Yukno: Let me plug you in
Erstträger des Bandnamens mit dem stummen K war der Hund aus der Kindheit des Vaters; der Name hat ihn längst überlebt. Aber einmal Hund, immer Hund, sagt man doch – warum benannten die Brüder aus der Steiermark sich nicht einfach nach dem aktuellen Vierbeiner der Familie? „Der heißt Norbert“. Okay. Zum Release des neuen Albums „Im Stream der Zeit“ sprach Daniel Ibald mit Georg und Nikolaus Nöhrer neben Haustieren auch noch über das Ende ihrer ersten Band, die österreichische Seele und Frank Oceans Mutter.
„Wenn’s laft, dann laft’s.“ Der berühmte Schmäh transportiert sich sogar via Zoom-Konferenz von Wien nach Köln. Und ja, es läuft gerade ganz hervorragend für Yukno, die in diesen Tagen ihr zweites Album herausbringen werden, obwohl die aktuelle Lage auch ihnen so manchen Strich durch die Rechnung machte. So muss auch unser Interview vom echten Leben ins Netz verlagert werden. Willkommen im „Digital Playground“. Der Opener des neuen Albums ist so programmatisch wie dessen Titel: „Im Stream der Zeit“ passt in den Corona-Herbst wie Schlagobers auf den Kapuziner.
Das Jahr ist für die meisten Musiker der ultimative Supergau. Gebuchte Tourneen wurden wieder und wieder verschoben oder gleich ganz abgesagt, Veröffentlichungen mussten entsprechend mitziehen und Promotionpläne wurden über den Haufen geworfen. Die Branche siecht dahin; mit ihr weite Teile des kulturellen Lebens. Lohnt sich in diesen Zeiten ein neues Album?
„Wir haben Vieles absagen müssen“ erklärt Georg. „Natürlich spielen wir extrem gerne live aber wir sind auch gerne im Studio und schreiben Songs. Durch die Situation haben wir viel neue Musik aufgenommen und statt zu touren gleich das ganze Album fertig gemacht. Zumindest das ist das Gute in diesem Jahr für uns. Aber für die gesamte Musik- und Veranstaltungsbranche ist das alles eine Katastrophe und wird es wohl noch eine Weile bleiben.“
Tatsächlich kann sich der Output aus 2020 sehen lassen. Nach einer EP im März folgte schon im Mai die erste von insgesamt 5 Vorab-Singles zum Album, nun der komplette Longplayer. Faulheit kann man den beiden wahrlich nicht vorwerfen. „Viele Songs rauszubringen war eine ganz bewusste Entscheidung“ erklärt Niko, „ich will nicht sagen unser ‚last resort‘, aber was kannst du als Künstler machen in so einer Zeit? Live spielen fällt weg, man kann nur über Streaming und Radio Musik unter die Menschen bringen. Das ist für uns cool und auf der anderen Seite haben die Leute dann auch ein bisschen Freude daran. Das schien uns die bessere Entscheidung als strategisch zu denken und mit dem Album bis 2021 zu warten. Wir wollten Musik machen die zeitgeistig ist, die Emotionen aufgreift und diese dann auch sofort rausbringen. Wozu warten?“
So spontan Yukno beim Umstoßen von Plänen sind, so durchdacht wirkt ihr Masterplan. Schicht für Schicht türmen sich die Songs vor den Ohren des Hörers auf und man braucht schon etliche Durchläufe bis man jedes kleine Detail gehört hat. Absicht oder einfach Relikt der Arbeitsweise? „Beides wahrscheinlich“ sagt Georg. „Nachdem wir beide ja zumindest vom Produktionsansatz her aus dem Hip Hop kommen und wir sehr gern viel samplen und auch Demos wiederverwenden, wird das oft sehr versatzstückhaft.“ Niko ergänzt: „Wir sind nicht die klassischen Studiosongwriter, die mit der Band in den Probenraum gehen und sagen ‚So, jetzt schreiben wir Songs’, sondern wir arbeiten sehr Beat- und Loop-orientiert. Wir starten mit ein paar Sounds, die irgendwie markant sind und davon ausgehend bauen wir den Song. Dann nutzen wir Elemente wie Vocal-Schnipsel, die wir gern einarbeiten und im Hintergrund layern oder Samples von alten Vinyl-Drums“. Georg: „ Dieses collagenartige entsteht dadurch, dass Niko ein riesiger Fan von atmosphärischen Sounds ist. Ganz oft steht der Song schon und dann kommt ‚Wie wär’s, wenn wir da im Hintergrund noch ein paar Vögel drin hätten?‘ oder so etwas. Etliche Dinge, die man durch Effekte jagt, Delays, Hall, runter- oder raufpitchen, und auch wenn man es dann vielleicht nicht mehr bewusst als Vogel wahrnimmt, macht das am Ende die Tiefenstimmung aus. Das macht es spannender und den ganzen Song zu einem größeren Erlebnis.“
Auch inhaltlich hat man sich Großes vorgenommen im Hause Nöhrer. Thematischer Dreh- und Angelpunkt ist die Vergänglichkeit, in Wort und Bild großartig verpackt im zentralen Song des Albums:
„Das Leben ist so schön, wir winken beim Vorübergehen“. Kann man über die Gnadenlosigkeit von Zeit, über das Loslassen und das Ende singen und dabei trotzdem im Grundton optimistisch bleiben? Eindeutiges Ja von Georg: „Wir brechen dieses Pathos ganz gerne auf. Vergänglichkeit ist schon ein großes Thema und der Song ist thematischer Ankerpunkt des ganzen Albums. Ich finde aber, wenn man so Schwermütiges wie Vergänglichkeit thematisiert, muss man das mit etwas Leichterem aufbrechen. Ich weiß nicht, ob das der österreichischen Seele innewohnt, diese leichte Süffisanz, aber das ist etwas, das wir sehr gerne und oft machen. Wir greifen schwere Themen auf und brechen sie mit etwas sehr Weltlichem, Pointiertem und Einfachem.“
Niko sieht den Hang zum Morbiden, den man den Österreichern, speziell in Wien, so gern nachsagt, auch in der eigenen Biografie verankert: „Wir sind jetzt beide nicht so super katholisch, aber wir haben diese kindlich-katholische Prägung der Oststeiermark erlebt. Ich weiß nicht ob uns das immer noch unterbewusst beeinflusst, aber zumindest verwenden wir gerne Elemente aus diesem ganzen sakralen Duktus. Da ist immer alles so bedeutungsschwanger, die Kirchenlieder haben alle dieses Pathos und es ist für uns schon spannend, daraus etwas in einen elektronischen Song zu entlehnen. Und das sind dann halt nicht Lines wie ‚Ich fahr mit’m Roller durch die Stadt, die Sonne scheint‘. Auf dem letzten Album gab es auch schon einen Song, ‚Vergehen‘, der in diese Kategorie reinspielte“.
Georg lacht: „Wir fragen uns schon auch selbst, ob es sehr österreichisch ist, solche Dinge zu machen.“ Früher überwog bei Beiden der Hang zu den weniger komplexen Seiten des Lebens. Mit ihrer Vorgängerband Neodisco zielten sie deutlich mehr auf die Zwölf und sorgten eher für eine verschwitzte Crowd als für den Soundtrack zur Selbstfindung. Nach und nach wuchs die Erkenntnis, dass man hier wohl auf Dauern nicht glücklich werden würde. 2015 war die Band Geschichte. Der letzte Release war eine EP mit dem bezeichnenden Titel „Kreativ verbraucht“. Niko erinnert sich: „Ein Grund war, dass wir uns musikalisch verändert haben. Wenn man bewusst hingehört hat waren schon auf der letzten EP Songs drauf wie „Raus in die Sonne“ und „Einfache Signale“, wo wir das Tempo und die Attitüde der Songs etwas zurückgenommen haben, weil wir dieser Party-Dinger ein bisschen überdrüssig geworden waren. Das hatten wir ein paar Jahre gemacht und einfach nicht mehr so Lust darauf. Der zweite Grund war, dass wir bei den Neodisco-Texten mit sehr viel Lokalkolorit unterwegs waren, das war alles sehr referenziell und hat sich mit der österreichischen Politik und Popkultur befasst. Das war sehr klein im Hinblick auf das, was es angesprochen hat. Wir wollten lieber Texte schreiben, die etwas weniger leicht greifbar sind, die mehr ins Lyrische gehen und beständiger sind. Wenn du dich textlich mit der Landtagswahl in der Steiermark 2009 beschäftigst interessiert das halt 2011 Niemanden mehr. Das war die eine Seite. Die andere Seite war, dass wir selber gemerkt haben, dass wir uns gern mal auf die Bühne stellen wollten und einen Song spielen, der für sich genommen cool ist. Ohne dass wir ein Partypublikum bis zum Gehtnichtmehr animieren müssen und jeder dauernd springen muss.“ Georg sieht das ähnlich: „Neodisco war halt eine Schulband. Dem entwächst man irgendwann einfach und merkt: Die Musik wollen wir nicht mehr machen. Das war das hauptsächliche Gefühl. Das ging sich nicht mehr aus. Also haben wir den Cut gemacht und eine neue Band gestartet.“
Neben der Mentalität und dem Erwachsenwerden ist sicherlich auch die derzeitige Krise nicht ganz unschuldig an den ernsteren Themen. Niko: „Bei dem Album jetzt sind wir ein bisschen überholt worden von den globalen Entwicklungen. Die jüngsten Songs – ‚Digital Playground‘, ‚Das leben ist so schön‘ und ‚Nie’ – sind nach dem ersten Lockdown entstanden und thematisieren die Zerbrechlichkeit unserer Gesellschaft oder der Menschheit. Mit einem Fingerschnippen kann alles, was man als selbstverständlich wahrgenommen hat, anders oder auch ganz vorbei sein. Man denkt nicht wirklich darüber nach bis zu dem Moment, an dem es dann so ist. Und wir wollen unsere Songs nicht am Weltgeschehen vorbei schreiben sondern schon einen Bezug dazu haben.“ Georg nickt die ganze Zeit zustimmend: „Nachdem wir in diesem Jahr doch noch relativ viele neue Songs gemacht haben wäre es nicht möglich gewesen, ein Album zu machen, ohne die Lage auf irgendeine Art und Weise einfließen zu lassen. Gar nicht unbedingt willentlich, sondern einfach weil es allgegenwärtig ist. Vielleicht ist es dann wirklich unsere Natur, dass das so ein zentrales Ding auf dem Album wurde“.
Dabei standen die Zeichen eigentlich gut für ein luftiges Feelgood-Album, denn das Label schickte die beiden für die Aufnahmen an einen ganz besonderen Ort: Nach Sansibar. Gelegen direkt vor Afrikas Ostküste, ein tropischer Traum wie aus dem Bilderbuch, der Geburtsort des großen Freddie Mercury. Man kann seine Arbeitstage gewiss weniger glamourös verbringen. Niko schmunzelt: „Unser Verleger ist gut befreundet mit dem Inhaber der Lodge in der wir dort wohnten. Er macht gerne Kooperationen, Konzerte mit der lokalen Musikszene und sowas, gleichzeitig bietet er Künstlern die Möglichkeit, in der Nebensaison dort zu wohnen, mit den Leuten vor Ort ein bisschen zu jammen und auch dort aufzunehmen. Diese Gelegenheit haben wir wahrgenommen, waren im April vier Wochen dort und das war eine sehr coole Zeit. Man muss dazu sagen, dass es auf den Fotos alles super schön und idyllisch nach Südsee-Feeling aussieht und wir haben auch wirklich viel dort geschrieben. Aber es ist schon ein bisschen tricky, da wirklich aufzunehmen, so wie das Label es vielleicht von uns erwartet hat. Es war toll zum Songschreiben und kreativ sein, aber fertig aufnehmen und mischen ist nicht möglich. Die Stromversorgung ist nicht immer so stabil und dann brummt’s schon ordentlich im Mikrofon oder es dröhnt der Generator im Hintergrund. Man hat so ein Grundrauschen. Für eine high end Produktion würde ich das nicht empfehlen“. Georg kommt dennoch ins Schwärmen: „Man kommt mal raus, sitzt nicht immer im gleichen heimischen Schlafzimmer-Studio. Den Laptop aufbauen, im Hintergrund das Meeresrauschen hören und den Sand auf dem Boden spüren, das macht etwas auf im Hirn und man kann ganz anders schreiben. Ich weiß nicht ob wir jemals produktiver waren als in diesen paar Wochen“.
Sind die Songs erstmal geschrieben, geht’s natürlich irgendwann an den Sound. Wie kann, wie will man das Geschriebene klanglich verpacken? Im Song „Die Leute wollen etwas von der Liebe hören“ begegnet man der Zeile „Gott, lass mich originell sein, mach, dass es nach Frank Ocean klingt“. Sind Vorbilder wichtig? Der so Gepriesene hat hierzu eine klare Haltung. Auf Oceans Album „Blond“ findet sich der Mitschnitt einer Botschaft, die ihm seine Mutter auf der Mailbox hinterlassen hat: „Be yourself and know, that that’s good enough!“ Sie wiederholt die Worte eindringlich wie ein Mantra. Niko lacht: „Ach, krass. Lustiger Joke eigentlich, oder?“ Georg wirkt kurz irritiert, muss dann auch lachen: „Ich muss jetzt leider gestehen, ich hab das Album sehr oft gehört, aber dass da dieses Snippet drauf ist mit „be yourself“, das wird mir erst jetzt bewusst. Aber nach unserem Interview werde ich ab jetzt immer sagen, dass das absolut bewusst gewählt war“.
Geschenkt. Das geht auf’s Haus. Letztlich bleiben Assoziationen nicht aus und wer Musik hört, wird von Musik geprägt und wohl auch gelenkt. Das Label nennt Caribou und LCD Soundsystem als Referenzen und besonders bei Caribou sind die Brüder sofort d’accord: „Caribou war und ist vom Soundbild her immer ein großes Vorbild. Schon unsere erste EP hatte dieses housige, tanzbare Element und gleichzeitig wollten wir sehr warm und analog bleiben und diesen Sample-Charakter drin haben. Auch bei unseren Drums versuchen wir immer, in diese Richtung zu gehen.“
Schützenhilfe kommt aus den Riverside Studios Berlin. Die Produzenten Henrik Müller und Philipp Lorenz aka Feeling Valencia sind seit den ersten Aufnahmen die Partners in Crime. Georg erklärt den Arbeitsprozess: „Wir machen die Songs so weit wie möglich fertig, Niko macht das Mixing und eigentlich haben wir schon fertige Songs. Dann bringen wir trotzdem nochmal alles zu Henne und Philipp ins Studio. Wir machen den Mix nochmal auf, insbesondere was die Vocals betrifft. Ich finde es ganz cool, dass wir die Produktion eigentlich fertig haben, aber gleichzeitig ist es ganz schön, wenn man alle Files nochmal abgeben und ein bisschen die Verantwortung outsourcen kann. Dass da jemand ist, der eine Revision macht und alles ans Label schickt. Nachdem wir das Augenmerk mehr auf Produktion und Writing legen und natürlich auch nicht so super Studiomonitore daheim haben, ist es schon ganz gut, wenn da noch einmal mehrere Ohren drüber gehen.“
Hier schließt sich der Kreis. Wenn’s läuft, dann läuft’s. „Im Stream der Zeit“ zeigt, was Popmusik bestenfalls kann: Musikalisch wie inhaltlich den Zeitgeist spiegeln. Yukno liefern ein Album, das wie kaum ein zweites in diesem Jahr die Gedanken und Gefühle dieser merkwürdigen Zeit skizziert und auf das große Ganze überträgt. Wer sind wir und wer wollen wir sein, wo stehen wir und wo wollen wir hin? Eingekleidet werden Utopie wie Dystopie in verführerisch große Visionen von Pop, detailverliebt, warm und dicht. Über brummenden Bässen und bittersüßen Melodien singen Yukno voller Poesie vom Werden und Vergehen, von Entfremdung und Intimität und von der Lust auf das Morgen trotz des Wissens um die eigene Endlichkeit. Mutige und ungewohnte Themen für ein Pop-Album und umso schöner im Ergebnis, das deutlich mehr nach Club als nach Krise klingt. Auch dieser Umstand ist natürlich ein Statement. In einer Familie, die ihrem Hund einen Namen mit einem stummen K gibt, ist ein solides Statement vielleicht auch einfach etwas ganz Normales.
“Im Stream der Zeit” erscheint am 23.10.20 via Humming Records.
Für unsere Reihe “Thank me later” haben Yukno im Sommer eine Playlist zusammengestellt.