarkeit. Der rote Faden von Gatto Musculoso, wie auch des Clubs selbst, lässt sich also auf ein vereinfachtes: „Alles kann, nichts muss“ herunterbrechen – letztendlich auch eine Art von Verlässlichkeit, nur kann man sich hier nicht auf die Art der Einlösung dieses Versprechens einstellen und genau das macht den Reiz aus. „Das Spannende ist auch, dass es keine wirklichen Slots gibt. Natürlich steht es jedem Gast frei, solange zu spielen, wie es gefällt. Sehr, sehr selten kommt es aber dazu. Man hat so wahnsinnig viel Zeit, von neun Uhr abends bis mindestens sechs Uhr morgens. Das Schöne daran ist, das man ganz lose und spontan b2b spielen kann, oder sich alle halbe Stunde abwechselt und miteinander in einen Dialog tritt, sich gegenseitig überrascht und den Abend gemeinsam von Anfang bis Ende erlebt.“

(K)eine Vietnamesische Geschichte

„Ich bin zweisprachig aufgewachsen, konnte anfangs nicht mehr als ein Alltags-Vietnamesisch, und das auch nur sprechen, nicht lesen und schreiben”, erzählt mit Phuong-Dan. “Mir war damals unmittelbar nach dem Zivildienst nicht wirklich klar, was ich genau studieren möchte. Ich habe mich daraufhin an der Uni Hamburg für Vietnamistik eingeschrieben, Zu dem Zeitpunkt bin ich gerade das erste Mal in Vietnam gewesen, mit 19. Das Studium war mir aber zu historisch ausgelegt und hat mich recht schnell nicht mehr gereizt. Was mich aber interessiert hat, war die sprachliche Komponente. Ich habe lediglich einen Sprachkurs belegt, um meine Kenntnis aufzufrischen und auszubauen.“

Die Geschichte der Eltern, die beide unabhängig voneinander in den 1970er Jahren nach Deutschland kamen und sich in unterschiedlichen Rollen in Deutschland wiederfanden, führte Dan Dan4zwangsläufig zu der Frage, wie viel Vietnam in ihm stecke – oder besser wie viel von der Vietnamversion seiner Eltern. Diese speiste sich ohne Community in der Bonner Vorstand aus der erlebten, eigenen Vergangenheit und blieb frei von aktuellen Einflüssen. Und so besucht er noch vor dem Studium besucht Vietnam um die Versionen seiner Eltern mit der  Lebensrealität der Menschen Vor Ort abzugleichen. “Mein Bild von Vietnam basierte bis dahin nur auf den Erinnerungen meiner Eltern. Es ging also auch um eine Aktualisierung meiner Fassung. Natürlich war ich nervös, hatte Angst, bestimmten Verhaltensnormen, kulturellen Eigenheiten und dergleichen nicht gerecht zu werden. Die Feststellung, dass mir in Deutschland auferlegte Werte im ländlichen Haushalt meiner Familie in Vietnam weniger streng ausgelebt werden, war schon ziemlich irritierend. Meine Urgroßmutter erwartete von mir deutlich weniger als es meine Familie in der Diaspora es tat. Sie war erstmal froh, dass ich überhaupt vorbei gekommen bin.“

Dan sollte es nicht bei den gewonnenen Erkenntnissen belassen. Denn seine persönliche Geschichte ist letztendlich nichts weiter als der subjektiv erlebte Teil einer größeren, globalen Geschichte, einer von langanhaltenden, grenzüberschreitenden Wanderungen mit anschließender Sesshaftigkeit; jede für sich individuell und doch voller Ähnlichkeiten. Für Dan, der sich nicht nur künstlerisch, sondern auch wissenschaftlich mit Migration beschäftigt, bietet die persönliche Geschichte einen ersten Anknüpfpunkt. Und so folgte der ersten Reise weitere, einmal im Jahr besucht Dan mittlerweile mindestens Vietnam und damit öfter als seine Eltern.
2011 veröffentlicht er zusammen mit Stefan Canham das Fotobuch „Die Deutschen Vietnamesen“ (und knüpft damit an ein während des Studiums der visuellen Kommunikation an der HfBK entstanden Buchs an) , in dem sich beide auf Spurensuche nach ehemals in Deutschland lebenden Vietnamesen begeben haben, die aus unterschiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind. Dem folgte die Publikation „Hanoi View“ (2014, mit Annika Kahrs) und der Dokumentarfilm „Ein Haus in Ninh Hoa“ (2016).  .


Clubkultur im Entstehungsprozess

Trotzdem sollte es bis 2017 dauern, bis Dan erstmalig in Vietnam auflegt – „angesichts meines langen, sehr vertrauten Bezugs zu Vietnam, schon etwas bizarr”, wie er anmerkt. „Dass ich in Vietnam, aufgelegt habe, hat sich auf ganz natürliche Weise so ergeben. Ich habe im Grunde nie darüber nachgedacht und auch nie eine wirkliche Dringlichkeit darin gesehen. Mein Interesse Vietnam auf anderen Ebenen kennenzulernen und letztlich die Recherchearbeit zu den Themen, die ich in den Projekten verhandelt habe, hatten deutliche Priorität. Der Gedanke dort Platten aufzulegen kam mir banal vor – und Zeit wäre dafür kaum bis gar nicht vorhanden gewesen.Das hat sicherlich auch damit zu tun, in welchen Sphären ich mich dort aufhalte. Neben meiner Familie stellen bis heute vor allem Freunde und Bekannte aus der jungen Kunstszene meinen sozialen Bezugspunkt dar.“

Dan3In Vietnam verbringe er die meiste Zeit in Ateliers, Cafes, Garküchen oder in einfachen Schnapskneipen”, fährt Dan fort. „In Großstädten wie Hanoi oder Saigon gab es natürlich auch schon vor einigen Jahren eine überschaubare „Club- und DJ-Kultur“. Ich habe nur keine Berührungspunkte gesucht, zumal diese maßgeblich von Expats oder Auslandsvietnamesen wie mir geprägt wurde. Dabei geht es mir hier keineswegs um Authentizität oder dergleichen, mich hat es einfach nicht so sehr interessiert, ich wollte einen anderen Austausch.“ In den letzten Jahren, so erzählt er, habe sich die vietnamesische Szene in eine ziemlich interessante Richtung entwickelt. Mehr und mehr jüngere VietnamesInnen seien an Musik und Djing interessiert und würden sich entsprechende Räume schaffen. Auch was Neue Musik und experimentelle Ansätze anbelangt, passiere derzeit recht viel. „Das Publikum war durchmischt. Die Leute waren unglaublich interessiert, offen und auf sehr positive Weise ernsthaft dabei“, weiß Dan zum Ende unseres Gespräches zu berichten. Doch gehe es ihm dabei weniger um die alleinige Existenz der neuen Möglichkeiten und das diese genutzt werden, viel mehr um die Motivation der Beteiligten und der nachhaltige Effekt des Engagements: „Grundsätzlich finde ich es sehr wichtig, dass besonders ausländische Betreiber von Orten die lokale Szene mitdenken, involvieren und nachhaltig unterstützen. Umgekehrt gilt genauso, dass an bislang maßgeblich von Vietnamesen frequentierten alternativen Räumen ein internationaler Austausch stattfindet. In solchen Off-Spaces hat das früher begonnen. In Clubs passiert das gerade mehr und mehr.“

 

 

 

 

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