Florence Jimenez Otto – Interview

Stress als Statussymbol?

Ein paar Monate vor dem Berlin Atonal Festival landete eine Mail von Florence Jimenez Otto in meinem Eingangsfach, die den Betreff „Counseling for Creative Industries” trug, sich an “dear creative friends and music colleagues” richtete und “Mental Support for Creative Minds” anbot. Bis dahin hatte ich Florence Jimenez Otto als sympathischen und sehr zuverlässigen Pressekontakt des Festivals und ausgewählter Themen im Feld der Elektronischen Musik gekannt. Mein Interesse für ihre berufliche Veränderung war dementsprechend sofort geweckt und so verabredeten wir uns zu einem Gespräch im Rahmen des Atonal Festivals.

Musikauswahl für den Beitrag: Florence Jimenez Otto

Florence, wie kam es denn zu der Idee neben der Pressearbeit für Künstler_innen und Festivals nun auch noch therapeutische Beratung anzubieten?
Florence Jimenez Otto: Die Idee geisterte seit mindestens vier Jahren in mir rum. Vielleicht fange ich bei meinem Background an. Ich bin 2010 wegen elektronischer Musik nach Berlin gezogen. Ich wollte unbedingt in dieser Branche arbeiten, ohne dass ich eine genaue Vorstellung gehabt hätte, was es da für Berufsfelder gibt. Ich bin eher durch Zufall in der PR gelandet – und habe da lange Jahre sehr gerne gearbeitet. Ich konnte mich mit dem Umfeld und den Künstlern stark identifizieren. Zwei Jahre lang war ich fest in einer Agentur, danach dann als Freelancerin in diversen Settings – ich hatte beispielsweise Word & Sound, Marcel Dettmann und Berlin Atonal als Kunden.

Das war deine eigene Agentur?
Ich habe das eine zeitlang unter einem eigenen Namen gemacht, das aber nie vorangetrieben. Warum eigentlich? Rückblickend kann ich sagen: mein Elan und meine Stärken liegen in anderen Bereichen, ich bringe nicht mit, was es braucht, um eine PR-Agentur langfristig am Leben zu halten.
Es war ein schleichender Prozess, in dem ich merkte, dass ich immer weniger Erfüllung aus der Arbeit für mich herausziehen konnte. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass meine Energie, mein Input in dem damaligen Setting ins Leere liefen. Ich bin deutsch sozialisiert und hatte das Mindset, Stress als Statussymbol zu sehen, immer busy, immer noch mehr Projekte anzunehmen und auf die Zukunft hinzuarbeiten – und dabei nicht zu sehen, was jetzt ist.

Weil du es ökonomisch brauchtest? Oder des Wachstums wegen?
Das ist ja immer relativ, wieviel braucht man denn eigentlich? Ich habe bis zum Schluss, als ich beschloss ein paar wichtige, verändernde Entscheidungen zu treffen, sehr gut verdient. Finanzielle Not war kein Antrieb mehr, es war eher das klassisches “alles muss mehr werden” Prinzip: „mehr Projekte bedeuten mehr Erfüllung“, „größere Künstler bringen mir mehr Ansehen“.

Auch weil du bemerkt hast, dass es die Leute, mit denen du zusammengearbeitet hast, so von dir erwartet haben? Gab es Druck von den Labels und Künstlern und Festivals?
Ich würde schon sagen, dass ich mich in einer Art Strudel befand. Es wurden an mich keine expliziten Erwartungen gestellt, vielmehr folgte ich unbewusst dem, was die Leuten um mich herum lebten: „mehr“, „größer“ und so fort.
Parallel zum Gefühl von meiner Arbeit nicht mehr so inspiriert zu werden, stellte ich bei mir einen Zynismus fest, ich war sehr wertend. Mein Leben bestand überwiegend nur noch aus Arbeit, nicht zuletzt da ich mich mit dem Umfeld so stark identifizierte. Es spitze sich dann zu – bis ich an den Punkt kam, wo ich nicht nur geistig erschöpft war, sondern auch körperlich keine Kraft für irgendetwas mehr fand. Es gab diesen einen Tag, an dem ich keine Email mehr abschicken konnte. Ich konnte mich bis dahin immer gut zusammenreißen: Schmerztablette, Zähne zusammenbeißen. Aber es kam zu dem Punkt, an dem ich körperlich nicht mehr konnte und mir keine andere Wahl blieb als den Stecker ziehen.

Du bist vor deinem Rechner gesessen und konntest einfach nichts mehr schreiben?
Das ist schwer zu beschreiben, es fühlte sich so an, dass mein Körper mich in die Knie zwang und sich weigerte zu schreiben. Rückblickend kann man sagen, dass das die Spitze des klassischen Burnout-Verlaufs war.

Das war während der Stresshochphase von einem Projekt?
Gar nicht mal so sehr. Das war Anfang 2017, eher während einer ruhigen Phase.
Ich hab mir damals eingestanden, dass ich so nicht weitermachen konnte. Aber ich konnte auch nicht sofort komplett aufhören zu arbeiten, ich war ja nie angestellt. Deswegen hatte ich nicht in die offizielle Arbeitslosenversicherung eingezahlt und auch nie eine private abgeschlossen. Es war klar: wenn ich aufhöre, verdiene ich kein Geld.
Deshalb habe ich meine Aufträge schrittweise reduziert, erstmal eine Sache gecuttet, dann die nächste, und mich finanziell vor allen Dingen sehr stark eingeschränkt. Es war ein langer Prozess, in dem es um finanzielle Sachen ging, aber natürlich auch darum, dass ich es mir nicht eingestehen wollte, dass ich nicht mehr in mein altes Set-Up zurück konnte. Es war mir sehr unangenehm das offen auszusprechen, da der Konkurrenzdruck groß ist. Ich wollte nicht, dass jemand sagt: „Florence kriegt ihren Kram nicht mehr auf die Reihe“

Das heißt, du hast das deinen Kunden nicht transparent gemacht?
Manchen ja, manchen nein. Da wo das Vertrauensverhältnis da war, habe ich schon Einblick gegeben, bei anderen habe ich damit hinter dem Berg gehalten.
Ich fand das Thema mental health schon seit einigen Jahren super spannend. Ich spürte auch, dass ein paar Künstler und Kollegen, mit denen ich zusammenarbeitete diesbezüglichen Input von mir schätzten. Zu der Zeit ging es auch los, dass sich immer mehr Djs und Künstler dazu bekannten, dass sie an Angstzuständen, Erschöpfung und Depressionen leiden. Also dachte ich mir: „Warum nicht eine Coaching-Ausbildung machen?“ – zumal ich Psychologie und Soziologie studiert habe –, und das im Bestfall in dem Netzwerk anzubieten, in dem ich mich auskenne. Damals wusste ich nicht, ob das irgendjemand interessiert, aber das war auch egal, die Ausbildung machte ja für andere Bereiche wie Weiterbildung und Erwachsenenbildung genauso Sinn.

Wo hast du das gemacht?
Bei einem Coaching-Institut hier in Berlin, wo die Ausbilder alle einen künstlerischen Background haben, ohne dass die Ausbildung aber auf die Kreativbranche ausgerichtet ist. Die arbeiten überwiegend mit Businesskunden zusammen, haben selbst aber alle Schauspiel- oder Gesangsbackground.
Das war die beste Entscheidung, die ich bislang in meinem Leben getroffen habe. Einerseits weil es inhaltlich super spannend ist – aber auch da es eine gute Therapie für mich selber war.

Wie lange ging die Ausbildung?
Ein Jahr.


Und hast du dir vorher selber Beratung wo geholt?
Du meinst, ob ich eine Therapie gemacht habe? Ja, ich habe eine Therapie angefangen.

Man muss ja die eigenen Probleme erst lösen, bevor man anderen angemessen helfen kann.
Genau. Als ich verstanden hatte, dass es so nicht mehr weiter gehen kann, habe ich die Therapie angefangen, viel Joga gemacht – was nach Klischee klingt, ich weiß – und die Coachingausbildung begonnen. Die Kombination aus den drei Sachen hat mir sehr geholfen.

Der Geist, der Körper und die Perspektive. Da steckt alles drin.
Ich habe mich neu kennengelernt und konnte mich so neu ausrichten.

Psychologie hast du aber nicht in Berlin studiert?
Nein, das war noch in Erlangen, mit Schwerpunkt auf Organisations- und Sozialpsychologie.

Hast du eher individuelle Künstlerinnen und Personen aus der Medienbranche als Kund_innen oder auch Firmen und Institutionen?
Firmen und Institutionen noch nicht, ich habe eine Kooperation mit der dbs Music School, wo ich bislang eine Lecture gehalten habe. Meine Klienten sind vorwiegend DJs, Booking-Agenten und Menschen, die gerne DJ oder Musiker sein wollen und parallel in der Musikindustrie arbeiten. Das Spektrum erweitert sich aber auch auf die Filmbranche.

Sind das Leute, die du vorher schon kanntest durch deine PR-Tätigkeit?
Nicht direkt. Die sind neu durch die Ausrichtung und durch Bekannte auf mich zugekommen.

In deinem Mailout sprichst du von drei bis vier notwendigen Sitzungen. Das hat mich überrascht, da ich angesichts des Problemfeldes doch mit mehr rechnen würde. Bleibt das wirklich dabei oder bedarf es nicht doch einer Kontinuität der Beratung?
Die Leute kommen mit einem ganz konkreten Problem, das sie gelöst haben möchten. Am Anfang legt man also fest, woran man erkennt, dass man es gelöst hat, dann erarbeitet man den Lösungsweg und ich begleite die Leute – dann ist es aber auch abgeschlossen. Drei bis vier Sitzungen sind ein grober Richtwert, um zu verdeutlichen, dass das Ganze immer ein Prozess ist. Manche kommen öfters, bei anderen kam man schneller zu dem gewünschten Ergebnis.
Was du ansprichst ist ein Therapiesetting, wo man regelmäßig hingeht und die allgemeine Lebenssituation bespricht. Was ich mache ist Coaching, Beratung, sehr konkret auf ein Thema zugeschnitten.

Beispielsweise jemand, der mit seinem Touralltag nicht zurecht kommt, Erschöpfungszustände hat?
Ja, genau. Oder Fragen wie: „Wie kann ich mich besser nach Außen kommunizieren?“ – da geht es um Selbstzweifel, das Gefühl, dass generell der Alltag so stressig ist, dass die Stimmung leidet. Aber es geht auch um Konfliktthemen: „Wie kann ich besser eine Grenze zu meinem Agenten setzen?“, „Wie kann ich effektiver mit meinen Künstlern kommunizieren?“

Wie individuell sind die Fälle. Kommen oft die gleichen Punkte? Siehst du Patterns?
Oft gibt es die Idee eines Bildes, dem die Leute entsprechen wollen: So trete ich als Künstler auf, so verhalte ich mich als Agent – was sich aber nicht mit der Persönlichkeit deckt. Das ist vielleicht ein ganz dünner gemeinsamer Nenner, ansonsten ist es aber schon sehr individuell.

Das Mixmag Magazin hat diesem Monat eine Titelgeschichte über Burnout und Depressionen gemacht. Schau ich mir aber die Tourpläne der Künstler_innen an, dann scheint sich nichts zu ändern. Inwieweit gelingt den Leuten wirklich die Auflösung – oder arbeitet man doch eher kosmetisch?
Auflösung ist die falsche Frage – anders damit umgehen, im Außen Entscheidungen treffen, um bessere Bedingungen und Perspektiven zu schaffen, darum geht es. Auflösen kann man es sowieso nicht, wir sind alle immer Stressfaktoren ausgesetzt, es ist eher die Frage, wie geht man damit um.
Die ganze mental health Diskussion ist aktuell ein sehr populäres Thema, was gut ist, andererseits stellt sich die Frage: Was ist denn der nächste Schritt? Habe ich wirklich einen Veränderungswunsch? Habe ich einen gewissen Leidensdruck? Wenn ja, bringt das eine ganz andere Motivation rein – und man holt sich jemanden, mit dem man zusammenarbeitet.

Deswegen ja die Frage nach der Kontinuität. Uns allen stellen sich ja permanent Entscheidungsfragen. Man muss also lernen nein zu sagen. Man muss sich von Erwartungshaltungen frei machen. Das im Alltag zu implementieren, das ist sicherlich nicht leicht.
Nein, es ist ein Lernprozess und erfordert ständige Arbeit an sich selbst.

Inwieweit sorgt der Austausch mit dir dafür, dass die Leute ihr Setup aus Label, Management, Booker in Frage stellen? Siehst du, dass die Leute ihre Organisation umbauen? Es geht ja oft nicht nur im individuelles Verhalten (zuviel Party, zuviele Drogen), sondern auch um ein ungesundes Geschäftsumfeld, der Booker, der dir zuviele Auftritte unterjubelt…
Das kommt vor, dass in den Beziehungen zum Manager und der Agentur nachjustiert wird: Was erwarten die und was will ich als Künstler, was sind meine Bedürfnisse, und wo habe ich mich in eine Drucksituation begeben. Weniger spielen, eine Pause einlegen, bei einem anderen Label veröffentlichen, das sind dann Optionen.

Denkst du, dass man zwangsläufig Karriereambitionen runterschrauben muss, um das Setting besser für sich zu gestalten oder reicht bereits ein Perspektivwechsel? Viele spielen ja doppelt so oft wie sie eigentlich wollen, da sie denken, es gehört zum Karriereaufbau dazu, viele geben Interviews obwohl sie es eigentlich nicht wollen…
Da sind wir bei dem Bild, das viele Leute vom Künstlersein haben, das ich vorhin angesprochen habe. Ob das immer so laufen muss, das kann ich dir ehrlich gesagt auch nicht beantworten. Viele wollen zu einer großen Agentur, um mehr Gigs zu bekommen, haben aber keine Idee davon, was das für den Alltag bedeutet. Will ich das? Bin ich dem gewachsen? Was sind die Folgeerscheinungen? Viele werden ja auch nicht aufgeklärt. Manche Bookingagenten und Manager haben ein Interesse, den Künstler zu pushen, weil ihr eigenes Gehalt davon abhängig ist. Und sie haben ein Interesse, einen gewissen Lifestyle und Fame zu propagieren, was ja auch für viele Leute erstmal verführerisch ist, und was man niemanden übel nehmen kann. 
Ich möchte an dieser Stelle kein Bild von bösen Agenten und Künstler als Opfer vermitteln, das Ganze ist ein Wechselspiel, es bedingt sich alles gegenseitig.

Zumal clevere Manager und Agenten ja auch verstehen, dass nur ein gesunde Künstler_innen langfristig für Einkommen sorgen.
Ja.

Lass uns mal über Ängste sprechen, die konkret mit der Performancesituation zu tun haben. Es gibt ja viele Künstler_innen die Angst vor dem Auftritt haben – und es gibt das emotionale Loch danach. Ich muss an Chris Cornell denken, der sich nach seinem Auftritt im Mai 2017 in Detroit in seiner Hotelsuite umgebracht hat. Nun ist er nicht allein gereist, aber in der Elektronischen Musik kommt das noch verstärkend dazu. Totale Aufmerksamkeit – und alles weg. Totale Aufmerksamkeit – und ganz allein. Begegnet dir das in deiner Arbeit?
Ja, das begegnet mir auch. Öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit sind eine sehr starke Droge.

Zumal sie relativ oft aus dem Nichts kommt. Eben ist man noch unbekannt und plötzlich steht man auf der Bühne oder hinter dem DJ-Pult.
Das Thema habe ich aktuell bei zwei Leuten. Vor allem das Loch danach ist ein Problem – und es ist sehr groß, da die Leute ja unter der Woche keinen Tagesjob haben und auch wenig andere Routinestrukturen. Erst ist man über ein paar Tage von sehr vielen Leuten umgegeben und das Ego wird sehr gepusht und dann kommt man nach Hause und hat Leerlauf und muss sich aufrappeln. Das macht natürlich viel mit dem Energielevel.

Wo setzt man da an?
Man versucht den eigenen Rhythmus kennenzulernen. Man versucht eine Struktur zu schaffen.

Arbeitsstruktur im Sinne von, dass man trotz Müdigkeit an Musik arbeitet zum Beispiel?
Es geht um ein gewisses Commitment im Alltag.

Ein anderer Aspekt von drei bis vier Sitzungen pro Kunde – das heißt du musst relativ viele Kunden haben, um ökonomisch zurechtzukommen?
Drei, vier Sitzungen sind ein Richtwert, die meisten kommen schon auf sieben, acht. Das ganze ist natürlich ein Prozess, die Kernarbeit findet zwischen den Sitzungen statt, wenn man anfängt zu reflektieren über das, was man in der Sitzung erarbeitet hat. Manchen Leuten gebe ich auch Hausaufgaben und Übungen mit, die sie in den Wochen dazwischen umsetzen sollen und die wir danach zusammen bewerten: Wie hat das funktioniert? Wo kann man sonst noch ansetzen?

Wieviel Prozent deiner Kunden begegnen dir denn in deinem Alltag? Du teilst ja mit deinen Kunden ein kulturelles Milieu. Wievielen von ihnen begegnest du beispielsweise beim Atonal Festival?
Hier habe ich bislang zwei meiner Klienten getroffen.

Ist das für die schwierig?
Die beiden waren sehr cool mit mir. Wir haben uns auch schon mal auf einer anderen Party getroffen, da war es für mich zunächst seltsam. Weil ich mir dachte, vielleicht haben sie ja ein Problem damit, immerhin weiß ich ja persönliche Dinge von ihnen. Alles was mit mir besprochen wird, steht zu 100% unter Privatsphäre. Generell ist es mein Anspruch, eine gewisse Distanz zu wahren.

Florence, du hast aber die PR-Tätigkeit nicht total beendet, oder?
Ich mache aktuell nur für das Berlin Atonal die Pressearbeit, weil ich das Festival sehr mag.

Das Thema Gesundheit wird ja auch PR-mäßig benutzt, damit meine ich, dass Künstler_innen das Thema ganz gezielt als Ereignis platzieren, so einen Diskurs auslösen im Sinn der Sache, aber eben auch als Werbung für sich. Aktuelles Beispiel, ich sprach es schon an: die Titelgeschichte im Mixmag.  Findest du das kritisch, dass sich da die Anliegen überschneiden?
Ich sehe das nicht zynisch. Natürlich kann man sagen, es ist ein Modethema geworden, das von vielen Leuten aufgegriffen wird, um sich selber darzustellen. Andererseits sind Themen ja auch nicht ohne Grund in Mode, eben weil sich die allgemeine Stimmung beziehungsweise der Umgang mit so schwierigen Gemütsäußerungen ändert. Das finde ich begrüßenswert, das Thema wird so entstigmatisiert, man entwickelt ein offeneres, leichteres Verhältnis dazu.
Es ist schön, dass wir alle darüber reden, aber die Kernfrage ist doch, wie können wir die Dinge zum positiven ändern? Wie können wir andere Strukturen schaffen? Wie können Bookingagenturen und Managements da sensibler drauf eingehen? Ein guter Manager, ein guter Booker bringt beides mit: Strategie und Feingefühl. Aber dadurch, dass viele in diese Tätigkeiten auch eher durch Zufall und Begeisterung für die Musik reingerutscht sind, stecken sie ja selbst oft in dem Hamsterrad.

Sie geben es also weiter?
Ja, ihr Stress überträgt sich auf den Künstler. Man muss lernen, den eigenen Zustand erstmal zu erkennen und zu vermitteln ohne dadurch als schwach oder als nicht kompetent wahrgenommen zu werden.

Bei Booker_innen ist ja nie wirklich Feierabend: Die Künstler_innen spielen auf der ganzen Welt am Wochenende, das Telefon klingt jederzeit mit Problemchen.
Welche Rolle spielt in der Diskussion denn der Lebensstandard? Beziehungsweise das unterschiedliche Lebensstandardniveau. Wird den Künstler_innen der Leidensdruck oft nicht abgenommen wegen eines luxuriös anmutenden Setups aus Business-Flügen, 5 Sterne Hotels und Tourmanager_innen und Hosts…?
Es gibt natürlich einen Grund, warum Künstler in der Business Class fliegen. Und es gibt einen Grund für den Tourmanager. Eben weil sie sonst nicht so performen könnten, nicht das leisten könnten, was sie leisten müssen.

Ich meinte es anders –  dass individualpsychologisch der Unterschied dieser zwei doch sehr unterschiedlichen Lebensbiotopen ausradiert wird und keine Rolle mehr spielt bezüglich des Problemfeldes.
Das sind lediglich verschiedene Bedingungen. Man sagt ja nicht ohne Grund: Die Summe der Sorgen bleibt immer gleich, egal ob du nun als Booker ständig erreichbar sein musst, oder ob du als Künstler fünf, sechs Shows am Wochenende spielst und in verschiedenen Zeitzonen bist und auf Knopfdruck am Start sein musst.

Der Musikexpress hat neulich ein Panel zum Thema Burnout unter Djs veranstaltet. Ich sprach danach mit ein paar DJs, die eher in der dritten oder vierten Wahrnehmungsreihe aktuell stehen und die sich beklagten, dass es bei solchen Veranstaltungen eben leider zumeist nur um die erfolgreichen Leute geht. Wie ist das bei deinem Klientel? Kommen da alle vor? Ein nicht unwichtiger Faktor ist ja auch Finanzangst bei den Diskussionen, über die wir hier sprechen.
Finanzielle Unsicherheit ist ein sehr großes Thema. Wie lange hält der Erfolg an? Beziehungsweise wieviele Bookinganfragen brauche ich, um mich zu finanzieren – auch das ist immer eine individuelle Frage des Lebensstandards. Selbst wenn es gerade gut läuft, fragt man sich, wie lange es anhalten wird und ob man nicht doch lieber nebenher einen zweiten Job aufbaut – was zeitlich nicht so leicht ist.
Aber das ist bei uns ja auch nicht anders, weder als Musikjournalist noch als Coach ist man vor mangelnder Auftragslage sicher.

Wieviele Beratungsgespräche pro Monat brauchst du denn für deinen persönlichen Breakeven?
Ich habe noch einen Teilzeitjob, um mir den Druck rauszunehmen, nur davon leben zu müssen. Im Moment habe ich vier bis fünf Leute im Monat.

Holst du für dich selbst denn auch was raus?
Ich lerne von meinen Klienten unglaublich viel. Es ist spannend und bereichernd, was ich von den Leuten mitnehmen kann, in was ich mich teilweise selbst wiedersehe – und zudem auch die Erfüllung etwas weitergeben zu können.

Wie sieht es denn mit Wertungen aus? Gehst du in die Verantwortung, jemand in seinen Entscheidungen zu bestärken oder abzuraten?
Es ist für mich ein Balanceakt mich mit meinen Hypothesen und Wertung zurückzuhalten, es geht immer um den Klienten und seine individuelle Perspektive und Wahrnehmung. Wir versuchen vielmehr herauszufinden, was die Motivation hinter Entscheidungen ist, die Dinge so anzugehen wie sie/er sie eben handhabt oder verändern möchte. Ich bin keine Therapeutin, dass heißt die Leute, die zu mir kommen, sind in der Lage für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.

Naja, aber du wirst doch schon öfters den Satz hören, „soll ich weniger spielen?“
Also wenn sie/er nach meiner Meinung fragt, dann sage ich sie auch. Beziehungsweise wenn gewünscht spiegle ich meinen Eindruck von ihnen wieder, und wenn ich denke, es wäre besser weniger auf Tour zu gehen, dann bestärke ich sie natürlich darin.

Wenn du auf deine bisherigen Klienten schaust, was kommt am Ende raus? Gibt es da Muster? Sind weniger Auftritte die Regel? Mehr Pausen?
Bei den meisten Leuten zeichnet sich eine wesentlich stärkere innere Klarheit ab. Sie wissen besser über ihre Persönlichkeitsstruktur Bescheid und das bringt andere Entscheidungen mit sich.

Setzen mehr Leute individuell bei sich an: Joga, Sport, sie rauchen weniger, sie nehmen weniger Drogen… oder arbeiten sich die Leute als Folge mehr an ihrer Struktur ab, verändern das Team?
Es sind überwiegend individuelle Ansätze. 
Aber mein Fokus liegt generell weniger auf der Gesundheitsthematik, sondern ist auf die Gedankenmuster und Glaubenssätze der Leute ausgelegt, wir arbeiten daran ihre Mustern zu erkennen und inwieweit diese sie behindern. Vor allem Dingen geht es darum: Was ist die gesunde Alternative und was bedeutet das für mein Verhalten? Was sind die passenden Counter Thoughts und wie setze ich das um?

Inwieweit hilft dir denn deine PR-Erfahrung im neuen Job?
Man könnte es darauf runter brechen, dass eine gute Kommunikation im Außen eine gute Kommunikation im Inneren braucht. Das heißt: wir müssen herausarbeiten, wer wir selber sind und was wir nach Außen tragen möchten. Mein Background hilft mir diese Dynamiken besser zu verstehen. Was sind die kleinen Nuancen, die den Unterschied machen? Ich rede jetzt nicht nur davon, welche Interviews man wie und bei welchem Magazin gibt, sondern welche Signale ich beispielsweise auf Social Media setze und mit welchen Labels und Künstlern ich assoziiert werden möchte.

Ist Social Media ein Feld, das massiv die Probleme verstärkt hat?
Die Fragen, „was poste ich?“, „warum habe ich nur soundsoviel Follower, sie/er aber so viele?“ und damit verbundenen Gefühle von Anerkennung, sich Wahrgenommen fühlen oder eben der Druck, dass man posten muss, spielen eine große Rolle – wobei sich immer die Frage stellt, ob man das wirklich muss, es gibt ja auch Künstler, die gar kein Social Media haben und trotzdem mega erfolgreich sind.

Im Abgleich mit den 90er Jahren und auch noch den frühen Nullerjahren haben wir es ja mit einer Explosion von Image-Kontakten zu tun. Früher hatte man ab und an ein professionelles Photoshooting für ein Magazin oder drehte ein Video, heute senden die meisten fast täglich Bilder und Videos aus ihrem Alltag über die Kanäle nach Außen.  Das ist eine wahnsinnige Fallhöhe für die Leute, gerade für jene, die schon angeschlagen sind.
Es bestimmt den Alltag. Man denkt in Social Media Kategorien: Was könnte ich denn posten, wenn ich da und da bin? Oft ist es eine Art Live-Stream des Lebens, was natürlich auch nur vorgefiltert ist und einem bestimmten Image entspricht, das man vermitteln möchte. Man kann das gar nicht von sich selbst trennen. Alles vermischt sich – und das macht was mit einem.

Absolut. Die Posts von Künstler_innen senden ja Signale, wie es ihnen geht. Zumindest denkt man, dass man das rauslesen kann. Von wegen: Ohje, schon wieder ein Selfie, der Person geht es schlecht! Folgst du eigentlich deinen Klienten auf Social Media?
Nein, ich halte das getrennt. Ich versuche außerdem für meine eigene mentale Gesundheit meinen Social Media Konsum zu reduzieren.

Florence, vielen Dank für das lange und offene Gespräch.

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