Locust Fudge “Oscillation”
Locust Fudge “Oscillation”
(Play Loud! Production)
Ganz, ganz kurz denkt man, ob das wohl ein neues Album von Notwist oder Yo La Tengo ist – aber schnell wird klar, das sind andere, das sind… Locust Fudge!
Unglaublich! Nach nicht weniger als 22 Jahren haben Dirk Dresselhaus (Hip Young Things, Schneider TM) und Christopher „Krite“ Uhe (Sharon Stoned, Floor, Speed Niggs) neue Songs aufgenommen, mit denen man sich ein bisschen wie in einer Zeitschleife fühlt, die zwar deutlich in den Neunzigern beginnt, sich aber fortwährend windet und dreht und im Hier und Heute nicht aufhört.
Wenn wir „Neunziger“ sagen, meinen wir die Art von Gitarrenmusik, die mit Rockismen nichts zu tun haben wollte, deren Ahnen vielleicht Neil Young und Lou Reed waren; Dinosaur Jr (und poppiger: Lemonheads, Pavement) die Zeitgenossen und Brüder im Geiste. Manche nannten das Collegerock, und man versteht wohl auch heute noch, was damit gemeint ist.
Dirk Dresselhaus und Christopher Uhe gründeten Locust Fudge 1991, nahmen bis 1996 zwei Alben und eine EP auf, wandten sich dann verschiedenen anderen Projekten zu, lösten ihre gemeinsame Band aber nie „offiziell“ auf. Deswegen ist „Oscillation“ auch kein Comeback, vielmehr ein Anknüpfen an vor zwanzig Jahren Liegengelassenes, das nicht vergessen wurde, sondern nur ein wenig ruhte. Diese lange Pause ist nach popgeschäftlichen Gesichtspunkten natürlich irre, genauso wie die Entscheidung für einen elf Minuten langen Opener – aber genau das leisten sich Dresselhaus und Uhe, die außer sich selbst noch Schlagzeuger Chikara Aoshima und eine beachtliche Menge an Gästen ins Studio (Schneider TM’s ZONE) einluden: Wolfgang Seidel von Ton Steine Scherben zum Beispiel, Gwendolyn Tägert (Half Girl, Mondo Fumatore), Julia Wilton (Das Bierbeben), Michael Mühlhaus und J Mascis, der gleich auf besagtem Eröffnungsstück namens „Light and Grace“ sein unverwechselbares Gitarrenspiel ausleben darf.
„Oscillation“ ist ein passender Titel für diese Platte, denn die zehn Stücke oszillieren tatsächlich, changieren/mäandern zwischen Sixties-Beat und Psychedelik, zwischen Indierock, Prog und einem Sound, den Dresselhaus & Uhe früher selbst „Lofi-Glam-Folk“ nannten. Damit es nicht zu rock-harmonisch wird, trötet in einigen Songs wie beispielsweise „No Defense“ ein derart wildes, roughes Saxofon hinein, das James White resp. Chance zur Ehre gereicht. Die Lyrics vermitteln mild-störrisches Dagegensein, eine Bartleby’sche Haltung inmitten all der stromlinienförmigen Superperformer: „Come On In“, „Do Not Go Gentle“ oder „Something’s Wrong“ sind im Grunde Protestsongs, ohne dass in ihnen herumgegrölt oder –agitiert werden muss. Uhes Stimme klingt eher scheu als aufgebracht, angenehm zweifelnd.
Ja, „Oscillation“ ist eine Platte, die nostalgische Gefühle weckt und so manche/n daran erinnern wird, wie das war, damals anno 1993 oder ‚94, als man vielleicht ein Studium angefangen hatte, aber eigentlich nur den ganzen Tag lang Musik hörte. „Oscillation“ zeigt aber auch, dass Zeit etwas sehr Relatives ist – Hauptsache, die Songs sind gut.