Passt in keine (Deutsch-)Pop-Schablone: Jens Friebe „Vorher Nachher Bilder“

2004 war auch das Jahr, in dem ich begann, mit dem von meiner Freundin K. geliehenen Diktiergerät „professionelle“ Interviews zu führen. Eines meiner ersten Opfer war Jens Friebe, vor seinem Konzert im Offenbacher Hafen 2. Da ich das Gerät irgendwann wieder zurückgegeben habe, bleibt der originale Wortlaut für immer ein Geheimnis – konserviert auf dieser unabspielbaren Minicassette. Schon ein Jahr später lud Klaus Walter Jens in seine legendäre Sendung „Der Ball ist rund“ ein – a star was born.
Jens Friebe
„Vorher Nachher Bilder“
(ZickZack 2004)
2004 war ein ziemlich gutes Jahr für sogenannten Indie-Pop und -Rock: Franz Ferdinand, The Organ, Arcade Fire und The Zutons veröffentlichten ihre Debütalben, The Libertines, PJ Harvey, Mando Diao, Stars, The Hives, Leslie Feist, Modest Mouse und TV On The Radio brachten aufsehenerregende Platten heraus. Und bei ZickZack, dem legendären Hamburger Label des noch legendäreren, im August 2025 gestorbenen Alfred Hilsberg, erschien Jens Friebes erstes Album „Vorher Nachher Bilder“.
Wie unglaublich und bedeutend dieser Umstand für ihn selbst war, erzählt Friebe in seinem Nachruf auf Hilsberg bei kaput. Dass Friebe zu ZickZack kam, verdankte sich angeblich einer Empfehlung Jochen Distelmeyers, der Jens Friebe als „seinen Nachfolger“ ins Spiel brachte. Der aus Lüdenscheid stammende Friebe hatte einige Jahre in der Band Parka gespielt und sich dann für eine Solo-Laufbahn entschieden. Sein Song „Wenn man euch die Geräte zeigt“ landete auf der 2003 veröffentlichten ZickZack-Compilation „Bis auf Weiteres eine Demonstration. Geräusche für den Tag danach“, einer 36-Track-Sammlung mit Grandiositäten und Obskuritäten, aus der Friebe dennoch herausstach. Man versteht, was Distelmeyer gemeint hatte, obwohl Jens’ Musik nie wirklich Blumfeld-Nähe aufwies.
Als „Vorher Nachher Bilder“ im Frühjahr 2004 erschien, liebevoll verpackt wie ein Brettspiel von Ravensburger, fiel zuerst die Liebe zu Italo- und Euro-Discobeats auf, das Schwelgen im Künstlichen und Verrätselten bei gleichzeitiger Wahrhaftigkeit. So steht der völlig konkret getextete Song „Deutsches Kino“ (der vielleicht eleganteste deutschsprachige Diss-Track) neben Stücken wie dem schon genannten „Geräte“, an dem man eine ganze Weile heruminterpretieren kann (geht es um die RAF?), oder dem Dance-Hit „Gespenster“, der in eindeutig mehrdeutiger Weise von Internetsex handelt. Friebe hält die Dinge überhaupt gern in der Schwebe: So singt er in „Bring mich zum Wagen“ zwar davon, noch keine*n so geliebt zu haben, schwule Bekenntnisse sind es aber weder im Song noch auf dem Album. Gleich drei Schlussmach-Lieder gibt es auf dem Debüt („Stehen geblieben“, „Dann sagst du auf Wiedersehen“, „Bring mich zum Wagen“) und eine Coverversion mit deutschem Text („Cast A Shadow“ von Beat Happening, auch von Adam Green gecovert). Lieblingssongs einzudeutschen, wird Friebe noch öfter tun: „Nothing Matters When We’re Dancing“ von The Magnetic Fields wird bei ihm zu „Alles macht nichts wenn wir tanzen“, Leonard Cohens „First We Take Manhattan“ erklingt mit deutschem Text auf Jens’ bisher letztem Album „Wir sind schön“.
„Vorher Nachher Bilder“ bringt schon alles mit, was Friebes Werk künftig auszeichnen wird: den Wechsel – oder besser die Kombination – aus gitarrenbetontem Indiepop, Scott-Walker-inspirierten Balladen und Euro-Disco-Dance. Das zusammenzubringen hat manche*n verwirrt, ergibt für Fans jedoch ein schlüssig-schillerndes Gesamtbild. Auch die Mischung aus Zugewandtheit mit einem Hauch smarter Arroganz, aus Glamour und Geerdetsein, aus Greifbarem und Flüchtigem passt in keine (Deutsch-)Pop-Schablone und macht Jens Friebe schon 2004 zum Solitär. Und Geniestreiche wie „Lawinenhund“, „Frau Baron“ oder „Schlaflied“ sollten ja erst noch folgen.
Christina Mohr


PS: … 2004 fand auch der Punkkongress in Kassel statt, wo ich Alfred Hilsberg interviewte. Wir sprachen auch über Jens Friebe, sein Plakat hing über dem ZickZack-Stand.





