Christina Mohr “Der Platz im Feuilleton für Popmusik ist knapp geworden, für außergewöhnliche Sachen gibt es immer weniger Foren”
Kannst du dich an den ersten musikjournalistischen Text erinnern, den du gelesen hast?
Christina Mohr: An den allerersten nicht mehr – aber ich hab’ auch früh angefangen: mit Pop Rocky, Popfoto, BRAVO… mein Opa hat mir die Hefte vom Kiosk mitgebracht, da war ich vielleicht sieben oder acht. Als ich mir später selbst Musikzeitschriften gekauft habe, ist mir Harald Inhülsen besonders aufgefallen. Er hat in seinen Besprechungen immer viele Schräg/- und Binde-/Striche verwendet. Das war schwierig zu lesen, leuchtete mir aber ein: Manchmal braucht man eben/mehrere/Varianten. Ich würde lügen, würde ich behaupten /H-in-H/hätte mich nicht/beeinflusst.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das in dir den Wunsch geweckt hat, selbst musikjournalistisch zu arbeiten?
S.o., und die Idee eines Freundes, eine Geburtstagszeitung für eine Freundin zusammenzustellen. Ich habe einen Bericht über einen Auftritt von Moses Pelham in unserer früheren Dorfdisco geschrieben, und wie er danach besagte Freundin an der Theke angebaggert hat. Da dachte ich, dass ich sowas gern öfter machen würde 😀
Was reizt dich am Format Musikjournalismus? Was zeichnet für dich guten Musikjournalismus aus?
Ich halte Musikjournalismus für genauso wichtig wie jeglichen anderen Kulturjournalismus. Egal, ob es um Klassik oder Pop geht. Oder nochmal anders: In der Popmusik spiegeln sich aktuelle Trends, Themen, Veränderungen direkter und unmittelbarer als in Bildender Kunst, Theater und Literatur. Das fand ich schon immer gut und wollte deshalb mitmachen 🙂
Guter Musikjournalismus führt dazu, dass ich mir Sachen anhöre, die mich vor der Lektüre nicht interessiert haben. Interesse wecken auch für Abseitiges oder scheinbar Uninteressantes ist wichtig. Autor:innen sollten sich selbst nicht zu geil finden, zum Beispiel durch Erwähnen, mit wem man schon mal Champagner getrunken hat, oder wie überbordend und umfassend das eigene Wissen ist.
Gibt es einen Lieblingsbeitrag (von anderen Musikjournalist:innen)?
Das ist – neben vielen vielen anderen natürlich! – ein Interview/Bericht mit/über Mark Stewart von The Pop Group in der Spex. Ich weiß, dass ich mich damals schlapp gelacht habe – die beiden Interviewer:innen hatten es offenbar nicht ganz leicht mit dem riesigen, lauten Mr. Stewart. Leider kann ich ihn nicht verlinken, es gibt ja seit einer Weile kein Spex-Archiv mehr.
Dieselbe Frage auch für dich selbst: welchen Beitrag aus deinem Werkskatalog ordnest du aktuell als deinen wichtigsten ein?
„Aktuell“ ist „Die Hand am Regler“ nicht wirklich (vom Sommer 2020), aber dieser Beitrag für das Club-Special der Jungle World hat mir einige Aufträge/Vorträge eingebracht und ist außerdem in einem Buch enthalten, in dem ausgewählte popfeministische Texte und Reviews von mir versammelt sind. Dass es dieses Buch gibt, finde ich nach wie vor unfassbar – großer Dank an meinen Verleger Andreas Reiffer, der in seinem kleinen Verlag ganz tolle Sachen veröffentlicht.
Deine 3 Lieblings-Musikjournalist:innen?
Aida Baghernejad: Ich bewundere sie für ihren unfassbaren Output, aber noch viel mehr für ihre immer tief involvierte und trotzdem lässige Art zu schreiben. Sie hat mir sogar Haftbefehl nähergebracht 🙂 Außerdem unglaublich nett.
Linus Volkmann: Ich würde meine Oma verkaufen (wenn ich noch eine hätte), um so schreiben zu können wie er: Originell, aber nicht auf Krampf lustig. Dezidiert und haltungsstark, aber kein Klugscheißer. Emotional und „dabei“, aber kein Kriecher. Popjourno-Legende, aber ohne Nimbus.
Julia Friese: Denkt Pop und Feminismus immer zusammen, nimmt Popgossip ernst und kommt zu erstaunlichen Analysen. Liebe auch ihren Roman MTTR.
Du bist selbst seit den 2000er Jahren als Autorin aktiv. Was sind die einschneidendsten Veränderungen in deinem persönlichen Berufsprofil über diesen Zeitraum?
Ich schreibe ja immer als „Freie“ beziehungsweise Satellit, ich war nie in einer Redaktion angestellt o.ä. Deshalb kann ich über Veränderungen in den Redaktionen/Verlagen nicht wirklich etwas sagen. Ganz persönlich kann ich berichten: Früher, also in den frühen bis mittleren 2000er-Jahren habe ich ca. 750 Promo-CDs pro Jahr bekommen. Per Post. Und wie gesagt, ich war immer nur „Freie“ für Online- und andere Magazine. Die physische Bemusterung hat spätestens in den 2010er-Jahren ziemlich nachgelassen, fast alles kommt als Stream oder Download. Anfangs fand ich das sehr schade, aber inzwischen bin ich froh. Wohin mit dem ganzen Material?
Als ich anfing (bei satt.org – noch vor Facebook) war ich erstaunt und positiv überrascht, wie einfach es war, mit Labels und Künstler:innen direkt Kontakt aufzunehmen. Inzwischen scheint das etwas schwieriger geworden zu sein, aber das ist vielleicht nur mein Eindruck.
Und der Radius ist etwas enger geworden: In den frühen 2000ern gab es gefühlt tausende von Blogs und Online-Magazinen. Wenn man die Zeit dafür hatte, konnte man für -zig Sites schreiben. Das ist deutlich weniger geworden, die „richtigen“ Musikzeitschriften sowieso. Der Platz im Feuilleton für Popmusik ist knapp geworden, für außergewöhnliche Sachen gibt es immer weniger Foren.
Und über den eigenen Horizont hinaus: wie empfindest du den Status Quo des Biotops Musikjournalismus im Jahr 2024 im Vergleich zu früher?
Siehe Frage oben.
Eine Beobachtung aus eigener Erfahrung: Vor ein paar Jahren war ich zum wiederholten Male von der Uni Mainz eingeladen worden, um im Seminar „Berufsfelder für Germanisten“ von meinem Job/meinen Jobs zu erzählen. Die Studis interessierten sich sehr für meine Tätigkeit beim Campus Verlag, aber kaum für Popjournalismus. Das hätte ich mir völlig anders vorgestellt – aber die jungen Leute sagten ganz offen, dass sie keine Musikzeitschriften kaufen oder lesen würden. Infos zu Konzerten oder neue Musik bekommen sie über Spotify, TikTok oder Stadtmagazine. Als musikaffin bezeichneten sich alle, aber das heißt noch lange nicht, dass sich die Studis für den Background einer Band oder einer Künstlerin interessieren. Musik ja, Story nein, so mein Eindruck.
(Wie) kann man Musikjournalismus in das Storytelling von TikTok und Instagram überführen?
Das geht bestimmt – Leute wie Linus Volkmann machen das ja schon. Ich persönlich finde das nicht so attraktiv, weil ich lieber etwas aufschreibe und nicht so gern vor der Kamera was erzähle. Aber der Medienkonsum ändert sich offensichtlich sehr stark.
Stichwort Karriere. Ab wann war Musikjournalismus für dich eine Berufsoption?
Ich fahre ja mehrgleisig und habe noch einen „richtigen“ Job in der Verlagsbranche. Trotzdem ist Musikjournalismus für mich viel mehr als ein Hobby oder eine Nebenbeschäftigung. Ich kann durch die Mehrgleisigkeit halt leider nicht alles machen, was ich angeboten bekomme (also im Popjourno), muss stark auswählen und priorisieren. Das läuft für mich ganz gut, könnte diese Methode aber nicht uneingeschränkt empfehlen.
Bereust du die Berufswahl manchmal?
Nein, auf keinen Fall.
Letzter musikjournalistische Beitrag, der dir so richtig gut gefallen hat. (gerne mit Link)
Linus Volkmanns Interview mit Torsun Burkhardt bei kaput: