Torsun Burkhardt – Lustprinzip für immer
Torsun Burkhardt erfand mit seiner Band Egotronic nicht nur die hedonistische linksradikale Tanzfläche, nein, er zelebrierte sie. Jetzt ist er am Tag vor Silvester an Krebs verstorben. Ein Nachruf von Linus Volkmann.
Wie lautete noch mal dieses eine Zitat des Schriftstellers Wolfang Herrndorf zum Thema Vergänglichkeit? Das er einer um ihn, den Todkranken, bereits vorauseilend trauernden Freundin mit auf den Weg gab?
„Ich gehe nur voraus“, soll er gesagt haben.
Als ich das in meinem ersten Gespräch mit Torsun nach seiner Diagnose zitieren will, versagt mir auf halber Strecke die Stimme. Schöner Trost, den ich ihm da spende, denke ich verzweifelt. Dabei bin ohnehin bloß ich es, der in dieser Unterhaltung solchen zu brauchen scheint. Torsun hingegen wirkt gefasst, hält den Raum für uns beide.
Wie konnte das alles bloß soweit kommen?
ANFANG MÄRZ 2023
Für das Außen ging es erst los mit diesem einen verdammten Posting, Torsun selbst wusste „die Sache“ allerdings kaum viel länger. Sein alles verändernder Eintrag datiert auf den 6. März 2023.
Ich habe ihn etliche Male gelesen, vermutlich in der Hoffnung, beim mehrmaligen Betrachten steht doch etwas anderes dort, eine Chance wenigstens, ein Scheißstrohhalm.
Doch es gibt einfach keinen. Torsun macht in jenem Post seine Krebs-Diagnose öffentlich, unheilbar:
„Statt Proben heißt es palliative Chemotherapie, da ich in Absprache mit meinen mir Nächsten beschlossen habe, zumindest den Versuch zu starten, dem Arsch noch ein bisschen Zeit abzutrotzen. Und hey, harte Chemo-Kuren hab ich schließlich jahrelang trainiert.“
Die letzte Aussage spielt darauf an, dass Torsun seit den Nuller Jahren nicht nur den hiesigen Dancefloor im wahrsten Sinne auf links gezogen hat, sondern mit seinem wandlungsreichen Act Egotronic auch abseits der Bühnen Spuren hinterließ… allem voran als radikaler Hedonist, der das Recht auf Rausch nicht bloß einfordert – sondern mit großer Hingabe zelebriert.
NULLER BIS 2012
Persönlich habe ich ihn in den Nuller Jahren kennengelernt, da eilte ihm ein aufregend zweifelhafter Ruf bereits voraus. Ich muss sagen, ich hatte ein wenig Angst vor dem Typ. Ein unaufhaltsamer Pillenguru auf Technobeats, der gleichzeitig noch als streng israelsolidarischer Anti-Deutscher in Erscheinung tritt? Klang für meinen persönlichen Blick auf die Welt jetzt nicht gerade uninteressant – aber mal ehrlich, wie sollte man da als Zivilist bitte mithalten?
Nun, ich sollte es erfahren – es dauerte allerdings noch etwas und zwar bis zu unserer gemeinsamen Lesereise Ende 2012.
Torsun war seinerzeit schon nicht mehr nur Musiker sondern auch Autor, sein wilder „Doku-Roman“ trägt den Titel „Raven wegen Deutschland“ (Ventil Verlag, 2011).
Und obwohl sein Ruf ihm nicht Unrecht tat, lenkte er in die falsche Richtung. Torsun zu treffen, das fühlte sich nicht an, wie ein Remake von „Trainspotting“ – viel mehr war Torsun einer der herzlichsten Menschen, die mir überhaupt je begegnet sind. Das mag vielleicht nach typischem Nachruf-Jazz klingen, ist hier aber einfach bloß unfassbar wahr.
Torsun besaß unerschütterliche politische Werte und hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass mit rechten Elendsgestalten nicht diskutiert werden müsse. Nicht von ungefähr endeten Antifa-Demos in den Neunzigern für ihn mehr als einmal sogar in einer Zelle. Doch abseits seines Ekels vor Menschenhassern habe ich nie erlebt, dass er andere pauschal aussortiert hätte, Torsun hat jedem eine Chance gegeben, er war immer offen, Vorverurteilung gab es bei ihm nicht. Das schreibe ich hier, weil das einfach wirklich selten ist.
Ein anderer markanter Wesenszug ist, dass Torsun jegliche Allüren fehlten. Bei all dem ihn und sein treues Label Audiolith umgebenden Kumpelkult, war er doch auch ein Typ, der mit seiner Musik Hallen füllte und sogar bei Dinosauriern wie Rock am Ring vor riesigen Menschenmengen spielte.
Die Uneitelkeit hinsichtlich all dessen, das war keine kokette Pose, er sah sich einfach mit seinem Publikum auf einer Ebene, mit Personen, die das Licht oder die Bar machen, bis hin noch zum letzten Druffi im Club. Wenn es einen Star der No-Star-Bewegung gibt, dann ist das sicher Torsun. Auch als sich seine Band Egotronic immer weiter professionalisierte, war es ihm ein Anliegen, weiter bei Soli-Konzerten aufzulaufen. Es ging ihm zu Beginn wie auch nach über 30 Jahren Bandaktivitäten stets um die Sache und nie um Gage, den eigenen Status Quo oder gar smarte Karriere-Moves.
Eine weitere Eigenschaft möge das Bild des im Odenwald aufgewachsenen Sympathieträgers vervollständigen: Diese unglaubliche Begeisterungsfähigkeit! Die lässt sich zum Beispiel deutlich machen in seinem Auftritt in dem Podcast „Und dann kam Punk“. Dort spricht er (wie überhaupt) sehr offen und ehrlich über die Erkrankung, allerdings auch mit rührendem Eifer über Bands und Filme, die er den beiden Hosts dringend nahelegen möchte. Wie ansteckend das ist, wusste ich, hatte ich mir über die Jahre immer schon mal DVDs oder Platten aufgrund einer sprühenden Torsun-Empfehlung besorgt. Und auch aus diesem Podcast gehe ich nicht ohne einen neuen Ohrwurm: Statt über Chemo und Endlichkeit zu klagen, hält Torsun unter anderem eine Brandrede für die Düsterpunkband Fliehende Stürme und besonders deren Stück „Das Chaos brütet“. Das liebe ich jetzt auch – und sicher nicht nur aus Zuneigung zu diesem begeisterungsfährigen Influencer. Torsun hat interessiert in die Welt gesehen und das Gute aufgesogen und verbreitet.
EGOTRONIC VON 2001 – 2022
Bei all der Faszination der schillernden wie provokativen Person Torsun sollte in so einem Nachruf aber auch sein künstlerisches Werk Wertschätzung erhalten. Es brachte ab der Jahrtausendwende die Beats in die AJZs und in die bis dato komplett rock-geprägte linke Szene. Sein Act Eogtronic steht hier nicht weniger als für einen ästhetischen Paradigmenwechsel.
Im Interview 2021 zum Jubiläumsalbum „Stresz“ erinnert er selbst es so: „In den Autonomen Zentren, wo wir stattfanden, da waren wir wirklich eine Ausnahmeerscheinung, dort war elektronische Musik längst noch nicht angekommen – im Gegenteil eher. Aber mit unseren politischen Texten wurde das dort dann doch anschlussfähig.“
Einen Selbstläufer stellte dieser Pioniergeist allerdings nicht dar: „Es gab ab dem Moment wieder Reibung, als deutlich wurde, dass wir israelsolidarisch waren. Was dazu führte, dass wir in einigen AZs nicht mehr willkommen waren. Ich erinnere mich an Konzerte, bei denen wir Knüppel auf der Bühne gebunkert hatten. Wir hatten zwar bald einen Lauf mit dem Sound von Egotronic und dem ganzen Drumherum, aber ganz so einfach darf man sich das alles auch nicht vorstellen.“
Bemerkenswert ist sicher auch, wie variabel Torsun seine Musik immer hielt. Hätte er Ende der Nuller Jahre Egotronic auf den erfolgreichen Rave-Sound (den er entscheidend mitgeprägt hatte) zementiert und ab da Erwartungshaltungen bedient, wäre für das Projekt finanziell sicher noch einiges mehr drin gewesen. Torsun hatte aber wirklich überhaupt kein Interesse an einer Selbst-Musealisierung, die viele andere Acts betreiben. Er variierte stattdessen seine Band, setzte zeitweise musikalisch wieder auf ein tradiertes Punkrock-Outfit, blieb im Sound letztlich nie auszurechnen und hielt so die ganze Musiksache (vor allem auch für sich) unglaublich lebendig.
ENDE 2022
Dass er sich im letzten Dezember von seinem longlasting „Baby“ Egotronic trennte, überraschte viele seine Anhänger*innen. Aber Torsun wollte wieder freier Musik aufnehmen. So entstand das Album „Songs To Discuss In Therapy“ von Torsun & The Stereotronics. Den Namen Stereotronics hatte sich seine Frau und Mitmusikerin Selina ausgedacht, das „Torsun“ davor sahen sie eher als Kompromiss, um für die Community noch ein bisschen Hilfestellung beim Wechsel von Egotronic zu Stereotronics zu leisten. In dem Podcast-Talk zu diesem Album, der Dezember 2022 stattfand, hieß es, für die zweite Platte wolle man ihn dann aber streichen – und zu dritt (mit Christian Schilgen) bloß noch The Stereotronics sein. Neue Band, neues Glück.
2023
Keine zwei Monate später platzt der Traum einer zweiten Platte mit The Stereotronics, muss Torsun doch ins Krankenhaus und sich mit der letalen Diagnose auseinandersetzen. Speiseröhrenkrebs, der bereits in die Leber gestreut hat. Nichts mehr zu machen.
An diesem Punkt befinden wir uns also, als ich versuche, mit dem Wolfgang-Herrndorf-Zitat irgendwie die Metastasen abzumildern.
Torsun sagt, dass er sich nun wirklich nicht vorwerfen könne, nicht alles er- und vor ausgelebt zu haben. Dass er die Jahrzehnte mit Band und allem Drumherum so geliebt hat. Aber auch dass er in der letzten Dekade, die er mit einer Rheuma-Erkrankung kämpfte, viel Kraft gelassen habe.
Plötzlich kommt Torsun darauf zu sprechen, er habe engen Freunden zusätzlich zur Nachricht seines bevorstehenden Todes gleich noch ein paar selbstgebastelte Memes zum Thema mitgeschickt, „um die Stimmung etwas aufzulockern“, wie er sagt.
Wie krass ist das denn, denke ich, versuche aber nicht allzu fasziniert zu klingen, weil ich fürchte, dass er sie mir diese eigenen Death-Memes sonst auch noch rübersendet. Interessieren würde sie mich schon, aber wer soll das bloß alles aushalten?
Im Laufe des Jahres gibt Torsun allerdings immer mal wieder Kostproben seines schwarzen Humors. Zu einem Posting hinsichtlich einer seiner Lieblingsbands Hammerhead, kommentiert er, er wäre Fan auf Lebenszeit – was aber natürlich nicht soviel hieße bei ihm. Du lieber Himmel. Wie krass, wie unmöglich, wie authentisch. Wie Torsun eben.
DANACH UND STUNDEN SPÄTER
In einem Interview, das ich kurz nach der öffentlich gemachten Diagnose führe, kommen wir erneut auf das Thema zu sprechen. Torsun sagt: „Ich bastele hier aber sicher nicht die ganze Zeit lustige Memes übers Sterben. Mein Anspruch ist bloß, dass ich offen mit allem umgehen will – und nicht einfach den Schein wahren möchte. Ich muss aber nicht der taffe Typ sein, dem der Krebs am Arsch vorbeigeht und der noch lachend in den Tod rennt.“
Jetzt ist es also geschehen. Torsun ist am Vortag zu Silvester 2023 gestorben. Es passierte nicht aus heiterem Himmel, Torsun hat der Krankheit noch quasi das ganze Jahr abgetrotzt, hat eine Best Of veröffentlicht, Dinge geordnet und Zeit mit seinen Liebsten verbracht, wie er es immer wollte.
Er war bis zuletzt selbst bestimmt und hat mich persönlich im Sterben mindestens genauso beeindruckt wie im Leben. Torsun hinterlässt ein tiefes Werk an Songs, Sounds, Alben – ein unerschöpflicher Soundtrack, in dem es viel (wieder) zu entdecken gibt.
Mir gefällt die Vorstellung, dass sich in dieser Musik auch ganz viel von Torsuns Wesen, von seinen Ideen und Visionen verpackt findet. Zusammen mit der Erinnerung an diesen liebenswerten Typen ist das doch schon mal eine ganze Menge. Vorrat für schlechte Zeiten.
Mensch, ich liebe Dich, Torsun.
Text: Linus Volkmann