Record of the Week

AGF „poemproducer” / Laurel Halo „Atlas“

AGF
„poemproducer”
AGF Producktion (Morr Distriibution)

Nach Jahren, in denen AGF vor allem kollektiv gearbeitet hat, stellt die aktuell in Hailuoto, Finnland lebende Produzentin mit „poemproducer“ wieder die singuläre Autorenschaft in den Vordergrund ihrer Klangentwürfe.

Wobei AGF das 20jährige Jubiläum ihres Album-Klassikers ‘westernization completed’ zum Anlass für ihre erste Soloplatte seit 2017 nimmt, entworfen mit der Ambition, „die Realität und die vergangene Zeit zu kalibrieren“. Die Klangcollagen / Tracks, die so entstehen, sind zugleich sinnlich-poetische Überforderungen als auch zärtliche Einladungen zum Sich in den Sound fallen lassen – was natürlich erstmal wie der absolute Widerspruch klingt, aber es wäre ja nicht der erste seiner Art, den zu leben man sich zutrauen sollte.

Insofern nur passend, wenn die Autorin selbst im dritten Stück des Albums kokett „Can you handle it“ fragt?, also ob wir den „Groove“ und den „Anti-Groove“ bewältigt bekommen; doch die große Herausforderung auf „poemproducer“ ist nicht die Taktung, sondern das, was „against the grain“ in den sound-textuellen Zwischenorten stattfindet, denn dort vereinen sich „text, körper, hände als Technologie, bass, ice“, „non-synchronized“, wie sie es ausdrückt, um „worte zu finden“ und „fieldwork“ zu tätigen, geleitet von einem Autorinnen-Subjekt, das stetig die Grenzen der künstlerischen Freiheit energisch und doch humorvoll auslotet. „What is free“, fragt AGF im Stück „sideNESS” – und gibt Antworten, Antworten, die selbst gehört werden sollten, denn letztlich sind sie weniger als Handlungsanweisung zu verstehen, sondern lediglich Dialogeinladungen von AGF, die sich in “basspoetess” passend selbstbewusst als „powerful poemproducer“ positioniert. Ja, das ist sie wahrlich. Mit „poemproducer“ versöhnt AGF Avantgarde und Pop mit unwiderstehlicher freier Geste.
Thomas Venker

Laurel Halo
„Atlas“

Der erste Gedanke: Laurel Halo ist wieder beim Jazz angekommen. Denn „Atlas“, das siebte Album der amerikanischen Produzentin Laurel Anne Chartow , wie sie mit richtigen Namen heißt, beginnt zunächst wie eines dieser intimen 80er-Jahre-Bar-Jazz-Alben mit einer verhuscht auf dem Klavier gespielten Melodie, eingehüllt von stimmungsvollen Rauschen.

Wirklich verblüffen sollte das niemanden, denn Laurel Halo ist immer für eine überraschende Wendung bekannt, wobei, Wendung es nicht wirklich trifft, sie fügt vielmehr seit ihren Anfängen mit an Detroit Techno geschulten elektronischen Beiträgen zum endlosen Hyperdub-Kontinuum ihrem Klangspektrum mit jeder neuen Veröffentlichung neue Facetten hinzu, setzt kunstvoll neue Schichten auf ihr immer schon sehr persönliches und stets neugierig-forschendes Narrativ drauf – mal im manischen Stil der Errichtung der Watts Towers, mal sich und andere herausfordernd wie der Turmbau von Babel.

Man hört „Atlas“ an, dass Laurel Halo zuletzt an der Seite von Moritz von Oswald (und Heinrich Köbberling) Banderfahrungen gemacht hat (und sie damit an frühere Free-Jazz-Ensemble-Erfahrungen anknüpfte), und auch, dass sie mit „Possessed “ für ein experimenteller Filmessay ihren ersten Soundtrack komponiert hat.
„Atlas“ ist eine raumfüllende Klanginszenierung, die Fantasie und Körperreflexe gleichermaßen stimuliert, sie regt an, sie hat aber auch das Potential zu verunsichern, ja zu verängstigen. Und natürlich endet die Klangreise nicht beim Jazz, „Atlas“ ist, nomen es omen, eine Kartografie der von Laurel Halo immer wieder aufgesuchten Soundbiotope, Ambient, experimentelle Elektronik oder auch Krautrock in seiner poetischen Form.
Thomas Venker

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