Jan Schulte

Wonky Getrommel mit

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Jan Schulte in seinen Düsseldorfer Wolf Müller Flanger Studios. Photo: Britta Tekotte

Der Düsseldorfer Salon des Amateurs gilt als einer der besten Tanzorte Deutschlands. Tagsüber ein gemütliches Café mit schmucken Ledersofas und der ortsüblichen langen Theke, verwandelt sich der Raum nachts in ein kleines Dance-Mekka mit internationalem Renommee. Seinen Ruf verdankt der Salon weniger den großen Star-DJs von außerhalb, als vielmehr seinen hauseigenen Residents. DJs wie Lena Willikens, Vladimir Ivkovich, Marc Matter oder Tolouse Low Trax haben eine Art des Auflegens etabliert, die man eklektisch nennen mag, in der obskure musikalische Welten aufeinanderprallen, nach denen man länger in den Flohmarktkisten und Plattenläden dieser Erde stöbern muss. Anything goes könnte man dazu sagen, wäre die Floskel nicht so postmodern plattgewalzt.

Alles geht auch bei Jan Schulte, seines Zeichens Plattenschamane, Maultrommelvirtuose und Improvisationskünstler, der sein Handwerk ebenfalls im Salon gelernt hat. Seine perkussiven, sich oft im niedrigen Bpm-Bereich bewegenden Tracks bringt er unter Pseudonymen wie Wolf Müller, Bufiman, Goofy Man oder als Teil der voodooistischen Krautrockband Montezumas Rache unter die Leute. Darüber hinaus kollaboriert er mit Künstlern wie Young Marco (als Young Wolf), Cass. (als Wolf Müller & Cass.) oder dem Oracles-Schlagzeuger Niklas Wandt (das gemeinsame Album soll noch dieses Jahr erscheinen). Auch der Autor dieses Textes hatte schon die Ehre, mit Jan Schulte im Studio zu schrauben, wie auch gemeinsam im Salon und anderen schönen Orten spielen zu dürfen (als Teil von Camp Inc. & Bufiman).

Obwohl gerade erst Anfang dreißig hat Jan Schulte eine Diskografie vorzuweisen, bei der man schnell den Überblick verlieren kann. Neben eigenen Tracks, die auf Labels wie Versatile, Dekmantel, International Feel oder Themes For Great Cities erscheinen, fertigt er Edits an oder veröffentlicht Compilations wie die „Tropical Drums Of Deutschland“, eine Sammlung rhythmusverliebter Skurrilitäten aus dem deutschsprachigen Raum, die den Hörer auf die virtuelle Insel beamen und Namen wie „Tagtraum eines Elefanten“ oder „Troubadix in Afrika“ tragen.
An diesem schwülen Hochsommertag könnte man sich ebenfalls gut auf eine Insel beamen. Jan lädt in sein tropisches Paradies – das Wolf Müller Flanger Studio. Obskure Platten, Instrumente und Reliquien wie die berühmten Totenköpfe, die er gerne bei seinen Auftritten dabei hat, stapeln sich in dem kleinen Raum. Gestern ist er von einem Festival in England zurückgekommen. Erschöpft, aber wie gewohnt voller Bierdurst. Es gibt Altbier aus geschätzten Zwei-Literflaschen. Mag sein, dass wir Kölner übertreiben, weil bei uns das Bier in handlichen Reagenzgläsern gereicht wird. Aber die Flaschen müssen wirklich für Elefanten auf tropischen Inseln gedacht sein. Eine davon und man bekommt Tagträume. Das Bier heißt Schumacher-Alt, wie der Produzent und DJ, mit dem Jan des Öfteren arbeitet – Tim Schumacher, besser bekannt als DJ Normal 4. Gleich an mehreren Veröffentlichungen der letzten Zeit war der Mülheimer Produzent beteiligt. Anfang des Jahres ist die gemeinsame “The 5 Elements”-EP erschienen. Eben erst hat DJ Normal 4 einen fantastischen Remix für die unter dem Bufiman-Moniker erschienen “Peace Moves”-EP (Dekmantel) beigesteuert. Die Releases schlagen durchaus neue Töne an – nämlich Rave im modern upgedateten Sinne.

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Photo: Britta Tekotte

‚Rave‘ habe ich mir tatsächlich als erstes Stichwort notiert. Die letzten beiden EPs gehen stark in eine ravige Richtung. Woher kommen die plötzlichen Rave-Gelüste?
Ich glaube, dass ich einfach ein bisschen Clubverseucht bin gerade. Ich nehme Musik mehr und mehr im Club wahr, weil dies das Kriterium ist, das gerade eine wichtige Rolle spielt. Ich habe mir das ja nicht ausgesucht. Ich merke manchmal auch, dass wenn ich Stücke von anderen Leuten höre, ich nur noch in so Kriterien denke, ob das jetzt spielbar ist oder nicht. Ich hake ganz schnell Sachen ab, die mir leicht gefallen, aber nicht unbedingt in mein Raster passen.

Ist das auch tempomäßig bedingt bei dir?
Nein, das Tempo ist mir total egal. Ich spiele auch Sachen auf -12 gepitcht.

Ein 130 Bpm-Stück kann ich mir bei dir aber eigentlich eher schwer vorstellen.
Das passiert aber. Ich spiele auch gerne Drum & Bass-Platten auf 33 und verlangsame sie noch. Ich finde es generell krass, dass das technisch gerade möglich ist. Mit den neueren CDJs geht das ja auch ganz gut. Es gibt sogar welche, die auf – 16 gehen. Da ist es fast egal, welches Tempo das Ausgangstück hat.
Manche Tracks verlieren aber natürlich an Energie, wenn man sie zu arg pitcht. Da macht man ja seine Erfahrungen mit, wenn man die einmal gespielt hat. Ich weiß bei den meisten Tracks in meiner Plattentasche schon, wie weit ich gehen kann.

Die “Peace Moves”-EP ist verhältnismäßig schnell für dich. Wie ist die EP entstanden?
Kaspar von Dekmantel, der auch mit Young Marco gut befreundet ist, hatte sich vor zwei oder drei Jahren schon gemeldet wegen einer EP. Das hat dann etwas gedauert, weil ich generell viele Projekte gleichzeitig mache und auch nichts Halbgares abgeben möchte. Das letzte Stück, “Graffiti Moves”, war schon 2015 fertig. Das war tatsächlich das schnellste Stück, das ich je produziert habe. An dem Tag hatte ich meine MPC aus der Reparatur zurückbekommen und war total heiß, damit herumzuspielen. Auf dem Nachhauseweg habe ich mir drei Bier geholt, mich ins Studio gesetzt und das Stück innerhalb von zwei oder drei Stunden fertig gemacht. Das war irre. Die anderen Stücke sind dann über das letzte halbe Jahr entstanden. Ich bin da schon ein bisschen auch von Tim beeinflusst gewesen, diese ganze Breakbeat-Sache wieder auszupacken. Ich habe ja eigentlich mit Breakbeats angefangen, Musik zu hören. Bloß in meinen eigenen Produktionen habe ich mir das nie erlaubt, einen Loop komplett zu übernehmen. Ich habe immer darauf geachtet, eine einzelne Hi Hat oder eine einzelne Snare zu finden, um meinen eigenen Rhythmus zu haben. Die ganze EP ist aus dieser Idee entstanden, nicht ganz so dogmatisch zu handeln, wie ich das sonst vielleicht mache.

Breakbeats kommen ja ohnehin zurück, alte Jungle- und Ravetracks kann man wieder spielen, wenn auch ein bisschen langsamer.
Genau, das alles kommt zurück. Viele DJs empfinden quasi die 90er nJahre nach, die sie von damals nur aus dem Fernsehen kennen. Ich habe die Love Parade geguckt als ich so zehn war und fand das im Fernsehen total irre.

Tim und du habt ja eigentlich schon unterschiedliche Backgrounds, trotzdem macht die Zusammenarbeit total Sinn. Habt ihr ähnliche Einflüsse, was Musik angeht?
Auf jeden Fall. Wir können uns zum Beispiel immer auf die gleichen HipHop-Sachen einigen. Da gibt es eigentlich wenig Diskussionen. Seine Musik erinnert mich immer an die Soundtracks der “Need for Speed”-Computerspiele aus den Neunzigern. Die haben wir auch beide gezockt. Wir kommen aus der gleichen Generation und sind total durch diese Computerspiel-Soundtracks geprägt. Ein Spiel wie “Half-Life” war unheimlich wichtig und hat sicher bei uns beiden musikalisch Spuren hinterlassen.

Wie entscheidest du eigentlich, welche Tracks du für Bufiman verwendest und welche für Wolf Müller? Weißt du das sofort, wenn du einen Loop bastelst?
Als Wolf Müller arbeite ich dogmatischer, nicht so plakativ. Bufiman ist ein bisschen raviger und plumper. Die Wolf Müller-Stücke sind verkopfter und geprägt davon, dass ich mehr drauf achte, gewisse Sachen nicht zu tun. Die Samples sind viel weiter entfernt vom Original, da darf man nicht mehr erkennen, wo es herkommt.

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Photo: Britta Tekotte

 

Neben der Bufiman-EP soll auch noch dieses Jahr das Wolf Müller-Album mit Niklas Wandt erscheinen. Wann und wo wird das Album kommen?
Wir mischen das gerade noch mit Timo Hein. Ich denke, die Mixe werden in den nächsten Wochn fertig sein. Das Album wird auf dem Hamburger Label The Growing Bin erscheinen. Die haben viele alte Jazzsachen herausgebracht, aber auch so was wie Andras Fox. Für uns macht das total Sinn, weil wir beide ziemlich vernarrt sind in so Fusion-Kram. Wir wollten auf jeden Fall ein Label, das nicht so Club-fixiert ist. Wobei natürlich auch tanzbare Stücke auf dem Album sein werden.

Wollte ich gerade einwerfen. Der Opener geht stark in eine clubbige Richtung. Das Stück hat eine richtige Technobassdrum.
Das war aber ungeplant. Wir wollten eigentlich nur ein Intro machen. Aber dann hat sich das so entwickelt. Wir hatten ganz viele Percussions und so Trommeln aufgenommen, und dann habe ich da gesessen und den Korg Poly 800 wieder ausgepackt und die Sequenz erarbeitet und dann ist es zu diesem Clubstück geworden.

Mit Niklas Wandt hast du ja auch schon oft live gespielt. Wollt ihr mit dem Album richtig auf Tour gehen?
Ich träume eigentlich schon davon, mal wie eine klassische Krautrockband auf Tour zu sein. Ich hätte da eigentlich voll Bock drauf. In abgespeckter Form hatten wir das ja schon, dass man zumindest drei Tage nacheinander in anderen Städten live spielt. Das ist sauanstrengend, aber ich möchte auf Dauer schon mehr in diese Livemusik-Ecke gehen. Ich habe ja zehn Jahre, bevor ich DJ war, schon Musik produziert. Von da an würde ich das gerne wieder ausweiten.

Ist es für dich einfacher, mit jemandem im Studio zusammenzuarbeiten, oder ist man alleine freier?
Ich bin alleine nicht freier, weil ich meine musikalischen Möglichkeiten schon als limitiert ansehe. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung von Harmonielehre und ich kann auch nur die Geräte bearbeiten, die ich im Studio rumfliegen habe. Bei Kollaborationen bringt man ja die Skills von mehreren Leuten zusammen. Alleine verhakt man sich schnell in seiner eigenen Arbeitsweise. Selbst wenn ich mal ein Technostück machen möchte, kommt schnell wieder ein wonky Trommelstück von Wolf Müller dabei rum. Wenn ich mit anderen Leuten zusammenarbeite, sind die Möglichkeiten viel freier und offener.

Apropos wonky Getrommel. Man würde dich vermutlich eher als Rhythmus- denn Melodietyp beschreiben. Woher kommt diese Faszination fürs Perkussive?
Ich habe als Kind eine Kassette von meinem Vater gehabt, das war so eine Art Konzept-Tape. Der hat einfach die längsten Schlagzeugsolos, die man finden konnte, da draufgepackt. So Sachen wie die Zwanzig Minuten-Version von Rare Earth “Get ready”, oder auch Blind Faith “Do what you like” und “Take five” von Dave Bruback und “It’s a shame” von Talk Talk und Kraftwerk waren da auch drauf. Das Witzige ist – ich glaube, wenn man diese Kassette zu einem Stück zusammenfassen würde, wäre das so ziemlich genau die Musik, die ich gerade mache. Die hat mich sehr geprägt. Dann habe ich angefangen mit Breakdance, als ich dreizehn war. Da kam das mit dieser Rhythmus-Orientierung. Ich habe die Schlagzeug-Solos dieser Kassette in den Breakbeats wiederentdeckt, die so liefen. Das waren ja einfach aneinander gecuttete Schlagzeugsolos. Als ich herausgefunden habe, dass die meisten dieser Breakbeats gesamplet sind, bin ich zum Flohmarkt gefahren und habe versucht, die Originalplatten zu finden. Bei der ersten Breakbeat-Platte, die ich gekauft habe, habe ich mich wahrscheinlich noch gefragt: Wie kann man so krass trommeln, dass das immer dasselbe ist?

Wie hast du deine ersten eigenen Beats gebaut?
Mit einem Computerprogramm. Ich habe zu der Zeit noch kein Equipment gehabt, nur den Magix Music Maker. Mit dem habe ich lange gearbeitet, auch noch als ich die Sachen von NMZS produziert habe [Anm. d. A.: Jan hat 2004 die erste EP des 2013 verstorbenen Antilopen Gang-Mitglieds NMZS produziert]. Ich arbeite eigentlich immer noch genauso, wie ich damals angefangen habe. Nur die Tools sind anders. Rhythmen zerhacken, sie in neue Teile zersetzen, und dadurch einen neuen Rhythmus kreieren.

Wie ist das, wenn du Edits machst? Der Om Buschmann-Edit auf der „Tropical Drums of Deutschland“-Compilation ist ja fast schon ein eigener Remix.
Das war auch die meiste Arbeit gewesen auf der Compilation. Das Originalstück ist ein 15/8 Rhythmus, glaube ich. Das hat mich total gestört, weil ich nur Musik genießen kann, wenn ich so klassisch dazu Kopfnicken kann. Das Stück hat so eine geile Soundästhetik und diese Quatschlyrics, die da so vor sich hinbrummeln. Ich fand es schade, dass es dadurch fast unauflegbar war. Ich habe das schon erlebt, dass DJs so 7/8-Tracks auf Dancefloors gespielt haben, das ist nicht immer energiefördernd. Ich habe das ganze Stück dann in einzelne Taktfragmente geschnitten und sozusagen in Vierviertel umgewandelt. Quasi einen Schlag kopiert und draufgepackt. Wenn du genau hinhörst, hörst du das auch.

Machst du auch Edits nur für deine DJ-Sets?
Ja. Mittlerweile spiele ich beim Auflegen 50% eigene Stücke und Edits.

Der Salon des Amateurs ist ja quasi dein Wohnzimmer und deine Lehrstube. Ihr habt ein sehr freigeistiges Auflegen geprägt, oft auch im unteren Bpm-Bereich. Wie siehst du die aktuelle Entwicklung beim Auflegen? Ist dieses Salon-Auflegen auch in anderen Clubs möglich?
Wobei das mit dem Tempo schon täuscht. Wir hängen ja nicht die ganze Zeit auf 90 Bpm rum in dem Laden. Ich glaube, anfangs hat das eine wichtige Rolle gespielt, weil ich gerne Sachen in dem Tempo spielen wollte, die es zu der Zeit noch nicht so viel gab. Da musste man alte Tracks auf dem Flohmarkt finden oder die Platten eben selber machen. Aber genauso gut wird im Salon ja auch 140 Bpm-Acid oder Krautrock auf 160 Bpm gespielt. Generell finde ich es schön, wie sich das Auflegen in den letzten Jahren entwickelt hat, auch in anderen Clubs. Ich erlebe das schon in vielen Clubs, dass man sehr frei ist gerade. Ich habe den Eindruck, man muss das nur auf eine glaubwürdige Art verpacken. Dann ist es egal, ob man 90 oder 140 Bpm spielt. Als wir angefangen haben, waren diese klassisch gleichgeschalteten Minimal Techno- und Deep House-Sachen das totale Feindbild. Du bist in einen Club gegangen und hast die ganze Nacht lang den gleichen öden 120 Bpm-Beat gehört. Das wollten wir einfach anders machen. Und es ist schön zu sehen, dass man das mittlerweile auch an vielen Orten kann. Nicht nur im Salon.

Jan Schule spielt als Bufiman am 6. August beim Dekmantel Festival in Amsterdam.
“Peaces Moves” ist gerade unter der Katalognummer 51 bei Dekmantel Records erschienen.

 

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