Der Rückführung ihre Fortsetzung

Zehn Tage vor zehn Jahren – auf Lesereise mit Torsun (Teil II)

28. März 2023,

Fortsetzung, Leute… jetzt wird’s ernst: Vor zehn Jahren bot sich mir also die Möglichkeit, mit Torsun Burkhardt von der Band Egotronic auf eine zehntägige Lesereise quer durch Deutschland zu gehen. Wir kannten uns vorher kaum. Danach war (nicht nur) das anders. Danke für alles, Torsun!

DRESDEN: Rare Footage, die zwei großen Antagonisten der Zehner Jahre auf einem Bild

Für unsere Reise besaßen wir auch einen ganz eigenen Tour-Rider mit: Stängel, Schoten, Löwenzahn / Rohkost allg. / 1 Pckg Erfrischungsstäbchen / 18 Ampullen Actimel / Bepanthen Tube / Ein lustiges Taschenbuch / die neue inTouch / 1/3 Heizöl / 2/3 Benzin / 1 Flasche Bier für Torsun (Jever Fun?) / 1 Fläschchen Underberg

21.11. DRESDEN / Chemiefabrik

Mit Torsun nach Dresden? Das ist wie auf Rollschuhen in die Oper, wie an der Seite eines Dämon den Dom betreten, das ist wie mit einem Panzer auf den Skilift und so weiter!
Kaum ein Mann hat nach Kriegsende dem „Elb-Florenz“ (Quelle: Wikipedia) beziehungsweise dem „Pegida-Scheißkaff“ (Quelle: indymedia) mehr Schaden zugefügt als der dunkelhaarige Wuschelkopf, wie ich Torsun hier mal bezeichnen möchte, um ständige Namenswiederholungen zu vermeiden. Mit dem Song „Ten German Bombers“ von Torsun featuring Koks & Pillen erschuf er es einst das Genre des antideutschen Ballermann. Der provokativ positive Bezug auf die Bombardierung Dresdens taucht dann erneut in Torsuns legendärer „Büttenrede“ auf. (Ich hoffe, man kann das verlinken, ohne dass sich sofort alle Algorithmen gegen diesen Text hier verschwören werden)
Man muss sie hier natürlich noch mal rausholen. Zu witzig, zu obszön.

Wer ja an der politischen Unerschrockenheit von Torsun gezweifelt hätte, hier ist der Beweis, dass kein Shitstorm der Welt Torsun je abgehalten hätte, für seine Überzeugung einzutreten. Und die lautet eben bis heute „Deutschland, Arschloch, fick dich!“ – wobei er bei aller Provokation nie die Kontexte vernachlässigt. Seine Empörung gilt konkret vor allem einem internalisierten deutschen Rassismus und Antisemitismus.
Diese Büttenrede griff seinerzeit dann auch die BILD-Zeitung Dresden auf – und übte Kritik an dem „hasserfüllten Antifa-Clown“, oder so ähnlich.
„Nur die Dresden-Lesung überstehen“ ist mein Mantra aus dieser Zeit daher.
Wir haben Glück.
Weder Dynamo-Hools („Die Faust des Ostens“) noch organsierte und/oder besoffene Glatzen tauchen auf, wir tragen vor normalen Linksradikalen vor. Eine davon stellt sich beim Rauchen später als Paula Irmschler vor. Dass auch sie wie Torsun meinen Weg durch die Welt noch entscheidend beeinflussen wird, weiß ich an diesem Abend noch nicht. Gruß an dieser Stelle aber auch an Sebastian Siegert, ein Torsun-Fan 3000.
Soviel zu (nobody’s) Schatz-Stadt Dresden. Ah, Moment, es gibt aber noch ein Performance-Foto von diesem Abend. Torsun schreit mal wieder schön die Gäste an, das will ich euch nicht vorenthalten!

Abends kommen wir erneut in einer Künstlerwohnung unter – erneut eine, die auch für Big Bands mit Bläsersektion Raum bieten kann. Zu zweit heißt das für uns: Stockbetten-Hopping. Ein bescheidener Luxus, aber auf jeden Fall ein Luxus. Torsun, das lerne ich auf der Reise, ist kein Langschläfer, viel eher steht er schon mit den Hühner auf wie ein Landwirt mit Sturmhaube – und gibt sich fröhlich und rastlos allerlei Tätigkeiten hin. Eine davon ist, sehr viele Serien auf seinem Laptop zu sehen. Von „Walking Dead“, deren Hauptfigur Rick Grimes übrigens eine frappierende Ähnlichkeit mit unserem Alptraum aller Dresdner aufweist, erfahre ich erstmals auf dieser Reise. Torsun hat überhaupt überall seine Äuglein – und gibt sich mir in dieser Nacht als großer Fan von „Boston Legal“ zu erkennen. Ich so: Hä?! Er so: Okay, komm, guck dir sofort zwei Folgen am Stück an, während ich dich dabei wie ein Habicht beobachte. Ich so: Wirklich? Er so: Mach schon!
Und was soll ich sagen? Das erste, was ich nach der Tour tat, war, mir auf ebay zwei DVD-Boxen „Boston Legal“ zu ersteigern und außerdem eine britische Zombie-Mockumentary, die im Big Brother Haus spielt, dem einzigen Ort, der nichts von einer Zombie-Apokalypse drumrum mitgekriegt hat. Ebenfalls eine Empfehlung meines Begleiters. Genau, „Dead Set“ heißt die. Bin ich eigentlich sehr beeinflussbar, frage ich mich? Schon. Aber hey, wenn es um gute Sachen von guten Leuten geht, ist das doch eigentlich eine gewinnbringende Sache!

DRESDEN. Sieht komisch aus? Hey, vielleicht haben kurz vor uns da Kraftklub, die Puhdys, Müllstation oder Achim Mentzel in die Matratzen gewichst. Aufregend!

22.11. BERLIN / Monarch

Eine meiner liebsten Zeilen der einstigen Emo-Band Get Up Kids stammt aus dem Song „Out Of Reach“ und sie lautet „I’ve got pictures to prove I was there / but you don’t care“. So geht es mir ein wenig mit diesem Abend. Ich bin froh, dass es diese tollen Beauty-Shots von mir und Torsun gibt, die vor dem Laden gemacht wurden – und noch dieses eine Schöne gemeinsam am Kicker.

Ich erinnere mich mittlerweile fast nur noch an diese Bilder, kaum an die Veranstaltung selbst. Dabei ist sie ausverkauft, findet am Kottbusser Tor im Monarch statt, aber ich würde lügen, wenn ich behaupte, jene Nacht würde sich nicht mit den Erinnerungen anderer Berlin-Shows über die Jahre vermischen. Da erscheint dieser einzige Besuch in Bayreuth inklusive Haxen-Horror weit mehr unique auf dem unaufgeräumten Memory-Stick im Hirn. Dennoch … hier auch mal love für Berlin, was dort immer alles möglich ist und eben auch mehrmals. High Five selbst von Leuten wie mir, die einen kaum verschleierten Hauptstadthass vor sich her tragen.

23.11. BRAUNSCHWEIG / Nexus

Braunschweig… ich sag mal so: Auch nicht gerade so ein Sehnsuchtsort wie London, Hawaii oder Walhalla – und sehe mich bestätigt, als ich am tristesten Ort der Welt Unterkunft finde. Dem Ibis Budget Saarbrückener Straße. Hier der Blick aus dem Fenster.

Dennoch gerät dieser Abend zu einem auffälligen Highlight, da Torsun hier sehr aufregende Leute kennt. In deren WG „hängen wir ab“, wie ich in meiner überholten Jugendsprache mal formulieren möchte. Ich erfahre etwas über linke Ultra-Gruppe bei Eintracht Braunschweig und wie sie von Vereinsführung und rechten Haufen aus dem eigenen Stadion vertrieben worden, zudem geht es viel um den damaligen Mariacron-Hype, der sich besonders von diesem wunderbaren Studio-Braun-Clip flankiert sah.

BRAUNSCHWEIG. Nicht ich werde von Besucher*innen um Bilder ersucht, nein, bei mir ist es umgekehrt. Es handelt sich bei den beiden Betroffenen um eineiige Zwillinge. Wie die Protagonisten meines Buchs „Kein Schlaf bis Langenselbold“, aus dem ich Abend für Abend vortrage. Ich bin fasziniert. Magisch, dass Zwilling zu meinem Zwillingsthema kamen. Die beiden so zur Uhr blickend: „Jo, wir müssen dann auch mal.“

BRAUNSCHWEIG. Überhaupt überschlagen sich die wertigen Medien wegen unserer Lesereise. Okay, Rechtschreibfehler in der Überschrift, warum nicht?

24.11. MÜNSTER / Eule

Ein freundlicher, aber zur Abwechslung mal nicht komplett überreizter Abend, den wir dankend annehmen, um ein wenig durchzuschnaufen. Ich möchte diesen skandalfreien Stop nutzen, die Reisetätigkeiten von Torsun und mir mit der Bahn noch mal in den Fokus zu rücken.
Torsun mag zwar ein unruhiger Light-Sleeper im Bette sein, ein Typ, der ständig noch oder schon wieder auf ist – was er allerdings auch gut kann, ist wie ein bärtiges Baby auf der Schiene immer sofort einzuschlafen, wenn sich nur annähernd eine Gelegenheit dazu ergibt.


Die von mir erhofften, guten Gespräche auf der Strecke zwischen Limburg und Montabaur fallen auf dem Trip daher genauso aus wie intime Geständnisse während der Zugteilung in Hamm. Torsun holt in rauen Mengen verpassten Schlaf im Großraum nach. Ich beobachte und fotografiere ihn dabei. Okay, damals mag das durchaus creepy gewesen sein, heute aber freut man sich drüber!
Der reale Umstand, dass Torsun quasi alle Transfers unserer Tour verpennt hat, gerät schnell zu einer aufgekratzten Anekdote. Ein paar Jahre später wird Torsun Gast bei meiner Lesung in Berlin sein – auch dort spreche ich ihn an auf seine partielle Schlafwagen-Mentalität (siehe YouTube-Link ganz unten).

So voll wurde es bei Torsun vor allem, wenn ich nicht dabei war (Bild stammt vom Melt-Festival) 

25.11. HAMBURG / Übel & Gefährlich

Tourabschluss in Hamburg? So ist’s recht. Denn auch hier reicht’s für ein volles Haus. Vor lauter Glücksgefühlen, dass die kräftezehrende Tour endlich ihr Ende findet, buche ich Torsun und mir zwei Zimmer in dem legendären eiweißigen Stockschimmel-Hotel Atlantic – nahe meiner Lieblingskneipe Mutter. Diese ganzen Künstlerwohnungen, die wir zuletzt meist sahen, sind mir letztlich eher suspekt geblieben. Was ich allerdings an diesem überteuerten Auffanglager für notgeile Vertreter, die sich nur von Filterlosen und schwarzem Kaffee ernähren, finde, ist mir heute ein echtes Rätsel. Nun gut!
Es geht schon mal wild los, da Torsun und ich Gäste sind bei der YouTube-Show „Im Bett“.
Überhaupt erscheint mir der komplette Abend spektakulär. Kein Wunder, denn in Hamburg muss man nicht gucken, wie man seine Gags aufs erratische Publikum abstimmt, nein, hier kapieren einfach alle jede Anspielung, ich liebe es! Der ganze Abend wird auch gefilmt, aber natürlich schaue ich mir diese Aufzeichnung nie an. Nur so kann ich weiter in dem Glauben bleiben, dass ich in der zweiten Hälfte unserer Show, als ich mittlerweile total besoffen und drauf bin, NOCH besser denn je performt habe. Ich lerne zudem Bebi Lisa kennen, die mir gerade wieder meinen Vorspann bei Instagram gestaltet hat. Nach der Veranstaltung gehen wir noch mit allen Leuten und Umstehenden in die bereits genannte Bar „Mutter“. Ich bin längst nicht der einzige, der dort dann überhaupt nicht mehr zu bremsen ist. Später „auf Zimmer“ im Hotel Atlantic haben wir noch eine After Show Party – und beim traditionellen Hamburger Ringkuss küsse ich auch mit Torsun.

Das waren zehn Tage irgendwann in den Zehner Jahren. Lange vorbei, doch ich bin glücklich, sie erlebt zu haben. Torsuns positive Art hat mich nachhaltig beeindruckt. Wie kann man nur so geraderaus und kraftvoll und warm sein? Ein echtes Geschenk in all den schlecht gelaunten Schlangengruben – digital wie analog.
Torsun, ich liebe dich.

Text: Linus Volkmann

PS: Bei der Recherche für diesen Artikel habe ich auch einige Videoclips von Torsun und mir gefunden. Da habe ich hier mal was draus compiliert. Nicht erschrecken beziehungsweise viel Spaß!

 

 

 

 

 

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