Irritieren statt parieren
Elektronische Musik aus Köln stellt für die Stadt ein stabiles Trademark dar. Sie gehört genauso in die kanonisierte Wahrnehmung wie Klüngel, Rhein und Karneval. Dabei hat sie es ungleich schwerer, schließlich unterliegt Sound einem immensen Wandel. Neue Einflüsse, neue Labels, neue Tänzer, andere Beats. Doch in Köln kommen stets neue Generationen nach, die weiter mitbasteln und die Szene relevant halten. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch Ludwig Zibell, Gründer des Kölner Labels Supermoll. Supermoll tüftelt dabei erfolgreich an der Symbiose aus Tanz und Irritation. Gerade erschien Jeandados EP und unter dem Namen Labor hat man sich ein neues Sublabel aufgestellt. Lisa Schmidt-Herzog traf Ludwig, um über Einflüsse, Entwicklungen und Pläne zu sprechen. Außerdem fallen Worte wie „Punk“, „Kompakt“ und „Survival-Sound“. Attention please, it’s Köln again!
Ludwig, im Hause Supermoll passiert gerade wahnsinnig viel. Bist Du gestresst?
Danke der Nachfrage, nett von dir, dass Du dir Sorgen machst. Aber meistens nehme ich die ganze Labelsache eher als Flowerlebnis wahr. Aber da ich ja auch die administrative Seite bestreite, mischen sich da weniger schöne Sachen wie Probleme im Presswerk und fehlende GEMA-Formulare ein. Aber die Freude am Entstehenden überwiegt eindeutig!
Wie beeinflusst euch Köln musikalisch? Immerhin sagt ihr ja von euch selbst, dass der Sound von Supermoll ganz klar in Kölner Traditionen steht.
Wir nutzen jede Chance, um Köln als sehr charakterstarken Einfluss zu bezeichnen, das stimmt. Ich denke, Köln funktioniert für uns gut, weil diese Stadt immer sowas wie ein musikalischer Anti-Held war: Nie groß und nie mainstreamig genug, um wirklich international als Nummer Eins gesehen zu werden. Aber dennoch ständig als ebenso irritierender wie auch inspirierender Faktor in kleineren Kreisen weltweit wirksam. Diese Außenseiterrolle mit Einfluss finde ich prima. Darüber hinaus ist es in Köln einfacher als an anderen Orten Dinge zu starten, da es eine starke aber familiäre Subkultur gibt.
Wie seht ihr euch denn selbst innerhalb dieser Subkultur? Ihr besetzt ja schon eine recht eigene Sparte. Sperrige Kraut-Reminiszenzen sind genauso wenig zu überhören wie frickelige Acid Tunes. Was würdest du selbst sagen, welche Rolle nimmt Supermoll im Techno-Umfeld ein?
Supermoll ist ein Techno-Label mit starkem Hang zu elektronischer Musik. Techno sehen wir insofern nur als einen Teilbereich des viel größeren Gebiets der elektronischen Klänge an, das heißt, dass wir kraftvolle Tanzmusik ebenso wichtig finden wie die Forschung am Klang, die Verführung durch eingängige Popmelodien und die ästhetische Herausforderung durch Konzeptstücke. Mit anderen Worten, Supermoll ist eine eher bunte Mischung, bei der es einiges zu entdecken gibt, wenn man sich für nicht nur funktionelle Beinmusik interessiert. Dennoch wird der Dancefloor nicht außen vor gelassen.
Lass uns über den neuesten Release sprechen. Der Free-Download „Lots of Cock“ geht ja durchaus in die Vollen. Mit Jeandado setzt ihr nicht wirklich auf Verträglichkeit und Massenkompatibilität. Ist das eine bewusste Gegensteuerung zum inflationären Club-Minimal, der gerade omnipräsent ist?
Auf jeden Fall! Meine Güte, uns wird allen sowas von schlecht, wenn mal wieder ein ausgelaugter 3-Tage-Schuppen in der Hauptstadt für tolle “elektronische Musik” gefeiert wird und man dort aber eigentlich fast nur monotonen Survival-Sound serviert bekommt. Das mag ja eine einflussreiche – und umsatzstarke – Position innerhalb der elektronischen Musik sein, aber ich möchte wirklich betonen, dass es noch soviel mehr zu entdecken gibt. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich das Gefühl, dass in vielen erfolgreichen Clubs die Musik für die meisten Gäste nur Teil einer Art Szenografie ist, welche lieber im Hintergrund bleiben soll, damit man sich auf andere Dinge konzentrieren kann. Ich denke die meisten Künstler bei Supermoll fallen im Club dagegen gerne auf und suchen die Irritation. Jeandado ist ein gutes Beispiel dafür.
Wie ist euer Verhältnis zu den Kölner Minimal-Techno-Urvätern von Kompakt?
Für mich waren die Platten von Wolfgang Voigt und Jürgen Paape damals um die Jahrtausendwende sehr wichtig, um Techno mit neuen Augen zu sehen. Wunderbar, wie die damals aus dem internationalen Phänomen Techno etwas absolut Lokales gemacht haben, indem sie Samples deutscher Folklore in den Bereich der 4/4-Kick brachten.
Wer erst in den letzten zehn Jahren Kompakt kennengelernt hat, denkt vermutlich nicht an diese alten Episoden, sondern vor allem an warmen Techno und elektronische Musik. Obwohl die Liste der Künstler im Kompakt Listing zunehmend internationaler und vermutlich auch umsatzstärker wird, habe ich aber den Eindruck, dass man dort die Eigenarten der elektronischen Musik nicht aus den Augen verloren hat. Und Köln sowieso nicht.
Mit Supermoll Labor habt ihr jetzt ein Sublabel, dass Künstler featured, die vornehmlich aus dem Kölner Umfeld stammen. Was war der Gedanke dahinter?
Labor wird eine neue Releasereihe neben der existierenden Supermoll-Zählweise. Also quasi ein Sublabel. Der größte Unterschied ist definitiv, dass Labor digital only rauskommt und wir nur ab und zu mal einen physischen Träger dazu packen. Das macht es einfacher, schnell zu releasen, da man zum einen wesentlich geringere Produktionskosten hat und man nicht durch überfüllte Presswerke muss. Vor allem soll der Name Labor aber Programm sein. Noch mehr als bei der Vinylreihe soll es dort um Facettenreichtum gehen. Also explizit eine Plattform für Experimente, Unfälle und vor allem Unsicherheiten. Wenn man nur alle zehn Monate eine Vinyl presst und dabei ein finanzielles Risiko eingeht, dann führt das automatisch zu einer eigentlich ungewollte “Hit-Denke”. Ich finde diesen auf “Erfolg” bedachten Auswahlprozess zunehmend problematisch und denke, dass digital-only in dieser Hinsicht ein wunderbares Format der Vielfalt sein kann, das im Vinyl Hype der letzten Jahre zu negativ belegt wurde.
Du wirst mit deiner EP den Anfang machen und die ersten Tracks rausbringen. Darunter auch „RAL 9005“, das Video dazu ist gerade draußen. Wer ist bis jetzt sonst noch dabei?
Zunächst mal ist Labor ein Releasekanal, der es den Supermoll nahen Künstlern erleichtern soll, ihre Musik zu veröffentlichen. Der Releaseplan ist aber bereits recht umfangreich und schließt auch einige neue Leute ein. Aktuell sind Releases von PlageBeachStrand, Stessy Evans aka Alex Ketzer, Philip Wippler, Popkin, replikreplik und mir geplant und auch praktisch fertig. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von weiteren Zusagen von bekannten Akteuren aus dem Kölner Umfeld, aber bis die Tracks nicht bei mir auf der Platte liegen, verkneife ich mir Ankündigungen. Insgesamt würde ich mal sagen, dass Labor nicht nur auf Kölner Musiker beschränkt ist. Aber die lokalen Leute kann man halt einfacher kennenlernen. Und auf anonyme Releases habe ich tatsächlich wenig Lust, da müsste mich der Sound schon umhauen.
Dein eigener Sound ist durch unterschiedlichste Einflüsse infiltriert. Über IDM und Abstract HipHop bist du zu Deep Techno und düsteren Disco Sounds gekommen. Der 4/4-Takt und du seid eher spät Freunde geworden, oder? Wie genau hat die Annäherung stattgefunden?
Also angefangen habe ich mit Punk, aber den habe ich nur gehört und nicht gemacht. Es ist halt so, dass ich nicht in Clubs groß geworden bin, was wohl daran liegt, dass ich aus einer ländlichen Kleinstadt komme und Goa nie mein Ding war. IDM und Abstract Hip Hop à la Boards of Canada, Aphex Twin, Two Lone Swordsmen, etc. haben mich dann aber sehr beeindruckt. Techno war für mich in der Zeit eher Nebensache, obwohl ich damals sogar in Berlin war. Anschließend kam Köln und die 4/4-Kick ergab mit der Zeit viel mehr Sinn, was vor allem am alten Freistaat Odonien [Schrottplatz, Kunstraum und Paralleluniversum in direkter Nachbarschaft zu Europas größtem Bordell, dem Pascha, Anm.] und der Total Confusion [Legendäre Partyreihe in Köln, Anm.] lag. Ich mache seit circa dem Jahr 2000 Musik, aber dass ich dann vor Publikum trat, das begann erst 2009 und dann eben mit Techno. Für IDM gab es halt auch kaum Bühnen. Als ich dann zwei Jahre in London war, kamen nochmal bunte Einflüsse dazu und vor allem eine eigene, kleine Partyreihe. Zurück auf dem Kontinent wollte ich dann unbedingt loslegen und startete Supermoll.
Und wie fing das dann an?
Es begann mit Partys. Wir waren anfangs ausschließlich in Off-Locations unterwegs, was zum einen daran liegt, dass man ja nicht gleich an die etablierten Altare ran kommt und dass wir den Flug unterm Radar einfach lieben. Stichwort Ebertplatz und Hafen. Wir waren recht schnell sechs Leute und am Anfang kollektiv organisiert. Allmählich kamen dann auch offizielle Partys zum Beispiel im Gewölbe und natürlich die Vinylreihe dazu. Leider konnten wir dann die kollektive Arbeitsweise nicht beibehalten, das heißt, ich mache die Labelarbeit jetzt selbst und suche die meiste Musik aus. Wobei ich natürlich immer mit den anderen im Austausch stehe, aber die kollektive Steuerung gibt es in der Form aktuell nicht mehr.
Wie sieht bei dir der Mastering-Prozess aus? Was ist dir wichtig dabei, was versuchst du zu vermeiden?
Witzig, dass Du sowas Nerdiges fragst! Ich mastere gerne, weil es irgendwie total entspannend ist. Es ist ja an sich eine sehr technische Angelegenheit, bei der es nicht darum geht irgendwas Neues zu erfinden, wie zum Beispiel bei der Komposition eines neuen Stücks. Es ist insofern klar was zu tun ist, man hört sich den zu masternden Track genau an, überlegt sich was ihn vom gewünschten Zustand trennt und greift dann so präzise wie möglich mit dem Klangskalpell ein, um das zu ermöglichen. Am schönsten ist es, wenn die Autoren des Materials einem vertrauen und man wirklich einfach seinen eigenen Klang einstellen darf. Obwohl im Mastering ja im Idealfall nur minimal eingegriffen wird, erhält man manchmal aber halt doch recht fieses Ausgangsmaterial. Das fühlt sich dann ein bisschen so an, wie wenn man einen staubigen Fund auf dem Flohmarkt so richtig zum Strahlen bringt. Das macht Spaß! Ich mastere auch nicht nur neue Sachen, sondern teilweise auch ganz alten Kraut, Wave oder Acid Kram, um das dann als DJ spielen zu können. “Fade To Grey” von Visage klingt zum Beispiel ohne Makeup nicht wirklich gut im Club.
Du spielst ja sowohl als DJ als auch live, wie unterscheidet sich das für Dich?
Also der Live-Begriff ist ziemlich unscharf geworden, ganz abgesehen davon, dass man bei Kabelmusik meistens eh kaum erkennen kann, was genau passiert. Bevor Ableton Live als Gig-Tool so omnipräsent wurde, bedeutete “live”, dass Sequencer und Synthesizer im Club aufgebaut wurden und dann vorprogrammierte Rhythmen und Notenabfolgen live ein und ausgeblendet und moduliert wurden. Das war vor allem für minimale und acidoide Gangarten gut geeignet und meist eher einfach und daher gerne nach vorne treibend. Mit Ableton Live geht diese Spielart zwar auch, aber es wurde üblich, dass man die Klangerzeuger bereits im Studio aufnimmt und dann das vorproduzierte Material im Club aufführt. Die Gigs benötigen dadurch viel weniger Equipment, sind viel zuverlässiger, können sehr komplexe Arrangements beinhalten und klingen praktisch wie der Sound, den man von dem Künstler im Laden kaufen kann. Allerdings geht natürlich die Improvisation verloren. “Live” bedeutet heute insofern eigentlich nur noch, dass der Musiker ausschließlich eigenes Material spielt. Ob er diese vor Ort improvisiert oder ob er quasi nur als DJ die eigenen Tracks auflegt, ist dabei überhaupt nicht mehr klar. Für mich hat das alles seinen Sinn: DJ Gigs finde ich super, um als flexibler Geschichtenerzähler zu fungieren, der sich gut an Situationen anpassen kann. Live Acts dagegen sind dafür da, eine aktuelle Werksschau zu geben oder manchmal das halbe Studio mitzunehmen und vor Ort verschwurbelten Acid-Techno zu improvisieren.
Du hast Supermoll 2012 gegründet. Wie soll es weitergehen, was steht in Zukunft an?
Mal andersrum gesprochen, es gibt uns seit drei Jahren und wir haben gerade mal drei Releases draußen. Ich finde das viel zu wenig und das wird sich vor allem auch mit Supermoll Labor jetzt ändern. Die Vinylreihe behalten wir natürlich auch, die Supermoll 04 kommt bereits Anfang 2016. Anschließend würde ich gern mal ein eigenes Album bringen und mehr touren.
PS: Musik auch zum Hören. Hier zwei Soundcloud-Sets…
PPS: Der Tag, an dem dieses Interview stattfand, fiel übrigens zusammen mit dem Dreh, des oben verlinkten Videodrehs “RAL 9005”. Warum das hier gesondert Erwähnung findet? Nun, weil unsere Autorin Lisa Schmidt-Herzog vom Fleck weg gecastet wurde und auch darin zu sehen ist. Wie bei Ronja von Rönne (Die Welt) und Wanda (Wien) in dem Song “Bussi Baby”. Bloß ohne deren anti-feministischen Background …