Arne Zank: “Das Leben ist ein langer unruhiger Fluss”
Im Frühjahr 2014 verbrachte Arne Zank drei Monate in Kyoto. Ein Aufenthalt, der ihn schon vor Ort künstlerisch angeregt hat, dessen Ergebnisse aber zehn Jahre auf die offizielle Veröffentlichung warten ließen. Nun erscheint endlich die sechs Stücke umfassende EP „Dasu isuto aresu“, inspiriert von einer Kurzgeschichte namens „Redāhōzen“ (zu deutsch: Lederhose) des japanischen Autors Haruki Murakami und finalisiert in Kooperation mit Messe Reents.
Arne, die EP kompiliert Stücke, die ursprünglich in Kyoto, Japan entstanden sind und nun mit ein paar Jahren Distanz von dir mit Mense Reents fertig produziert wurden. Du hast damals drei Monate in der Villa Kamogawa im Rahmen einer Goethe Residenz verbracht.
Hast du rückblickend das Gefühl, dass sich Japan allgemein und Kyoto speziell in die Songs eingeschrieben hat und wenn ja inwieweit?
Arne Zank: Alle Stücke haben einen bestimmten Bezug zum Japan-Aufenthalt. Manche habe ich direkt vor Ort gemacht oder habe Einzelteile aufgenommen. Ich habe viele Geräusche aufgenommen, beim Spazieren gehen. Manche Sounds habe ich mit in die Stücke eingebaut. Das ganze Piepen der Ampeln und U-Bahnen. Die Ladengeschäfte und sogar die Klohäuschen spielen eine eigene Melodie, die für meine Ohren sehnsüchtig und melancholisch klang. Dazu habe ich oft einzelne Zeilen oder Melodien gesungen und im Gehen aufgenommen.
Stimmungsmäßig war ich einerseits sehr begeistert von der Gegend und euphorisch. Hatte aber auch extrem viel Heimweh. Ich fühlte mich schon sehr fremd und allein.
War die EP denn dein offizieller Residenz-„Auftrag“?
Ich hatte mich mit einem konkreten Konzept beworben. Das ist aber im Prozess bisschen woanders hin gegangen. Andererseits auch nicht. Vieles geht ums fremd sein. Das war auch die ursprüngliche Idee.
Wie hast du die Musikszene in Kyoto und auch darüber hinaus, so denn es Berührungspunkte gab, empfunden?
Ich bin sehr viel ausgegangen und habe mir einfach alles angeguckt. Hatte ein paar Kontakte und eine längere Freundschaft die daraus entstanden ist. Ich fand es sehr spannend in Kyoto. Sicher war das auch nur eine Momentaufnahme von den drei Monaten, die ich da war, aber mir kam das schon sehr speziell vor. Kyoto hat einerseits diese traditionelle, folkloristische Seite. Auch etwas Kleinstädtisches, im Gegensatz zu Tokyo oder Osaka. Andererseits auch eine avantgardistische, alternative Szene beeinflusst von Punkrock, Studentenbewegung, Butoh kommt hier her, Tanz, viel Kunst und DIY zusammen gemischt. Etwas hippiesk aber auch düster. Sehr speziell und schwer zu beschreiben.
Wieso hast du so lange mit der Finalisierung gewartet?
Ohje, das Leben ist ein langer unruhiger Fluss 🙂
Das hat persönliche Gründe. Ich habe schon mal über meine Sucht-Krankheit gesprochen. Damit hatte ich zu tun. Da ist vieles liegen geblieben und in Selbstzweifeln begraben worden. Ich bin jetzt seit über fünf Jahren clean und bin auch immer noch am Aufarbeiten.
Außerdem ist meine Freundin und jetzige Ehefrau chronisch erkrankt und das hat sich über die Jahre so entwickelt, dass ich mehr Pflegearbeit mache.
Und ganz nebenbei, wie du weißt, spiele ich auch noch Schlagzeug in einer deutschsprachigen Indierockband ;)))
Der Opener “Scheritt“ ist nicht gerade ein happy song, um es mal so auszudrücken. Du singst in einer Art Gute-Nacht-Lied davon, die Hände lieber vor die Augen zu schlagen angesichts der Hinterlistigkeit der Welt. Einschlafen als Prozess der Verdrängung.
Inwieweit ist für dich der Prozess des Songsschreibens auch immer eng mit der Verarbeitung des eigenen Lebens verbunden?
Ich glaube, anders geht das gar nicht. Im besten Falle kann man etwas direkt verarbeiten. Manchmal auch etwas, was man noch nicht kannte.
Bei “Scheritt” kommt noch hinzu, dass das Unwohlsein beim Texten dabei ist. Was quatscht man die Leute voll? Was richte ich damit an?
Die Aufnahme war sehr verrumpelt zuhause aufgenommen. Hatte aber eine sehr schöne ambivalente Stimmung. Mense konnte dann die Stimme und Gitarre mit modernster KI-Technologie (wie bei den Beatles!) isolieren und verständlich machen. Das hat mich sehr gefreut.
Unsere Leben sind (glücklicherweise) – nicht nur ein ins endlose gedehnter gleicher Zustand, sondern (hoffentlich) geprägt von vielseitigen Eindrücken und Begenungen. „Die Luecke“ könnte für mich – natürlich auf Basis meines Wissens um deinen Japanaufenthalt – sehr gut spätnachts in einer dieser Minibars laufen, wie man sie nur in Japan findet. Draußen spiegelt sich das Neonlicht in einer Pfütze und der Protagonist erinnert sich an das, was mal war. Eine passende Lesart?
Klaro! Jedenfalls freut mich die assoziierte Atmosphäre.
Eine leichtfüßige Traurigkeit.
Das Zitat ist von Heidi Paris vom Merve Verlag. Ich fand es sehr tröstend.
Die Melodie hatte ich schon sehr lange im Ohr, ist etwas von David Sylvian entlehnt.
Das daraus dann dieses Reggae-artige Gebilde wurde, passierte erst ganz zum Schluss. Die Produktion von Mense hat dem ganzen noch etwas Retro-futuristisches hinzugefügt, was ich super finde. Wie Osaka zu Zeiten von “Blade Runner” oder noch besser: “Black Rain”.
„Come to me, Chamaeleon“ kommt ohne Worte aus – und klingt nach dem Yellow Magic Orchestra, was auch gut zum Titel passt, kultivierten die drei doch auch ein stets neugieriges, abwechslungsreiches Oeuvre. Wie wichtig ist es dir, dass die Ep eben nicht ein one trick sound pony ist, sondern viele Facetten auzfzeigt?
Das ist eher etwas, was ich mir inzwischen erlaube. Ich habe mir oft Probleme gemacht, weil ich das Genre nicht bestimmen konnte bei meinen Sachen. Für House Music darf man keine Gitarren haben, bei den Lofi Stücken passen keine Beats. Das ist mir jetzt eher egal. Auch da war es schön, die Beratung von Mense zu haben. Der ist da auch überall zuhause.
Beim Chameleon habe ich auch das erste Mal Live-Drums aufgenommen im Proberaum. Ich musste eigentlich etwas üben und habe dann lieber zu dem Arrangement gespielt. Das hat mehr Spaß gemacht.
YMO ist natürlich großartig. Diese sehr humorvolle Haltung zu Avantgarde und Pop ist toll. Gerade der kürzlich verstorbene Ruyichi Sakamoto hat mich schon seit Teenager-Zeiten sehr beeindruckt.
Auf „Flussrohrpfeiffer“ singst du (zu einem wunderschönen Elekctro-Piano-Motiv) wieder. Zunächst die Frage, wie der Flussrohrpfeiffe in dein Leben kam, ich kann bei der Netzsuche nur einen Flussregenpfeifer finden.
Klingt einfach besser! Und ich habe nicht nachgesehen, ob es den gibt, da hieß das Lied schon so.
Der Kamogawa Fluss in Kyoto ist ein sehr schöner Ort zum Spazieren gehen.
Der Gesang ist so ziemlich genau das Stück „Weep, o mine eyes“ von John Bennet, aus dem Jahr 1599. Ein englischer Komponist von Madrigals. Das Stück ist eine Hommage an John Dowland und sein „Flow my tears“ . Diese unfassbar traurige Art von Renaissance Musik hatte ich kennen gelernt, als ich ein paar Jahre lang Gesangsunterricht hatte und im Chor gesungen habe.
Ich mochte daran, dass die sich damals auch schon gegenseitig beklauten und beeinflusst haben.
Und es ist harmonisch hanebüchen zusammen gebaut. Mense hat hier einiges gerade gebogen. Ich finde es wurde dadurch noch viel verrückter und unübersichtlicher im besten Sinne.
Das minimalistische Soundkonstrukt und die verwehte Stimme schickt mich auf eine Zeitreise zurück zu den melancholischen Ladomat 2000 Produktionen.
Wie sagt man so schön, you know what I feel?
Das freut mich wirklich. Ich bin natürlich auch sehr von den damaligen Sachen beeinflusst.
„No Hope“ ist für mich das Stück mit dem klarsten Einfluss japanischer Musik, das Gitarrenfragment klingt so nach japanischen Theater. Passend auch die unvermittelte Hoffnungslosigkeit. Weißt du noch, wie das Stück entstanden ist?
Wahrscheinlich an einem sehr deprimierenden Abend.
Ganz konkret geht es um Trauer und Tod und den Verlust eines lieben Menschen. Das gibt es ja. Damit muss man irgendwie klar kommen.
Meine Mutter war lange sehr krank und ist 2011 gestorben. Das war eine schwierige Zeit. Diese Hilflosigkeit ist sehr quälend. Wenn man emotional am tiefsten Punkt angekommen ist, dann ist es fast befreiend, keine Hoffnung mehr zu haben. So in etwa.
Danke dass das Album nicht mit „No Hope“ endet, „Denke dran“ setzt mit Titel und Melodie zumindest eine leicht positive Note, es scheint weiterzugehen. Ja?
Auf jeden Fall! Das Stück hieß zuerst „Anaki“ , Anarchie auf japanisch, weil sich in der staatstragenden Atmosphäre des Goethe-Instituts meine linksradikalen Reflexe bemerkbar machten. Ich musste viel über Protestbewegungen lesen und forschen. Der Titel war mir dann aber doch zuviel und so ist es eher ein Stück über Sehnsucht geworden. Im Hintergrund hört man die Krähen am Kamogawa. Sehnsüchtig krähend.
Bist du eigentlich nach dem Kyoto Aufenthalt nochmal nach Japan zurück gereist?
Direkt im selben Jahr 2014 waren wir mit der Band noch mal da. Auch mit dem Goethe Institut und auch noch in Peking und Tokio. Und 2019 hatte ich ein paar Solo-Konzerte und eine längere Reise durch Japan gemacht.
Ich muss unbedingt mal wieder hin. Das ist dringend notwendig.
Zum Schluss interessiert mich natürlich, was deine drei Lieblingsstücke von japanischen Musiker:innen sind?
Ryuichi Sakamoto “In a Forest of Feathers”
Tate Takako & Element of the Moment “月」(ASYLUM2012 in Fukushima CM)”
Jyocho “As the gods say”
Und da ich ja weiß, dass du selbst Comic zeichnest, was ist denn dein Lieblings-Manga und warum?
„Sunny“ von Taiyo Matsumoto.
Das lese ich gerade und bin hin und weg. So halb autobiografisch über die Kinder in einem Waisenhaus in den Siebzigerjahren . Unfassbar toll erzählt und gezeichnet.
„Gute Nacht Pun Pun“ von Inio Asano
Hat mich komplett umgehauen und eine Leidenschaft für Manga entfacht, die ich vorher gar nicht so hatte. Zeichnerisch und technisch unglaublich gut und eine krasse, brutale Geschichte über das erwachsen werden. Auch sehr böse und total toll!
Huch, du wolltest ja nur einen, naja…
Ach so: wie sieht denn das Cover Artwork der Ep aus? Und wie heißt sie?
„Dasu isuto aresu“ nach einer frühen Kurzgeschichte von Haruki Murakami. Sie heißt „Redāhōzen“ wie das deutsche Lederhosen und benutzt viele japanisierte Redewendungen aus dem englischen oder eben das deutsche „Das ist alles“
Ich mochte das Thema, dass er behandelt, was man aus Übersetzungen lernen kann. Auch das Fremdsein und die produktiven Missverständnisse. Interessant ist ja, dass er seine eigene Sprache erst gefunden hat als er sie ins englische und dann ins japanische zurück übersetzt hat.
Das Cover ist ein Foto vom Ufer des Kamogawa. Mit den ausgeschilderten Vogelarten der Gegend. Auf der Rückseite eine Zeichnung aus einem Park in Tokio nachdem es geschneit hatte. Mit der Warnung aufzupassen vor den beschädigten Bäumen.
Einem Teil der Auflage liegt ein Zine von mir bei, mit Zeichnungen und Fotos und kurzen Texten.
Eine Frage habe ich dann doch noch: japanisches Lieblingsgericht und -getränk?
Als Speise: Okonomiyaki, dicke Nudel-Pfannkuchen mit leckeren Bonito-flocken, die auf dem Essen tanzen!
Zu trinken: Yuzu limo, gerösteter Reis Tee, Matcha … you name it, überhaupt die ganzen Getränke-Automaten mit heißen und kalten Getränken sind ein Traum!
Tolle Auswahl an alkoholfreien und nicht so süßen Getränken. Es ist herrlich!
„Dasu isuto aresu“ ist unter anderem via Hanseplatte erhältlich – wenn ihr ganz schnell seid sogar in der Limited Fanzine Edition 😊
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