CTM Festival 2023: Rewind / Rewatch

Box im Morphine Raum, dem Recording Studio, Community Space von Rabih Beaini und seinem Team.

Um ehrlich zu sein, die Nachberichterstattung zum CTM Festival 2023, das traditionell in der letzten Januarwoche und ersten Februarwoche in Berlin stattgefunden hat, ist mir diesmal so schwer gefallen wie noch nie. Was daran liegt, dass ich entgegen all der vorherigen Erfahrungen (ich komme seit vielen Jahren zum Festival, ja würde es sogar als mein Lieblingsfestival bezeichnen) diesmal unterschiedliche Resümee-Kräfte an mir arbeiten spürte.

Auf der weniger erfreulichen Seite die Erkenntnis, dass das Festival im Prozess des Wachstums diesmal bei einer geographischen Ausbreitung angekommen ist (zwischen Silent Green, HAU Hebbel am Ufer, Berghain/Panorama Bar, KINDL, RSO.Berlin…), die ihm die Entspanntheit früherer Jahre raubte, wo alles etwas komprimierter  positioniert war, mit dem Künstlerhaus Bethanien als deutlich günstiger gelegenen Festival-Zentrale.

Eine Kritik, die vielleicht unfair ist, da man als Festivalorganisator:in letztlich froh sein muss, überhaupt geeignete Räume zu finden für all die angedachten Programmpunkte (siehe auch meine Besprechung des Unsound Festivals im vergangenen Jahr, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten), die aber nicht nur in mir rumorte, da sie eben mit sich brachte, dass man das Festival viel mehr under pressure erlebte als in den Jahren vor der Pandemie.

Vielleicht erklärt sich so auch, dass das Lineup in diesem Jahr merklich weniger überzeugend wirkte. Zumindest ich musste lange auf mein erstes wirklich Highlight warten (ich spare jetzt bewusst die Künstler:innen aus, die ich auf dem Weg dahin performen sah, alle auf guten Niveau, aber eben nicht alle auf was ich CTM-Niveau nennen würde, da liegen die Erwartungen nunmal sehr hoch nach all den Erfahrungen der Vergangenheit), die dann aber geradezu grandiose Aufführung von “GLIA” von Maryanne Amacher unter der Leitung ihres Kollaborateurs Bill Dietz in Kooperation mit Contrechamps & Zwischentöne im Radialsystem radierte viel Unmut in mir auss. Eine Ganzkörpererfahrung, bei der Raum und Zeit sich auflösten.

Sehr gut gefiel mir – wie erwartet – das Set von Tzusing, der in seinem Narrativ streng-noisige Tracks und populistischen Fragmente eben nicht (wie so viele andere derzeit) belanglos aneinander clustert, sondern tief in die Textur der Musik eintaucht und sie wild collagiert.

Diese Einzigartigkeit spürte ich sonst nur noch beim gemeinsamen Auftritt von Queen Asher & Rehema Tajiri, einer Mutter/Tochter-DJ/Producer-Kollaboration von transzendenter Power. Gemeinsam mit Nana und Zai gelang ihnen das Kunststück, die Panorama Bar für eine Stunde zu ihrem Ort zu machen, auch wenn sie leider etwas mit dem zu dünnen Sound zu kämpfen hatten (was an ihrer Mp3-basierten Produktionsweise liegen könnte, wie mir soundtechnisch bewanderte Besucher:innen plausibel darlegten). Aber das war letztlich egal: der Vibe war  special.

Am nachhaltigsten bei mir eingeschrieben haben sich aber die sehr gut besetzten, informativen, engagiert-diskursiven Vorträge und Panels (im Anhang finden sich alle auf YouTube verfügbaren Aufnahmen, highly recommended.

Wohl auch, da sie dem sozialen Austausch der Festivalbesucher:innen und Künstler:innen zuarbeiteten, seit jeher ein wenn nicht das zentrale Anliegen des CTM Festivals – und auch das große Plus für die Besucher:innen. Es gibt wenig andere vergleichbare Musik-Zusammenkünfte mit einem ähnlich hohen Kontakt- und Diskursniveau. Und so bleiben vom CTM Festival 2023 vor allem die nächtelangen (und während der Pandemie schwer vermissten)  Gespräche mit lange nicht gesehenen und gerade neu kennengelernten Menschen aus aller Welt hängen, die ohne die engagierte Arbeit des CTM Teams nicht möglich gewesen wären. Dafür sei hier an dieser Stelle auch mal explizit Danke gesagt, gerade mit dem Wissen um die vergangenen Jahre der Pandemie ist das keine Selbstverständlichkeit als Team sich immer wieder aufs neue selbstzumotivieren und so ein umfangreiches und auch in seiner Länge von zehn Tagen sehr forderndes Festival auf die Beine zu stellen. R.E.S.P.E.C.T.

Für 2024 wünsche ich mir etwas weniger Auftritte, also eine härtere Tür für das Programm, gerne auch ein wiederzusammenrücken der Locations im Interesse aller, da man so schlichtweg vieles nicht sehen konnte, zumindest wenn man Mind und Body noch etwas Ruhe gönnen wollte, und auch besseres Wetter, aber über das wollen wir ja nicht auch noch zu meckern anfangen, Januar/Februar und Berlin sind halt eine gruesome Kombination, das wird sich nie mehr ändern.

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