Record of the week

Die Sauna “In die Nacht hinein”

2. Dezember 2022,

Die Sauna
“In die Nacht hinein”
(Buback / Indigo)

Fragende Ungewissheit und nebulöse Gefühle im Traumzustand bilden die Klammer von „In die Nacht hinein“, dem aktuellen Album der Münchener Band Die Sauna. München? Nicht ganz. Denn das eigentliche Zuhause der sechs Freunde aus dem bayrischen Oberland liegt am Schliersee, womit sie anfangs noch hinter dem Berg gehalten haben. „Inzwischen“, so Gitarrist Thomas Volk, „ist uns das komplett das egal“. Nach dem gelungenen Debut „So schön wie jetzt war es noch nie“ (2019) braucht sich Die Sauna über Namen oder Herkunft auch keine große Gedanken mehr zu machen. Das Kunststück, Interpol-Gitarrenriffs mit eingängigen Gesangsmelodien zu verbinden, die so lässig klingen als seien sie von den Schnulzenkönigen der Münchener Freiheit aus dem Ärmel geschüttelt worden, muss ihnen auch erst einmal einer nachmachen. Wer das für ein vergiftetes Kompliment hält, der sollte noch einmal in das letzte Album reinhören und sich von dem lakonischen Pathos des Schlusstitels („When You’re Dead“) gefangen nehmen lassen. Auch auf „In die Nacht hinein“ lauern am Ende solche bittersüßen Momente.

Aber zurück zum Anfang: Aus hochtönig umherflirrenden Synthesizerklängen formt sich allmählich eine tänzelnde Basslinie, die dem Eröffnungsstück („Allen geht es gut“) die tragende Struktur gibt. Dazu heulen die Gitarren auf und Sänger Matthias Berg offenbart direkt zwei wichtige Hauptmotive: „Wann ist der Traum vorbei? Ich will zurück ans Meer.“ Der präsente Sprechgesang ist dabei kein einmalig eingesetzter Effekt, vielmehr wesentliches Element einer unterkühlten Ästhetik, die auf „In die Nacht hinein“ noch deutlicher zum Vorschein kommt als auf dem Vorgängeralbum. Deutlich treten Erinnerungen an deutsche 80er-Jahre-Bands hervor. Im Titeltrack werden uns die knappen Worte – wie einst bei DAF – mit Peitschenhieben um die Ohren gehauen: „Kontingente schwinden / Schmälern das Empfinden / Es geht um Verantwortung / Die niemand übernehmen will / Es fehlt Entschlossenheit / Es geht um Müdigkeit / Es gibt eine Lösung / Man kann nur noch leiden.“

Nach dieser markanten Passage nimmt der Song mit der Zeile „Im Traum stehen wir uns nah und gehen in die Nacht hinein“ eine interessante kompositorische Wendung. Dazu muss man wissen: „In die Nacht hinein“ ist auf dem gleichnamigen Album zweimal vertreten, mit unverbundenen Teilen, die zunächst keine Einheit zu bilden scheinen – wäre da nicht eben diese eine Zeile. „Das ist die Connection“, erklärt Matthias Berg im Interview, „und es gibt dann auch die Melodie, die in beiden Songs an dieser Stelle auftaucht.“ Davon abgesehen werden in beiden Teil-Stücken unterschiedliche Richtungen eingeschlagen: Part I reißt den Hörer nach dem langsam dahinschwebenden Opener aus allen Träumen, nimmt die Fahrt mit hibbeligen Gitarren von Null auf Hundert sofort auf und findet wenig später ein ebenso jähes Ende. Part II dagegen hat einen etwas langsameren Aufbau, steigert sich mit hämmernden Keyboards und stakkatoartigem Gesang fast ins Aggressive, um dann in den von melodischen Gitarren verzierten Schlussteil einzumünden. „Und dann verblasst die Traurigkeit / Die Sehnsucht tötet Einsamkeit / Und dann verschwindet Müdigkeit“ heißt es in der finalen Sequenz ein ums andere Mal. Umwerfend! Wer gerne auf einsamen Landstraßen mit dem Auto unterwegs ist (….auch so ein Motiv übrigens …), nachts im Regen, darf an dieser Stelle ruhig noch einmal lauter drehen, sollte sich dann aber über seine Tränen nicht wundern. Ist das noch Freude oder Traurigkeit? Du fragst dich, was dir fehlt? In dem nachfolgenden Stück „Irgendetwas ist anders“ könnte die Antwort liegen.

Textlich präsentiert sich „In die Nacht hinein“ als Einheit. Den Blick melancholisch nach innen gerichtet, geht es um Trennung, Einsamkeit und nicht erfüllte Liebe. „Sehnsucht“ ist ein allgegenwärtiges Thema, das gleichnamige Stück endet mit der Frage: „Ist es die Einsamkeit, die uns zusammentreibt? / Ist es die Sehnsucht, die uns quält? Herzzerreißend auch der inbrünstige Chorus, der eigentlich von einer weiblichen Stimme hätte intoniert werden sollen, wie Gitarrist Martin Pötzinger verrät: „In der Demo-Version habe ich den Part eigentlich nur als Platzhalter gesungen, dann haben wir uns gedacht, warum jetzt noch ein Feature suchen, wenn das jetzt auch so schon ganz gut klingt.“ Wohl wahr, das tut es, auch wenn die Band an dieser Stelle verteufelt nach Wanda klingt.

„Baden Gehen“, ein Song über den Morgen danach, ist eine weitere Ode an die Nacht – natürlich auch hier nicht ohne die Flüchtigkeit des Moments zu beklagen: „Das Morgenrot stimmt uns traurig / Man ist nervös, man möchte los / Die Fessel hält uns schmerzhaft fest“. Wem das alles zu sehr nach adoleszenter Depression klingt, sieht die doppelten Böden nicht und verkennt die ironische Distanz. „Warum streicht mir niemand Schokolade auf mein Brot?“ fragt sich das gekränkte Ich zum Ausklang des Stücks in Dauerschleife. (Vorsicht: Ohrwurm.) Komischer und treffender zugleich hätte man das Gefühl des Alleinseins kaum in Worte fassen und auch die Gewissheit nicht besser auf den Punkt bringen können, dass einem nunmehr weder Mama noch Papa werden weiterhelfen können. Nicht weniger Komik offenbart „Hundeleben“, eine von drei Singles, die von der Band vor dem Album-Release veröffentlicht worden sind. Wenn Die Sauna hier – augenzwinkernd – auf den Hund kommt, wird bald klar, dass es sich um keine knuffigen Geschichten vom treuen Begleiter handelt, sondern doch nur wieder Angst und Sorge übrig bleiben. Im Haustier liegt die Lösung also nicht, dann vielleicht in Italien? Dort wo alles irgendwie schön ist, der Tabak und Kaffee besonders schmeckt? Okay, ihr ahnt es, ungetrübte Urlaubsstimmung will auch im nahe liegenden Sehnsuchtsort nicht aufkommen. Man will sich nur schämen…

Was in der Gesamtschau auffällt: Der melancholische Grundton von „In die Nacht hinein“, der den Texten deutlich zu entnehmen ist, findet auf musikalischer Ebene keine Entsprechung. Zu unterschiedlich und vielschichtig sind die Kompositionen, teilweise lösen sich – wie bei „Hundeleben“ und „Italien“ – Songstrukturen gänzlich auf. Dass gerade diese beiden Stücke als Singles ausgewählt worden sind, ist bemerkenswert und spricht für den künstlerischen Anspruch der Band. Im Vergleich zum letzten Album ist das neue etwas sperriger. Man braucht schon einige Hördurchgänge, um sich ganz hineinzufinden. Aber das Eintauchen in den Kosmos von Die Sauna lohnt. Der letzte Song („Dunkelheit“) fordert zudem heraus, zum Ausgangspunkt zurückzukehren, endet er doch wie der erste und beschwört aufs Neue das blaue Meer. Irgendwie ergibt das alles einen Sinn, man weiß nur nicht immer welchen. Außer, dass man sich weiter von den Stimmungen wegtragen lassen möchte: mit Die Sauna in die Nacht hinein. Möge sie nicht enden und sei das Morgenrot noch fern.

Text: Marc Wilde

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