CHILDREN - "Hype"

Was ist dein Hype?“ – CHILDREN & der Blick in den Rückspiegel

CHILDREN (Photo: Marco Lehmbeck)


Das Berliner Duo CHILDREN meldet sich nach sechs Jahren Pause mit einem Sound-Update und dem neuen Album “Hype” zurück.

Benedict Weskott traf Steffi Frech und Laura Daede für Kaput, um über ihre Neigung zum melancholischen Zurückschauen und genau: Hypes zu sprechen.

„Die Zukunft fängt erst morgen an.“ Naheliegend, könnte man meinen, aber CHILDREN geht es hier nicht um eine Begriffsdefinition, sondern um die Beschreibung des Zwischenzustands. Das Vergangene noch nicht ist oder gerade erst vorbei, die Zukunft noch nicht da. Was also tun in der Gegenwart, im permanenten Dazwischen?
Laura Daede und Steffi Frech haben selbst keine Lösung parat, so viel sei vorweg verraten. Aber die Analyse und Beschreibung, darauf haben sie sich festgelegt und suchen nach dem, was Generation X, Y, Z oder wie auch immer sie gerade heißen mag bewegt. „Was ist dein Hype?“, fragen sie deshalb und schauen damit auf die gefühlte und erlebte Kurzlebigkeit der Gegenwart.

Angefangen haben CHILDREN zu dritt mit Gitarrist André Heldt, deutlich elektronischer und mit Bock auf Offensive. „I don’t wanna run away / I want to start a riot“, hieß es auf ihrer ersten EP “No Future” aus dem Jahr 2012. Nach dem Debütalbum „Leaving Home“ sei es Zeit gewesen, sich zu überlegen, wo es mit der Band musikalisch hingehen soll, sagt Steffi Frech. „Wir haben uns Zeit genommen, um herauszufinden, was die Vision ist, die wir teilen. Und das hat gedauert. In den letzten zwei Jahren haben wir aktiv an der neuen Platte gearbeitet und davor war es vor allem eine Findungsphase.“ Zu dieser Findungsphase gehörte es auch, dass Heldt die Band (in aller Freundschaft) verließ und damit auch personell ein Neustart anstand.

Lässiges Storytelling und sarkastische Zustandsbeschreibungen sind die zwei Tragpfeiler der neuen Platte. Dass wir schon in der technisierten Zukunft leben, die sich vor einigen Jahren noch niemand vorstellen konnte, beeinflusst die beiden hörbar: Wie umgehen mit moderner Technik, mit sozialen Medien, mit der digitalen Dauerbespielung?
„Blick im Meer, der Speicher voll, es war nie anders“, heißt es in „Die Zukunft“. Handy und Powerbank immer dabei, dauernd online, immer erreichbar? Oder „digital detox“? „Es ist komplett ambivalent. Dieser innere Widerspruch ist auch das, was wir dann in die Songs zu packen versuchen“, sagt Frech. „Für uns ist es genau immer das: Dass man eine Sache denkt oder macht oder weiß, man sollte nicht, und dann macht man es aber doch. Das auszuhalten, diese Art von Konflikt in sich mit der Zukunft.“

CHILDREN (Photo: Marco Lehmbeck)

Um das Album zwar durch einen übergreifenden Vibe tragen zu lassen, dabei aber nicht zu gleichförmig zu klingen, arbeiteten Frech und Daede mit verschiedenen Produzent_innen zusammen, die ihre jeweils eigene Herangehensweise und Technik in den Sound einbrachten. Die 80er-Ästhetik mit Vaporwave-Anleihen und Balearic-Elementen wird so immer wieder um Nuancen erweitert oder auch reduziert. „Das Verbindende ist, dass unsere Vision für die Songs jeweils schon relativ klar war, wenn wir ins Studio gegangen sind“, sagt Frech. Bei der Vorabsingle „Forever & Ewig“ sind das beispielsweise Steel Drums, die dem Song einen Schuss Karibik einrühren, und natürlich die Texte, die vom Hinter-sich-Lassen und Weitermachen handeln („Ich lege alles ab“, „Du fragst, wieso, und weißt genau, wieso“, „Wenn ich dich noch brauch, liegt das nicht an dir“). Über dem Song wabert auch etwas vom Geist der Neue Deutsche Welle, direkte Referenz ist er aber nicht. Dafür das Video aber umso mehr: In stylischen Bildern wird hier eine „Thelma & Louise“-Story nacherzählt, die im Bungalow an einem Brandenburger See endet.

Der Posterboy der Platte ist „Forever & Ewig“, ein Song wie ein Nachmittag im Liegestuhl am Strand, Cocktail in der Hand, Wellenrauschen vor Augen, Sonne auf der Haut. Aber dazu gehört auch der Bruch, der kleine schwarze Fleck auf dem Urlaubsfoto, der einen zum Nachdenken bringt: „Ewig ist für jetzt und hier.“

CHILDREN beschäftigen sich auf „Hype“ viel mit Zeit und das auf verschiedenen Ebenen: Zeit als Strukturgeber, Zeit als Determinant von Anfang und Ende, Zeit als relative Messgröße, und auch Zeit als emotionaler Halt. So zieht sich durch den Balearic-beeinflussten Sound á la GOLF, Von Spar und Stabil Elite ein kleiner bis mittelgroßer Riss, durch den Melancholie und Nostalgie in den Sonnenschein sickern.

CHILDREN (Photo: Marco Lehmbeck)

„Man entfernt sich immer mehr davon, die ältesten Songs sind jetzt zwei, drei Jahre alt. Da hat man dann schon langsam einen andere Bezug zu und denkt: Okay, das klingt wie ein Zeitzeugnis und ist nicht mehr das aktuelle ‚Wir‘ oder das aktuelle ‚Ich‘“, sagt Laura Daede. Insofern beschreibt das Album auch den Weg, den CHILDREN musikalisch und kreativ gegangen sind und hinter sich gebracht haben. Zuerst gab es – wie gewohnt – englische Songtexte, dann kamen nach und nach immer mehr deutsche Zeilen dazu und letztendlich ist das Album jetzt mit je fünf (überwiegend) englisch- und deutschsprachigen Songs sozusagen paritätisch in der goldenen Mitte gelandet. Auch, aber nicht nur, um Deutsch als gesungene Sprache wieder ein bisschen cooler zu machen. So schlagen Frech und Daede mit ihrem „Transformationsalbum“, wie sie es nennen, ein neues Kapitel auf, das Vorzeichen für ihre musikalische Zukunft sein soll.

CHILDREN (Photo: Marco Lehmbeck)

„Hype” verbindet den Blick nach vorne und den Blick zurück: „You’re getting ahead of me, in front of our history / And then you see me looking back in the mirror“, heißt es in „Mirror“, dem ältesten Song des Album, der vor drei Jahren noch zu dritt geschrieben wurde und Teil einer EP werden sollte, die CHILDREN letztendlich aber zugunsten ihrer Neufindung verwarfen. Deshalb ist „Die Zukunft“ auch als Opener gesetzt, die Prospektive in den Vordergrund gestellt, aber gleichzeitig auch die Gegenwart, die oft einem ständigen Warten gleicht auf das, was noch kommt. „Das ist immer auch mit einem kleinen ironischen oder zynischen Unterton gedacht“, sagt Daede. „Und es ist schon eine gewisse Grundhaltung von uns, die aber jetzt gar nicht aus einem Sich-drüber-Stellen kommt, sondern mehr aus einem Modus von ‚Ich weiß gar nicht, wie ich sonst damit umgehen soll‘, weil: Es ist einfach nicht unlösbar.“

Und dieses Eingeständnis ist letztendlich  befreiend. So befreiend, dass daraus ein lässiges Album wie „Hype“ wurde. Mit einen Haufen Ohrwürmer und vielen kleinen Denkanstößen, die lange nachhallen.

“Hype” von CHILDREN ist auf Grönland Records erschienen. 

 

 

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