kaput revisited

Noel Gallagher: Die neue Bescheidenheit

Der Name seines ersten Soloalbums, »Noel Gallagher’s High Flying Birds«, lässt noch auf gewohnte Großmäuligkeit schließen. Im Gespräch gibt sich der ehemalige Hauptsongschreiber von Oasis am Tag nach den schlimmsten Ausschreitungen, die England seit Margaret Thatcher gesehen hat, aber überraschend bescheiden. Der Respekt vor den Reaktionen der Fans ist groß, nicht zuletzt, da diese seinem Bruder Liam mit dessen neuer Band Beady Eye einen ziemlichen Flop beschert haben.

 

In unserer Reihe kaput revisted präsentieren wir anlässlich der aktuellen Oasis Comeback Tournee dieses Interview mit Noel Gallagher. 

Parallel dazu haben wir auch noch ein Interview mit den beiden Oasis Managern Marcus Russell und Alec McKinlay aus dem Jahre 2014 aufbereitet.

 

Noel, nach den Vorkommnissen der letzten Tage und nachdem letzte Nacht die Ausschreitungen auf deine Heimatstadt Manchester übergesprungen sind: Wie siehst du die aktuellen Ausschreitungen in England?

Noel Gallagher: Es ist eine Zumutung. Mit der französischen Revolution hat das doch nichts zu tun, wenn Vermummte die Läden ausrauben. Diese Kids sind wie Tiere, die nichts Besseres zu tun haben, als alles zu zerstören. Mit Politik hat das nichts zu tun.

Zur Hochzeit des Britpop galtest du als Freund von Tony Blair. Stehst du dem Politikbetrieb noch immer nah?

Noel Gallagher:  Ich wäre zwar ein hervorragender Prime Minister, wenn mich jemand fragen würde, aber unserer Politik, egal, ob sie von rechts oder links kommt, geht es ja nicht mehr um die Gesellschaft, sondern um die Wirtschaft. Denn wenn das anders wäre, dann hätten wir nicht solche Idioten auf der Straße, die die letzten drei Tage randaliert haben – und damit meine ich nicht, dass sie bei Geburt getötet, sondern besser ausgebildet worden wären; und sie würden angemessener bestraft. So, wie die Dinge laufen, gibt es keine weiteren Riots, in einem Monat sind sie vergessen und die Leute bald wieder alle frei. Das ist Bullshit.

Vielleicht solltest du doch in die Politik gehen. In Island sitzt seit der Wirtschaftskrise ein Punk als Bürgermeister im Rathaus – und macht das wohl sehr gut.

Noel Gallagher:  Ich mache lieber Musik.

Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern – durchaus auch welche mit weniger Erfolg, als du ihn hast – gibst du regelmäßig Interviews. Schätzt du sie gar?

Noel Gallagher:  Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag. Aber ich frag auch nicht danach. Sie können Spaß machen – für mich und dich. Ich habe viel zu sagen, über vieles.

Deswegen bist du ja auch Künstler geworden. Schätzt du denn das Feedback, das bei den Interviews rüberkommt?

Noel Gallagher:  Lass es mich so sagen: Ich lege es in eine Box mit der Markierung »interessant«. Es bedeutet aber nichts. Wenn ich einen Song schreibe und ihn für gut halte, dann ändert es nichts daran, wenn ihn 100.000 Leute nicht gut finden. Aber es ist interessant, was die Leute in den Songs sehen.

Mark E. Smith von The Fall hat eine interessante Meinung, wie das mit deinem Bruder Liam und dir so weitergeht.

Noel Gallagher:  Wer? Aha. Da bin ich ja mal gespannt.

Er sieht Liam als Verkäufer von Obdachlosenzeitungen in London rumstehen, während du im Porsche vorbeifährst.

Noel Gallagher:  Nun, ich kann noch immer nicht Auto fahren, insofern kann das so nicht kommen. Aber das ist lustig, muss ich zugeben.

 

Wie fühlt sich das neue Leben allein an? Freier?

Noel Gallagher:  Nicht wirklich. Ich habe sehr viel Arbeit zu bewältigen, vor allem, was die Live-Performances betrifft, die Tour. Ansonsten fühle ich mich nicht anders, weder besser noch schlechter, und auch nicht mehr oder weniger speziell. Ich habe das Album gemacht, jetzt geht es weiter, es gilt das Album zu verkaufen.

Es gibt also keine Gedanken, dass du dich schon früher hättest trennen sollen?

Noel Gallagher:  Nein, ich wollte nie ein Solokünstler sein, ich will es noch immer nicht. Aber was sollte ich sonst tun? Ich könnte mich zur Ruhe setzen, aber ich würde mich langweilen. Wenn ich schon früher Solosachen hätte machen wollen, dann wäre das auch drin gewesen. Ich habe es immer geliebt, in Oasis zu sein: Ich mochte die Größe der Band, das, was es so vielen Leuten bedeutet. Die Stadionshows. Die Kameradschaft in der Band – wir waren alle im gleichen Alter, kamen aus und lebten in den gleichen Verhältnissen, hatten Kinder. Es fühlte sich alles so leicht an – aber es hat nicht sein sollen. Jetzt machen wir eben unsere eigenen Sachen. Aber ich sitze hier nicht und denke: »Ich zeige der Welt, was bislang gefehlt hat.« So bin ich nicht. Ich mache das, weil ich an die Songs glaube. So einfach ist das.

Weißt du denn schon, wie du die Liveshows angehen wirst?

Noel Gallagher:  Ich weiß nicht, das wird komisch. Ich habe erst zwei Tage als Frontmann geprobt, gestern und vorgestern – und ich mag es nicht. Ich schätze es nicht, in der Mitte zu stehen. 20 Jahre war ich auf der Seite und konnte in alle Richtungen schauen, jetzt weiß ich nicht, was hinter mir vorgeht.

Hast du schon eine Ahnung, wie du das Problem lösen wirst?

Noel Gallagher:  Alkohol?

Alkohol? Dann würde ich aber zu einer kurzen Tour raten, eine Welttournee könnte gefährlich werden.

Noel Gallagher:  Ach, ich muss es einfach rollen lassen. Ich weiß nur nicht, ob ich es genießen kann.

Ich muss sagen, dass ich überrascht bin, wie bescheiden du dich heute gibst. Ich hatte mehr Sprachgewalt erwartet.

Noel Gallagher:  Als ich Teil von Oasis war, wusste ich genau, was mit jedem Album passiert. Jetzt kann ich das nicht steuern, die Leute werden es entscheiden – aber sie wissen auch, dass ich viele ihrer Lieblingssongs geschrieben habe. Ich spiele, nehme einen Drink in der Umkleidekabine, und dann sehen wir weiter.

Hast du denn Paul Weller, mit dem du befreundet bist, gefragt, wie du die Solokarriere am besten angehst? Er hat ja jede Menge Erfahrungen mit Projektveränderungen.

Noel Gallagher:  Ich bin sehr gut mit ihm befreundet, das stimmt. Aber du kannst das nicht vergleichen: Er war immer ein Frontmann, er stand immer im Rampenlicht. Ich glaube nicht, dass schon mal jemand in meiner Position war.
Fühlt sich das Älterwerden im Musikbusiness denn schwer an für dich?
Älterwerden ist generell schwierig, im Musikbusiness ist es verdammt schwierig. Ich habe in den letzten Jahren einen ganz guten Songkatalog vorgelegt, Songs, die ich als zeitlos empfinde. Das macht es leichter, da mir die Fans zur Seite stehen. Aber das Älterwerden in der Öffentlichkeit ist eine heftige Sache. Mein Haar fällt live im Fernsehen aus.

Wobei dir die Art deines Songwritings ja zuspielt: Die Songs kann man sich auch gut im Croonerstil produziert für einen älteren Noel und ein älteres Publikum vorstellen. Es sind Songs, die nicht nur zu ihrer Entstehungszeit funktionieren.

Noel Gallagher:  Das stimmt. »Wonderwall« habe ich zwar mit 25 geschrieben, der Song hört sich aber an, als ob er gestern geschrieben worden sei. Ich bin eben ein Genie.

Siehst du denn einen Unterschied in der Art, wie du Songs schreibst, zwischen den frühen 90er-Jahren und heute?

Noel Gallagher:  Nein. Ich habe keine Kontrolle darüber, was ich schreibe. Es kommt aus meiner Seele, die Herkunft kann ich nicht anders beschreiben. Ich habe einen gewissen Stil, ja, aber woher er kommt … Ich analysiere es nicht. Was würde es mir bringen?

Ab wann weißt du, ob ein Song gut ist?

Noel Gallagher:  Im Fall von »The Death Of You And Me« wusste ich es in dem Moment, als ich den Riff gespielt habe, dass es ein großartiger Song ist. So war das auch bei »Live Forever«, »Wonderwall«, »Don’t Look Back In Anger« – bei den ganz großen Songs weiß man das sofort, und zwar, weil es den Leuten genauso geht.

Auf dem Album finden sich mit »Stop The Clocks« und »I Wanna Live In A Dream (In My Record Machine)« zwei ältere Songs. Denkst du, dass es für die Songs gut war, dass sie einige Jahre herumlagen?

Noel Gallagher:  Ich hatte gewisse Bedenken, so alte Songs aufzunehmen, aber erstens sind sie richtig gut, zweitens richtig gut aufgenommen, und drittens ist es doch so: Wenn ich sie jetzt nicht rausbringe, dann nie. Und es sind die am meisten nach Oasis klingenden Songs – da sie eben geschrieben wurden, während ich in der Band war.

Da du gerade die Solokarriere beginnst, ist es ein guter Zeitpunkt zum Resümieren: Ist deine Karriere bislang so verlaufen, wie du sie dir damals vorgestellt hast, als du als Roadie für die Inspiral Carpets angefangen hast?

Noel Gallagher:  Oh ja, es war genau so, wie ich es mir immer erträumt habe. Als Roadie habe ich gesehen, wie eine einigermaßen erfolgreiche Band arbeitet. Mit Oasis sind wir dann megagroß geworden, das ging weit über meine Träume hinaus. Ich spielte dreimal hintereinander im Wembley Stadion. Besser wird es nicht. Ich habe alle Drogen, die du dir vorstellen kannst, meinen Hals runtergespült – und das umsonst. Aber man muss den Preis dafür zahlen – Beziehungen gehen kaputt, und du endest beim Arzt, der dir sagt, du musst diesen Scheiß lassen. Dass man den Preis zahlen muss, hält einen aber nicht davon ab, den Traum zu leben, schon gar nicht mich. Wenn ich auf die letzten 20 Jahre im Musikbusiness zurückschaue, dann will ich nichts ändern. Ich würde sofort wieder damals anfangen, zumindest, wenn ich wieder hier in diesem Hotel enden würde.

Hat der Unfall am 7. September 2008, als dich in Toronto jemand von der Bühne gestoßen hat, deine Sicht der Dinge verändert? Hat er dich beispielsweise ängstlicher gemacht?

Noel Gallagher:  Das ist zwei Jahre her. Ich bleibe weder an großen Erfolgen noch an Verlusten noch an Schmerz oder so emotional hängen. Weitermachen ist das Motto: Morgen ist ein neuer Tag. Es ist ja nicht so, dass ich hätte sterben können. Das wäre was anderes gewesen.

Letzte Frage, da ich dein Handy da auf dem Boden liegen sehe und es ein alter Knochen ist. Beschäftigst du dich mit Social Media?

Noel Gallagher:  Ich habe zwar zu Weihnachten meinen ersten Computer bekommen, verfolge das aber nicht. Ich bin mir dessen aber bewusst. Weißt du, ich habe so schon genug Freunde: sechs genau genommen. Ich will aber einen loswerden, damit es fünf sind, das kommt besser.

Und ist es leicht, einen loszuwerden?

Noel Gallagher:  Ich habe meine Mittel. Fünf ist eine gute Zahl, plus meine Frau und mich. Sieben, das ist eine gute Dinnerzahl.

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