Kendrick Lamar: „Money Trees“

„Home invasion was persuasive From nine to five I know it’s vacant, ya bish Dreams of livin’ life like rappers do“

Im März ist das erste deutschsprachige Buch über den US-Rapstar Kendrick Lamar erschienen. Philipp Kressmann hat „Living life like rappers do“ gelesen und mit dem Autor Nicklas Baschek gesprochen, der die Diskographie von Kendrick Lamar studiert hat.

Special Effects? Gab es verhältnismäßig wenig, die Präsenz von Kendrick Lamar war Aura genug. 2018 spielte der aktuell wichtigste US-Rapper drei Konzerte in Deutschland, Nicklas Baschek hat die Show in Frankfurt gesehen und war fasziniert. Seitdem fühlte er sich provoziert, einen Text über Kendrick Lamar zu schreiben. Das erwies sich dann aber schwerer als anfangs gedacht, denn so eindeutig sind die Codes und Posen eben nicht: „Das sind in vielen Fällen Bilder aus den Massenmedien, das sind Stereotype. Im Buch war es mir wichtig, vorsichtig mit diesen Stereotypen umzugehen“, sagt Baschek. „Living life like rappers do“ ist ein Essay aus der Distanz geworden, der close readings und Reflexion der eigenen Position bietet. Der Autor betont mehr als einmal, dass er ein weißes Provinzkind aus Deutschland ist und Kendrick Lamar eine ganz andere Lebensrealität verhandelt. (1)

In den Texte von Kendrick Lamar geht es um Rassismus, Polizeigewalt, Gangkriminalität, das Ghettoleben in Compton. Das Stück „Alright“ wurde etwa zum Soundtrack für die Black Lives Matter-Bewegung und der Essay widmet sich diversen Hintergründen der Songs. Baschek hält fest, dass er sich mit Kendrick Lamar nicht als Person identifizieren, ihn aber für seine Sätze und Geschichten bewundern kann. Mehr noch: Kendrick Lamars Song-Geschichten – das ist ein Kerngedanke im Essay – beziehen sich oft aufeinander und generieren so sogar eine größere Erzählung, in der eine Idee von Freiheit durchschimmert.
Bevor es soweit ist, liefert Baschek einige Textanalysen, in denen er Kendrick Lamars Referenzen nachgeht. Auf dem leider nur am Rande thematisierten „Section.80“ geht es zum Beispiel um die Auswirkungen der Politik des früheren US-Präsidenten Ronald Reagan auf das Leben junger Schwarzer Menschen. Man erfährt, dass der Titel „King Kunta“ sich auf den Sklaven Kunta Kinte aus dem Buch „Roots“ von Alex Haley bezieht, der sich den weißen Sklavenhaltern widersetzte (die Geschichte wurde als Serie bekannt). Der Song „Wesley´s Theory“ spielt hingegen auf den erfolgreichen Schauspieler Wesley Snipes an, der wegen Steuerhinterziehung 2010 im Gefängnis landete.
Alles kein krasses Geheimwissen. Aber Baschek geht einen Schritt weiter, denn nicht nur den Song über Snipes deutet er auch soziologisch in dem er fragt, um was Kendrick Lamar hier geht? „Die These lautet: Weite Teile der afroamerikanischen Bevölkerung haben nicht gelernt, was weite Teile der weißen Mittelschicht beherrschen, nämlich das Geld geschickt zu verwalten, Steuern zu zahlen, oder, wenn nicht, dann zumindest so, dass es keiner mitbekommt. Es ist nicht vorbei mit der Benachteiligung, wenn jemand zum Beispiel mit Basketball, Rap oder Schauspiel zu Geld kommt. Kendrick Lamar spricht hier wie Pierre Bourdieu über den Habitus: die Denk-, Bewertungs- und Handlungsschemata eines Menschen sind ebenso Folge (nicht: determiniert) der jeweiligen Lage.“

Kendrick Lamar als Soziologe? Bascheks Lesarten zeigen, dass es bei Kendrick Lamar oft um die Reflexion von Handlungsroutinen geht. Das ist in „Institutionalized“ so, ein Schlüsseltrack auf dem Album „To Pimp a Butterfly“. Baschek nimmt ihn ganz genau unter die Lupe. Lamar erzählt hier von einer Preisverleihung, alte Homies begleiten ihn. Er hört, wie sie in Erwägung ziehen, reiche Gäste abzuziehen. Lamar – also, sein lyrisches Ich – realisiert: Er ist jetzt reich, konnte Compton verlassen, „aber die alten Verhaltensmuster aus Compton bleiben.“ Später schreibt Baschek: „(…) er kann diesen Zustand zumindest reflektieren. Er kann die Freiheit von der Ignoranz erringen“. Lamar thematisiere hier die Auswirkungen von strukturellem Rassismus auf „die Körper und die Köpfe“, so Baschek. Der Rapper beschreibe den ihn noch immer prägenden Käfig Compton, weise aber ebenso daraufhin, dass dieser „von Menschenhand gemacht wurde“. Gesellschaft wird hier also dialektisch und nicht schicksalhaft gedacht.

Baschek zitiert in diesem Kontext Michel Foucault, denkt aber vor allem an Kendrick Lamars vorheriges Album „good kid, m.A.A.d city“. Könnte es sein, dass „Institutionalized“ Themen und Momente aus dem früheren Album aufgreift, weiterdreht, dabei die Perspektiven wechselt? Baschek scannt die LP, widmet sich vor allem drei aufeinanderfolgenden Tracks. Bei „Backseat Freestyle“ geht es noch um Größenwahn, Ignoranz. Der anschließende Track „The Art of Peer Pressure“ erzählt von einem Hausraub, den das lyrische Ich im Song mit den Homies ausübte. Kendrick Lamars Stimme klingt hier jedoch ruhig und unaufgeregt, weniger aggro als zuvor. Baschek deutet das als die „Reflexion danach“, eine Art „Beichte“ nach dem groben Freestyle. Er belegt, dass Kendrick Lamar sich erinnert, sein Verhalten im sozialen Kontext deutet, über Gruppendruck reflektiert und Distanz gewinnt. Die maximiert sich im folgenden Track „Money Trees“ noch einmal: Hier kommt Kendrick Lamar auf Einbrüche, Perspektivlosigkeit in Compton und den Verlust eines Familienmitgliedes zu sprechen. Und doch kann Baschek aufzeigen, dass Kendrick Lamar es wagt zu träumen, dass es in dieser Musik Raum für die Vorstellung einer anderen Welt gibt. Trotz aller sozialen Determinanten. „Dreams of livin’ life like rappers do“, rappt er. Deshalb auch der Buchtitel.

Auf dem Buchcover von „Living life like rappers do“ sieht man Kendrick Lamars Gesicht auf der Karte von Compton, „weil das eine Musik ist, die sehr stark davon spricht, wo sie herkommt, wo diese ganze Geschichte letztendlich stattfindet“, meint Baschek am Telefon. Während Popmusik oft allgemein bleibt, wird Kendrick Lamar konkret und erzählt von realen Orten. Real ist aber hier nicht das Kriterium, es geht mehr um Glaubwürdigkeit als um Realness. Bascheks Argument ist nämlich auch, dass Rap Kunst und somit automatisch auch „Verarbeitung des Lebens“ ist. Es zählt nicht nur das Unmittelbare, genauso spannend ist das Vermittelte, das Komponierte, die ausgestellten Reflexionsschleifen und Rollenspiele. Letztere findet man inklusive Stimmverstellungen bei Kendrick Lamar gleich mehrfach. Überhaupt demonstriert dessen Oeuvre, dass Rapkultur „hoch reflektierte und doppelbödige Musik“ sein kann. Ist es etwa Zufall, dass Kendrick Lamar die Uhrzeit „2:30“ rappt, als jener Track gerade 2:30 Minuten lang läuft?

Nebenbei liefert das Buch auch Input für immer wieder aufkommende Diskurse in den HipHop-Bubbles wie die Debatte um Realness. Die Frage nach dem deutschen Kendrick Lamar sei eine „müßige Frage“, sagt Baschek. „Das, was Ghetto in den USA ist, ist es auf eine viel brachialere Weise als es das in Deutschlands überhaupt gibt“.

Mit dem Grammy-Preisträger selbst hat er nicht gesprochen, denn „wenn ich Kendrick Lamar interviewt hätte, wäre es ein anderes Buch gewesen.“ Er kommt auf seine Arbeit in der Geflüchtetenhilfe zu sprechen und Postpunk-Ästhetik. Baschek droppt eine eigenwillige, aber zum großen Teil doch sehr plausible Interpretation von Kendrick Lamars Werk. Hätte das Buch ein Gruppen- und Personenregister, würde man darin unter anderem Baldwin, Bushido, Deleuze, Eminem, Ice-T, Messer, N.W.A., Sartre, Ton Steine Scherben und Tupac finden. Der Text liefert das, woran dessen Autor selbst glaubt: eine „Vervielfältigung der Perspektiven und (…) ihre Vermischung als normativem Programm“. Immer wieder werden jedoch die Bezüge zur Lebenswelt von Compton herausgestellt. Gleichzeitig akzentuiert Baschek das Eigenleben, das lyrics entwickeln können. Sein unterhaltsamer und oft überraschender Essay tut Rap-Kultur somit einen großen Gefallen: Er nimmt sie verdammt ernst.


Nicklas Baschek: „Living life like rappers do. Über Kendrick Lamar“. 120 Seiten. Aus der Reihe: testcard zwergobst. Ventil Verlag, März 2021.14 Euro.


(1) 
Das ist eigentlich klar, aber kein unwichtiger Punkt: Die Journalistin Alice Hasters etwa kritisiert in ihrem bedeutenden Buch „Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, dass ein Teil der weißen Hörerschaft in Deutschland (und anderswo) den sozialen und historischen Kontext von Schwarzem US-Rap oft überhört. Auf Baschek trifft das nicht zu.

 

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