25 aus 2000–2025

Der Prolog einer Idee

Manchmal reicht eine Textzeile, auch wenn man nicht wirklich weiß, warum sie gerade jetzt aus einem hervorkriecht. In diesen Fall „I got 25 years“ – aus dem Song „25 years“der britischen Band The Catch.

Ich weiß noch genau, wann und wo ich “25 Years“ ihn zum ersten Mal gehört habe: in meinem Kinderzimmer, auf dem Boden liegend, wie jede Woche die Hitparade auf SWR3 angestrengt-konzentriert mit dem Finger auf der Aufnahmetaste des Kassettenrekorders positioniert verfolgend, jederzeit bereit loszulassen und mitzuschneiden, wenn ein ersehnter Song gespielt wurde – bei Fehlversuchen, also wenn ein neuer Song zur Sicherheit mitgenommen wurde, sich dann aber als nicht gut genug herausgestellt hatte, wurde natürlich sofort zurückgespult und jede Spur der Enttäuschung getilgt.

„25 Years“ schaffte es auf das Tape und auch in mein Langzeit-Pop-Gedächtnis. Die schrille Stimme von Don Snow, das minimalistische Songgerüst – und diese mystischen 25 Jahre, die da verhandelt wurden. Worum es genau ging, erschloss sich mir erst nach und nach, doch gerade darin lag der Reiz … im Kern verhandelt der Song die bittere Erkenntnis, dass es keine Gerechtigkeit gibt im Leben, dass Leidenschaft und Arbeit nicht zwangsläufig zu Anerkennung oder Würdigung führen.

„Don’t lock me in the darkness ‚cause I just wanna go home (…) One last look at daylight, the sun won’t shine anymore (…) I found out I wasted so much time / Now I’m trying to wash away the tears (…) There’s nothing at the rainbow’s end / 25 years…“

„25 Years“ erschien zur Hochzeit von Synthpop- und New-Wave – melancholischer Desillusionierung-Pop als Soundtrack gegen die Realität aus Thatcherismus, Arbeitslosigkeit und schwindenden Zukunftschancen. Natürlich konnte ich das als Teenager nicht wirklich kontextualisieren – die Perspektive eines 25-Jährigen war für mich weit weg. Doch die Schwermut des Songs blieb hängen – über nun schon 41 Jahre.

Und so tauchte der Song wieder auf meinen Lippen auf: „25 Years!“ Und plötzlich war da die zugegebenermaßen naheliegende Idee, dass man etwas machen müsste – zu den besten Alben des ersten Vierteljahrhunderts.
Warum also nicht 25 Autor:innen nach den Alben fragen, die diese Zeit für sie geprägt haben? Natürlich ein irrwitziges Unterfangen: Wie soll man sich entscheiden? Aber das soll nicht das Problem der Redaktion sein…

25 aus 2000-2025 

Bevor wir nun mit dem Beitrag von Linus Volkmann zu – soviel sei aus der Chronologie der kommenden 25 Texte schon verraten – Schnipo Schranke und ihrem Album „Satt“ loslegen, ein kurzer Durchlauf durch die Jahre 2000 bis 2025 – für alle, die sich nicht beruflich oder obsessiv mit Musik beschäftigt haben. Wir wollen schließlich niemanden draußen lassen in diesen kalten Zeiten.

2000 bis 2025, das war grob verkürzt eine Zeit zwischen Eskapismus, Krisen und Retromanie. Sicherlich nicht die Jahre, in denen neue Genres wie Techno, Indie-Rock oder Drum’n’Bass erfunden wurden – aber die Jahre, in denen Pop sich neu positionieren musste und definitiv nicht so schlecht, wie viele sie immer wieder im Abgleich zu den 70ern, 80ern und 90ern machen wollen.
Nach dem Millenniumsrausch (Stichworte Y2K-Ästhetik, Pop-Euphorie von Britney Spears bis Daft Punk) folgte schnell Ernüchterung: 9/11, Finanzkrise, Klimakatastrophe, autoritäre Politik. Musik wurde einerseits globaler, andererseits fragmentierter und generell immer schwerer als Ganzes zu fassen.
Die Nullerjahre waren geprägt von Indie-, Electro- und Minimal-Revival (The Strokes, LCD Soundsystem, Justice, Bar-25). Gleichzeitig veränderten MP3, Napster und später iTunes/YouTube die Spielregeln: Musik wurde ökonomisch und symbolisch entwertet. Pop war plötzlich endlos verfügbar – und verlor so an seiner mystischen Strahlkraft.
In den Zehnern kam die Retromanie (Simon Reynolds) als Revival-Steigerung dann mit voller Wucht: 80s-Synthwave, 90s-Techno, 00s-Indie. Zumindest für die, die die Zeichen noch zu lesen wussten, denn parallel übernahm die algorithmisch optimierte Playlist-Kultur das Game: „Chill“, „Workout“, „Focus“ statt Alben. Pop wurde zur Mood-Maschine. Gleichzeitig explodierte die globale Diversität: K-Pop, Afrobeats, Reggaeton. Die Machtachsen verschoben sich – wenn auch noch nicht radikal genug. Und als man gerade hoffte, dass der Shift endlich stattfinden würde, tja, da kam die Pandemie und drückte auf alle Stopp-Tasten zugleich: Clubs zu, Festivals abgesagt, Musik verschwand aus dem öffentlichen Raum, überlebte in Livestreams, Zoom-Raves, TikTok-Clips.
Überhaupt TikTok: das MTV von heute. Songs zerfallen in Sekunden-Fragmente, Memes bestimmen Karrieren. Hyperpop übersetzte diesen digitalen Zersplitterungsprozess am radikalsten. Alle hören alles: Chartpop, Cloud-Rap, Afrobeats – die Grenzen verschwimmen.
Gleichzeitig fand eine wachsende Politisierung statt: queere Clubkultur als Gegenentwurf zu autoritären Kräften, klare politische Positionen gegen … ja gegen wen und was eigentlich oder besser für was? Immer öfter stellt sich die Frage: authentisch oder Inszenierung? Und was bleibt, wenn die Masken nach den Grabenkämpfen, Cancel Culture und Outicalling erst mal alle unten sind.

Und so ertappt man sich manchmal selbst bei der Frage: Was mache ich hier eigentlich – nach über 35 Jahren Musikjournalismus? Aber man kommt nicht davon los. Musik zu hören, über sie nachzudenken und zu schreiben, bleibt die schönste aller Beschäftigungen – ein Privileg. Und die Ideen und Texte in Kontexte mit Künstler:innen und Leser:innen zu bringen, ist eine gelebte Utopie, die man nicht missen möchte.

In diesem Sinne ist „25 aus 2000–2025“ auch ein Dankeschön der 25 Autor:innen und der Redaktion an eine Epoche, die uns im Angesicht der Abgründe immer wieder zarte (und manchmal auch weniger zarte) Momente des Glücks beschert hat, und an all die Leser:innen, die uns dabei begleiten.

Ab hier werden wir peu à peu die 25 Alben einpflegen, los geht es heute wie gesagt mit:

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