The Saints „Long March Through The Jazz Age”
The Saints
„Long March Through The Jazz Age”
(Fire Records/Cargo)
Mit den posthumen Alben ist das so eine Sache: Kerzenlicht-Nostalgie trifft auf Erinnerungspolitik. Oftmals wollten die Gegangenen oder ihre Nächsten ja sogar unbedingt diese Alben veröffentlichen lassen, wie etwa bei Nikki Sudden oder Rowland S. Howard. Und auch den australischen The Saints, denen das nicht unbekannt gewesen sein dürfte, scheint es weniger um gestriges Schluchzen zu gehen als vielmehr um die (Neu-)Entdeckung durch Weggefährt*innen und eben auch neue, junge Begeisterte. Dann kommen noch mittelalte Interessierte dazu.
Vor allem die Umfelder von Howard, Cave, The Birthday Party/Boys Next Door/Grinderman, Radio Birdman/New Christs, Tex Perkins/Beasts of Bourbon/The Cruel Sea, Simon Bonney, Go Betweens, Cosmic Psychos usw. waren mir immer wichtig und mal ganztägig, mal ab und an zugegen. Es gab neben allen diesen Typen freilich auch Musikerinnen wie Lydia Lunch, Kim Gordon, Sylvia Juncosa, Lisa Germano, Genevieve McGuckin oder Anita Lane, die hervorstachen.

Chris Bailey Photo: Elisabet Corlin
Die Saints fielen seltsam doof durch mein Raster, obwohl es sie bereits seit 1976 gab. Im Studium flashte mich dann allerdings Ed Kueppers phantastisches Album „Serene Machine“ aus 1993. Das war vielleicht ein Jahr, damals. Später, viel später sah ich Saints-Leute wie Kuepper bei den Bad Seeds auftauchen.
Aktuell gehen die wiedervereinigten Saints mit dem ‚neuen‘ Sänger Mark Arm (Mudhoney) durch die digitalen und analogen Musikschlagzeilen. Sehr passend, irgendwie. Dazwischen stolpere ich regelrecht über diese tolle vermeintlich letzte Platte der Saints – und sie bleibt in Hirn, Ohren und Herz sowas von hängen. Veröffentlicht wird sie einen Tag vor Chris Baileys 69. Geburtstag, den er auf Erden nicht mehr feiern kann. Verstorben vor drei Jahren, ist der australische Songschreiber, Musiker und (Mit-)Kopf der Saints mit diesem Vermächtnis gegenwärtig. Im Hier und Jetzt auf einmal singend und croonend, verzweifelt, dann wieder hymnisch, kaputt triumphierend, immer wieder auch an Jeffrey Lee Pierce anknüpfend, der auch schon lange tot ist und Bailey sicherlich zu seinen Einflüssen zählte, wie das bis heute Cave etwa tut. Dieses vom Saints-Schlagzeuger Pete Wilkinson mit dem Toningenieur und Gitarristen Sean Carey und vielen multiinstrumentalen Gästen entscheidend zur Publikation bearbeitete, vorangetriebene und eben ohne Bailey vollendete Album ist mehr als nur Erinnerung, sondern eben neu.
Die Demos wurden vor Baileys Tod eingespielt, bleiben irgendwie liegen und erstrahlen nun in voller Kraft, helfen Indie, Western, Punk, Post-Punk, Psychedelic, Folk, Country, Rock in seiner rauen Entwicklung und dennoch voller Bezüge zu den (spannenden Seiten der) Stones, Dylan, Iggy, Patti, Velvet Underground usw. erklären. Nach dem Weg zur nächsten Whiskey Bar wird auch wieder gefragt. Beim Wort ‚Wüste‘ sind ja bereits Howe Gelb, Hugo Race oder Chris Eckman eher nervös geworden. „Empire (Sometimes We Fall)“ bringt gleich zu Beginn alles auf den Punkt. Haltung trifft Klang und rauscht dann tief unter die Haut. Auch im Zerfall. Die sich aufbäumenden „Break Away“ und „Judas“ schließen tatsächlich posthum für mich einen Kreis zu Hüsker Dü, den sie bewundernden R.E.M. und Punk Psychedelia à la Long Ryders, Hoodoo Gurus oder Dream Syndicate. Aus der Welt gefallen und doch mitten drin und überhaupt nicht geisterhaft oder hauntologisch. Du wartest förmlich auf die dazu gehörige Tour mit Bailey. Was nicht geht. Irre.
Und am Ende des Tages dann darf ja auch mal nostalgisch werden, mit Tränchen im Auge in Gedanken und Gefühlen an, in Be-Rührung durch Vergangenes und aber auch Allgegenwärtiges wie die große Liebe, die langjährigen Freundschaften, die Geister oder eine uralte Band, die von einem erst jetzt so richtig neu entdeckt wird. Sorry, The Saints, habe gleich mal Eure ersten Alben recherchiert und teilweise bestellt. Diese Bläsersätze bei gleichzeitigem Wüstenpunk’n’Roll sind genial. Waren mir auch schon immer klar. Aber nie so zugegen wie jetzt. Dank des langen Marsches durch das zeitlose Jazz-Zeitalter: „A Vision of Grace“ und „Will You Still Be There“ erlösen und schauen nach vorn. R.I.P. Chris Bailey, Nikki, Rowland, Dave Kusworth, Bruno Adams, Kevin Junior, Paul Caton und all Ihr Anderen. Scheiß Drogen, schon irgendwie.








